11. KAPITEL

„Was zum Teufel …!“

„Deine Gesprächsthemen sind in letzter Zeit ziemlich eintönig, alter Junge“, beklagte sich Alistair Cantrell und legte die Zeitungen nieder, in denen er gelesen hatte. „Was ist bloß los?“

Marcus sah von der Ausgabe der Times auf. Er und sein Freund waren wieder im Lesesaal von White’s. Alistair arbeitete an seiner Kolumne für die Zeitungen, und Marcus las die Frühnachrichten. Bis zu Marcus Wutausbruch hatte zwischen beiden friedliches Schweigen geherrscht. Jetzt las Marcus vor:

„Fürstin Isabella Di Cassilis möchte hiermit deutlich machen, dass sie den Earl of Stockhaven nicht seines Geldes wegen geheiratet hat. Die Fürstin möchte vielmehr darauf hinweisen, dass der Mitgiftjäger der Earl ist, da er durch die Verbindung in den Besitz von Salterton Hall in Dorset gekommen ist, wonach er seit Langem strebte. Zuerst heiratete der Earl Miss India Southern, die zu der Zeit Erbin des Salterton-Anwesens war. Nun hat er ihre Cousine geheiratet, um sich in den Besitz …“

Marcus knallte die Zeitung auf den Tisch. „Verdammt! Ich kann nicht glauben, dass sie das getan hat!“

Er sah Alistair an und bemerkte dessen kaum verhülltes Lächeln. „Was ist los mit dir?“, fragte er ungnädig. „Das ist nicht lustig!“

„Doch, das ist es, altes Haus“, antwortete Alistair freundlich. „Hattest du die Fürstin nicht gebeten, einen Widerruf an die Zeitung zu schicken?“

„Ja, aber …“

„Und hat sie nicht getan, worum du sie gebeten hattest?“

„Technisch gesehen ja, aber das ist es nicht, was ich meinte!“ Wütend zerknüllte Marcus das Blatt. „Zum Teufel! Ich glaube allmählich, dass sie mich nur geheiratet hat, um mir das Leben schwer zu machen!“

„Du glaubst das! Wohingegen sie weiß“, antwortete Alistair mit Nachdruck, „dass das der einzige Grund, warum du sie geheiratet hast. Rache kann für alle Beteiligten zur Fallgrube werden, und ich erwähne nur ungern, dass du es warst, der damit angefangen hat.“

Marcus gab ein Grollen von sich. Er wusste, dass sein Freund recht hatte, wollte es aber nicht zugeben. Er hatte Isabella mit seinem überheblichen Verhalten provoziert, und sie war jedem seiner Schritte angemessen begegnet. Viele würden sagen, dass allein er die Schuld hatte.

„Du müsstest dir den Gentlemen’s Athenian Mercury ansehen“, sagte Alistair, wobei er seine Arbeit wieder aufnahm. „Die haben eine viel saftigere Geschichte.“

Marcus packte die Zeitschrift. „Was? Wo?“ Er blätterte die Seiten eilig durch und zerriss sie fast dabei.

„Die Gesellschaftskolumne“, antwortete Alistair.

Schließlich fand Marcus die richtige Seite.

Kurz nach der aufsehenerregenden Nachricht von der wenig schmeichelhaften Meinung einer bestimmten Fürstin über englische Liebhaber kommt die noch ungewöhnlichere Neuigkeit, dass sie sich einen dieser Gentlemen als Gatten gewählt hat. Aus sicherster Quelle, nämlich aus der altehrwürdigen Times, wissen wir, dass eine Eheschließung zwischen Ihrer durchlauchtigsten Hoheit und dem Earl of S. zustande gekommen ist. Wir sind gespannt auf die Meinung der neuen Countess in Bezug auf die amourösen Fähigkeiten ihres Gatten. Unter Berücksichtigung der Offenheit der Lady gehen wir davon aus, dass ganz London in Kürze über ihr Urteil informiert sein wird …

Marcus knirschte mit den Zähnen. „Hölle und Teufel! Denkst du, dass Isabella das auch geschrieben hat?“

„Das bezweifle ich“, antwortete Alistair ruhig. „Hast du nicht bemerkt, dass jemand Geschichten über deine Frau an die Zeitungen verkauft, Marcus? Der Mercury druckt sie schon mehr als zehn Tage.“

„Dieses Schmutzblatt lese ich nicht“, sagte Marcus und schleuderte den Mercury von sich. „Es ist voll von Skandalen und Verleumdungen.“

„Langsam, langsam“, antwortete Alistair mit beleidigter Miene. „Ich schreibe auch für den Mercury. Und zwar weil ich nicht so reich bin wie du. Mein Schreiben sichert mir immerhin einen annehmbaren Lebensunterhalt.“

„Da du für dieselbe Zeitung schreibst“, sagte Marcus mit einer plötzlichen Idee, „kannst du vielleicht die geheimnisvolle Klatschbase identifizieren, die sich über Isabella auslässt.“

„Das könnte sein“, erwiderte Alistair. Er lächelte. „Ich habe auch schon einen Verdacht.“

„Tatsächlich?“ Marcus starrte ihn an.

