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Es würde eine Weile dauern, bis die Kinder bei
ihnen waren. Lily und Amanda gingen langsam in Richtung des
Tors.
Ein Landwirtschaftsfahrzeug tuckerte auf einem Feld
herum. »Es werden immer mehr Felder angelegt«, sagte Lily.
»Ja. Hier oben betreibt man jetzt Ackerbau statt
Schafund Rinderzucht. Das haben wir dem wärmeren Wetter zu
verdanken. Es gibt allerdings Probleme. Zum Beispiel die
Blauzungenkrankheit und die afrikanische Pferdepest, neue
Virusarten, die hier zuvor unbekannt waren. Die staatlichen
Tierärzte kommen immer noch manchmal vorbei.« Auch das war eine
Folge der von den Überschwemmungen hervorgerufenen Erwärmung: Die
alten Brutstätten von Krankheiten, wie dem Chikungunya- und
Rifttalfieber, die nicht nur Tiere, sondern auch Menschen befielen,
breiteten sich immer weiter aus.
»Woher bekommt ihr euren Treibstoff?«
»In Taunton gibt’s einen Ölhafen.« Das Tiefland von
Somerset war praktisch versunken, aber in der Nähe der ehemaligen
Binnenstadt hatte man in aller Eile provisorische Hafenanlagen für
kleine und große Schiffe errichtet. »Er ist natürlich rationiert
und wirklich nur für die Landwirtschaftsfahrzeuge und die
Kraftwerke gedacht. Das Auto nehmen wir nur im Notfall. Es gibt
auch ein paar Motorräder,
Wayne hat eins. Sie haben den Hafen schon einmal verlegen müssen,
weil das Meer weiter gestiegen ist.«
»Ja, es ist überall dasselbe.«
»Niemand scheint zu wissen, wie lange die Tanker
noch kommen werden.«
»Wer kontrolliert die Rationierung?«
Amanda sah ihre Schwester an. »Na, die Polizei. Was
glaubst du denn?«
»Irgendwie seid ihr hier oben ziemlich
unzugänglich. Dieser ganze Stacheldraht. Die SAM-Raketen. Stimmt
es, dass die Einheimischen den Tesco-Supermarkt in Taunton
›verstaatlicht‹ haben?«
»Gewissermaßen. Viele Leute hatten was dagegen,
dass die Betreiber ihre Profite aus dem Gebiet abgezogen
haben.«
»Das wäre in den alten Zeiten nicht passiert, oder?
Ein großer Teil Englands hat heutzutage keine Verbindung mehr mit
dem Zentrum.«
»Tja, die Regierung sitzt in Leeds, etliche Hundert
Kilometer von hier. Die machen sich über uns doch keine
Gedanken. Wayne sagt, wir könnten hier oben auf Dartmoor autark
sein, wenn wir nicht überrannt werden.«
»›Überrannt‹?«
Amanda ging nicht darauf ein. »Das Klima ist
angenehmer als früher. Das liegt am Meeresspiegel. Es ist, als
wären wir dreißig Meter abgesunken, wodurch das frühere Hochland
jetzt Tiefland geworden ist. Wayne sammelt Proben der sich
verändernden Populationen von Blumen, Nachtfaltern, Schmetterlingen
und Vögeln. Er führt darüber eine Art Protokoll auf seinem
Laptop.«
»Dein Gespiele ist also so was wie ein Biologe,
ja?«
»Gespiele, ach, hör doch auf mit dem Quatsch. Er
ist Meeresbiologe. Kommt aus London. Vor den Überschwemmungen hat
er im Dove Marine Laboratory in Northumberland gearbeitet.«
»Du hast mir in deinen Mails nie viel von ihm
erzählt. Was hast du gemacht, dich dem ersten kräftigen Kerl an den
Hals geworfen, der dir über den Weg gelaufen ist?«
Amanda brauste auf. »Wenn du noch mal so mit mir
redest, kannst du allein nach Cheriton Bishop laufen, klar?«
»In Ordnung. Tut mir leid. Ich hab’s nicht so
gemeint.«
»Hast du wohl … Wayne ist nicht vollkommen, Lil,
aber eigentlich ein ganz passabler Bursche. Er hat einen
Doktortitel. Sein Spezialgebiet sind die Flora und Fauna der
Küstenregionen, aber jetzt sind die Küsten verschwunden. Manchmal
reisen wir sogar bis zum Solent, nur um zu sehen, wie die
Überflutung voranschreitet. Wayne meint, es sei ein Artensterben.
