Wenn das Hexenblut blüht
Es war der ideale Ort zur Ausübung meines
Berufes. Im Grunde eigentlich für meine beiden Berufe, aber
ich war nur in einer Eigenschaft hier.
In dem Restaurant wurden Adelige des Blutes
bewirtet, also besaß es eine edle, komfortable Atmosphäre. In der
Mitte des vertieft angelegten Hauptspeisesaals befand sich ein
grober Steinbrunnen, der so natürlich aussah, dass man hätte
schwören können, das Zimmer sei um ihn her errichtet worden. In dem
Zimmer standen Tische verstreut, wobei dazwischen jeweils viel
Platz blieb – eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme, wenn man es sich
recht überlegte. Das gesellschaftliche Miteinander der Angehörigen
des Blutes ist solch ein komplizierter Tanz, bei dem Kaste, soziale
Stellung und Juwelenrang miteinander ausbalanciert werden, dass ein
unbeabsichtigtes Anstoßen im Laufe eines Herzschlags in eine
gewalttätige Auseinandersetzung münden konnte. Und es würde jedem
das Abendessen verderben, sollte das Endergebnis allzu blutig
ausfallen.
Mir würde das natürlich nichts ausmachen, es sei
denn, etwas Ekliges landete direkt auf meinem Teller. Ein gutes
Gemetzel bereitet mir Freude, besonders, wenn dabei ein männlicher
Adeliger in kleine Stücke gerissen wird. Zu meinem eigenen
Leidwesen bin ich zu sehr Profi, um allzu oft derlei Dingen zu
frönen.
Zu beiden Seiten des Speisesaals befanden sich
große, bequeme Sitzecken, die von den Tischen mithilfe einer Mauer
aus Farnen diskret abgeschirmt und mit leichten Zaubern belegt
waren, sodass Gespräche nicht an die Öffentlichkeit drangen.
Als ich am Nachmittag eingetroffen war, um mir
den Ort genauer anzusehen, hatte ich eine der Sitzecken für das
kleine Spielchen heute Abend ausgewählt. Der Inhaber des
Restaurants sperrte freundlicherweise diesen Teil des Saales ab,
sodass ich und mein Begleiter ganz unter uns wären. Das war nicht
schwierig, denn selbst für Angehörige des Blutes handelte es sich
um ein spätes Abendessen, und die paar Leute, die sich noch im
Speisesaal befanden, verweilten bei ihrem letzten Getränk, als mein
Begleiter eintraf.
Wir ließen uns in der Sitzgruppe nieder, und das
Spiel begann.
Mein Begleiter war ein Krieger mit purpurnem
Juwel, der einer Adelsfamilie entstammte. Das verlieh ihm eine
gewisse Macht. Dass er einer der stärkeren Königinnen in diesem
Territorium diente, machte ihn noch mächtiger. Ja, es machte ihn so
mächtig, dass er das Gefühl hatte, er könnte mit jedem tun und
lassen, was er wollte; mit jedem, der nicht dunklere Juwelen als er
selbst trug, einer Adelsfamilie entstammte oder am Hof einer
mächtigeren Königin diente.
Dem war auch so. Er konnte mit jedem tun
und treiben, was er wollte, und niemand konnte ihm etwas anhaben –
außer natürlich man heuerte jemanden wie mich an.
Laut unseren ältesten Legenden erhielten die
Angehörigen des Blutes ihre Macht, ihre Kunst, einst verliehen, um
die Bewahrer der Reiche zu sein. Die Juwelen, die manche von uns
trugen, fungierten nicht nur als Machtreservoir, sondern zeigten
auch an, wie tief – und dunkel – die jeweilige Macht war.
Es gibt viele Worte, mit denen sich beschreiben
ließe, was aus den Angehörigen des Blutes geworden ist. »Bewahrer«
gehört nicht dazu.
Aus eben diesem Grund laufen die Geschäfte so gut
für mich.
