27. Kapitel
Das Begräbnis von Gregor Hartmann war würdevoll und schön. Ja, schön. Alles, was in unserem Land Rang und Namen hatte, gab ihm das letzte Geleit. Ein Bundesrat bedauerte in seiner Ansprache den grossen Verlust und würdigte ausführlich seine herausragenden Leistungen. Ehre, wem Ehre gebührt, dachte Kommissär Ferrari, der sich zusammen mit Nadine im Hintergrund aufhielt. Ganz vorne stand Alice Schneeberger, aufrecht und stolz. Ganz so, wie es dem Anwalt gefallen hätte.
Staatsanwalt Jakob Borer, der natürlich nicht fehlen durfte, hatte es irgendwie geschafft, dass die Wahrheit nicht an die Öffentlichkeit gedrungen war. In einer viel beachteten Pressekonferenz, ein rhetorisches Meisterwerk, versicherte er, dass der Mörder gefasst worden sei. Doch habe er sich bei der Verhaftung widersetzt und sei erschossen worden. Aus Rücksicht auf seine Familie würde der Name des Verbrechers nicht bekannt gegeben. Am nächsten Tag war in der ganzen Schweiz vom Fall H. die Rede. Und Nadine und der Kommissär wurden für dessen Lösung mit Lobeshymnen überschüttet. Die Bevölkerung war ihrerseits froh, einen Serienmörder weniger auf dieser Welt zu wissen und ein klein wenig ruhiger schlafen zu können.
Alice Schneeberger trat das Erbe von Gregor Hartmann an. Die attraktive Krankenschwester konnte sich fortan nicht mehr vor Verehrern retten. Doch sie liess sich von keinem um den Finger wickeln. Der Platz in ihrem Herzen gehörte für immer Gregor Hartmann. Von Zeit zu Zeit rief sie Kommissär Ferrari oder Nadine an, um mit ihnen essen zu gehen. Ein leises Gefühl sagte Ferrari, dass sie irgendwann einmal die alles entscheidende Frage stellen würde. Wie würde er diese beantworten? Am besten gar nicht. Tote sollten in Frieden ruhen.
Iris Okaz wurde auf Empfehlung von Ständerat Markus Schneider neue Direktorin des «Central». Was Elisabeth Fahrner betraf, sie machte als ganz grosse Architektin Karriere, während Anita Brogli einige Jahre mit mässigem Erfolg die Sicuris leitete. Dann kam es, wie es kommen musste. Sie geriet mit dem Gesetz in Konflikt und verschwand in der Versenkung. Ferrari hoffte inständig, dass es sich nicht um die viel besagte Ruhe vor dem Sturm handelte.
Bernhard Meister wurde von Andreas Richter systematisch in verschiedene Stiftungsräte gehoben. Auch Markus Schneider und Jakob Borer trugen ihren Teil dazu bei, dass der ehemalige Kommissär wie Phönix aus der Asche emporstieg und eine zweite Karriere machte. Beinahe täglich konnten sie sein Bild in der Zeitung sehen oder sein strahlendes Gesicht in einer Diskussionsrunde bewundern.
Noldi kehrte erholt aus dem Wallis an seinen Computer zurück und eroberte sich Nadines Herz auf ein Neues.
Das Leben verlief also in geordneten Bahnen. Wäre da nicht Ferraris schlechtes Gewissen gewesen, das sich ab und an bemerkbar machte. Denn beinahe hätte er seinen Vorgänger Bernhard Meister wegen Mordes verhaftet!
Nichts ist so, wie es scheint, und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.