14. Kapitel

Zwei Stunden später konnte Nadine erste Erfolge verzeichnen, es gab Neues über Robert Selm. Ihr war zunächst aufgefallen, dass das Haus in der Allschwilerstrasse wie auch die Liegenschaft in der Hammerstrasse von der IRG-Immobilien Treuhand AG verwaltet wurde. Diese Spur erwies sich als Volltreffer. Es stellte sich nämlich heraus, dass Robert Selm der Besitzer dieser beiden sowie weiterer zehn Mehrfamilienhäuser war. Darüber hinaus hatte die IRG den Auftrag, den Markt zu beobachten und mögliche Kaufobjekte sofort Selm zu melden. Robert Selm habe sich jedoch nur für Mehrfamilienhäuser in Basel-Stadt interessiert. Pro Jahr seien immerhin ein bis zwei Immobilien hinzugekommen. Der Mann hätte wohl erst Ruhe gegeben, wenn ihm die ganze Stadt gehörte, so die Aussage von Hanspeter Kuster, dem Geschäftsführer der IRG. Robert Selm, der Immobilientycoon. Woher hatte Robert Selm so viel Geld? Einzig und allein durch seine Aktivitäten an der Börse? Und wer erbte Selms Vermögen?

«Das ist ja unglaublich», Ferrari war beeindruckt.

«Unglaublich, aber wahr. Anscheinend lief es gut an der Börse.»

«Da könnte man richtig neidisch werden.»

«Stimmt. Obwohl ich persönlich möchte nie und nimmer Hausbesitzerin werden. Das ist doch bloss eine Belastung mehr. Da lobe ich mir meine Freiheit, meine Ungebundenheit», wandte Nadine ein.

«Freedom is just another word for nothing left to loose», trällerte der Kommissär leise vor sich hin.

«Schon gut, ich verstehe den Wink. Bleiben wir beim Thema. Ich versuche noch rauszukriegen, wer den ganzen Mammon erbt. Vermutlich die Eltern.»

«Und bei Gissler?»

«Bisher ist kein Testament aufgetaucht. Vielleicht meldet sich noch ein Notar, wenn der Mord publik geworden ist. Zu erben gibt es jedoch nicht viel. Ich gehe davon aus, dass das Wenige unter den nächsten Verwandten aufgeteilt wird.»

«Gut, aber das mit den Erben kann vorerst warten. Wir sollen bei Borer antanzen. Hast du etwas angestellt, von dem ich besser wissen sollte?»

«Nicht, dass ich wüsste.»

«Dann auf in die Höhle des Löwen, Nadine.»

Annina Steiner hackte energisch auf die Computertastatur. Für einen Sekundenbruchteil blickte sie auf und gab mit einer majestätischen Handbewegung den Weg zu einem tobenden Staatsanwalt frei. Der zweite Mord innert kurzer Zeit hatte Jakob Borer merklich die Laune verdorben. Aber das war nicht der einzige Grund für seinen erregten Gemütszustand. Vielmehr war ihm zu Ohren gekommen, dass die Bekannte eines seiner besten Freunde von der Polizei verdächtigt wurde.

«Ich suche Sie schon den ganzen Tag. Wo stecken Sie bloss?»

«Wir ermitteln in zwei Mordfällen», brummte Ferrari.

«Das geht zu weit, Herrschaften! Ich überlege mir, Sie von dem Fall … von den Fällen abzuziehen», polterte Borer los.

«Das ist doch die Höhe! Elisabeth Fahrner, um sie geht es doch wohl, ist eine der Tatverdächtigen.»

«Papperlapapp!»

«Hat Sie sich bei Ihnen beschwert?», fragte der Kommissär wieder ruhig.

«Nein, sie nicht.»

«Wer dann?»

«Das geht Sie nichts an, Frau Kupfer.»

«Und ob uns das etwas angeht. Wir lassen uns doch nicht von einem anonymen Arschloch ans Bein pinkeln.»

«Mässigen Sie sich, Frau Kupfer!», schrie der Staatsanwalt.

«Schreien Sie mich nicht an», gab Nadine zurück und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch. In Sachen Lautstärke blieb sie ihrem Kontrahenten nichts schuldig. «Sie behindern unsere Ermittlungen. Damit sollte man an die Öffentlichkeit gehen. Mal schauen, wer dann der Dumme ist.»

«Sie drohen mir? Ferrari, Sie sind mein Zeuge! Das hat Folgen …»

«Ach, Sie können mich mal … Sie Bürofurz!», schrie Nadine und verliess mit hochrotem Kopf das Büro des Staatsanwalts.

«Das kostet Sie den Job, Frau Kupfer. Dafür sorge ich.»

Ferrari hatte der Szene belustigt zugeschaut.

«Was lachen Sie so dämlich, Ferrari. Schliessen Sie gefälligst die Tür. Es muss nicht das ganze Kommissariat unsere Unterhaltung mitbekommen.»

Wie befohlen, schloss der Kommissär die Tür.

«Das lasse ich nicht durch! Nie und nimmer! Die Frau ist untragbar. Das war sie vom ersten Augenblick an. Habe ich Sie nicht schon mehrfach gewarnt, Ferrari? Sie soll Sekretariatsarbeiten für Sie erledigen. Mehr nicht.»

