17

Danach rührte ich mich nicht mehr, bis jemand meinen Namen rief.

Ich rollte mich zur Seite und versuchte blinzelnd, den Schemen im Türrahmen einzuordnen. Offenbar hatte ich eine ganze Weile geschlafen, denn die Sonne war untergegangen, und bis auf den schmalen Lichtspalt, der durch den Flur hineinfiel, lag das Zimmer völlig im Dunkeln. Als ich die Gestalt schließlich erkannte, schoss ich blitzschnell in die Höhe.

»Mr Judan! Ich ähm habe nur gerade «

Er drückte den Lichtschalter neben der Tür; plötzlich war es so hell, dass ich zusammenzuckte.

»Verzeihung«, sagte er höflich.

»Schon gut.« Ich warf einen Blick auf den Wecker auf meinem Nachtisch. Demnach hatte ich fast drei Stunden geschlafen. »Ich wollte jetzt sowieso aufstehen. Gleich gibt es Abendbrot.«

Mit einer Riesenanstrengung schüttelte ich die steifen Glieder und setzte die Füße auf den Boden. Mir behagte es gar nicht, dass ich im Bett lag, während Mr Judan in meinem Zimmer stand. Ich kam mir so verletzlich vor.

»Wir könnten dir Essen bringen lassen«, sagte er.

»Nein, schon gut. Ich brauche nur einen Moment, um mich zu besinnen.«

»Sicher.«

Er lungerte weiter im Türrahmen herum, und ich musste unweigerlich an Vampire denken, die eine Einladung brauchten, um eintreten zu können. »Sie dürfen gern hereinkommen«, sagte ich trotz meiner Bedenken.

»Danke.« Er trat ein paar Schritte ins Zimmer und stellte sich so, dass er die offene Tür im Blick hatte. Mit seinem dunkelblauen Anzug und der Krawatte wirkte er zwischen der dreckigen Wäsche und dem überfüllten Schreibtisch total fehl am Platz. Ich versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, um mich so schnell wie möglich zu erheben.

»Ich habe mit Fritz und Anderson gesprochen«, sagte er, und seine stechend blauen Augen huschten immer wieder zur Tür, verweilten aber zwischendurch auf meinen zerschundenen Waden. »Sie haben mir alles erzählt.«

Ich zog die Füße hoch und hockte mich auf die Unterschenkel. »Die Situation ist ein wenig außer Kontrolle geraten.«

»Sie haben erzählt, du hättest dich gut gemacht.«

»Ach ja?« Misstrauisch sah ich ihn an. Mr Judan manipulierte Cam, da war ich mir sicher, und er würde nicht davor zurückschrecken, das Gleiche mit mir zu tun. Aber dagegen war ich machtlos. Seine Position als Chef der Anwerber spiegelte kaum die Macht wider, die er besaß. Ich hatte sein Foto in den Geschichtsbüchern der Geheimbibliothek gesehen, dort wurde er für den Aufbau der Wächterarmee in den höchsten Tönen gelobt. Niemand widersprach ihm, nicht einmal unsere Rektorin Mrs Solom, und die war sonst niemand, die sich die Butter vom Brot nehmen ließ. Ihr stahlgraues Haar war zu einem straffen Knoten gezwirbelt, und ihre schwarzen Käferaugen passten farblich gut zu ihren acht Zentimeter hohen Blockabsätzen. Auch mit Absätzen überschritt sie kaum die Ein-Meter-fünfzig-Marke, dennoch hatten alle eine Heidenangst vor ihr.

Es war unfair von mir, Cam vorzuwerfen, er würde Mr Judan alles abkaufen. Cam fühlte sich Mr Judan zu Dank verpflichtet, deshalb würde er ihm auch nie widersprechen, besonders nicht, wenn es ums Programm ging.

»Vielleicht war es ein wenig heftig, aber du wurdest auch provoziert. Ich hoffe, du verstehst die Notwendigkeit. Nichts liegt uns ferner, als dich zu gefährden oder gar zu verletzen.«

Probehalber ließ ich die Schultern kreisen. Sie taten weh, aber bewegen konnte ich sie noch. »Ich habe noch viel zu lernen. Das ist mir klar, Mr Judan.«

»Vielleicht schon.« Er nahm ein Foto von mir und Oma in die Hand und strich mit dem Daumen über unsere Gesichter. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob du auch weißt, wie entscheidend deine Ausbildung für das Programm ist. Du bist sehr wichtig für uns.«

»Ich?«

Mr Judan stellte das Bild wieder hin und durchbohrte mich mit seinem Blick. Panik überkam mich. Sonst sah er mich nie so an, und dieser Blick überwältigte mich beinahe. Ganz bewusst atmete ich ein und aus, so wie Barrett es mir für diesen Fall beigebracht hatte.