Mein Begleiter war ein durchaus attraktiver Mann,
wenn man Schweine erotisch fand. Andererseits wählen Huren ihre
Kundschaft nicht nach dem Aussehen aus.
Und Kopfgeldjägerinnen auch nicht.
»Bin ich also dein erster Mann in diesem
Territorium?«, sagte er und tauchte die Finger in die Schüssel mit
gefärbten Garnelen.
Trottel. Ich bin zur Hälfte hayllisch, und die
Hayllier sind ein langlebiges Volk. In meinen Augen ist zu
viel Grün, als dass sie rein hayllisch-golden sein könnten, aber
die hellbraune Haut und die schwarzen Haare stammten von meinem
Erzeuger, dem verfluchten Hurensohn. Anscheinend hatte mein
Begleiter jedoch gewisse Vorlieben und wollte lieber so tun, als
sei ich noch unberührt.
Vorsichtig schnitt ich einen der gefüllten Pilze
entzwei, die meine Vorspeise darstellten. »Aber nein, Süßer. Noch
nicht einmal in dieser Stadt.« Ich lachte, weich und rauchig, und
warf ihm einen Blick unter meinen Wimpern hindurch zu. »Vielleicht
dein Ururgroßvater.«
Er stieß ein Grunzen aus, aß eine weitere
gefärbte Garnele und leckte sich die Soße auf eine Art und Weise
von den Fingern, die er bestimmt für erotisch und anzüglich hielt.
»Vielleicht der alte Jozef. Ich bin ihm sehr ähnlich, weißt
du?«
Das bezweifelte ich keine Sekunde lang.
Er verspeiste die letzte Garnele. Die süßlich
scharfe Soße ließ ihm Schweißperlen auf die Stirn treten. Er tupfte
sich das Gesicht mit der Serviette ab und sagte mit einem
Achselzucken: »Sie machen das Zeug hier zu mild.« Sein Blick
wanderte zurück zu meinem Dekolleté. »Ich mag es, wenn mir richtig
heiß wird.«
Ach, Krieger, dachte ich und schenkte ihm
ein Lächeln, schon bald bekommst du so viel Feuer, wie du dir
nur wünschen kannst.
Während wir auf den nächsten Gang warteten,
stützte ich mich leicht mit den Ellbogen auf dem Tisch ab, legte
das Kinn auf die gefalteten Finger und beugte mich vor, um ihm
einen besseren Blick auf meine Brüste zu gewähren, die kaum von dem
Seidenstoff meines Kleides bedeckt wurden. Es war gut, dass er
sämtliche gefärbten Garnelen aufgegessen hatte. Ich hätte nicht
gewollt, dass ein Kellnerjunge
die letzte stibitzte und dafür würde leiden müssen.
Er tupfte sich erneut die Stirn mit der Serviette
ab. Der Blick, mit dem er mich bedachte, verriet, dass die Hitze
nicht nur von den Krustentieren kam.
»Du hast dich nun also in einem Haus des Roten
Mondes eingemietet?« Er versuchte, nicht allzu aufgeregt zu
klingen, doch sein Blick wanderte zu meinen leicht spitz
zulaufenden Ohren, dem einzigen sichtbaren Zeugnis des
geheimnisvollen Volkes, dem meine Mutter entstammte.
Meine Ohren machen mich zu etwas Einzigartigem,
also zu etwas Kostspieligem, und ich habe obendrein den Ruf, die
Allerbeste zu sein. Wenn ich beschließe, mich eine Zeit lang in
einem Haus des Roten Mondes niederzulassen, werden schon Wochen im
Voraus Termine ausgemacht, was keine andere Hure von sich behaupten
kann. Nur die Hälfte dessen, was ich in Schlafzimmern treibe, hat
mit Sex zu tun, aber es ist solch ein einfacher Köder.
»Nein, ich habe mich nicht eingemietet«, sagte
ich. »Das hier ist eine Vergnügungsreise. Ich bin nur auf der
Durchreise.« Genau das hatte ich ihm bereits gesagt, als ich ihn
zum Abendessen eingeladen hatte.
