Kapitel 7

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Lord Jorval ließ sich in einem Sessel in Kartane SaDiablos Wohnzimmer nieder. »Dein Treffen mit der Heilerin ist verschoben worden.«

»Warum?«, wollte Kartane unwirsch wissen. »Ich dachte, alles sei arrangiert.«

»Das war es auch«, meinte Jorval besänftigend. »Aber es gab einen … Vorfall … im Haus der Heilerin, sodass es noch ein paar Tage dauern wird, bis sie sich mit dir treffen kann.«

»Du könntest darauf bestehen«, sagte Kartane. »Vielleicht ist ihr nicht klar, wie wichtig ich …«

»Es würde nichts nutzen, darauf zu bestehen«, unterbrach Jorval ihn. »Wenn sie hierher kommt, willst du schließlich, dass ihre ganze Aufmerksamkeit dir gehört, und sie sich keine Gedanken über irgendeine dumme Haushaltsangelegenheit macht.«

»Dann bleibt mir wohl nichts übrig, als abzuwarten.«

Jorval erhob sich. »Nein, dir bleibt nichts anderes übrig.«



Ein Vorfall hat sich ereignet, aufgrund dessen das Treffen verschoben werden muss …

Ein Vorfall, dachte Jorval auf seinem Nachhauseweg. So verhalten und höflich hatte es der Höllenfürst ausgedrückt. Da die Männer, die sich in Halaway aufgehalten hatten, auf einmal spurlos verschwunden waren, und man kein Sterbenswörtchen von dem Begleiter vernommen hatte, konnte er sich eine ganz gute Vorstellung davon machen, was Jaenelle Angelline aufgehalten hatte.

Demzufolge würde er die Dunkle Priesterin davon in Kenntnis setzen müssen, dass Alexandra aller Wahrscheinlichkeit nach kein nützliches Werkzeug mehr war.

Hekatah würde nicht erfreut sein. Wahrscheinlich würde sie schlecht gelaunt nach Kleinterreille kommen – und ihre schlechte Laune an ihm auslassen.

Doch vielleicht gelang es ihm, ihren Zorn von sich abzulenken. Vielleicht war der Zeitpunkt gekommen, sich um ein anderes kleines Problem zu kümmern.

Zu Hause angekommen eilte er in sein Arbeitszimmer und verfasste eine kurze Nachricht an Lord Magstrom.

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Wo ist mein Begleiter?«, wollte Alexandra wissen, sobald sie in einem Sessel im Arbeitszimmer des Höllenfürsten Platz genommen hatte. Nachdem sie zwei Tage lang eingesperrt gewesen war, fühlte sie sich erleichtert, ihrem Zimmer entkommen zu sein, aber sie war alles andere als erfreut, in diesem Zimmer zu sein – oder in seiner Gegenwart.

Saetan lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte die Finger aneinander, das Kinn auf die langen schwarz gefärbten Nägel gestützt. Seine goldenen Augen blickten schläfrig drein – genauso wie bei ihrer ersten Begegnung.

Die Kälte, die in dem Raum herrschte, ließ sie das Schultertuch fester um sich ziehen.

»Es ist interessant, dass du dich als Erstes nach Osvald erkundigst«, meinte Saetan freundlich.

»Nach wem hätte ich mich denn sonst erkundigen sollen?«, fuhr Alexandra ihn an. Angst ließ ihre Stimme schrill klingen.

»Nach deiner Enkelin Wilhelmina. Sie ist dabei, sich von den Drogen zu erholen, die ihr dieser Mistkerl eingeflößt hat. Glücklichweise werden keine Schäden bleiben.«

»Natürlich nicht. Er hat ihr lediglich ein leichtes Beruhigungsmittel verabreicht.«

»Er gab ihr mehr als bloß ein leichtes Beruhigungsmittel, Lady«, versetzte Saetan, dessen Stimme nun einen scharfen Ton angenommen hatte.

Alexandra zögerte. Er log. Natürlich log er.

Neugierig betrachtete Saetan sie. »Ich frage mich, welche Art der Bezahlung dir Dorothea und Hekatah angeboten haben, die das Leben deiner Enkeltochter wert war.«

Sie sprang von dem Sessel auf. »Du wirst ausfallend!«

»Werde ich das?«, erwiderte er, wobei seine Stimme wieder jenes aufreizende – und beängstigend freundliche – Timbre annahm.

»Ich habe Wilhelmina nicht an Dorothea verkauft, sondern habe lediglich versucht, sie aus deinen Klauen zu befreien!«

Ein eigenartiger Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Ja, das scheint immer Rechtfertigung genug zu sein, nicht wahr? Solange man mir das Kind entreißt, ist es gleichgültig, was mit dem Kind passiert. Ein Leben voll Schmerz, Erniedrigung und Folter ist gewiss besser, als bei mir zu sein.«

Alexandra sank zurück in ihren Sessel und beobachtete den Höllenfürsten. Er hatte sich in sich selbst zurückgezogen und hing einem geheimen Gedanken nach – wobei es nicht den Anschein hatte, als habe sich seine letzte Bemerkung tatsächlich auf Wilhelmina bezogen.

