9
Über den Valentinstag hatte ich mir noch keine großen Gedanken gemacht, bis Esther das Thema auf dem Heimweg nach einem Fußballspiel anschnitt. Annas Vater war zum Spiel gekommen und nahm anschließend Anna und ihre Freundinnen im Wagen mit zurück zur Schule. Daher saßen außer mir nur noch sechs andere Spielerinnen im Bus. Weil die Sonne schien, hatten uns Hennie und Esther begleitet. Natürlich waren sie die Einzigen.
Ich war vollkommen erschöpft. Allie und ich hatten jeweils ein Tor geschossen, Anna war zum ersten Mal leer ausgegangen. Hennie und Esther saßen mir gegenüber, meine Sportklamotten lagen neben mir, und ich hielt nur mit äußerster Anstrengung die Augen offen. Zurzeit bekam ich einfach nicht genug Schlaf, meistens holte ich den auf dem Nachhauseweg im Bus nach, doch dies war eine der seltenen Gelegenheiten, Zeit mit Esther und Hennie zu verbringen, also riss ich mich zusammen.
»Also, raus mit der Sprache: Was macht ihr zwei an dem großen Tag?«, fragte mich Esther.
Durch halb geschlossene Lider sah ich sie an. »Was für ein großer Tag?«
»Valentinstag. Am nächsten Freitag. Wie feiert ihr den?«
Der Bus fuhr gerade durch ein Schlagloch, und rasch griff ich nach meiner Tasche, damit sie nicht vom Sitz fiel. Durch dieses Manöver musste ich Esther wenigstens nicht ansehen. Denn ich wollte mir nicht ausmalen, wie sie diesen Tag verbringen würde.
»Vielleicht kaufe ich ihm Schokolade«, sagte ich zögerlich.
Esther blieb der Mund offen stehen. »Soll das ein Witz sein?«
Ich sank zurück auf den Sitz. Natürlich hatte ich auch schon mal kurz an den Valentinstag gedacht. Man kam nicht umhin, wo doch bei uns im Supermarkt in jeder Ecke rosa Zuckerherzen und Hühner aus gelben Marshmellows ausgestellt waren. Allerdings hatte ich den Gedanken auch ganz schnell wieder verdrängt. Denn ich wollte später nicht enttäuscht sein, weil Cam dieses oder jenes nicht getan hatte.
»Was hast du denn gegen Schokolade? Cam ist ganz versessen darauf.«
»Ist doch langweilig«, sagte Hennie und lehnte sich zu Esther hinüber. »Schokolade kann doch jeder kaufen. Du musst dir etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um zu zeigen, wie gut du ihn kennst.«
»Na toll. Baut bloß keinen Druck auf! Was hast du dir denn für Yashir überlegt, du Klugscheißerin?«
»Ich habe ihm einen neuen Nasenring gekauft«, sagte sie träumerisch.
»Ach«, schnaubte ich. »Ein Ohrring, den man in der Nase trägt, wie romantisch!«
Esther lachte los, wurde aber sogleich wieder ernst und hob mahnend den Finger. »Damit bist du aber noch nicht aus dem Schneider. Du musst dir etwas Gutes einfallen lassen. Wollt ihr was zusammen unternehmen?«
Ich seufzte. »Anna feiert eine Party. Cam und ich haben gerade heute Morgen darüber gesprochen. Er leiht sich einen Wagen, um mit mir zusammen dorthin zu fahren.«
Esther riss überrascht die Augen auf. »Genial. Meinst du, deine Oma spielt da mit?«
»Ich glaube schon«, sagte ich. Seltsamerweise hielt Oma mich dauernd dazu an, mehr Zeit mit meinen Freunden zu verbringen. Wahrscheinlich steckte ihr immer noch in den Knochen, dass ich so lange keine Freunde gehabt hatte. Von Cam und mir hatte ich ihr nichts erzählt, aber sie wusste es trotzdem. Letzte Woche hatte sie mich listig angelächelt und angeboten, uns mal ins Kino zu fahren. Peinlich, aber auch süß.