Mr Judans makellos weiße Zähne blitzten im Licht. »Ja, du. Natürlich ist dir bewusst, wie mächtig du bist. Das haben wir dir ja schon oft genug gesagt. Aber du solltest auch wissen, wie wichtig diese Stärke gerade jetzt ist, für die Night Academy und für die Welt.«

Nun half meine Atemübung auch nicht mehr. »Was meinen Sie mit ›gerade jetzt‹? Ist irgendetwas geschehen?«

»Cam hat mir berichtet, dass ihr euch über die Irin unterhalten habt.« Er wartete, bis ich zustimmend nickte und fuhr dann fort. »Und dass du erfahren hast, dass sie es waren, die in die Schule eingedrungen sind.«

»Aber doch nicht die Gruppe aus Seattle«, sagte ich, denn Jack hatte doch erzählt, die Zelle sei eigens gegründet worden, um Leute wie ihn zu beschützen. »Eine andere Zelle, nicht wahr?«

»Das nehmen wir jedenfalls an. Die Explosion, die du an jenem Abend gehört hast, war in Wirklichkeit nur ein lauter Knall, ausgelöst von einem Begabten dritten Grades. Berichten zufolge gehört ein Begabter mit diesen Fähigkeiten zur Washingtoner Zelle.« Als Mr Judan näher kam, schreckte ich unwillkürlich zurück. »Die Zelle aus Washington ist die gefährlichste von allen«, fügte er hinzu. »Die haben ein paar sehr mächtige Mitglieder, die unseres Wissens nach direkt mit Gregori, dem Anführer der Irin, zusammenarbeiten. Das Schlimme daran ist, dass am Abend der Aufnahmezeremonie mehrere Bücher gestohlen wurden. Darin ging es insbesondere um die Ausbildung von Erd- und Körperkräfte-Begabten. Wahrscheinlich befinden sich diese Bücher nun im Besitz von Gregoris besten Leuten.«

Nervös rieb ich mir die Arme. »Das sind doch nur Bücher. Was können die schon groß anrichten?«

Mr Judan zog ein schmales Bändchen aus seiner Manteltasche. »Wirf mal einen Blick hinein.« Auf einer vergilbten Seite war eine Frau abgebildet, die mit erhobener Hand vor einem Fluss stand. Der Fluss machte kurz vor ihr Halt und stieg wellenförmig wie Wasserdampf empor. »Maria Salvoretta berichtet hier von einer Frau, die die Gabe besitzt, Aggregatzustände zu verändern. Auf dieser Seite beschreibt sie, wie die Frau einen ganzen Fluss gen Himmel schickte. Die kalte Luft in der oberen Atmosphäre hat den Wasserdampf gefrieren lassen, und kurz darauf wurde die gesamte Gegend von einem schrecklichen Hagelsturm heimgesucht. Hunderte von Menschen starben, alle Höfe und Felder im Umkreis wurden zerstört.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand so etwas tun würde«, flüsterte ich.

Rasch klappte Mr Judan das Buch wieder zu. »Sie haben es aber getan und können es jederzeit wieder tun. Die gestohlenen Bücher könnten den Irin eine Anleitung dazu liefern, eine Anleitung, die sie bislang nicht hatten.«

Aggregatzustände.

Hunderte von Toten.

Jack.

Schwankend kam ich auf die Beine und hielt mich am Schreibtisch fest. »Können wir die Bücher zurückbekommen?«

»Das haben wir schon versucht«, sagte er. »Nun ist es dafür zu spät. Aber die Bücher sind nur so gut wie die Lehrer, die sie lesen und in die Praxis umsetzen. Wenigstens glauben wir, dass es sich so verhält. Doch offen gesagt, ist so etwas noch nie zuvor passiert.«

»Wie kann ich helfen?« Inbrünstig hoffte ich, dass er mir sagen würde, sie bräuchten mich im Kampf gegen die Irin.