»Was wäre mit Wilhelmina geschehen?«, erkundigte er sich.

»Osvald wollte sie aus Kaeleer fortschaffen, und dann hätten wir sie nach Hause gebracht.«

Als Saetan sie musterte, trat tiefe Traurigkeit in seine Augen. »Keine Bezahlung also«, sagte er leise, »sondern ein Druckmittel. «

»Wovon sprichst du?«

»Wie gedachtest du, Wilhelmina aus Hayll heraus zu bekommen? «

Alexandra starrte ihn an. »Sie sollte nicht nach Hayll gebracht werden.«

»Doch, das sollte sie. So lauteten die Befehle, Alexandra. Wilhelmina wäre Dorotheas ›Gast‹ gewesen, solange du Dorothea Zugeständnisse eingeräumt hättest. Wie lange hättest du Hayll entgegenkommen können, bevor deine Untertanen daran erstickt wären und sich geweigert hätten, dich als ihre Königin anzuerkennen? Womit hättest du dann handeln können, um Schaden von deiner Enkelin abzuwenden?«

»Nein«, sagte Alexandra. »Nein! Dorothea wollte mir helfen, weil…« Weil Dorothea sich darauf vorbereitete, in den Krieg gegen diesen Mann zu ziehen, und sie Jaenelles angebliche dunkle Macht seiner Kontrolle entreißen wollte. Doch das konnte sie ihn nicht wissen lassen. »Wilhelmina sollte kein Druckmittel sein.« Doch wäre Jaenelle nicht genau dazu geworden? Ein Druckmittel im Kriegsspiel? Das war etwas anderes. Jaenelle war durch die Aufmerksamkeiten des Höllenfürsten offensichtlich längst permanent geschädigt, und wenn das Mädchen nun Dorotheas ›Gast‹ geworden wäre …

Die brutale Wahrheit war, dass Alexandra Hayll niemals Zugeständnisse gemacht hätte, um Jaenelles Sicherheit zu garantieren, das wusste sie. Sie hätte ihrem Hof etwas von einem Familienopfer zum Wohle des Volkes erzählt. Und im Grunde hätte sie kaum Gewissensbisse verspürt, ihre Enkelin auf diese Weise aufgegeben zu haben. Sie war immer solch ein schwieriges Kind gewesen, immer …

Aber sie wiederholte nur matt: »Wilhelmina war kein Druckmittel.«

Saetan stieß ein leises Schnauben aus. »Glaub, was du willst.«

Dieses Beiläufigkeit, als sei ihre Meinung letzten Endes völlig gleichgültig, beunruhigte sie. »Was ist mit Osvald geschehen? Wurden zumindest seine Verletzungen behandelt?«

Ein seltsames Leuchten trat in Saetans Augen. »Er wurde hingerichtet. Ebenso erging es den drei Männern, die auf ihn warteten.«

Alexandra starrte ihn entgeistert an. »Welches Recht hast du …«

»Er versuchte, ein Mitglied des Hofes zu entführen, und brachte ein anderes um. Hast du wirklich erwartet, wir würden uns zurücklehnen und das einfach schlucken?«

»Er hat sie nicht entführt!«, rief Alexandra. »Er half ihr, von diesem Ort zu entkommen. Dieses Tier griff ihn an. Er musste sich verteidigen.«

»Er wollte sie gegen ihren Willen von hier fortbringen. Das ist eine Entführung.«

»Er handelte auf Wunsch der Familie.«

»Sie ist eine erwachsene Frau«, entgegnete Saetan ungehalten. »Du hast kein Recht, Entscheidungen über ihren Kopf hinweg zu treffen.«

»Sie ist labil und nicht in der Lage, selbst …«

»Gehst du so mit allen um, die nicht deiner Meinung sind?« Saetans Stimme wurde zornig und laut. »Du erklärst sie für geistig unzurechnungsfähig, sodass du es rechtfertigen kannst, sie an einen Ort wegzusperren, an dem man sie mit Vergnügen misshandelt und quält?«

»Wie kannst du es wagen?«

»Aufgrund meines Wissens über Briarwood wage ich so einiges.«

Sämtliche Luft entwich aus ihren Lungen. Aus seinen Augen blickte ihr purer Hass entgegen, den er nicht länger vor ihr zu verbergen suchte.