«Sie ist eine sehr fähige Ermittlerin. Was man nicht von allen hier im Hause behaupten kann. Aber ich wiederhole mich, Herr Staatsanwalt.»

«Papperlapapp! Sie schlägt Mal für Mal über die Stränge. Sie ist ein Sicherheitsrisiko.»

«Was noch zu beweisen wäre. Ich vermute, dass wir beim Beschwerdeführer von Ständerat Markus Schneider sprechen, nicht wahr?»

«Kein Kommentar.»

«Wir ermitteln in zwei Mordfällen, Herr Staatsanwalt. Und irgendwie hängt nun mal Elisabeth Fahrner da mit drin. Ob es dem Ständerat passt oder nicht. Wir können bei unseren Ermittlungen doch nicht jedes Mal darauf Rücksicht nehmen, wer, wo und wie irgendwelche politischen Fäden zieht. Oder wer mit wem schläft.»

«Vorsicht, Ferrari!»

«Ich glaube übrigens nicht, dass Nadine ein Sicherheitsrisiko darstellt. Meine geschätzte Kollegin mag ab und zu impulsiv sein. Na und? Ihrer Kompetenz und ihrer Loyalität tut dies keinen Abbruch.»

«Ha! Schauen Sie sich doch diese Frau an! Kein Feingefühl, kein Takt, kein Stil, keine leisen Töne. Nur immer draufhauen. Ich sage es ungern, aus Rücksichtnahme gegenüber Nationalrat Kupfer, aber an ihr scheint die gute Erziehung abgeprallt zu sein. Es ist mir schleierhaft, wie Sie es mit dieser Person aushalten. Die Frau ist doch total unfähig, eine absolute Fehlbesetzung.»

«In der Tat sitzen oft Leute auf Positionen, für die sie nicht geeignet sind. Aber damit meine ich nicht Nadine.»

«Ferrari, lehnen Sie sich nicht zu weit raus! Ich bin nicht blöd.»

«Das habe ich nie behauptet, Herr Staatsanwalt. Ich möchte mich, auch im Namen von Nadine, für ihren Ausbruch entschuldigen. Sie hat es nicht so gemeint.»

«Doch, das hat sie! Das wissen wir beide nur zu gut. Und Sie denken nämlich genauso!»

Ferrari musste lachen.

«Sie zu unterschätzen, wäre ein grosser Fehler, Herr Staatsanwalt. Ich verspreche Ihnen, dass wir in Zukunft sehr diskret ermitteln. Wenn Sie mir im Gegenzug versprechen, das Gespräch von eben zu vergessen.»

«Kein Deal! Machen Sie vorwärts mit dem Fall. Und ziehen Sie diese Kupfer aus dem Verkehr. Es wird wohl noch andere geeignete Assistenten geben.»

Ferrari wusste, dass Borer in der Angelegenheit nichts mehr unternehmen würde. Ein Sturm im Wasserglas, mehr nicht. Und auch Nadine hatte sich zwischenzeitlich beruhigt und wieder unter Kontrolle, zumindest einigermassen.

«Wie kommst du nur mit diesem geschniegelten Lackaffen klar, Francesco?»

«Dem Bürofurz?»

Nadine musste nun selbst lachen.

«Verdammt noch mal, das stimmt doch. Der sitzt in seinem Glaspalast und hat keine Ahnung, was sich auf der Strasse abspielt. Soll der Herr doch mal eine Woche Dienst schieben.»

«Keine schlechte Idee. Ich werde es ihm vorschlagen.»

«Hör auf mit deinem Zynismus!»

«Nein, im Ernst. Ich schlage ihm vor, vom Olymp in die Niederungen des Alltags abzusteigen, damit er mehr Verständnis für seine Untertanen aufbringt.»

«Das macht der Partylöwe doch nie mit. Zudem würde er sich doch schon bei der ersten Razzia in die Hose machen.»

«Vermutlich. Aber die Idee ist gut. Dann setzen wir auf Plan B, wir erhöhen den Druck. Ich schlage vor, wir beginnen bei Elisabeth Fahrner. Ruf sie doch an und frage sie nach dem Alibi für den Mord an Robert Selm und was sie für einen Wagen fährt.»

«Geht klar, Chef. Ich kann ja so ganz nebenbei erwähnen, dass wir ihre Eltern verhören müssen. Selbstverständlich in ihrer Anwesenheit.»

«Sehr gut!»

Knappe fünfzehn Minuten später war das Spiel lanciert.

«Sie fährt einen roten Alfa und hat kein Alibi. War allein mit den Eltern zu Hause, die wie jeden Abend früh schlafen gingen. Ich sagte ihr, dass wir vielleicht ihre Eltern vernehmen müssen. Zuerst weigerte sie sich. Als ich hartnäckig bei meiner Forderung blieb, gab sie nach.»

«Gut gemacht, Nadine. Ob dem Herrn Staatsanwalt bereits die Ohren läuten? Machen wir Schluss für heute. Morgen besuchen wir dann den Vierten im Bunde.»