Es wird eine Million Jahre dauern, bis die Natur wieder eine
richtige Küste geschaffen hat, die Gezeitentümpel, Brandungshöhlen
und Wattflächen mit ihren Regenpfeifern und Singschwänen. Selbst
die Sanddünen sind untergegangen. Es ist alles weg, und wir werden
unser Leben lang nichts dergleichen mehr zu sehen bekommen. Ist das
nicht traurig?«
»Er hat also eine Seele … Na los. Erzähl mir, wie
du ihn kennengelernt hast.«
Sie waren sich im Auffanglager in Aylesbury
begegnet, in einer Schlange vor einem Wassertank. Gleich nach den
ersten Überschwemmungen war Wayne aus Northumberland nach Charlton
in Südlondon gekommen, um bei seiner Familie zu sein. Sie hatten es
geschafft, die Stadt zu verlassen,
und sich in den Flüchtlingsstrom Richtung Aylesbury eingereiht.
Nach ihrer zufälligen Begegnung waren Wayne und Amanda sich
irgendwie nähergekommen; sie hatten miteinander in den »Pubs« des
Flüchtlingslagers herumgesessen, Zelten, in denen es aus den
verlassenen Vororten geborgenes Bier gab.
Doch die Überschwemmungen nahmen kein Ende. Das
Meer war weit in die großen Flussmündungen vorgedrungen. Die Themse
war jetzt ein Binnenmeer, das sich bis nach Buckinghamshire
erstreckte. Der Severn war durchs Tal von Evesham bis nach Warwick
gelangt, und da die Liverpool Bay sich nun landeinwärts bis nach
Chester erstreckte, sah es so aus, als würde Wales komplett von
England abgetrennt werden - so wie die Ästuare des Forth und des
Clyde, die einen großen Teil von Edinburgh und Glasgow überschwemmt
hatten, Schottland von England lösten. Und es schien, als würde
auch die von den großen Hochlandmassen von Exmoor und Dartmoor
beherrschte Halbinsel Cornwall bald durch Meereszungen vom Festland
abgesondert werden. Was den Rest von England betraf, konnte man von
Middlesborough aus eine Linie in südlicher Richtung bis nach
Cambridge ziehen, in deren Osten es nur noch eine zerklüftete
Halbinsel gab, die von Hochlandresten wie den Yorkshire Moors
gebildet wurde. Im Südosten war das Meer weit in die Täler von Kent
und Sussex vorgedrungen, so dass die Streifen höher gelegenen
Geländes, die North und South Downs und der Weald, wie die Finger
einer felsigen Hand hervortraten.
In den Chilterns-Lagern hatten die aus London
Evakuierten eine Zeit voller Angst verbracht. Jeder wusste, dass
die
steigende Flut weitere Flüchtlingswellen aus den Tälern des
Severn, des Trent und des Humber sowie von sämtlichen Meeresküsten
ins Landesinnere treiben würde, darunter auch Menschen, die schon
einmal in andere Lager evakuiert worden waren - Millionen auf
Wanderschaft.
Unter dem Druck, noch mehr Flüchtlinge aus dem
Themse-Tal aufnehmen zu müssen, hatten die Behörden das Lager von
Aylesbury schließlich aufgelöst und die Leute weiter nach Westen
geschickt. Wayne hatte Amanda und die Kinder eingeladen, sich mit
ihm zusammenzutun; er wollte sich einer Gemeinschaft anschließen,
die gerade auf Dartmoor gegründet wurde. Amanda war sich bei Wayne
nicht sicher gewesen, wenn sie ehrlich war. Aber sie hatte keine
wirkliche Alternative gehabt.
»Und woher wusste er von diesem Ort?«
Amanda holte tief Luft. »Okay. Das ist der Teil der
Geschichte, der Mum nicht gefallen hätte. In seiner Jugend ist
Wayne mit einer Gang von Charlton-Fans rumgezogen. Der Fußballclub,
weißt du? Ich will nicht so tun, als fände ich das gut. Ich meine,
es waren halt Jungs, aber schon welche von der harten Sorte. Wayne
ist der Sache entwachsen, aber er hat mit den Jungs aus seiner Gang
Kontakt gehalten. Und einige von denen wiederum haben im
späteren Leben Verbindungen zu … äh … gewissen Randgruppen
geknüpft.«
Lily nickte. »Daher also die Fahnen. Ultrarechte.