Nur mit Mühe gelang es ihr, genug Kraft zu sammeln, um sich aufrecht hinzusetzen und ihn anzusehen. »Ich bin eine Königin …«

»Du bist ein naives, verwöhntes kleines Miststück«, erwiderte Saetan mit honigsüßer Stimme, welche die Worte wie eine gewalttätige Liebkosung klingen ließ. »Lebe ein langes Leben, Alexandra. Lebe ein langes Leben und verbrauche am Ende all deine Kraftreserven, damit du auf der Stelle in die Dunkelheit eingehst. Denn wenn du das nicht tust, wenn du dich in eine Dämonentote verwandeln solltest, werde ich auf dich warten.«

Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, was er meinte. Der Höllenfürst.

»Robert Benedict hat die Verwandlung mitgemacht«, sagte Saetan trügerisch sanft, »und er bezahlte seinen Anteil an der Rechnung für das, was der Tochter meiner Seele angetan wurde. «

»Ich schulde dir gar nichts.« Alexandra gab sich Mühe, ihre Worte fest klingen zu lassen, doch es gelang ihr nicht, das Beben in ihrer Stimme zu unterdrücken.

Saetan lächelte ein sanftes, schreckliches Lächeln.

Sie musste von dort wegkommen, musste seiner Gegenwart entfliehen. »Da dies hier angeblich ein Hof sein soll, ist es meiner Meinung nach an der Zeit, dass ich mit deiner geheimnisvollen Königin spreche. Der echten Königin. Ja, ich bestehe sogar darauf, mit ihr zu sprechen!«

Er saß regungslos da. »Allem Anschein nach möchte sie sich auch mit dir unterhalten«, erklärte er, wobei seine Stimme einen eigenartigen Klang angenommen hatte. »Du bist zum Schwarzen Askavi gerufen worden, wo du vor den Dunklen Thron treten sollst.«

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Unter heftigem Herzklopfen folgte Alexandra dem Höllenfürsten die dunklen Steinstufen hinab. Die gewaltige Doppeltür am Fuß der Treppe ging geräuschlos auf und gab den Blick auf die undurchdringliche Dunkelheit frei, die sich dahinter befand.

Sie hatte dagegen protestiert, dass auch Leland, Philip und der Rest ihres Gefolges zum Bergfried beordert worden waren. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Niemand hatte ihr auch nur zu verstehen gegeben, ihre Proteste gehört zu haben, geschweige denn, danach zu handeln.

Ebenso hatte sie Einspruch erhoben, als sich Daemon und Lucivar dem Höllenfürsten als dessen Geleit angeschlossen hatten. In diesem Augenblick empfand sie jedoch jämmerliche Dankbarkeit für die männliche Kraft, die sie beschützte. Die Burg hatte ihr Angst eingejagt, doch im Vergleich mit dem Bergfried war die Burg lediglich ein anheimelndes Herrenhaus.

Als Saetan sich in Bewegung setzte, entbrannten Fackeln, bis nur noch das hintere Ende des Saals zu dunkel war, um etwas erkennen zu können.

Da flammte noch eine Fackel auf. Sie starrte den riesenhaften Drachenkopf an, der aus der Rückwand ragte. Die silbrig goldenen Schuppen funkelten. Die Augen des Drachen waren so dunkel wie die letzte Stunde der Nacht. Auf einem Podium neben dem Kopf stand ein einfacher Ebenholzstuhl. Die Frau, die darauf saß, befand sich noch zu sehr im Schatten, als dass Alexandra mehr als ihre Umrisse hätte erkennen können.

Dies war also die Königin des Schwarzen Askavi.

Das Licht in dem Raum schien sich ein wenig zu verändern, sodass auf geheimnisvolle Weise das Horn eines Einhorns erhellt wurde, das Teil des Zepters in den Händen der Frau bildete.

Als Alexandra die Ringe an diesen Händen betrachtete, lief ihr ein Schauder den Rücken hinab. Auf den ersten Blick hätte sie gesagt, dass die Ringe Splitter eines schwarzen Juwels aufwiesen, doch sie fühlten sich dunkler als Schwarz an. Das war jedoch unmöglich – oder etwa doch nicht?

Das Licht wurde immer heller, und während es dämmerte, wuchs auch die Macht, die in dem Saal herrschte. Das Gesicht der Frau lag immer noch im Schatten, doch mittlerweile konnte Alexandra das schwarze Kleid und ein weiteres schwarzes, gleichzeitig aber noch dunkleres Juwel ausmachen, das in eine Kette eingefasst war, die wie ein Spinnennetz aus goldenen und silbernen Fäden aussah.

Es wurde immer heller. Alexandra blickte empor und starrte in Jaenelles eisige Saphiraugen.

Lange Sekunden verstrichen, ehe jene Augen sich Leland und Philip, Vania und Nyselle und den Gefährten und Begleitern zuwandten, die mit ihnen gekommen waren.