»Du musst mit deiner Ausbildung weitermachen. Ich weiß, dass du einen schweren Tag hinter dir hast, und es werden wohl noch mehr schwere Tage folgen. Aber du darfst nicht aufgeben. Vielleicht wirst du eines Tages Großes bewirken. Lass dich nicht von Wut und Enttäuschung leiten.«

Was hatten Mr Fritz und Mr Anderson ihm wohl erzählt? Hatten sie ihm erzählt, wie aufgewühlt ich nach dem Kampf gewesen war? Und dass ich geweint hatte? Hatte etwa Cam mich verpetzt? »Das werde ich nicht, Mr Judan. Ich bin einfach nur müde und erschöpft, weil ich dachte, ich hätte alle enttäuscht.«

Er hob mein Kinn mit einem Finger, sodass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. Seine Augen waren karibikblau mit silbernen Sprenkeln und sprühten nur so vor Energie. »Du würdest uns nur enttäuschen, wenn du aufgibst und davonläufst wie dein Freund Jack.«

»J-J-Jack?« Der Name kam mir kaum über die Lippen. Mein Handy lag auf dem Schreibtisch wenn es nun in diesem Moment aufleuchten und klingeln würde? Wusste Mr Judan von dem Telefonat? Konnte er meine Gedanken lesen?«

»Du wirst nie so sein wie Jack.« Seine Augen durchbohrten mich. »Wir haben noch versucht, ihm zu helfen, aber da war nichts mehr zu machen. Jack wusste mit seiner Gabe nicht umzugehen. Du bist anders. Du bist stark. Vergiss das nie.«

Vor Angst und Scham wurde mir ganz heiß. Mr Judan sah mich unverwandt an, und ich hatte das ungute Gefühl, er könnte mir mitten ins Herz sehen. Worte kamen mir in den Sinn, meine und auch wieder nicht meine, als spräche ich innerlich mit fremder Stimme. Ich war nicht wie Jack. Jack war feige. Aus Angst vor etwas, was vielleicht nur in seiner Vorstellung existierte, war er weggelaufen. Mr Judan hatte es versucht, hatte Jack eine Chance gegeben, als dieser noch unter Brücken geschlafen und sich mit Diebstählen über Wasser gehalten hatte, doch Jack hatte ihn enttäuscht.

Mich hatte er ebenso enttäuscht.

Die Stimme hatte recht. Jack hatte der Night Academy den Rücken gekehrt, nicht umgekehrt.

Ich zog den Bauch ein und spannte sämtliche Muskeln an, um mich aufzurichten. »Ich werde Sie nicht enttäuschen, Mr Judan. Versprochen.«

Wenige Minuten später verließ mich Mr Judan, und ich sank erschöpft zurück aufs Bett. Das mit der Cafeteria konnte ich vergessen.

Man hatte mich überzeugt. Auch wenn ich so etwas noch nie zuvor erlebt hatte, musste es so gewesen sein. Eigentlich hätte ich total sauer sein müssen, aber das Schlimme war, dass ich Mr Judan nach wie vor Glauben schenkte. Die Vorstellung, Jack könnte über Informationen verfügen, mit denen man Hunderte von Menschen töten konnte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich hing wirklich an Jack und machte mir Sorgen um ihn. Doch wenn ich an den Moment seiner Flucht zurückdachte, den wild entschlossenen Blick in seinen Augen, zweifelte ich keinen Augenblick daran, dass er alles tun würde, um sich die Wächter vom Hals zu schaffen. Nur allzu gern wollte ich dennoch glauben, dass er nie jemanden umbringen würde, doch ganz ausschließen konnte ich es tatsächlich nicht.

Gerade als ich wieder ins Kissen zurücksank, kam Catherine herein. Wie immer funkelte sie mich böse an, doch diesmal mischte sich Verunsicherung unter die Feindseligkeit. »Was ist los? Ich bin Mr Judan im Gang begegnet, und er hat gesagt, dir ginge es nicht gut und ich solle dir etwas zu essen holen. Ich hoffe, du belästigst ihn nicht unnötig. Er ist ein viel beschäftigter Mann. Du kannst ihn nicht einfach so rufen lassen.«

Ich schloss die Augen. »Er ist vorbeigekommen, um etwas mit mir zu besprechen. Hatte wohl gehört, dass es mir nicht gut geht. War kein Ding.«

Für Catherine war es ein großes Ding, das wusste ich, deshalb verspürte ich einen kurzen Moment vergnügliche Rache. Catherine vergötterte Mr Judan, und nun hatte er mit mir gesprochen, dem Mädchen, das sie für den Schandfleck der Schule hielt.