»Du wirkst irgendwie nicht glücklich?«, sagte Hennie. »Was ist denn?«
Ich schlug die Beine übereinander und zog meine Jogginghose etwas hoch, um meine Schienbeine zu begutachten. Lila Flecken markierten die Stellen, wo ich letzte Woche beim Spiel getreten worden war. Die Tritte von heute waren bislang nur geschwollen und würden erst nach ein paar Tagen grün und blau werden. Selbst mit Schienbeinschonern war ich nach jedem Spiel vollkommen zerschunden. »Es findet bei Anna zu Hause statt.«
»Na und?«, sagte Esther.
»Anna lässt sich bestimmt etwas einfallen, um es mir zu vermiesen. Sie kann mich nicht leiden. Das wird immer deutlicher.«
Na gut, das war jetzt vielleicht etwas übertrieben. Seit den Weihnachtsferien hatte sie sich eigentlich ziemlich zurückgehalten, abgesehen von ein paar Vorfällen auf dem Fußballfeld hatte sie mich eigentlich in Ruhe gelassen. Doch ich brauchte bloß an unsere Unterredung im Treppenhaus denken, und schon stand mir ihr Hass klar vor Augen.
»Natürlich kann sie dich nicht ausstehen«, sagte Esther. »Du bist mit ihrem Exfreund zusammen, der dich mit großen braunen Kuhaugen anhimmelt. Du bist eine Legende auf der Night Academy. Das Mädchen, das Cameron Sanders das Herz gestohlen hat.«
Ich lächelte. »Schön wär’s! Jetzt mal im Ernst, Anna wird bestimmt das ganze Haus präparieren. Ich geh ins Badezimmer, und schon schüttet sich ein Eimer Wasser über meinem Kopf aus. Ich greif zu den Chips, und Salsasoße landet in meinem Schoß. Ich bin verloren. Genauso gut kann ich zu Hause bleiben!«
»Hör auf damit«, fuhr mich Esther an. »Steigere dich da bloß nicht rein.« Beinahe unmerklich wurde ihr Gesicht länger, und ihre Augenbrauen wölbten sich vor wie bei unserem Mathelehrer Mr Crestine. Früher war er mal bei der Marine gewesen und hatte manchmal noch diesen barschen Ton drauf. »Du gehst gefälligst zur Party und amüsierst dich bestens. Haben wir uns verstanden?«
Ich straffte die Schultern und salutierte. »Jawohl, Mr Crestine. Zu Befehl, Mr Crestine.«
»Und nun zu Fräulein Khanna. Ein Nasenring? Hört sich das etwa romantisch an?«
Hennie ließ den Kopf hängen und zog sorgfältig den Rock über die Knie. Das war nicht nur Show – sie geriet immer in Panik, wenn sie zu viel Haut zeigte. Wahrscheinlich waren ihre Eltern sehr streng. »Ähm, nein.«
»Natürlich nicht«, dröhnte Esther. »Du wirst diesen Ring zurückgeben und dem Jungen dafür Kohle und Zeichenblock kaufen, hast du mich gehört? Dann kann er dich nämlich zeichnen!«
»Jawohl, Mr Crestine«, stammelte Hennie.
Allie, die vor mir saß, lugte um die Ecke. Wie ich trug sie Schuljoggingklamotten, nur war ihr Haar zu zwei süßen Zöpfen gebunden, und einzelne Strähnen umrahmten ihr hübsches Gesicht. »Was redet ihr nur?«
»Willst du dich etwa mit mir anlegen?«, fragte Esther.
»Bloß nicht!«, lachte Allie. »Du machst mir Angst.«
Esther kicherte. »Ich weiß. Bei mir gibt es gleich noch eine Runde Liegestütze.«
»Nicht mit mir. Ich bin total fertig«, sagte Allie, die sich jetzt auf ihren Sitz kniete, um uns direkt ansehen zu können. »Was ist denn jetzt mit dem Valentinstag? Dancia ist auf eine Party eingeladen?«
»Zusammen mit Cam«, sagte Esther wichtigtuerisch. »Aber sie will nicht gehen. Die hat sie doch nicht mehr alle!«
Mit gespieltem Entsetzen riss Allie den Mund auf. »Sie will nicht gehen? Die hat sie echt nicht mehr alle!«
Der Bus nahm eine enge Kurve, und Allie kippte kreischend zur Seite.
»Hinsetzen!«, brüllte der Fahrer nach hinten.