Als jener eiskalte Blick Alexandra nicht länger in seinem Bann hielt, presste sie sich eine Hand in die Magengegend und versuchte verzweifelt, nicht zusammenzubrechen. In dieser offiziellen Umgebung begriff sie endlich, was Jaenelle bei ihrer ersten Begegnung auf der Burg gesagt hatte. Der Unterschied besteht darin, dass er den Traum erkannte, als er ihm letzten Endes erschien.

Die dunkle Kraft, die Jaenelle verströmte, hätte Chaillot vor Dorotheas Einfluss bewahren können. Aber wie hätte man von einer Königin erwarten können, das in einem schwierigen, exzentrischen Kind zu sehen?

… dass er den Traum erkannte …

Sie wagte einen raschen Blick in Daemons Richtung. Er hatte es ebenfalls erkannt; hatte es verstanden und …

Hatte Dorothea nicht genau das gesagt? Der Sadist und der Höllenfürst hatten die Möglichkeiten all jener dunklen Macht erkannt und es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu verführen und zu formen. Es war offensichtlich, warum Dorothea die Kontrolle über Jaenelle erlangen wollte, doch deswegen konnte trotzdem wahr sein, was sie über Daemon und den Höllenfürsten gesagt hatte.

Die Gedanken jagten Alexandra im Kopf herum und überschlugen sich – bis die uralten Augen wieder auf sie gerichtet waren.

»Du hast dich mit Dorothea SaDiablo und Hekatah SaDiablo verschworen, die bekanntermaßen meine Feindinnen sind, um ihnen ein Mitglied meines Hofes auszuliefern, Schwester.« Obgleich die Stimme nicht laut war, füllte sie den ganzen Saal. »Beim Versuch, diesen Plan in die Tat umzusetzen, habt ihr ein anderes Mitglied meines Hofes umgebracht, einen jungen Kriegerprinzen. «

Da rührte sich Leland und setzte sich über Philips Versuch hinweg, sie zurückzuhalten. »Es war nur ein Tier.«

Etwas Wildes und Schreckliches verzerrte Jaenelles Gesicht. »Er war ein Angehöriger des Blutes … und er war ein Bruder. Sein Leben war genauso viel wert wie deines.«

»Ich habe ihn nicht umgebracht«, stieß Alexandra mit erstickter Stimme hervor.

Unter dem Eis in jenen Saphiraugen befand sich tödliche Wut, die an Wahnsinn grenzte. »Du hast nicht den Todesstoß geführt«, stimmte Jaenelle ihr zu. »Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, dich nicht hinrichten zu lassen.«

Alexandra wäre beinahe zu Boden gestürzt, wenn Philip nicht nach ihr gegriffen hätte, um sie festzuhalten. Sie hinrichten lassen?

»Allerdings«, fuhr Jaenelle fort, »hat alles seinen Preis, und auch für Dejaals Leben wird ein Preis zu entrichten sein.«

In Alexandra wallte Verzweiflung auf. »Gegen Mord gibt es kein Gesetz.«

»Nein, das gibt es nicht«, erwiderte Jaenelle eine Spur zu sanft. »Doch eine Königin kann einen Preis für das Leben fordern, das verloren gegangen ist.«

Ein Schluchzen erklang. Es war nicht herauszuhören, ob es von Vania oder Nyselle stammte.

»Ihr seid nicht länger in Kaeleer willkommen. Ihr werdet nie wieder in Kaeleer willkommen sein. Wer von euch – aus welchem Grund auch immer – zurückkehren sollte, wird auf der Stelle hingerichtet. Eine Begnadigung wird es nicht geben. «

»Darf sie das tun?«, flüsterte Nyselle.

Jaenelles Blick huschte zu den Provinzköniginnen, bevor sie wieder Alexandra ansah. »Ich bin die Königin. Mein Wille ist das Gesetz.«

Und niemand, kam es Alexandra in den Sinn, niemand würde sich dem Gesetz zu entziehen versuchen.

»Ihr werdet zu Cassandras Altar gebracht und durch das Tor zurück nach Terreille geschickt«, meinte Jaenelle. »Höllenfürst, du triffst die nötigen Vorkehrungen.«

»Mit dem größten Vergnügen, Lady«, erwiderte Saetan feierlich.

»Ihr könnt gehen.« Das Zepter fuhr durch die Luft, bis das Horn des Einhorns direkt auf Alexandras Brust zeigte. »Mit Ausnahme von dir.«

Leland legte stummen Protest ein, ließ sich jedoch widerstandslos von einem blass und kränklich aussehenden Philip am Arm packen und aus dem Saal führen. Die übrigen Mitglieder der Entourage eilten in langsamerem Tempo hinterher, gefolgt von Saetan, Daemon und Lucivar.

Als sich die Doppeltür wieder geschlossen hatte, und die beiden Königinnen die einzigen Menschen in dem Saal waren, ließ Jaenelle das Zepter sinken. »Du hättest abreisen sollen, als ich es dir das erste Mal gesagt habe. Jetzt …«

Es dauerte eine Minute, bis Alexandra einen Ton herausbrachte. »Jetzt?«

Jaenelle antwortete nicht.