„Überlass es ruhig mir“, antwortete Alistair.

„Nun gut.“ Marcus stand auf und streckte sich. „In der Zwischenzeit werde ich mich um meine fehlgeleitete Frau kümmern.“

„Willst du sie etwa überreden, einen weiteren Widerruf drucken zu lassen?“

„Nein“, erwiderte Marcus etwas niedergeschlagen, „das hat offensichtlich nicht geklappt.“

„Offensichtlich nicht.“

„Ich muss also etwas anderes machen.“

„Schon irgendeine Idee?“, fragte sein Freund.

„Mir wird schon etwas einfallen“, antwortete Marcus, jetzt etwas zuversichtlicher.

Alistair sah seinen Freund über den Brillenrand hinweg an. „Dir ist doch klar, Marcus, dass Fürstin Isabella durchaus überall erzählen könnte, dass sie dich im Fleet geheiratet hat – wo du als scheinbarer Schuldner einsaßest? Wenn diese Geschichte herauskäme, dann wäre deine Chance, Warwick zu finden, noch viel geringer.“

Marcus’ Gesichtsausdruck verhärtete sich. „Isabella und ich haben eine Vereinbarung: Wenn sie das tut, dann werde ich überall erzählen, dass sie einen Schuldner geheiratet hat, um ihre Haut zu retten.“

„Ich habe schon einmal gesagt, dass eure Ehe unerhört romantisch ist“, sagte Alistair trocken. „Da wusste ich ja noch nicht einmal die Hälfte!“ Er seufzte. „Versuche nicht, Fürstin Isabella vorzuschreiben, was sie zu tun hat. Meiner Erfahrung nach hat das einen schädlichen Einfluss auf das weibliche Geschlecht.“

Marcus blickte finster vor sich hin. „India tat immer gern, was man ihr sagte.“

Alistair unterdrückte einen Laut der Belustigung und hustete stattdessen mehrmals. „Nun, alter Junge, du weißt am besten, was du tust. Ich hatte nie das Vergnügen, verheiratet zu sein, was weiß ich also schon davon? Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück.“

Aber während Marcus mit langen Schritten den Raum verließ, schüttelte Alistair nachdenklich den Kopf. Er würde sein letztes Hemd darauf wetten, dass Fürstin Isabella aus dieser Sache als Siegerin hervorgehen würde.

Ich wünsche, dass Sie mich heute Abend zu einem Dinner bei Mr. und Mrs. Belsyre begleiten. Ich bedaure die kurzfristige Benachrichtigung. Bitte wählen Sie angemessene Kleidung. Stockhaven.

Isabella trommelte mit den Fingern auf dem Spieltisch mit seinen schwarzen und weißen Feldern. Ernest hatte den Tisch immer zum Kartenspiel benutzt. Die dazu passenden Marmorschachfiguren hatte er schon vor Jahren verkauft, weil er mit Schach seiner Wettleidenschaft nicht frönen konnte.

Isabella jedoch hatte immer gern Schach gespielt, weil es ein Spiel war, das Geschicklichkeit und strategisches Denken erforderte. Ihr Blick fiel wieder auf Marcus’ Notiz. Sie war knapp und erwähnte mit keinem Wort den Text in der Times. Aber zweifellos war dies nun seine gebieterische Antwort, die sie zügeln und daran erinnern sollte, dass er ihr befehlen konnte. Heute Abend verlangte er ihre Anwesenheit an seiner Seite. Er erwartete, dass sie sprang, wenn er rief.

Natürlich hatte Marcus nicht damit rechnen können, dass sie Mr. und Mrs. Belsyre gut kannte. Im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit im diplomatischen Dienst war der amerikanische Botschafter mit seiner Frau nach Schweden gekommen, während Isabella dort lebte. Isabella und das Botschafterehepaar wurden sehr gute Freunde. Sie waren in der Tat so eng befreundet, dass Mr. und Mrs. Belsyre nichts dagegen hatten, die eindrucksvolle Gästeliste um den Earl und die Countess of Stockhaven zu erweitern – nachdem Isabella sie am Tag vorher in einem eiligen Brief herzlich willkommen geheißen und sich selbst und Marcus zum Dinner bei ihnen eingeladen hatte.

Marcus sollte das natürlich nicht wissen. Isabella hatte Mrs. Belsyre gebeten, die Einladung ihrem Mann zukommen zu lassen und die Tatsache, dass sie sich schon kannten, dabei nicht zu erwähnen.

