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Wilsberg macht Urlaub
Es war keine Südseeinsel, sondern die kanarische Insel Fuerteventura. Immerhin gab es einen Sandstrand, ein paar Palmen und Liegestühle am Pool. Die Stadt hieß Jandía Playa, war in den Sechzigerjahren aus dem Lavasand gestampft worden und bestand aus Hotels und Einkaufszentren, die sich an der Küste aneinanderreihten. Kein Ort, an dem man es länger als eine Woche aushalten würde. Aber diese Woche wollte ich genießen. Zusammen mit meiner Tochter Sarah, der ich den Urlaub zu Weihnachten geschenkt hatte.
Zuerst hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, Pia einzuladen, doch Pia war bereits mit einem neuen Fall beschäftigt: Sie musste einen Taxifahrer suchen, in den sich eine junge Frau verliebt hatte. Pia als Eheanbahnungsinstitut. Mal was ganz Neues.
Da in Jandía Playa keine Attraktionen vorhanden waren, die zu entdecken sich lohnte, entwickelten Sarah und ich ab dem zweiten Urlaubstag eine feste Routine: Drei Mal am Tag gingen wir in das hoteleigene Restaurant, vormittags an den Sandstrand und ins relativ kühle Atlantikwasser, nachmittags an den Hotelpool und abends, falls das Kulturprogramm im Hotel zu langweilig war, auf der Meerespromenade bis nach Morro Jable, dem nächsten Ort an der Küste.
Den Weihnachtsurlaub hatte ich mir leisten können, weil Anna Ortega mein Honorar bezahlt hatte. Ich hatte ihr einen großzügigen Rabatt eingeräumt, da ich selbst fand, dass ich nicht sehr erfolgreich gewesen war. Den Mörder von Stefano Monetti hatte ich nicht ermitteln können, weil es gar keinen Mord gab, und auf den Mörder ihrer Schwester Isabel, den Zuhälter und Gärtner Nicolás Lopez, war Anna höchstpersönlich gestoßen. Doch von einem Rabatt hatte Anna nichts wissen wollen.
Gage ist Gage, hatte sie gesagt, für Künstler wie für Detektive. »Wichtig ist nur, dass man seinen Job macht. Und du hast deinen Job gut gemacht, Georg. Sonst wäre ich heute wahrscheinlich nicht mehr am Leben.«
Also akzeptierte ich ihren Scheck.
Am Himmel funkelten die Sterne und im Atlantik spiegelten sich die Lichter der Laternen. Sarah und ich schlenderten auf der Uferpromenade, während eine leichte Brise samtweiche kanarische Luft fächelte.
»Auf Zauberei hast du wahrscheinlich keinen Bock mehr?«, fragte Sarah.
»Wieso?«
»Morgen Abend tritt im Club neben unserem Hotel ein Magier auf. Da drüben hängt ein Plakat. Siehst du?«
Auf dem Plakat war das Porträt des Magiers abgebildet. Ein großer runder Kopf mit Zylinder, Seemannsbart und diabolischem Lächeln.
»Jason Sinclair«, kicherte meine Tochter. »Was für ein alberner Name.«
»Doch«, sagte ich. »Da will ich unbedingt hin.«
Kurz vor dem Ende der Vorstellung verließ ich meinen Sitzplatz und wartete hinter der Bühne auf ihn.
Herbert Kemmer alias Jason Sinclair war nur mäßig überrascht, als er mich erblickte. »Na, so was! Der Herr Wilsberg! So sieht man sich wieder.«
»Wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht. Die Hamburger Polizei wähnte Sie sogar auf dem Grund der Elbe.«
»Ich dachte, eine kleine Luftveränderung würde mir guttun. In der Nähe von Reichweiler wurde es mir zu ungemütlich.«
»Nachdem Sie Rosenberg angerufen hatten«, stellte ich fest.
Kemmer grinste. »Es hat mir einen Heidenspaß gemacht, Reichweiler in die Suppe zu spucken. Allerdings nur so lange, bis ich von Isabels Ermordung hörte. Da habe ich gehöriges Muffensausen gekriegt.«
»Wie haben Sie das eigentlich angestellt?«, fragte ich. »Blut und Gewebe sollen echt gewesen sein.«
»Das Blut habe ich mir nach und nach abzapfen lassen. Und das Gewebe …« Er schlug sich auf den Bauch. »Ein Freund von mir ist Chirurg und auf Schönheitsoperationen spezialisiert. Er hat mir ein bisschen Fett abgesaugt. Ich hatte sowieso zu viel Speck auf den Rippen.«
»Reichweiler hatte übrigens nichts mit dem Tod von Isabel zu tun«, sagte ich. »Reichweilers Frau hat einen kubanischen Zuhälter auf Isabel gehetzt.«
Der alte Magier stutzte. »Dann haben wir uns ja beide geirrt.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Nichts für ungut, Herr Wilsberg. Ich habe noch eine Verabredung. Bestellen Sie Anna einen schönen Gruß von mir, wenn Sie sie sehen!«
»War Anna in Ihre Verschwinde-Nummer eingeweiht?«, fragte ich.
Kemmer zwinkerte mir zu. »Wir Magier verraten keine Tricks. Das wissen Sie doch.«