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Petry ist auf dem Kriegspfad
Ich weiß auch nicht, warum ich jeden Morgen mit dem Wagen nach Pöseldorf fahre und nicht die öffentlichen Verkehrsmittel nutze. Wahrscheinlich macht mir das Autofahren einfach zu viel Spaß. Auch heute cruise ich mehrfach durch den Böhmersweg, den Pöseldorfer Weg, die Milchstraße und den Mittelweg, bis ich in der Böttgerstraße eine Parklücke finde, die so klein ist, dass ich sowohl das vordere als auch das hintere Auto touchiere, bevor ich eingeparkt habe.
Meine Büroräume befinden sich direkt um die Ecke in einem wunderschönen Jugendstilgebäude in der Magdalenenstraße. Was meiner Eitelkeit schmeichelt, meinen Geldbeutel jedoch massiv strapaziert. Eine Tatsache, auf die mich mein Assistent, Martin Cornfeld, dreimal am Tag aufmerksam macht. Er ist Student der Betriebswirtschaft und für unsere Finanzen zuständig. Was zu ständigen Querelen führt, da Geld auf mich eine geradezu abstoßende Wirkung hat: Ich behalte es einfach nicht bei mir.
Als ich das Büro betrete, klingelt das Telefon. Kurz darauf höre schon ich die Stimme meines Assistenten: »Detektei P-Quadrat, Cornfeld, guten Tag.«
Leise schließe ich die Tür zu seinem Zimmer, gehe in die Küche und hole mir einen Kaffee. Dann setze ich mich an meinen Schreibtisch und sehe die Post durch. Rechnungen, Rechnungen, Rechnungen. Frustriert schiebe ich den Stapel zur Seite. Es hätte ja ausnahmsweise auch einmal etwas Schönes, etwas Überraschendes darunter sein können. Ein Liebesbrief zum Beispiel. Eine Benachrichtigung über einen Lottogewinn, ein spannender Auftrag im sechsstelligen Honorarbereich. Doch lange kann ich mich nicht auf den Bürokram konzentrieren. Meine Gedanken schweifen zum gestrigen Abend zurück. Zu Isabel Ortega. Und meinem Vorhaben, ihren Mörder zu finden.
Ich werde auf jeden Fall heute Abend noch einmal in den Salsa-Club gehen und mit Juanita reden. Feindinnen wissen immer eine Menge übereinander. Ein weiterer Ansatzpunkt könnte Isabels aufwendige Garderobe sein. Die hat sie sich nicht zu ihrem Privatvergnügen gekauft. Da bin ich mir ziemlich sicher.
Cornfeld kommt herein und fuchtelt mit einem Zettel vor meiner Nase herum. Wie er so vor mir steht, mit seinen halblangen, rötlichen Haaren und seiner futuristisch anmutenden Designerbrille, wird mir wieder einmal bewusst, wie verdammt attraktiv er ist. Und wie gut ich daran getan habe, seinen sporadisch aufflackernden Annäherungsversuchen zu widerstehen. Auch wenn mir das nicht immer leicht gefallen ist. Schließlich ist er zehn Jahre jünger als ich und ein Womanizer, wie er im Buche steht. Nichts für eine Frau, die mit Anfang vierzig auf der Suche nach dem Märchenprinzen ist, dem potenziellen Ernährer und Erzeuger ihrer zukünftigen Kinderschar.
»Wir haben einen neuen Auftrag«, ist das Erste, was er sagt.
»Prima! Dann sind es ja schon zwei.«
Cornfeld sieht mich irritiert an. »Zwei?«
Ich nicke. »Haben Sie heute schon Zeitung gelesen?«
»Ja.«
»Auch den Artikel über die Ermordung der Salsa-Lehrerin?«
Mein Assistent setzt sich hin und sieht mich mit großen Augen an. »Lassen Sie mich raten. Sie haben sie gefunden?«
»Yepp!«
Er schüttelt den Kopf. »Das gibt es doch nicht.«
Während ich ihm die Geschichte erzähle, rührt er sich nicht von der Stelle, hört aufmerksam zu und stellt dann genau die Frage, die ich nicht hören will.