Sie lächelte. Dies war ein Befehl von Marcus, den sie mit Vergnügen ausführen würde. Und mit etwas Glück würde das auch der letzte sein.

Schon recht früh an diesem Abend liefen die Dinge für Marcus nicht so gut. Als er in Brunswick Gardens ankam, um seine Frau abzuholen, fand er sie von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Umhang gehüllt vor und wusste absolut nicht, ob sie sich damit für das Dinner angemessen gekleidet hatte. Er war jedoch nicht in der Stimmung, irgendein Risiko einzugehen. Er traute ihr zu, dass sie, nur um ihn in Verlegenheit zu bringen, ausgefallene Kleidung gewählt hatte.

„Nehmen Sie Ihren Umhang ab“, sagte er.

Eine ganze Weile, die seine Geduld strapazierte, starrte sie ihn an, ehe sie seinem Wunsch entsprach. Sie ließ den Umhang von ihren Schultern auf den Boden gleiten.

Ihr Kleid war einfach die schönste, verführerischste Modeschöpfung, die er je gesehen hatte! Er merkte erst gar nicht, dass er mit offenem Mund dastand. Das intensiv kirschrote Seidenkleid umhüllte leicht wogend jeden Zoll ihrer Gestalt vom Hals bis zu den Fußknöcheln. Die Farbe konnte nicht besser gewählt sein. Sie brachte ihren zarten Teint zur Geltung und ließ ihre Augen in einem tiefen Vergissmeinnicht-Blau leuchten. Es war atemberaubend.

An dem Kleid gab es absolut nichts auszusetzen – und am liebsten wollte er, dass kein anderer Mann sie darin sehen sollte.

„Das ist sehr …“ Er hielt inne. Das Kleid lag nicht zu eng an, dennoch konnte er jede ihrer weiblichen Formen in quälender Deutlichkeit sehen. Das Aufwallen seines ungestillten Verlangens ließ ihn für einen Augenblick nicht weitersprechen.

Dann vollendete er den Satz recht lahm: „Sehr nett.“

Isabella sah ihn geringschätzig an. „Dachten Sie etwa, ich würde mich wie eine Hure anziehen, um Sie zu demütigen? Ich versichere Ihnen, Mylord, dass ich sehr viel Selbstachtung habe, selbst wenn ich Ihnen keine Achtung entgegenbringe.“

Marcus zuckte zusammen, weil sie anscheinend seine Gedanken gelesen hatte. Er wusste, dass Achtung kein gottgegebenes Recht war. Seine Jahre in der Marine hatten ihn gelehrt, dass Respekt verdient werden musste. Er konnte nicht leugnen, dass er seit ihrer Eheschließung herzlich wenig getan hatte, um Isabellas Achtung zu verdienen. Und doch sagte er sich, dass sie die Frau war, die der Ton als Abenteurerin schmähte, die India Southern ihr Erbe weggenommen und das Verhältnis zu ihrer Mutter zerstört hatte. Es stand ihm gut an, immer daran zu denken, dass Isabella alles, was ihr widerfuhr, auch verdient hatte.

Marcus bückte sich und hob ihren Umhang auf. Dann fiel ihm ein, dass er ihr etwas zu geben gedachte.

„Ich möchte, dass Sie dies tragen.“ Er zog einen kleinen Samtbeutel aus der Tasche. „Dies sind die Stockhaven-Juwelen.“

Es war eine diamantene Halskette, nicht groß und auffällig, sondern gleichsam ein Gewebe winziger, funkelnder und zarter Tropfen aus Licht, aufgereiht auf einer goldenen Schnur. Er hielt ihr das Schmuckstück hin, aber sie schüttelte leicht den Kopf.

„Das schickt sich nicht für mich. Ich besitze viel Modeschmuck, den ich anlegen kann.“

Er runzelte die Stirn. „Es ist aber angemessen, dass meine Gattin die Stockhaven-Juwelen trägt.“

Sie schob seine Hand mit dem Beutel und der Halskette sanft zurück. „Angemessen. Wie gern Sie dieses Wort benutzen, Marcus. Ich glaube, es ist nicht angemessen, dass Ihre Ihnen entfremdete Frau die Kette trägt. Sie ist so kostbar, dass sie nur mit Liebe getragen werden sollte.“

Entfremdet! Ein Wort voller Einsamkeit.

Er kämpfte mit sich. „India hat sie nie angelegt. Sie bedeutete ihr nichts.“

Er hatte gar nicht vorgehabt, Isabella das zu sagen, denn er schuldete India seine Loyalität – selbst wenn dies das Einzige war, was er ihr jetzt noch geben konnte.