Allie rutschte wieder auf ihren Platz und murmelte: »Erzählt’s mir nachher.«
»Schon gut, schon gut.« Ich nahm spaßeshalber die Hände hoch, als würde ich mich ergeben. »Ich gehe ja auf Annas Party. Aber was soll ich da? Da werden nur Anna und ihre Freunde sein, und die können mich alle nicht ausstehen.«
Eigentlich waren alle Schüler aus dem Programm eingeladen. Ursprünglich sollte die Party eine Woche nach der Aufnahme stattfinden, doch wegen des Einbruchs und der ganzen Aufregung hatten sie beschlossen, bis zum Valentinstag zu warten, um sicherzugehen, dass keine Gefahr mehr bestand.
»Meinst du nicht, du bildest dir das nur ein? Was sollten die anderen gegen dich haben? Trevor zum Beispiel. Der mag dich doch, oder?«, fragte Hennie.
»Tut mir leid, aber das stimmt nicht. Ich meine, er hat nicht direkt etwas gegen mich, aber wir sind auch nicht befreundet.«
Über Trevor und Anna zu reden war keine gute Idee. Denn es gab eine Menge Dinge, die ich nicht erklären konnte. Ich versuchte unauffällig, das Thema zu wechseln. »Hey, Esther, hast du was zu essen dabei? Ich komme um vor Hunger.«
Esther nahm ihren Rucksack auf den Schoß und wühlte darin herum. Sie förderte einen Müsliriegel, eine leicht zerdrückte Tüte mit Cräckern und einen Apfel zutage. Esther hatte immer etwas zu essen dabei. Angeblich litt sie unter niedrigem Blutzucker, aber ich glaube, sie aß einfach gern.
»Jetzt mal im Ernst«, sagte sie, während sie mir den Müsliriegel reichte. »Warum sollte Trevor was gegen dich haben? Er ist ein netter Typ und Cams bester Freund. Du müsstest ihn einfach besser kennenlernen. Vielleicht mal öfter mit ihm zu Mittag essen. Wenn du willst, komme ich gern mit.«
»Moment mal«, sagte ich misstrauisch. »Geht es dabei um mich und Trevor oder um dich und Trevor?«
»Na ja …«, sagte Esther zögernd. »Irgendwie ist er süß.«
»Süß?« Mir wurde ganz anders. »Süß ist er ganz bestimmt nicht.«
»Gut aussehend?«, schlug Hennie vor, und ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
»Igitt, nein!«
»Wie wär’s mit umwerfend? Geheimnisvoll? Sexy?«
Allie schwang herum und ließ ihre Beine in den Gang baumeln. »Trevor Anderly? Scharf. Auf jeden Fall scharf«, sagte sie.
»Mach den Gang frei!«, schrie der Fahrer.
Allie drehte sich wieder nach vorn.
Ich hielt mir die Ohren zu. »Ich will das nicht mehr hören. Esther, bitte sag jetzt nicht, dass du auf Trevor stehst.«
Esther kniff die Augen zusammen. »Warum denn nicht? Warum solltest du die Einzige sein, die mit einem aus der Elften geht?«
»Das meine ich ja gar nicht, ich will doch nur sagen …«
»Was? Das ich für ihn nicht gut genug bin?«
»Nein!« Verzweifelt rang ich die Hände. »Er ist nicht gut genug für dich! Er ist Furcht einflößend. Ist dir das noch nie aufgefallen?«
Esther verzog das Gesicht. »Nein. Er ist klug und gut aussehend. Außerdem ist mir aufgefallen, wie er mich immer ansieht. Also, so abwegig ist der Gedanke gar nicht. Aber danke für deine Unterstützung.«
Mir rutschte das Herz in die Hose. Trevor war wahrscheinlich ihr Wächter, und sie dachte, er stand auf sie. Aber daran konnte ich nichts ändern. »Tut mir leid, ich wollte nicht so negativ klingen. Mir war nicht klar, dass es dir dermaßen ernst mit ihm ist.«
Esther verstaute den Apfel und die Cräcker wieder in ihrem Rucksack. »Ist es aber. Und du darfst mir jetzt gern sagen, dass du es für eine tolle Idee hältst und mir hilfst, ihn zu bekommen. Wobei ich nicht weiß, wie du mir helfen könntest. Ich sehe dich ja kaum noch.«