Er schmollte immer noch und wirkte enttäuscht –
weil er mir natürlich nicht geglaubt hatte. Männer von seinem
Schlag taten das nie. Da trat ein verschlagender Blick in seine
Augen. »Aber du wirst erst morgen früh aufbrechen, oder,
Sorrel?«
»Surreal«, verbesserte ich ihn. Der Bastard
wusste ganz genau, wie ich hieß. Er wollte mich nur glauben machen,
ich sei zu unbedeutend, als dass er sich an mich erinnerte, damit
ich bereit wäre, ihm zu beweisen, dass ich meinem Ruf durchaus
gerecht wurde.
Es sollte mir Recht sein. Ich war gewillt, ihn
sein Spielchen spielen zu lassen, da es mir für mein eigenes
gelegen kam.
Ich schenkte dem Kellnerjungen, der das
Rippenstück servierte, ein Lächeln. Er stellte meinen Teller vor
mich, die
scharfe Klinge des Messers sorgsam unter dem Fleisch verborgen.
Ich warf dem Messer einen raschen Blick zu, um sicherzugehen, dass
sich am Griff ein kleiner weißer Emaillefleck befand. Am Griff
meines Begleiters befand sich ein kleiner roter Fleck.
Perfekt.
Nachdem ich den Jungen mit dem Anflug eines
warnenden Lächelns bedacht hatte, griff ich nach dem Messer und
begann zu essen.
Der Krieger knurrte missmutig. »Wenn der Inhaber
schon ein Restaurant ohne Zimmer im ersten Stock betreibt, könnte
er wenigstens Kellnerjungen beschäftigen, die nicht derart mürrisch
sind.« Er schenkte mir ein lüsternes Grinsen. »Oder aber
Serviermädchen.«
Ich erwiderte sein Grinsen mit einem kecken
Lächeln. »Will man gutes Essen genießen, geht man in ein
Restaurant. Will man etwas anderes genießen, geht man in ein Haus
des Roten Mondes. Wer will denn schon mit Anfängerinnen
spielen?«
In seine blassen Augen trat ein boshaftes
Glitzern. »Mit Anfängerinnen zu spielen, kann sehr unterhaltsam
sein.«
Ich starrte ihn nur an. Wahrscheinlich glaubte
er, das boshafte Glitzern in meinen Augen sei auf Eifersucht
zurückzuführen.
Narr.
Ich ließ die Luft um mich her mithilfe der Kunst
erkalten, was meinem Missfallen Ausdruck verlieh, und machte mich
dann über mein Abendessen her.
Die wortlose Rüge ärgerte ihn, und er setzte die
Miene eines boshaften, zurückgewiesenen Bengels auf. Da fiel ihm
wieder ein, dass sich ein Mann, der von einer Hure meines Könnens
und meines Rufes bedient werden wollte, wenigstens den Anschein von
Höflichkeit geben musste. Das war Teil des Handels.
Er verbarg seinen Zorn, griff nach seiner Gabel
und bohrte damit in dem Fleisch herum. »Das Fleisch ist gut. Lässt
sich mit der Gabel schneiden.«
Ich verzog das Gesicht, als Fleischsaft auf das
Leinentischtuch spritzte. Als ihm klar wurde, dass mich sein wildes
Herumgestochere alles andere als beeindruckte, griff er endlich
nach dem Messer.
Ich schenkte ihm ein lüsternes, beifälliges
Lächeln und widmete mich wieder meinem eigenen Essen.
Die Unterhaltung war langweilig, da sich alles
nur um ihn drehte, doch ich gestattete es mir nicht, in Gedanken
abzuschweifen. Wer vermochte schon zu sagen, welche informativen
Leckerbissen er vielleicht fallen ließ, während er mit seinen
Verbindungen angab?
Ich bewunderte gerade die blutrote Blume mit den
schwarzen Rändern, die in dem Farntopf gegenüber von unserer
Sitzgruppe steckte, als mein Begleiter bemerkte, dass mein Blick
nicht auf ihn gerichtet war.