Marcus dachte, dass sie sich freuen würde, dass ihre Cousine und Rivalin die Juwelen nicht getragen hatte. Er war schon im Begriff, ihr die Kette wieder hinzuhalten, als Isabella sich von ihm abwandte.

„Das habe ich nicht gemeint.“ Dabei drehte sie sich so plötzlich herum, dass Marcus erschrak. „Geben Sie sie einer Frau, die Ihnen etwas bedeutet, Marcus. Für jede andere sind sie zu wertvoll.“

Sie nahm den Umhang aus seiner Hand. Er umwehte sie, als sie auf dem Marmorfußboden energisch zur Tür schritt. Sie drehte sich nicht einmal um, ob er ihr auch folgte.

„Sind Sie mit Mr. Henry Belsyre bekannt?“, fragte er, als sie im Wagen saßen.

Isabella sah ihn nicht an. „Mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten? Ja, ich kenne ihn. Ich wusste allerdings nicht, dass die Belsyres nach London zurückgekehrt waren. Sie waren im diplomatischen Dienst schon früher einmal hier, nicht wahr?“

„Wie ich gehört habe, sind sie erst diese Woche zurückgekommen“, antwortete er. „Deswegen auch die kurzfristige Einladung.“ Er sah Isabella an. „Wenn Sie die Belsyres kennen, dann wissen Sie, dass sie sehr einflussreich sind. Sie verkehren in den ersten politischen Kreisen.“

Isabella unterdrückte ein Gähnen. „Politik! Wie langweilig!“

Marcus sah sie erneut an. „Der heutige Abend ist wichtig für mich, Isabella. Ich war für die Admiralität und das Innenministerium tätig, und es kann sein, dass ich in der Zukunft eine politische Karriere einschlagen werde. Die Kontakte, die ich heute Abend knüpfe …“ Er brach ab und wünschte, er hätte überhaupt nichts darüber gesagt. Es war ihm, als würde er damit ihr gegenüber eine Schwäche zeigen. Marcus hatte zu seinem Leidwesen erfahren, dass Isabella jede Gelegenheit, die er ihr gab, zu einem Gegenschlag ausnutzte. Aber er spürte in sich eine seltsame Mischung aus Erwartung und Vergnügen. Tatsächlich genoss er diesen Kampf mit seiner Frau. Die Herausforderung war wie eine Sucht.

„Ich verstehe“, sagte sie gleichmütig. „Dieser Abend muss für Sie glattgehen.“

„Sie scheinen gut über Henry Belsyre Bescheid zu wissen“, sagte er. „Haben Sie ihn und seine Frau im Ausland kennengelernt?“

Isabella schaute auf die Straßen hinaus, die allmählich dunkler wurden. An einer Ecke flammte eine Fackel auf, mit der ein Junge zwei Leute über den Bürgersteig begleitete. Isabella ließ langsam den Vorhang wieder vor das Fenster fallen. Dunkelheit hüllte beide ein.

„Ich kenne die Belsyres schon viele Jahre“, antwortete sie dann. „Mr. Belsyre war mein …“ Sie brach ab. Marcus wartete, aber Isabella gab keine weitere Erklärung. Er war enttäuscht. Ob er ihre tiefsten Geheimnisse wohl jemals enthüllen könnte? Von dem Gefühl der Befriedigung, das er erwartet hatte, nachdem er Isabella ihr selbstständiges Leben entrissen und ihr seine eigenen Regeln auferlegt hatte, spürte er nichts.

„Einer Ihrer früheren Liebhaber, vermute ich“, sagte er.

Der Blick ihrer blauen Augen durchbohrte ihn kalt wie Eis. „Sie vermuten falsch“, erwiderte sie kühl. Sie schwieg, bis der Wagen am Bestimmungsort angekommen war.

Mit einem Blick erkannte Marcus, dass an diesem Abend die bedeutendsten Persönlichkeiten des politischen und diplomatischen Lebens versammelt waren. Henry Belsyre, amerikanischer Botschafter am königlichen Hof, war ein so einflussreicher Diplomat, wie man ihn kaum finden konnte. Staatsoberhäupter, Militärs und Politiker kamen in Scharen zu seinen Soireen. Marcus umfasste Isabellas Arm fest, als sie auf ihre Gastgeber zugingen. Belsyre sprach gerade mit Lord Sidmouth und Fürstin Esterházy, unterbrach das Gespräch aber mit einem Wort der Entschuldigung, sobald er Isabella und Marcus sah. Mit strahlendem Lächeln kam er auf sie zu.