Alexandra geriet ins Wanken und machte einen Schritt zur Seite, um ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, als das Zimmer sich um sie zu drehen begann, und alles um sie her dunkel wurde.



Was im Namen der Hölle ist gerade eben passiert?, fragte sich Alexandra, während sie das Gleichgewicht wiedererlangte. Dann blickte sie um sich.

Sie stand allein in der Mitte eines großen steinernen Kreises. Der Boden war makellos glatt. Den Kreis umgab eine massive Wand aus scharf gezackten Felsen, die sich bis hoch über ihren Kopf türmten. Jenseits der Wand …

Sie konnte den gewaltigen Druck spüren, der auf der Wand lastete, als versuche etwas, sie zu durchbrechen und diesen Ort unter sich zu begraben.

*Wo …?*

*Wir sind tief im Abgrund*, erklang eine Mitternachtsstimme.

Alexandra wandte sich in die Richtung, aus der Jaenelles Stimme zu ihr drang – und starrte das Wesen an, das jetzt einen guten Meter von ihr entfernt stand: der schlanke, nackte menschliche Körper; die Menschenbeine, an denen jedoch zierliche Hufe saßen; die Menschenhände mit den ausgefahrenen Krallen anstatt von Fingernägeln; die leicht spitz zulaufenden Ohren; die goldene Mähne, die nicht ganz Haar, aber auch nicht ganz Pelz war; das winzige spiralförmige Horn in der Mitte ihrer Stirn; die eisigen saphirblauen Augen.

*Was bist du?*, flüsterte Angelline.

*Ich bin Fleisch gewordene Träume*, antwortete ihr Gegenüber. *Ich bin Hexe.*

Jaenelles Stimme. Jaenelles eigenartige Augen. Doch …

Alexandra wich zurück. Nein. Nein! *Du steckst im Innern meiner …*

Sie konnte es nicht in Worte fassen. Abscheu schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Tochter Leland hatte das hier auf die Welt gebracht? Das?

*Was hast du mit meiner Enkelin gemacht?*, wollte Alexandra wissen.

*Nichts.*

*Das musst du aber! Was hast du ihr angetan? Hast du ihren Geist verschlungen, um ihr Fleisch benutzen zu können?*

*Wenn du die Hülle meinst, die ihr Jaenelle nennt, dann hat jenes Fleisch schon immer mir gehört. Ich bin in jener Haut zur Welt gekommen.*

*Niemals! Niemals! Du kannst nicht von Leland abstammen. *

*Warum nicht?*, fragte Hexe.

*Weil du ein Ungeheuer bist!*

Schmerzliches Schweigen. Dann meinte Hexe kühl: *Ich bin, was ich bin.*

*Und was immer das sein mag, es kam nicht von meiner Tochter. Es stammt nicht von mir ab.*

*Deine Träume …*

*Nein! Kein Teil von mir ist in dich eingeflossen!*

Wieder legte sich Schweigen über den Ort. Jenseits der Felswand schien sich ein heftiges Unwetter zusammenzubrauen.

*Hast du sonst noch etwas zu sagen?*, erkundigte sich Hexe.

*Dir werde ich niemals etwas zu sagen haben*, erwiderte Alexandra.

*Na gut.*

Die Felswand löste sich auf. Die Kräfte im Abgrund strömten herbei, um den leeren Raum zu füllen – und versuchten, das Gefäß im Innern des Raumes zu füllen.

Alexandra konnte spüren, wie die gewaltige Flutwoge sie zu zerdrücken begann; da brachte eine Quelle dunkler Macht jene Flut ins Gleichgewicht und zähmte sie, um zu verhindern, dass Alexandras Geist zerbarst. Etwas in ihrem Innern zerbrach, und einen Augenblick lang empfand sie einen durchdringenden Schmerz und qualvolle Trauer.

Und dann fühlte sie gar nichts mehr.

Alexandra erwachte langsam. Sie lag zugedeckt in einem Bett, und ihr war angenehm warm, doch sie merkte auf der Stelle, dass etwas nicht stimmte. Ihr Kopf fühlte sich an, als sei er mit Watte ausgestopft, und ihr Körper schmerzte, als leide sie an einem Fieber.

Als sie die Augen aufschlug, erblickte sie Saetan, der in einem Sessel in der Nähe des Bettes saß. »Ich will dich nicht«, krächzte sie heiser.

»Ich dich auch nicht«, versetzte er trocken, wobei er nach einer Tasse griff, die auf dem Nachttisch stand. »Hier. Das wird dir helfen, einen klaren Kopf zu bekommen.«

Ächzend stützte sie sich auf einen Ellbogen – und bemerkte ihre Juwelen, den Opal-Anhänger und den Ring auf dem Nachttisch. Sie waren leer, das Kraftreservoir war vollständig aufgebraucht.