»Was ist da drüben?«, grunzte er, während er ein
Stück von einem Brötchen abriss und es in die Butterschüssel
tauchte.
Ich wandte den Blick von der Blume ab und zuckte
mit den Schultern. Wenn er Hexenblut nicht von sich aus erkannte,
würde ich es ihm ganz gewiss nicht verraten.
»Hübsch«, sagte er, wahrscheinlich weil er
dachte, mir damit zu gefallen.
Beinahe wäre ich in Gelächter ausgebrochen.
Schließlich war das Ende der Mahlzeit erreicht.
Der Dunkelheit sei Dank! Nachdem der Brandy serviert worden war,
kehrte mein Begleiter zu seinem Lieblingsthema zurück. »Hör mal«,
sagte er, wobei er sich vorbeugte, um mir mit den Fingern über das
Handgelenk streicheln zu können, »da du sagstest, du hättest kein
Zimmer, und dieses Etablissement hier sich nicht gerade eines
exquisiten Services rühmen kann, wüsste ich einen Ort, an dem
-«
»Bedauerlicherweise ist es schon spät, Krieger.
Ich werde morgen woanders erwartet, und meine Kutsche fährt in
Kürze ab.«
Seine Miene wechselte augenblicklich von weicher
Wollust zu harter Grausamkeit. Trotz meines jugendlichen Aussehens
bin ich kein Mädchen, das sich ohne weiteres einschüchtern lässt
und sich unterwirft. Ich war als Hexe viel größer, als er je als
Krieger sein würde. Er war lediglich ein mieser Kerl, dem es
Vergnügen bereitete, Frauen wehzutun, vor allem jungen
Frauen.
Ich ließ die rechte Hand in meinen Schoß sinken
und rief mithilfe der Kunst meinen Lieblingsdolch herbei. Es wäre
schade gewesen, ihn in aller Öffentlichkeit abzustechen, zumal ich
mir solche Mühe gegeben hatte, die Sache derart sauber einzufädeln.
Doch er würde so oder so sterben, das war das Wichtigste.
»Was soll das?«, knurrte er. »Du bist an
mich herangetreten. Glaubst du vielleicht, du kannst mich
dazu bringen, gutes Geld zu zahlen, damit du dir den Bauch
vollschlägst, und dann einfach -«
»Wie du schon sagst, habe ich dich zum
Abendessen eingeladen.« Ich beugte mich vor und sah ihn mit großen,
ernsten Augen an. »Ich wollte dich kennen lernen. Du hast einen
gewissen Ruf bei den Ladys. Ja, ein Mädchen ist nach einer Nacht
mit dir sogar völlig sprachlos gewesen. Wundert es dich da, dass
ich dich treffen wollte?«
»Da ich meine Pläne für den heutigen Abend extra
geändert habe, um herzukommen, habe ich etwas mehr als bloß ein
Essen erwartet.«
Natürlich hatte er das. Und er würde auch mehr
als ein Essen bekommen. Nur eben nicht das, was ihm eigentlich
vorschwebte.
Als er mir endlich glaubte, dass ich nirgends mit
ihm hingehen würde, fing er an, unverschämt zu werden, also schnitt
ich ihm das Wort ab. Ich hätte ihm liebend gerne noch so einiges
anderes abgeschnitten, doch ich hielt mich zurück. »Da ich dich
eingeladen habe, ist es mir ein Privileg, mich für deine
Gesellschaft und Konversation erkenntlich zu erweisen und die
Rechnung für das Mahl zu begleichen. Abgesehen davon habe ich dir
bereits gesagt, dass dies eine Vergnügungsreise ist, und ich halte
Geschäft und Vergnügen streng voneinander getrennt.«
Er unternahm einen letzten Versuch, doch noch das
zu bekommen, weswegen er hier erschienen war. Mit einem Blick auf
meinen Mund regte er an, die Sitzgruppe sei abgeschieden genug, als
dass ich ihm einen kleinen Trost spenden könnte. An jedem anderen
Abend hätte er sich aufgrund dieser Worte allein ein Messer in die
Magengrube verdient, doch heute lehnte ich einfach nur ab. Er
murmelte etwas in der Richtung, mir sei wohl mein Ruf zu Kopf
gestiegen, wenn ich meinte, ich könne die Zeit eines Kriegers so
vergeuden und mich seinen Wünschen nicht fügen. Dann begab er sich
auf die Suche nach einem Haus des Roten Mondes mit willfährigeren
Mädchen.