„Isabella! Wir hatten keine Ahnung, dass Sie wieder in London sind! Welch wunderbare Überraschung!“ Zu Marcus’ Bestürzung küsste Henry sie kräftig auf beide Wangen. Dann hielt er sie am ausgestreckten Arm fest. „Rose, Isabella ist gekommen!“

„Guten Abend, Sir“, sagte Isabella lächelnd. „Das ist wunderbar! Ich dachte, Sie seien noch in Washington.“

„Aber wir müssen doch nicht so förmlich sein“, grollte Belsyre im Scherz. „Es gab eine Zeit, da nannten Sie mich ‚Onkel Henry‘ statt ‚Sir‘, wenn Sie sich erinnern.“

Sie lachte. „Da war ich etwa sechs Jahre alt, Sir, und Sie waren noch nicht Botschafter.“

Onkel Henry? Marcus starrte sie an. Das war nicht das Verhältnis zwischen Belsyre und Isabella, an das er gedacht hatte. Und Rose Belsyre umarmte Isabella doch tatsächlich! Marcus stand ganz unbeachtet da – wie eine unscheinbare Debütantin, die niemand zum Tanz aufforderte.

„Sie sehen bezaubernd aus, meine Liebe“, sagte Mrs. Belsyre mit einem Lächeln. Dann wandte sie sich an Fürstin Esterházy. „Maria, Sie kennen doch Isabella Di Cassilis, nicht wahr?“

„Natürlich“, antwortete Fürstin Esterházy mit einem gewinnenden Lächeln. „Meine liebe Isabella, ich habe gehört, dass Sie wieder in London sind. Warum haben Sie mich nicht besucht?“

„Sie war zu beschäftigt damit, sich zu verheiraten“, sagte Belsyre gutmütig lachend.

Langsam wandte Isabella sich Marcus zu. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte er, sie würde der versammelten Gesellschaft die ganze Geschichte ihrer Eheschließung verkünden. Er sah sie an, und sie hielt seinem Blick stand. Marcus wusste, dass Isabella jetzt seine Gedanken lesen konnte. Er wartete darauf, dass die Axt niedersausen und alle seine Pläne für die Zukunft zerstören würde.

„Verzeih mir bitte, Marcus.“ Isabella sprach mit einem Charme, der der Situation in vollendeter Weise entsprach. „Ich war so erfreut, Mr. und Mrs. Belsyre wiederzusehen, dass ich ganz vergaß, dich vorzustellen. Meine Damen und Herren“, sie wandte sich an die Gäste, „dies ist mein Gatte, Marcus Stockhaven.“

Es war eine Demütigung – aber in so perfekter Höflichkeit vorgebracht, dass nichts daran auszusetzen war. Marcus wurde plötzlich deutlich, was es hieß, als Frau immer im Schatten ihres Mannes zu stehen und, weil sie von untergeordneter Bedeutung war, nie zuerst begrüßt zu werden. Ihm kam wieder in den Sinn, dass er Isabella im Fleet gesagt hatte, wie sehr es ihm zuwider war, wegen seines Geldes geheiratet und dann verlassen zu werden. Isabella hatte darauf geantwortet, dass er nun wisse, was es bedeutete, eine Frau zu sein …

„Stockhaven!“ Henry Belsyre schüttelte ihm mit einem festen Händedruck die Hand. „Sehr erfreut darüber, dass Isabella bei ihrer zweiten Verbindung eine so gute Wahl getroffen hat. Ganz herzlichen Glückwunsch!“

Plötzlich sahen alle auf Marcus. Früher hatte es ihm nie etwas ausgemacht, der Außenseiter zu sein. Schon früher war es ihm so ergangen, als er ohne Protektion zur Marine ging, später bei Lord Standish um Isabellas Hand anhielt und sich einem verletzenden Mangel an Interesse gegenübersah. Das hatte ihn nur belustigt. Er hatte sein Glück selbst in die Hand genommen. Jetzt aber hatte er das Gefühl, als habe ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Er sah auf Isabella, die Mr. und Mrs. Belsyre rechts und links neben sich hatte; und er bemerkte, wie Fürstin Esterházy ihn geringschätzig ansah. Hier nun war eine Gruppe von Menschen, die eine ganz andere Meinung von seiner Frau hatten als der Ton mit seinem Getratsche. Diese Persönlichkeiten konnten seine ehrgeizigen Pläne fördern, aber auch zunichte machen – und der Schlüssel zu ihnen war Isabella. Das Machtgefüge zwischen ihnen beiden hatte sich beträchtlich verschoben.

Marcus räusperte sich etwas verlegen. „Ich wusste nicht, dass Sie sich alle so gut kennen“, brachte er mit Mühe heraus.

Isabella lächelte leicht. „Mr. Belsyre war ein alter Freund meines Vaters.“

Oh, zum Teufel! Marcus erinnerte sich an Isabellas Worte im Wagen und ihr abruptes Schweigen, das ihn zu seiner abenteuerlichen Schlussfolgerung getrieben hatte.