Instinktiv wandte sie sich verzweifelt nach innen und versuchte, in die Tiefe ihrer Juwelenkraft hinabzutauchen. Sie kam nicht einmal bis Weiß. Der Zutritt zum Abgrund war ihr verwehrt, und ihr Geist fühlte sich an, als sei er in Stein eingemauert.

»Du verfügst noch über einfache Kunst«, sagte Saetan leise.

Entsetzt starrte Alexandra ihn an. »Einfache Kunst?«

»Ja.«

Sie starrte ihn weiter an, während sie sich der machtvollen Flutwoge und des kurzen Schmerzes entsann. »Sie hat mich zerbrochen«, flüsterte Alexandra. »Dieses Miststück hat mich zerbrochen

»Pass auf, was du über meine Königin sagst«, knurrte Saetan.

»Was willst du tun?«, fuhr sie ihn an. »Mir die Zunge herausreißen? «

Er hatte es nicht nötig, ihr zu antworten. Sie konnte es in seinen Augen sehen.

»Trink das hier«, meinte er eine Spur zu ruhig und reichte ihr die Tasse.

Da sie es nicht wagte, ihm zuwiderzuhandeln, trank sie das Gebräu und gab ihm anschließend die Tasse zurück.

»Ich bin nicht einmal mehr eine Hexe.« Ihr traten die Tränen in die Augen.

»Eine Hexe ist immer noch eine Hexe, selbst wenn sie zerbrochen und nicht länger in der Lage ist, die Juwelen zu tragen. Eine Königin ist immer noch eine Königin.«

Alexandra stieß ein verbittertes Lachen aus. »Oh, das sagt sich so leicht, nicht wahr? Welche Art Königin kann ich denn sein? Meinst du wirklich, ich kann einen Hofstaat aufrechterhalten? «

»Andere Königinnen haben es getan. Magische Kraft ist nur ein Faktor, der starke Männer anzieht und sie dazu bringt, zu dienen.«

»Und glaubst du, ich kann einen Hof um mich halten, der stark genug ist, damit ich weiterhin die Königin von Chaillot bleibe?«

»Nein«, kam Saetans leise Antwort nach einer langen Pause. »Aber das hat nichts mit deiner Fähigkeit zu tun, Juwelen zu tragen.«

Sie schluckte die Beleidigung, da sie nicht wagte, etwas anderes zu tun. »Bist du dir darüber im Klaren, was nun auf Chaillot geschehen wird?«

»Dein Volk wird aller Wahrscheinlichkeit nach eine andere Königin wählen.«

»Es gibt keine andere Königin, die stark genug wäre, um als Herrin des Territoriums anerkannt zu werden. Deshalb…« … bin ich überhaupt immer noch an der Macht. Nein, das konnte sie ihm nicht sagen.



Sie schob sich empor, bis sie aufrecht saß, und wartete darauf, dass ihr Kopf endlich klarer würde. Jenes seltsame, dumpfe Empfinden würde vergehen, doch ihr Verlustgefühl würde niemals verschwinden. Dieses Miststück, das sich als ihre Enkelin ausgegeben hatte, war dafür verantwortlich. »Sie ist ein Ungeheuer«, murmelte sie.

»Sie ist der lebende Mythos, Fleisch gewordene Träume«, meinte Saetan kalt.

»Nun, mein Traum war sie nicht!«, entgegnete Alexandra barsch. Wie könnte dieses widerwärtige, entstellte Wesen irgendjemands Traum sein …«

»Geh nicht wieder zu weit, Alexandra«, warnte Saetan sie.

Als sie die Schärfe in seiner Stimme vernahm, kauerte sie sich so klein wie möglich zusammen. Sie biss die Zähne zusammen und hielt den Mund, da sie keine andere Wahl hatte, doch es war ihr unmöglich, sich keine Gedanken über jenes Wesen zu machen. Es hatte in ihrem Haus gelebt. Sie erschauderte. Jedes Jahr an Winsol tanzen wir zu Ehren von Hexe. Jedes Jahr feiern wir dieses Etwas!

Es war ihr nicht bewusst, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte, bis es in dem Zimmer auf einmal eiskalt wurde. »Ich will nach Hause«, sagte sie kleinlaut. »Kannst du dafür sorgen?«

»Mit Vergnügen«, ertönte Saetans erfreute Antwort.