Ich warf Hennie einen verzweifelten Blick zu. Natürlich hatte ich gewusst, dass Esther sauer war, dass ich meine gesamte Freizeit mit Cam verbrachte, und ich hatte auch zunehmend ein schlechtes Gewissen deswegen. Doch die Dinge standen offenbar viel schlimmer, als ich angenommen hatte. »Esther, ich bin die Letzte, die dir Tipps für Jungs geben kann. Und das weißt du auch. Du bist viel hübscher und witziger als ich und hattest schon, keine Ahnung, mindestens sechs Freunde. Ich wusste ja noch nicht mal, dass ich Cam keine Schokolade zum Valentinstag besorgen soll.«
»Dancia hat ja nicht gesagt, du sollst nichts mit ihm anfangen«, sagte Hennie. »Sie hat einfach ein Problem mit Trevor. Du weißt doch, dass sie es nicht böse gemeint hat.«
Daraufhin drückte Esther ihren Rucksack an die Brust. »Ihr habt ja recht«, sagte sie dann. »Ich habe überreagiert, tut mir leid.«
Ich gab ihr den Müsliriegel zurück. »Vielleicht niedriger Blutzucker. Du solltest etwas essen.«
Sie schenkte mir ein trauriges Lächeln und riss die Verpackung auf. »Ich bin total frustriert. In letzter Zeit klappt gar nichts mehr. Weder mit Jungen noch sonst irgendwas.«
Hennie beugte sich zu ihr. »Was meinst du? Was gibt es denn sonst noch?«
Nach einem kräftigen Biss in den Riegel sagte Esther: »Ach, der übliche Quatsch. Nachdem mich Matt abserviert hatte, habe ich eine andere Theatergruppe regelrecht angebettelt, mich bei ihnen mitmachen zu lassen, aber die wollten nicht. Angeblich hätten sie ihre Rollen schon verteilt und mit den Proben angefangen. Aber daran lag es nicht, die wollten einfach nicht mit mir auftreten.«
Hennie legte den Arm um Esther. »Gibt da nichts drauf. Das sind doch nur fiese Neider!«
Esthers Kinn zitterte. »Ich wollte doch einfach nur mitmachen.«
Unglücklich legte auch ich den Arm um Esther und drückte sie. »Wenn du willst, stellen wir uns mit dir auf die Bühne.«
Hennie nickte eifrig.
Esther seufzte aus tiefstem Herzen und lehnte ihren Kopf an Hennies Schulter. »Das ist lieb von euch, aber ihr seid so dermaßen schlechte Schauspieler. Nehmt es mir nicht übel, aber ich verzichte lieber. Ich möchte meine Eins nicht gefährden.«
Wir lachten, doch die Traurigkeit blieb.
»Du weißt, dass wir immer hinter dir stehen«, sagte Hennie.
»Hundertpro.« Ich nickte. »Bei allem, Esther, selbst bei Trevor.«
Oma fand das Thema Jungen offenbar wahnsinnig faszinierend, deshalb hatte ich schon damit gerechnet, dass sie mich mit Cam auf die Party gehen lassen würde. Da alte Leute und Eltern sich gemeinhin immer Sorgen machten, erwartete ich aber, dass sie wenigstens Bedenken äußerte, dass wir gemeinsam mit dem Auto zu Anna fuhren. Am Freitag holte sie mich in ihrem dreißig Jahre alten Volvo von der Schule ab. Nachmittags walkte sie immer, deshalb trug sie noch weiße Turnschuhe mit dicken Sohlen und einen babyblauen Trainingsanzug.
Sie sah mich kurz an, als sie eine rote Ampel überfuhr. »Dein Cameron fährt also? Na, dann ist ja gut.«
Ich zuckte zusammen, als uns ein Autofahrer hupend auswich. »Oma, du musst eigentlich bei Rot anhalten.«
Sie nahm den Blick nicht von der Straße. »Der Mann ist viel zu schnell gefahren. Was fällt dem ein, mich anzuhupen?«
Ich seufzte und machte mich auf ein Verhör gefasst. »Ich komme erst nach zehn nach Hause«, sagte ich, halb in der Hoffnung, sie würde mir die Party ganz verbieten. »Wann genau, weiß ich nicht.«
»Na ja, du bist ja auch kein kleines Kind mehr. Sei einfach vor elf zu Hause. Und keinen Alkohol. Und wenn die anderen getrunken haben, fährst du den Wagen. Du fährst ohnehin viel besser als die meisten Halunken hier.«
Ganz offensichtlich nahm Oma an, dass ich nicht trinken würde. War ja auch nett, dass sie mir voll und ganz vertraute, aber hätte sie sich nicht wenigstens ein paar Sorgen machen können?