Er nahm ihren Arm und zog sie zu sich. „Warum haben Sie mir das alles nicht gesagt?“, fragte er leise.

Sie sah ihn kalt an und schob ihn von sich, jedoch so sanft, dass niemand ihren unterdrückten Ärger sehen konnte. „Warum sollte ich Ihnen irgendetwas sagen, Mylord? Dieses Recht hatten Sie nie. Seien Sie dankbar, dass ich mich im Gegensatz zu Ihnen nicht zu schäbiger Rache herablasse.“

Marcus konnte nicht glauben, was er hörte. Er erinnerte sich daran, wie sie im Fleet mit ihm verhandelt hatte. „Es muss etwas geben, was Sie wollen. Was ist Ihr Preis? Geld?“

Sie wurde blass. „Sie sollten lernen, dass man nicht alles kaufen kann.“

„Das ist lächerlich, gerade von Ihnen, Madam.“

Sie starrten sich gegenseitig in die Augen, und die Zeit schien stillzustehen.

„Dinner“, rief Belsyre, und schreckte sie beide so aus ihrer Versunkenheit. „Wenn Sie bitte Lady Sidmouth begleiten, Stockhaven …“

Dem gesellschaftlichen Anlass an diesem Abend wohnten hochrangige Persönlichkeiten bei. Es war Marcus vorher gar nicht in den Sinn gekommen, dass Isabella, da sie den Fürstentitel noch beibehalten hatte, einen Platz an der Tafel erhielt, der beträchtlich weiter oben war als seiner. So musste Marcus Zeuge werden, wie sich der Fürst de Condé Isabella mit ausgesuchter Aufmerksamkeit zuwandte, die ihm unerträglich vertraut erschien. Und doch war er durchaus noch so einsichtig, um anzuerkennen, dass Isabella mit den überzogenen Avancen des Fürsten angemessen umging. Da er sie die ganze Zeit beobachtete, sah er zum Beispiel, wie Condé sich nahe zu Isabella beugte, als ob er ihr einen Gesprächspunkt besonders nahe bringen wollte, und dabei mit den Lippen ihre bloße Schulter berührte. Isabella brauchte nur ein Wort zu sagen, woraufhin Condé zurückwich und sich eilig dem Duke of Hamilton an seiner anderen Seite zuwandte.

Marcus hatte sich schon halb aus seinem Sitz erhoben, um dem Fürsten seine Fasanenkeule in den Rachen zu rammen.

„Bleiben Sie sitzen, Stockhaven“, redete Belsyre ihm zu, wobei er Marcus am Ärmel fasste. Er ließ noch Wein nachschenken und überspielte damit den peinlichen Augenblick. „Isabella kann mit Condé fertig werden“, fügte er leise, aber eindringlich hinzu. „Sie hat große Erfahrung im Umgang mit schurkischen ausländischen Fürsten.“ Dann wurde sein Ton mitfühlender. „Nicht dass ich Ihnen das vorwerfe, Mann, denn Isabella hat es schwer genug gehabt. Wenn Duelle nicht verboten wären, hätte ich ehrlich gesagt selbst gern einen Schuss auf Di Cassilis abgegeben. Bin überrascht, dass der Mann überhaupt so lange gelebt hat.“

„Kannten Sie ihn, Sir?“, fragte Marcus, von der Freimütigkeit des Botschafters überrascht.

„Leider ja“, antwortete Belsyre. „Eine schlechte Wahl für Isabella. Ich war der älteste Freund ihres Vaters, konnte es danach aber kaum mehr über mich bringen, noch mit ihm zu sprechen.“ Mit seinen klugen blauen Augen sah er Marcus prüfend an. „Nun ja, ich denke, Sie wissen das alles, Stockhaven. Alte Geschichten. Bin froh, dass Sie und Isabella das alles haben beiseite schieben können. Sie hat mir einmal gesagt, dass sie lieber die Frau eines Kapitäns gewesen wäre als die Fürstin Di Cassilis.“

Was war es nur an Isabella Di Cassilis, das in der Familie, bei Freunden und auch bei Dienern eine solche Loyalität hervorrief? Sie hatte Pen, die ihr offensichtlich sehr zugetan war, und Freddie, der seine gewöhnliche Feigheit überwand, wenn es darum ging, für Isabella einzutreten. Sie hatte Churchward, der das tat, was sonst ein Rechtsanwalt nie tun sollte, nämlich Marcus tatsächlich wegen seines Verhaltens zu tadeln. Und dann waren da diese bedeutenden Menschen, die Isabella während ihrer Jahre im Ausland kennengelernt hatte und die sie hoch schätzten.