Wie die British National Party.«
»Nicht die BNP … Aber so ähnlich, vermute ich.
Wayne ist kein Schläger oder Neonazi, weißt du. Aber er sagt, bei
diesen Leuten seien Ideen im Umlauf, die sonst nirgends diskutiert
würden.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, wie würde die Welt damit fertig,
wenn uns das Öl ausginge? Ich schätze, das ist jetzt alles
hypothetisch, wir haben andere Probleme, aber damals hatten die
Leute Angst vor Anarchie. Man sprach über Schlupflöcher. Wayne
sagt, eine Gruppe hätte in jener Zeit Plätze in Ländern wie
Kroatien geprüft, nah bei der Küste, wo man sein Trinkwasser aus
örtlichen Flüssen holen und von Sonnenenergie leben konnte. Einige
von ihnen schmiedeten ernsthafte Pläne und legten sich
Vorratsdepots an.«
»Survivalisten mit Hakenkreuzen.«
»Wenn du so willst«, sagte Amanda mürrisch.
»Jedenfalls, als es mit den Überschwemmungen losging, haben sie die
alten Pläne ausgegraben. Wayne hat sich einer Gruppe angeschlossen,
die sich nicht so weit weg von zu Hause niederlassen wollte.«
»Auf Dartmoor.«
»Ja. Devon und Cornwall waren schon vor der Flut
eine Halbinsel. Ich glaube, es gab vage Pläne, die Hauptstraßen zu
sperren und sie ganz abzutrennen. Es war im Grunde nur
Kneipengeschwätz, weiter nichts. Aber sie hatten das Gebiet schon
im Auge. Als wir dann von Aylesbury weggeschickt wurden, hatten wir
zumindest ein Ziel. Wayne hat sich einen Land Rover und einen
Wohnwagen beschafft, und - tja, hier sind wir nun.«
»Hm. Mitsamt Stacheldrahtsperren und
Boden-Luft-Raketen.«
»Es ist doch überall dasselbe. Versuch nicht, mir
was anderes weiszumachen. Die Menschen haben so viel verloren, dass
sie Angst davor haben, noch mehr zu verlieren. Aber ich
glaube, die Lage wird sich wieder beruhigen. Wir werden hier keine
Survivalisten-Horrorshow durchleben, Lily.«
»Ach nein?«
»Du kennst es hier nicht. So schlimm ist es nicht.«
Das glaubte Amanda tatsächlich. Außerdem glaubte sie, dass sie
Kraft und Widerstandsfähigkeit erlangt hatte, weil sie in einer
Situation, die sie früher einmal ganz und gar unannehmbar gefunden
hätte, sich und ihren Kindern ein Zuhause geschaffen hatte. Sie
verübelte es Lily, dass sie einfach so daherkam, um all das mit
einem Wort zu zerstören. »Es könnte sogar besser werden«, erklärte
sie trotzig. »Sie sagen, wenn es noch wärmer wird, hätten wir es
hier bald wie auf den griechischen Inseln. Weißt du noch, wie Mum
mit uns nach Kefalonia gefahren ist, als wir noch klein waren?
Olivenhaine, Meeresfrüchte und dieses glatte, glitzernde blaue
Meer.« Es war eine Fantasievorstellung, an der sie sich insgeheim
festhielt, besonders in dunklen Winternächten oder wenn die Stürme
ihren überfüllten kleinen Wohnwagen durchschüttelten, eine
Fantasievorstellung von einer sonnengetränkten Zukunft in einem zum
Archipel gewordenen England.
Lily schwieg. Sie sah ungeheuer traurig aus.
»Aber daraus wird wohl nichts, was?«, fragte Amanda
vorsichtig.
»Nein.« Lily nahm ihre Hände. »Tut mir leid,
Schwesterherz. Ich muss euch wirklich von hier wegbringen.«
Plötzlich hörte man einen Motor aufbrüllen. Ein
Motorrad kam auf dem Fußweg herbeigerast. Benj fuhr, Kristie hielt
sich an seiner Taille fest. Keiner der beiden trug einen
Helm.