»Wer bezahlt uns?«
»Niemand.«
»Dann machen wir das auch nicht.«
»Ein gewisser Hauptkommissar Lademann leitet die Ermittlungen«, unterbreche ich ihn. »Der hat mich in Handschellen abgeführt und im Polizeipräsidium erkennungsdienstlich behandeln lassen. Außerdem hat er mir mit der Arrestzelle gedroht und mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er Privatdetektive für ausgemachte Idioten hält.«
Cornfeld verdreht die Augen. »Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie auf dem Kriegspfad sind und nichts und niemand Sie davon abhalten wird, diesem Lademann eins auszuwischen?«
»Das haben Sie schön formuliert«, antworte ich und strahle ihn an.
Cornfeld nagt auf seiner Unterlippe. »Wir sind mit zwanzigtausend in den Miesen. Aber wir haben einen neuen Auftrag. Und zwar einen, der bezahlt wird. Ich kümmere mich darum und Sie recherchieren ein bisschen wegen der Salsa-Tänzerin.«
Das ist mein Cornfeld, so wie ich ihn liebe.
»Was ist das eigentlich für ein Auftrag, den Sie da an Land gezogen haben?«, frage ich und krame das Foto von Isabel und dem unbekannten Mann aus meiner Tasche.
»Der Kunde ist ein russischer Oligarch, Igor Gerassimov, dessen Einhundertzwanzig-Meter-Jacht gerade bei Blohm und Voss überholt wird. Ich soll mich um seine Frau Ivana kümmern. Ihr die Stadt zeigen, sie herumfahren, ihr die Tüten beim Shoppen tragen et cetera. Das Tolle daran ist, dass ich das Auto, einen schwarzen Cayenne, auch privat nutzen darf.«
»Nicht schlecht«, sage ich. »Aber hat dieser Gerassimov keine Bodyguards, die sich um seine Ehefrau kümmern?«
»Schon. Aber die sprechen kein Deutsch und kennen sich in Hamburg nicht aus.«
»Und wie wollen Sie sich mit dieser Ivana unterhalten?«
»Auf Englisch. Mein Russisch ist ein bisschen eingerostet.«
»Hauptsache, Ihr Französisch kommt nicht zum Einsatz«, sage ich. »Ich glaube, russische Milliardäre mögen es gar nicht, wenn sich jemand an ihre Frauen heranmacht.«
»Dazu wird es wohl kaum kommen. Ivana Gerassimov ist zwar bildschön, aber auch ziemlich arrogant. Außerdem ist die ganze Zeit ein Typ dabei, der sowohl sie als auch mich ständig im Auge behält.«
»Das beruhigt mich. Dann muss ich mir ja keine Sorgen um Ihre Gesundheit machen.« Ich reiche ihm die Aufnahme. »Das habe ich unter Isabels Bett gefunden.«
Cornfeld starrt mit gerunzelter Stirn auf das Bild. »Der Typ kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Prima. Dann machen Sie sich mal eine Kopie von der Aufnahme und finden Sie heraus, wer er ist. Und ich gehe heute Abend noch mal …«, ich stutze, »… in ein Varieté.«
»In ein Varieté?«, fragt Cornfeld.
»Ja. Ich habe Ihnen doch von Isabels aufwendiger Showgarderobe erzählt. Und gerade ist mir eingefallen, dass ich mehrere Bücher zum Thema Zauberei in ihrem Bücherregal gesehen habe. Vielleicht ist sie als Zauberassistentin …«
»Dann kommt eigentlich nur das Hanse-Theater infrage«, unterbricht er mich. »Das ist das größte und bekannteste Varieté in Hamburg.«
»Wo ist das?«
»Auf dem Kiez. Ich mache Ihnen einen Termin mit dem Geschäftsführer«, sagt er und geht zur Tür.
»Kommen Sie mit?«, frage ich.
Er verzieht das Gesicht. »Würde ich gerne. Aber leider habe ich schon etwas anderes vor. Irgendjemand muss hier ja das Geld verdienen.«