Sie hat mir einmal gesagt, dass sie lieber die Frau eines Kapitäns gewesen wäre als die Fürstin Di Cassilis …

Diese Worte waren nicht schwer zu entschlüsseln. Es hatte eine Zeit gegeben, als er Kapitän war und Isabella seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Was sie zu Belsyre gesagt hatte, konnte natürlich auch nur ein einfaches Beispiel gewesen sein – aber plötzlich fragte Marcus sich, ob er sich nicht geirrt hatte.

Isabella war müde. Das Wiedereintauchen in die kultivierte politische Welt, die so verschieden war von den Bällen des Tons, war schon eine Anstrengung für sich. Obwohl sie und Marcus die meiste Zeit des Abends getrennt waren, war er ihr doch jeden Augenblick schmerzlich gegenwärtig gewesen. Sie wusste, dass er sie beobachtet hatte.

Natürlich hatte sie ihn durch ihre vage Erwähnung der Belsyres und ihre Behauptung, dass politische Dinners sie langweilten, in falsche Sicherheit gewiegt. Sie hatte das Erschrecken in Marcus’ Gesicht gesehen, als ihm schließlich klar geworden war, dass sie diese Leute sehr gut kannte. Er hatte sich bestimmt gefragt, wie sie ihre Rache weiterführen würde. Und sie konnte nicht leugnen, dass dieser Moment des Triumphs süß gewesen war. Sie hatte seine Bestürzung gesehen und auch sein Bemühen, gegen alles, was sie auch sagen würde, gewappnet zu sein. Die Macht zu spüren, den Spieß umzukehren, war aufregend gewesen.

Dennoch würde sie diese Macht nicht ausspielen. Das war nicht ihre Art. Wenn sie Marcus’ gute Meinung von ihr – ja seine Liebe – nicht haben konnte, dann wollte sie nichts anderes von ihm, als dass er sie in Ruhe ließe. Allein das wäre ihr Ziel.

Als die Damen dabei waren, sich in den Salon zurückzuziehen, hätte Isabella gern ihre eleganten Schuhe in die Ecke geschleudert und es sich zum Einschlafen auf dem Sofa bequem gemacht, wenn da nicht die Gräfin Lieven und Fürstin Esterházy gewesen wären, die erpicht darauf waren, die Gründe der überstürzten Heirat mit Marcus zu erfahren. Ihren Fragen begegnete Isabella mit Geschick, indem sie eine frühere Bekanntschaft mit Marcus erwähnte und dann dem Gespräch eine andere Wendung gab. Als vertraute Freunde wussten die Belsyres natürlich, dass sie Marcus hatte heiraten wollen, ehe Ernest ihre Pläne zunichte machte. Und daher war es bestimmt nur eine Frage der Zeit, ehe die Geschichte ihrer früheren Verlobung mit Marcus die Runde machte. Jeder würde annehmen, dass dies eine höchst romantische Wiedervereinigung war, genau wie Rose es schon getan hatte. Sie alle würden die Eheschließung für eine Liebesheirat halten. Welche Ironie!

Sobald Marcus in den Salon kam, sah Isabella ihm an, dass er sie sprechen wollte. Es machte ihr Freude, seine Absicht dadurch zu vereiteln, dass sie mit anderen angeregte Gespräche führte und ihm den Rücken zuwandte.

Aber sie wusste, dass das nur für eine kurze Zeit gut gehen würde. Marcus war nicht gerade ein geduldiger Mensch. Und dann machte Gräfin Lieven ihr auch noch einen Strich durch die Rechnung, als sie Marcus ansah und mit der Hand auf den Sitz neben sich klopfte – eine Geste, die er unmöglich ignorieren konnte. Isabella hatte sogar den Eindruck, dass er dem Wunsch der Gräfin mit Eilfertigkeit entsprach.

„Wir haben Lady Stockhaven gefragt, was die überstürzte Heirat ausgelöst hat, Mylord“, sagte Gräfin Lieven. „Es sieht alles bemerkenswert romantisch aus. Eine frühere Bekanntschaft … alte Flammen …“

Marcus sah Isabella an. In seinen dunklen Augen war ein Leuchten, dem sie misstraute. „Oh, es war äußerst romantisch, Madam“, stimmte er gelassen zu.

Isabella rückte hin und her. „Es war unvorstellbar“, sagte sie.

Bei der Vorstellung eines solchen Liebesglücks stießen alle Damen einen wohligen Seufzer aus.

„Und Sie sind … wie lange verheiratet?“ Der Blick der Gräfin war voller Erwartung.

„Seit zehn Tagen, Madam“, antwortete Marcus.

„Jeder Tag war in gewisser Weise kostbarer als der vorhergehende“, fügte Isabella hinzu.