4 e9783641062019_i0057.jpg Kaeleer

Daemon starrte höchst unwillig das Stundenglas aus Ebenholz an, das vor Jaenelles Tür schwebte. Zum ersten Mal war es ihm aufgefallen, als er vorhin nach Jaenelle hatte sehen wollen. Der Sceltiekrieger Ladvarian hatte ihm erklärt, was es bedeutete. Also hatte er eingewilligt, als Ladvarian ihm angeboten hatte, ihn durch den Bergfried zu führen, sodass er den Schwarzen Askavi in der Zwischenzeit ein wenig erkunden könne. Als Daemon eine Stunde später zurückkehrte, hatte er jedoch feststellen müssen, dass der Sand erneut in die untere Hälfte rieselte, weil das Stundenglas umgedreht worden war und eine weitere Stunde des Alleinseins markierte. Dies war nun das dritte Mal, dass der Sand beinahe durchgerieselt war, und diesmal würde er an der Tür warten, bis das letzte Sandkorn nach unten fiel.

»Du bist … sss … ungeduldig?«, fragte eine zischelnde Stimme hinter ihm.

Daemon drehte sich zu Draca, der Seneschallin des Bergfrieds, um. Bei der Ankunft im Bergfried hatte Lucivar ihm eine mysteriöse Warnung gegeben: Draca ist ein Drache in Menschengestalt. Sobald Daemon die Seneschallin jedoch erblickt hatte, hatte er begriffen, was Lucivar meinte. Ihr Aussehen zusammen mit der Aura unzählig vieler Jahre und alter, unermesslicher Kraft faszinierten ihn.

»Ich mache mir Sorgen«, antwortete er und erwiderte den Blick ihrer dunklen Augen, die durch ihn hindurchzustarren schienen. »Sie sollte jetzt nicht allein sein.«

»Und trotzdem … sss … stehst du vor der Tür.«

Daemon warf dem schwebenden Stundenglas einen mörderischen Blick zu.

Draca gab ein Geräusch von sich, das nach unterdrücktem Gelächter klang. »Bist du immer … sss … so gehorsam?«

»Fast nie«, murmelte Daemon – und entsann sich dann wieder, wen er vor sich hatte.

Doch Draca nickte, als sei sie erleichtert, etwas bestätigt bekommen zu haben. »Es …sss … ist klug, wenn Männer wissen … sss … wann …sie … nachgeben und gehorchen müssen. Doch der Gefährte … sss … darf viele Regeln großzügig auslegen.«

Daemon wog die Worte sorgfältig ab. Es war nicht einfach, einen Tonfall aus der zischelnden Stimme herauszuhören, doch er glaubte, Draca verstanden zu haben. »Du weißt mehr über die Feinheiten des Protokolls als ich«, sagte er, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Ich weiß deinen Rat zu schätzen. «

Ihre Miene veränderte sich nicht, doch er hätte schwören können, dass sie ihn anlächelte. Als sie sich von ihm abwandte, fügte sie hinzu: »Das Glas … sss … ist beinahe leer.«



Seine Hand lag auf dem Türknauf und drehte ihn vorsichtig, als die letzten Sandkörner in den unteren Teil des Stundenglases rieselten. In dem Moment, als er die Tür öffnete, drehte sich das Stundenglas um und verkündete eine weitere Stunde der Einsamkeit. Rasch schlüpfte er in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Jaenelle stand am Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Sie trug immer noch das schwarze Gewand. Als Mann fand er das Kleid in jeder Hinsicht anziehend und hoffte, dass sie es nicht nur zu formellen Anlässen trug.

Er verscheuchte diese Gedanken. Sie waren am heutigen Abend nicht nur fruchtlos, sondern reizten seinen Körper obendrein, auf eine Art und Weise auf Jaenelle zu reagieren, die unangebracht war.

»Sind sie fort?«, wollte Jaenelle leise wissen, ohne den Blick von dem Fenster zu nehmen.

Daemon betrachtete sie eingehend und versuchte zu ergründen, ob sie sich lediglich höflich unterhalten wollte, oder ob sie sich so tief in ihr Innerstes zurückgezogen hatte, dass sie es wirklich nicht wusste. »Sie sind fort.« Langsam und vorsichtig näherte er sich ihr, bis er nur einen guten Meter von ihr entfernt stand und ihr Profil sehen konnte.

»Es war die angemessene Strafe«, meinte Jaenelle. Eine Träne rollte ihre Wange hinab. »Es ist eine angemessene Strafe, wenn eine Königin den Hof einer anderen gewaltsam stört, um Schaden anzurichten.«

»Du hättest einen von uns bitten können, es zu tun«, entgegnete Daemon leise.

Jaenelle schüttelte den Kopf. »Ich bin die Königin. Es war meine Aufgabe, es zu tun.«

Nicht, wenn du nicht darüber hinwegkommst.

»Es gibt einen traditionellen Weg, eine Angehörige des Blutes zu zerbrechen und sie ihrer Macht zu berauben, ohne ihr ansonsten Schaden zuzufügen. Es ist schnell und sauber. « Sie zögerte. »Ich habe sie tief in den Abgrund gebracht. «

»Du hast sie an den nebligen Ort gebracht?«

»Nein«, sagte Jaenelle zu heftig, zu schnell. »Das ist ein besonderer Ort. Ich wollte nicht, dass er beschmutzt wird …« Sie biss sich auf die Lippe.