Als ich mir sicher war, dass er fort war, glitt
ich aus der Sitzecke, nahm die Blume aus dem Topf, steckte sie in
mein Wasserglas und ließ mich erneut in der Sitzgruppe nieder. In
der Wartezeit rief ich einen Federhalter und mein zweites schwarzes
Büchlein herbei und notierte sorgfältig, was ich getan hatte. Da
sich die Zutaten beinahe überall im Reich Terreille finden ließen,
sollte dies ein weiteres meiner kleinen Todesrezepte werden.
Ich ließ das Büchlein in dem Moment verschwinden,
als der Inhaber des Restaurants sich mir näherte, in jeder Hand
einen Kognakschwenker mit Brandy. Er stellte ein Glas vor mir ab,
bevor er sich nervös in die Sitzgruppe gleiten ließ.
So war es immer. Vorher ist meine Kundschaft
erpicht darauf, dass das Werk vollbracht wird, und man behandelt
mich mit der Hochachtung, die mein Können verlangt. Nachher …
nachher fragen sie sich immer, ob nicht eines Tages sie selbst die
Zielscheibe sein könnten.
Ich strich über die Blütenblätter des Hexenbluts
und wartete.
»Ist es erledigt?« Seine Stimme zitterte ein
wenig.
»Es ist erledigt.« Ich strich weiter über die
Blütenblätter. »In der Legende heißt es, wenn Hexenblut erst einmal
angepflanzt ist, lasse es sich nicht mehr ausrotten, weil seine
Wurzeln so weit in die Tiefe wachsen, dass sie ihre Nahrung aus dem
Dunklen Reich beziehen.«
»Eine Pflanze aus der Hölle?« Er schluckte den
Brandy. »Ich will hier keine Geister oder Dämonen.«
Natürlich nicht. »Wie geht es deiner
Tochter?«
»Unverändert«, sagte er und wischte sich mit dem
Handrücken über den Mund. »Immerzu unverändert seit jenem … seit
er...«
»Wie alt ist sie?«
Das Reden kostete ihn Mühe, und seine Lippen
bebten. »Noch ein Kind«, erwiderte er schließlich in gebrochenem
Flüsterton. »Noch ein Kind, aus dem erst langsam eine Frau werden
wird.«
Ja. Ich war zwölf, als ich zum ersten Mal auf den
Rücken geworfen worden war, doch der Mann hatte nur die Kraft
besessen, mir meine Jungfräulichkeit zu rauben. Als er fertig war,
verfügte ich immer noch über meine Kunst; ich trug immer noch Grün,
mein Geburtsjuwel. Als ich mich von dem blutverschmierten Bett
erhob, war ich immer noch eine Hexe, nicht bloß eine gebrochene
Angehörige des Blutes. Seitdem zahle ich es Männern mit gleicher
Münze heim.
Der Besitzer schob mir eine sorgfältig gefaltete
Serviette über den Tisch zu. Ich hob eine Ecke an und zählte rasch
die Goldstücke. Als Hure, selbst bei meinen Stundensätzen, würde es
beinahe einen ganzen Monat dauern, um so viel zu verdienen. Als
erstklassige Kopfgeldjägerin stellte es im Vergleich zu meinem
gewöhnlichen Honorar lediglich einen Hungerlohn dar. Doch selbst
jemand wie ich betätigt sich gelegentlich zum Nutzen der
Allgemeinheit.