Marcus sah sie mit einem langen Blick an. „Es macht mich glücklich, dass du das so siehst, Liebling.“

„Andererseits“,antwortete sie sanft,„habe ich nicht viele Vergleichsmöglichkeiten, oder?“

Es trat eine leicht betretene Pause ein, in der die anwesenden Damen das Gefühl hatten, dass irgendetwas doch nicht so romantisch gewesen war, wie sie gedacht hatten.

„Es hieß in den Zeitungen, es sei eine Zweckehe gewesen“, warf Fürstin Esterházy ein. „Aber wenn man Sie beide nur ansieht, erkennt man, dass das völlig aus der Luft gegriffen ist.“

„Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, Durchlaucht“, stimmte Isabella zu. „Keine Heirat ist jemals weniger zweckdienlich gewesen. Bitte entschuldigen Sie mich. Lord Stockhaven wird Ihnen sicherlich gern seine eigene Einschätzung unserer Verbindung mitteilen.“

Isabella hatte ein wenig Zeit für sich haben wollen, aber sie wusste, dass Marcus ihr diese Gelegenheit wohl nicht geben würde. Und sie hatte recht. Er holte sie ein, ehe sie den Raum durchschritten hatte.

„Einen Augenblick, Madam.“

Marcus fasste sie am Handgelenk mit einem Griff, der nicht gerade sehr fest war, dem sie sich jedoch ohne unwürdiges Gerangel nicht hätte entziehen können.

„Ich mag dieses Katz- und Mausspiel nicht“, sagte er leise. „Sagen Sie mir, was Sie vorhaben.“

Isabella streckte entschlossen ihr Kinn vor. „Ich werde Ihnen gar nichts sagen. Stattdessen schlage ich vor, dass Sie die Situation akzeptieren – so wie es andere auch schon haben tun müssen.“

„Ich akzeptiere gar nichts.“

„Sie haben keine Wahl.“

Marcus lächelte. „Oh, ich habe durchaus eine Wahl, Isabella. Mein einziges Ziel ist jetzt, mit Ihnen von hier fortzugehen und die Angelegenheit zwischen uns ein für allemal zu regeln.“

Sie fuhr mit der Zunge über ihre Lippen. „Ich weigere mich, auf Ihre Anordnung hin zu gehen, Mylord.“

„Dann werde ich andere Maßnahmen ergreifen müssen.“

Ihr Herz machte einen Sprung, als sie sah, dass Marcus’ dunkler Blick geradewegs auf ihre Lippen gerichtet war. Das starke Verlangen in seinen Augen erschreckte sie noch viel mehr als die Befürchtung, er würde sie in aller Öffentlichkeit küssen.

„Sie würden es nicht wagen“, kam es von ihr ohne rechte Überzeugungskraft. Natürlich würde er. Ohne zu zögern.

„Dann sagen Sie mir, dass ich aufhören soll.“ Sein gelassener Ton forderte sie auf geradezu unerträgliche Weise heraus. Und wirklich – sie konnte ihm nicht widerstehen.

Ganz langsam beugte er seinen Kopf und drückte seine Lippen auf ihren Mund.

Seine Berührung entflammte ein glühendes Begehren, das sie bis hinunter zu den Zehenspitzen spürte. Sie konnte nicht einmal mehr denken, geschweige denn sich ihm entziehen. Brennende Leidenschaft durchzuckte sie wie ein Feuer, das sich jeder Kontrolle entzog. Die Zeit schien stillzustehen, und Isabella nahm nichts um sich herum wahr außer seinem Kuss. Ihre Lippen zitterten und öffneten sich dann dem Vorstoß seiner Zunge. Als er sie langsam losließ, drehte sich noch immer alles um sie herum.

„Ich war im Begriff, Isabella zu fragen, was sie veranlasst hat, Lady Stockhaven zu werden“, sagte Gräfin Lieven trocken von ihrem Platz auf dem Sofa aus. „Die Frage scheint nun etwas überflüssig zu sein.“

Marcus’ Druck auf ihrem Arm sprach von einem triumphierenden Besitzanspruch, und Isabella spürte das in jeder Faser ihres Seins. Mit einem Lächeln wandte er sich an die Anwesenden. „Bitte verzeihen Sie uns, meine Damen und Herren. Wir sind noch nicht lange verheiratet.“

Nachsichtige Heiterkeit war die gutmütige Antwort.

„Lassen Sie sich nicht aufhalten, Stockhaven“, sagte Belsyre freundlich lächelnd. „Die Politik kann warten, einige andere Dinge jedoch nicht. Wir machen bald einen Termin für geschäftliche Gespräche aus.“

„Vielen Dank, Sir“, antwortete Marcus höflich.

Er zog Isabella dicht an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Es wird Zeit, dass wir miteinander ins Reine kommen, Mylady. Ich gehe jetzt mit Ihnen nach Hause.“

Bei seinen Worten durchfuhr sie ein wohliger Schauer, den sie nicht unterdrücken konnte.