»Nachdem er mich abgesetzt hat, muss Cam den Bus zur Schule zurück nehmen«, sagte ich. »Wenn er getrunken hat, merken die das sofort.«
Am Freitagabend fuhr die Silberkugel einmal um zehn und einmal um elf. Wenn man das Schulgelände verließ, durfte man also nicht allzu spät zurückkommen, sonst war man die ganze Nacht ausgesperrt. Einer der Lehrer nahm den Bus an der Schule in Empfang und kontrollierte, ob alle nüchtern waren. Das diente zur Beruhigung der Eltern, die ihren Kindern erlaubten, die Schule am Wochenende zu verlassen.
»Wer kommt denn noch so alles?«, wollte Oma wissen. »Was ist mit deinem Freund Jack? Von dem habe ich schon lange nichts mehr gehört.«
Ich seufzte. »Jack ist fort, Oma. Das habe ich dir doch schon vor einem Monat erzählt.«
Sie schüttelte den Kopf, und der Wagen geriet ins Schlingern. Eine Wasserflasche fiel mir auf die Füße, Oma hatte sie zwischen die Sitze gestopft. Eines Tages würde ich einen Wagen mit richtigen Getränkehaltern haben, das nahm ich mir fest vor. »Das kann doch nicht angehen. Ich habe euch zwei doch erst neulich zusammen gesehen.«
»Vielleicht sah jemand Jack ähnlich«, sagte ich. »Hector hat die gleiche Haarfarbe.« Mitunter bildete sich Oma Sachen ein und sprach dann mit mir darüber, als wären sie Wirklichkeit. Ich schob es auf ihr Alter.
Mit einem tiefen Seufzer sagte sie: »Du hast wohl recht. Zu schade, dass er fort ist. Ihr zwei wart so enge Freunde.«
»Ich vermisse ihn«, gab ich unumwunden zu. »Aber es ist besser so. Jack hatte auf der Night Academy ständig Ärger.«
»Gegen ein bisschen Ärger ist nichts einzuwenden.«
Ich verdrehte die Augen. »Ja, du würdest dich bestimmt riesig freuen, wenn ich nachsitzen müsste.«
»Wenn es um etwas geht, woran du glaubst … dann ja.« Oma richtete sich in ihrem Sitz auf, damit sie beim Einbiegen in unsere Einfahrt übers Lenkrad blicken konnte. »Mir ist es egal, was sie dir für Noten auf der Night Academy geben. Ich wollte, dass du auf diese Schule gehst, damit du gefördert wirst und den Mut hast, für das, was du für richtig hältst, einzustehen.«
»Ja ja, Oma«, sagte ich. Diese Rede kannte ich schon in- und auswendig. Ob es nun darum ging, einem Schläger auf dem Spielplatz Paroli zu bieten oder sich gegen einen Lehrer zur Wehr zu setzen, Oma war der festen Meinung, dass es sich lohnte, um bestimmte Dinge zu kämpfen. Mir hatte sie das schon von klein auf eingeimpft, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, worum Oma je hatte kämpfen müssen.
»Wenn irgendetwas mit Jack ist oder du Ärger in der Schule hast, kannst du es mir ruhig sagen.«
Ich warf ihr einen verstohlenen Blick zu, der ernste Ton in ihrer Stimme überraschte mich. Mit feuchten Augen sah sie zum Haus, doch bevor ich nachfragen konnte, hatte sie den Schlüssel auch schon in ihre Handtasche gesteckt und war wieder meine zerstreute, alte Oma.
»Und wenn du mit dem Jungen schläfst«, sagte sie beim Öffnen der Autotür, »dann bringe ich ihn eigenhändig um.«
Ich riss die Augen auf. »Mensch, Oma. Nur weil wir auf eine Party gehen, müssen wir doch nicht gleich zusammen ins Bett!«
Sie lächelte ein wenig und hievte sich aus dem Wagen. »Freut mich zu hören. Und jetzt kannst du mal bitte gleich die Waschmaschine beladen. Ich habe nämlich keine frische Unterwäsche mehr.«