Ich ließ die Hälfte des Geldes verschwinden und
schob dann die Serviette über den Tisch zurück. Der Inhaber blickte
verstört drein – und ein wenig ängstlich. Ich nippte an meinem
Brandy. »Verwende den Rest für das Mädchen«, sagte ich mit einer
Sanftheit, die aufgrund meiner eigenen Erinnerungen bitter gefärbt
war. »Eine Schwarze Witwe ist die einzige Art Hexe, die zu heilen
vermag, was vom Geist deiner Tochter übrig ist, und die ihr
vielleicht so etwas wie ein Leben wiedergeben kann. Eine Schwarze
Witwe von solcher
Macht wird aber auch erwarten, für ihre Dienste gut bezahlt zu
werden.«
»Das hat nichts mit deinem Honorar zu tun«,
widersprach er.
Ich musterte das Hexenblut. Die Pflanze wächst an
jedem Ort, an dem das Blut einer Hexe gewaltsam vergossen wurde
oder an dem eine Hexe begraben liegt, die eines gewaltsamen Todes
gestorben ist. Es stimmt tatsächlich, dass es sich durch nichts
zerstören lässt, sobald es einmal Wurzeln geschlagen hat.
Es stimmt außerdem, dass die Blütenblätter,
sachgemäß getrocknet, ein süßlich schmeckendes, unversöhnliches
Gift abgeben; wie eine Blume, die sich der Sonne öffnet und ihre
ganze Kraft nur langsam erahnen lässt, bevor sie schließlich zu
unerbittlichem Schmerz aufblüht. Das Gift ist äußerst bösartig und
macht sich erst bemerkbar, wenn es längst viel, viel zu spät
ist.
In diesem Augenblick würde der Krieger nichts als
leichte Bauchschmerzen verspüren, und wenn er, wie ich vermutete,
längst mit einer jungen Hure beschäftigt war, würde es ihm nicht
einmal auffallen.
Nervös räusperte sich der Restaurantbetreiber.
Sein Sohn, der darauf bestanden hatte, an diesem Abend den
Kellnerjungen darzustellen, stellte zwei weitere Kognakschwenker
auf den Tisch und trat dann von einem Bein auf das andere. Er
blickte von seinem Vater zu mir und sagte: »Was soll ich mit dem
Messer tun?«
»Reinige es, wie ich es dir gezeigt habe«, sagte
ich, »und dann vergrabe es tief.«
Der Jüngling eilte davon.
In Wahrheit hatte sich auf dem Messer des
Kriegers nichts als eine Glasur befunden, die ich aus Wurzeln und
Kräutern hergestellt hatte, und die ihm leichte Magenschmerzen
verursachen würde. Doch Vater und Sohn hatten mit ansehen wollen,
wie der Tod hergestellt wurde. Verständlicherweise hatte ich ihnen
nichts von dem pulverisierten Hexenblut erzählt, das ich heimlich
in die Schüssel mit den gefärbten
Garnelen gemischt hatte. Das Durcheinander, das ich am Nachmittag
in der Küche beim Zusammenbrauen der Glasur veranstaltet hatte,
hatte die beiden jedoch hinreichend beeindruckt. Der Krieger würde
das Bauchweh auf den übermäßigen Essensgenuss zurückführen und
nicht weiter darüber nachdenken. Wenn das Hexenblut blüht, wird
niemand mehr an diesen Ort denken … oder an mich.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den
Besitzer. »Was mein Honorar betrifft, behalte ich genug, um meine
Ausgaben zu decken. Den Rest will ich nicht.«
»Aber …«
»Scht«, sagte ich und lächelte ihn an, während
ich das Glas zu einem Toast erhob. »Ich war auf einer
Vergnügungsreise, als du an mich herangetreten bist. Und« – ich
lachte von Herzen – »wie ich schon meinem arroganten Begleiter
während des Essens gesagt habe, halte ich Geschäft und Vergnügen
streng voneinander getrennt.«