Catherine setzte sich an den Schreibtisch und ordnete ihre ohnehin schon ordentlichen Unterlagen. »Was hat er denn schon groß mit dir zu bereden?«

»Ein Projekt. Für meinen Schwerpunktunterricht.«

»Mr Judan?« Sie spielte mit einem silbernen Stift, ließ ihn durch die Finger gleiten. »Mr Judan gibt keinen Schwerpunktkurs. Das weiß ich, weil mein Vater ihn gebeten hat, mit mir zu arbeiten, und da hat er gesagt, das ginge nicht. Dafür sei er zu beschäftigt.«

Auch wenn ich Catherine liebend gern weiter gereizt hätte, fiel mir spontanes Lügen ungemein schwer, zumal man hinterher auch noch alle Fäden wieder zusammenkriegen musste. »Er unterrichtet mich nicht, er ist mehr ein ähm Berater. Mr Fritz ist mein Lehrer. Mr Judan wollte nur sichergehen, dass ich die Aufgabe auch verstanden habe.«

Der Stift wirbelte immer schneller durch ihre Finger. »Dein Berater. Wie soll das denn gehen? Hast du darum gebeten oder hat er dich ausgewählt?« Ich konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf ratterte und sie nach Möglichkeiten suchte, Mr Judan auch für sich zu gewinnen.

»Er ist nicht mein persönlicher Berater. Er berät Mr Fritz in Bezug auf die Schwerpunktschüler.«

»Hmm.« Schweigend musterte sie mich eine Weile. »Du siehst furchtbar blass aus. Und er hat mich ja gebeten, dir behilflich zu sein. Also, was soll ich dir aus der Cafeteria mitbringen? Ich glaube, heute gibt es Burritos.«

Wenn die Umstände nicht so beängstigend gewesen wären, hätte ich das alles lustig gefunden. Catherine glaubte, ich hätte einen besonderen Draht zu Mr Judan, und meinte nun, wenn sie besonders nett zu mir wäre, könnte auch sie ihm näherkommen. Dabei ging es ihr gar nicht um Mr Judan, sie wollte nur ihrem Vater gefallen.

Bei jedem anderen hätte dieser armselige Plan sicher mein Mitleid erregt. Catherine rang verweifelt um die Aufmerksamkeit ihres Vaters, doch der rief höchstens an, um sie daran zu erinnern, wie wichtig es sei, Mr Judan zufriedenzustellen. Ich war mittlerweile überzeugt, dass Catherines Vater zum Programm gehörte und sichergehen wollte, dass seine Tochter auf dem gleichen Weg war. Bei ihrer unheimlichen Mathebegabung bestand eigentlich kein Grund zur Sorge. Eines Tage würde Catherine wahrscheinlich feindliche Codes knacken oder Raumschiffe mit Lichtgeschwindigkeit programmieren. Doch im Moment gab es da nur diesen Vater, der unbedingt wollte, dass Mr Judan Notiz von ihr nahm.

Mr Judan als Berater zu gewinnen, würde ihren abwesenden Vater auch nicht zurück in Catherines Leben bringen. Und wer auch nur ein Fünkchen Mitgefühl im Leib hatte, musste es total traurig finden, dass Catherine es dennoch versuchte.

Doch hier ging es um Catherine, die Zugeknöpfte.

Lächelnd lehnte ich mich ins Kissen zurück. »Wo du es sagst, merke ich auch, wie hungrig ich bin. Kannst du mir einen Burrito mit Hühnchen holen mit Sour Cream, aber ohne Guacamole und einer extra Portion scharfer Soße, einer Schale Tortillachips und einem Glas Milch? Zum Nachtisch nehme ich, was sie haben, aber vielleicht kannst du ja noch mal kurz zurückkommen und sagen, was es so gibt.«

Mit einem gequälten Lächeln sagte sie: »Super. Ich bin gleich zurück. Leg dich nur hin.«

Freudig schloss ich die Augen. »Mach ich. Nett, dass du dich so rührend um mich kümmerst.«

Nach dem Essen schlief ich noch ein paar Stunden und humpelte dann mit zitternden Beinen in den zweiten Stock herunter. Im Gang lungerten etliche Jungs herum, und es kostete mich einige Anstrengung, so zu tun, als wäre nichts weiter, und ganz normal auf Cams Zimmer zuzusteuern. Cam saß mit dem Rücken zur Tür auf seinem Bett und nickte im Takt zu besonders kreischender Trashmusik. Ihm gegenüber saß Trevor mit einem Mathebuch auf den Knien.