Benj brachte das Motorrad ungeschickt zum Stehen.
Mit Tränen in den Augen stieg Kristie ab und lief zu ihrer Mutter.
Sie trug ihren ramponierten pinkfarbenen Rucksack auf dem
Rücken.
»Das ist Waynes Motorrad!«, fuhr Amanda sie an.
»Was, zum Teufel, habt ihr euch dabei gedacht? Er wird stinkwütend
sein!«
»Das ist er schon«, sagte Benj. »Hi, Tante
Lily.«
»Hallo, Benj, Kris.« Lily blickte wehmütig
drein.
Amanda sah ihre Kinder durch Lilys Augen. Sie waren
so sehr gewachsen, waren kräftiger geworden, hatten sich
verändert. Die blässlichen, modebewussten, Angel-besessenen
Teenager aus der Zeit vor der Flut hätten neben diesen robusten,
derben Arbeitern wie Pfaue gewirkt.
Aber Kris weinte. »Es ist meine Schuld, Mum. Ich
weiß, du hast gesagt, wir sollten nicht heimfahren, aber ich hatte
irgendwie das Gefühl, dass wir endgültig weggehen würden …«
»Ich hatte das Gefühl«, fiel ihr Benj ins
Wort, »als du gesagt hast, Tante Lily sei hier.«
»Ich wollte nicht ohne meine Sachen weg.« Kris zog
an den Riemen ihres Rucksacks.
Amanda warf Lily einen aufgebrachten Blick zu. »Es
sind ihre letzten Sachen aus London. Accessoires, weißt du,
Glitzerkram, ihre Bernsteinkette. Und ihr Teddy!«
»Spielt keine Rolle«, sagte Lily rasch. »Sie kann
sie mitnehmen, wo sie sie schon mal dabei hat. Die Frage ist, warum
seid ihr mit dem Motorrad gekommen?«
»Seinetwegen«, sagte Benj. »Er hat uns
gesehen.«
Und Amanda hörte das Grollen eines weiteren
Motors.
Wayne kam auf einer großen Honda den Weg entlang.
Es war die von Bill Pulford, erkannte Amanda. Er hielt an, stellte
den Motor ab und ließ das Motorrad zu Boden fallen. Dann kam er
steifbeinig auf sie zu, mit geballten Fäusten.
Amanda lachte gezwungen, im Versuch, die Stimmung
aufzubessern. »Weißt du, Bill wird ganz schön Stunk machen, wenn er
erfährt, wie du mit seinem Bike umgehst …«
Wayne zeigte mit einem schmutzigen Finger auf sie.
»Halt die Schnauze.« Seine Haare waren wild zerzaust von der Fahrt;
sein AxysCorp-Overall war grau vor Dreck, die Augen leuchtend blau.
»Was, zum Teufel, fällt dir eigentlich ein? Du willst abhauen, ja?
Ich wusste es, als ich diese beiden kleinen Arschlöcher weglaufen
sah.«
Benj baute sich vor ihm auf. »Kann schon sein, dass
ich ein Arschloch bin, aber nenn mich nicht ›klein‹.«
Wayne hob eine Faust.
Zu ihrer eigenen Überraschung packte Amanda ihn am
Arm. »Wenn du ihn schlägst, ist es aus. Wage - es - ja
nicht!«
Er funkelte sie an. Aber er wich zurück und
schüttelte ihre Hand ab. »Ist es nicht sowieso aus? Verpisst ihr
euch nicht gerade alle mit der Amisoldatin hier?«
»Ich bin wegen meiner Familie gekommen«, sagte Lily
in ruhigem Ton. »Ich habe keinen Streit mit dir.«
»Aber ich mit dir, Lady. Ich habe auch Rechte. Ich
hab sie gerettet, als wir aus Aylesbury rausgeflogen sind. Ach, was
soll’s, verpiss dich ruhig«, sagte er zu Amanda. »Ich hab dein
Gejammer satt. Ihr könnt alle verschwinden. Bis auf dich.«
Blitzschnell packte er Kristie am Arm. Sie schrie auf und
versuchte, sich zu befreien, aber er war viel zu stark für
sie.
Benj wollte ihn anspringen, doch Lily hielt ihn
fest.