»Hey, Cam.« Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und suchte den Gang nach Lehrern ab. Während der Stillarbeitszeit waren Mädchen im Jungstrakt nämlich nicht erlaubt.

Cam drehte die Musik leiser. »Du solltest doch noch nicht aufstehen!«

Ich versuchte, seine Reaktion zu deuten. Die dunkelbraunen Augen blickten kühl und abweisend.

»Können wir uns vielleicht kurz mal allein unterhalten?«, fragte ich.

Trevors Blick wanderte von Cam zu mir. Da er kaum überrascht schien, musste Cam ihn wohl eingeweiht haben. Er krallte sich Stift und Papier und klappte das Buch zu. »Kein Problem. Ich gehe runter zu David.«

Nachdem Trevor gegangen war, deutete Cam auf seinen Schreibtischstuhl. »Setzt dich lieber, sonst kippst du noch aus den Latschen.«

Besonders besorgt klang er jedoch nicht. Ich räusperte mich. »Es tut mir leid, Cam. Ich hätte das nicht alles sagen dürfen. Du hast recht, ich war total neben der Spur.«

Er schüttelte den Kopf, und das dichte kastanienbraune Haar fiel ihm in die Augen. »Bist du dir da sicher?«

Ich schloss die Tür hinter mir, auch wenn das strengstens untersagt war, und setzte ich mich neben ihn aufs Bett. Er machte aber keine Anstalten, mich zu berühren. »Ich versuche, irgendwie mit allem klarzukommen. Esther geht es nicht gut, dann die Sache mit den Irin und nun auch noch dieser Kampf. Kannst du nicht verstehen, wie frustrierend das alles ist? Ist es dir im ersten Ausbildungsjahr nicht auch so gegangen?«

Er stand auf und stellte sich ans Fenster. »In meinem ersten Jahr war es anders. Ich hatte nicht deine Fähigkeiten, und die Irin waren noch nicht so aktiv, ja, ich wusste noch gar nichts von ihnen. Du kannst nicht erwarten, dass wir dich genauso behandeln wie die anderen.«

Ich rutschte etwas vor, schloss die Finger um die grobe Tagesdecke. Das Reden über die Irin hatte meine Ängste mit einem Schlag zurückgebracht. »Wenn ich euch im Kampf gegen die Irin helfe, dann müsst ihr mir auch sagen, was ihr von mir erwartet. Manchmal habe ich den Eindruck, alle handeln nach einem großen Plan, den nur ich nicht kenne. Als würde ich mit verbundenen Augen durch einen Irrgarten laufen, während alle anderen wissen, wo der Ausgang ist.«

Cam trommelte mit den Fingern auf die Fensterbank. »Traust du mir immer noch nicht?«

»Daran liegt es nicht«, sagte ich. »Es geht nicht um dich, sondern um die anderen. Mr Judan, meine Lehrer, die Wächter. Du bist der Einzige, dem ich vertraue.«

Zumindest vertraute ich seinem Herzen. Dessen war ich mir sicher.

Ich ging zu ihm und legte meine Hand auf seine Schulter. Unter dem T-Shirt spürte ich angespannte Muskeln, meine Finger wanderten zu seinem Nacken. »Bitte«, sagte ich. »Lass mich das nicht vermasseln. Ohne dich schaffe ich das nicht.«

Da drehte er sich endlich zu mir und fasste mich um die Taille. Sein Kuss war sowohl wütend als auch verzeihend, wurde dann aber so leidenschaftlich, dass ich taumelte. Als es an der Tür klopfte, fuhren wir auseinander, meine Brust hob und senkte sich heftig.

Trevor steckte den Kopf durch die Tür, dabei hielt er sich die Augen zu. »Nur eine Warnung. Die kontrollieren jetzt die Zimmer. Lasst mal lieber die Tür auf.«

»Danke«, sagte Cam. Auch sein Atem ging schwer.

»Dann gehe ich mal lieber auf mein Zimmer zurück«, sagte ich. Kurz schmiegte ich mich an seine Brust, umarmte ihn noch einmal ganz fest. Cams Herz schlug gleichmäßig und verlässlich, seine Arme hielten mich.

Mit rauer Stimme sagte er: »Geh jetzt besser.« Er ließ mich los und schob mich von sich. »Bis morgen früh.«

Ich sah ihn lange an, weil ich hoffte, in seinen Augen zu lesen, dass alles in Ordnung war. Aber das war es nicht. Und würde es vielleicht auch nie wieder sein.