Amanda ging auf ihn zu. »Was soll das? Lass sie
los!«
»Vergiss es«, knurrte er. Er zog Kristie an sich,
hielt sie mit seiner großen Hand an der Taille fest und verdrehte
ihr den Arm auf dem Rücken. »Ich habe, was ich will, und ihr
anderen könnt euch vom Acker machen. Nur zu.«
Amanda verstand auf einmal. »Dir ist es die ganze
Zeit nur um Kristie gegangen, stimmt’s?«
»Na klar. Ich bin bei dir geblieben, während ich
auf sie gewartet habe. Glaubst du, ich wollte dich, du lächerliche
alte Schlampe? Wie viele Kinder könntest du mir schenken? Denn nur
darum wird’s in Zukunft gehen. Um Kinder - starke Söhne, fruchtbare
Töchter.« Kristie wehrte sich erneut, aber er verdrehte ihr den Arm
noch mehr, bis sie aufgab. »Natürlich ging’s immer um sie. Während
ich dich gevögelt habe, hab ich an sie gedacht. Sonst hätte ich
keinen hochgekriegt …«
Es gab einen leisen Knall, als hätte jemand ein
Samenkorn ausgespuckt. Wayne ließ Kristie los und fiel schreiend zu
Boden. Sein rechter Stiefel war explodiert.
Benj eilte nach vorn und packte seine Schwester.
Lily trat mit der Pistole in der Hand auf Wayne zu, der am Boden
lag.
Er umklammerte seinen blutigen, zerfetzten Stiefel.
»Du dämliches Miststück, du hast mir den verdammten Zeh
abgeschossen!«
»Wenn du auch nur noch einen Laut von dir gibst,
schieße ich dir eine Kniescheibe weg. Welchen Nutzen hättest du
dann noch für deine Survivalisten-Kumpels?«
Er starrte sie wütend an. Sein Gesicht war eine
Maske aus
Schmerz und Zorn. Der Schweiß grub Rinnsale in den Schmutz auf
seiner Stirn. Aber er schwieg.
Amanda holte zitternd Luft. »Du mischst dich immer
wieder in mein Leben ein, Lil«, sagte sie.
Lily wandte sich an die Kinder. »Alles in Ordnung
mit euch beiden?«
»Ja«, sagte Kristie. »Bitte schieß ihm nicht die
Kniescheibe weg, wenn er diesen Laut von sich gibt, Tante
Lil …«
»Welchen Laut?«
Kristie lief auf Wayne zu, wobei sie ihre Schritte
so abmaß, als führte sie einen Elfmeter aus, und trat ihm in die
Eier. Er schrie auf und wand sich.
»Diesen Laut.« Sie brüllte ihn an:
»Dreckskerl!«
»Tut mir leid, Kris«, sagte Amanda
aufrichtig.
»Keine Angst«, erwiderte Kris kühl. Ihre Tränen
waren jetzt versiegt. »Er wäre nie auch nur in meine Nähe
gekommen.«
»Garantiert nicht«, fügte Benj mit fester Stimme
hinzu.
»Mein Gott«, sagte Amanda. »Ich ziehe Vigilanten
groß.«
Lily sah auf ihre Armbanduhr. »Hört zu, er ist
jetzt nicht wichtig. Nichts von alledem ist wichtig. Wir müssen
nach Cheriton Bishop, wo der Wagen auf uns wartet.« Sie musterte
die Motorräder. »Mit den Dingern könnten wir in einer Viertelstunde
da sein, wenn wir zwei Fahrer hätten.«
»Ich kann Motorrad fahren«, erklärte Benj.
»Ich weiß …«, sagte Amanda.
»Und ich auch«, ergänzte Kristie munter.
Amanda sah ihre Tochter streng an. »Das wusste ich
nicht.«
»Finger weg von meinem Scheiß-Motorrad, ihr Hexen«,
blökte Wayne auf dem Boden.
»Schnauze«, sagte Lily milde. »Also dann. Kann ich
bei dir mitfahren, Kris?«
Wayne fluchte, als sie die Motorräder anwarfen.
Offenbar außerstande, seinen Zorn im Zaum zu halten, stand er
tatsächlich auf und taumelte vorwärts. Lily sorgte dafür, dass ihre
Pistole gut sichtbar blieb - und Amanda war froh, als sie aus
seinem Blickfeld verschwanden.