Erleichterung übermannte ihn, da er nun wusste, dass Alexandra den nebligen Ort nicht mit ihrer Gegenwart entweiht hatte.

Als er Jaenelle weiter musterte, traf ihn die Erkenntnis wie ein heftiger Schlag: Sie hatte sich nicht so weit in sich selbst zurückgezogen, weil sie traurig war, eine andere Hexe zerbrochen zu haben; sie hatte sich zurückgezogen, um mit einem Leid fertig zu werden, das sie ganz persönlich betraf.

»Mein Herz«, sagte er sanft, »was ist los? Bitte sag es mir. Lass mich dir helfen.«

Als sie sich zu ihm umdrehte, sah er keine erwachsene Frau oder Königin oder gar Hexe vor sich. Stattdessen stand da ein Kind, das Todesqualen durchlitt.

»Leland … Leland hatte etwas für mich übrig, glaube ich, doch von ihr habe ich nie viel erwartet. Philip lag an mir, aber es gab im Grunde nichts, was er hätte tun können. Alexandra war die Mutter in der Familie. Sie war diejenige mit der Kraft. Sie war diejenige, der wir es alle recht machen wollten. Und ich konnte es ihr nie recht machen, konnte nie die sein, die … Ich habe sie alle geliebt – Leland und Alexandra und Philip und Wilhelmina.« Jaenelles Worte wurden von einem unterdrückten Schluchzen unterbrochen. »Ich habe Alexandra geliebt – und s-sie sagte, ich sei ein U-Ungeheuer.«

Daemon starrte sie nur an, da es die Wut, die ihn auf einmal gepackt hatte, kurzzeitig unmöglich machte, etwas zu sagen. »Das Miststück hat was gesagt?«

Die Gehässigkeit in seiner Stimme überraschte Jaenelle, und sie warf ihm einen scharfen Blick zu, bevor ihr Selbstbewusstsein wieder in sich zusammenfiel. »Sie sagte, ich sei ein Ungeheuer.«

Er konnte beinahe sehen, wie sich all die tiefen Narben aus ihrer Kindheit wieder blutend öffneten. Dies war die endgültige Zurückweisung, der tiefste Schmerz. Als Kind hatte sie der Zurückweisung trotzig die Stirn geboten und versucht, die dürftige, immer an Bedingungen geknüpfte Liebe zu rechtfertigen, die ihr entgegengebracht wurde. Als Kind hatte sie zu rechtfertigen versucht, dass man sie nach Briarwood, in jenes Haus des Schreckens gesandt hatte. Doch nun war sie kein Kind mehr, und die Qual, die es ihr verursachte, einer bitteren Wahrheit ins Gesicht zu sehen, drohte sie zu zerreißen.

Außerdem entging ihm nicht, dass sie sich angesichts ihres Schmerzes an den Fels in der Brandung klammerte, der ihr schon in ihrer Kindheit Sicherheit gegeben hatte: Saetans Liebe und Anerkennung.

Nun, er konnte ihr einen weiteren Halt bieten, an den sie sich klammern konnte. Er öffnete seine Arme weit genug, um sie einzuladen, doch nicht so weit, dass die Geste fordernd wirkte. »Komm her«, sagte er leise. »Komm her zu mir.«

Es brach ihm schier das Herz, wie sie auf ihn zugeschlichen kam, ohne ihn auch nur anzublicken. Ihre Körperhaltung signalisierte, dass sie darauf vorbereitet war, zurückgewiesen zu werden.

Tröstend und beschützend zugleich schlossen sich seine Arme um sie.

»Sie war eine gute Königin, nicht wahr?«, fragte Jaenelle ein paar Minuten später mit flehendlicher Stimme.

Schmerz durchzuckte Daemon. Zu einem anderen Zeitpunkt wäre ihm die Lüge ohne weiteres über die Lippen gekommen, aber nicht an diesem Abend. Da er wusste, dass er dabei war, ihr auch noch die letzte Rechtfertigung für Alexandras Verhalten zu entreißen, eröffnete er ihr die Wahrheit so schonend wie möglich. »Im Vergleich zu den anderen Königinnen in Terreille war sie eine gute Königin. Im Vergleich zu den Königinnen, denen ich seit meiner Ankunft in Kaeleer begegnet bin … Nein, mein Schatz, sie war keine gute Königin.«

Unendliches Leid lag in den Tränen, die flossen, während Jaenelle endgültig diejenigen Menschen aufgab, die sie einst zu lieben versucht hatte.

Er hielt sie, ohne etwas zu sagen; hielt sie einfach nur fest und umgab sie mit all seiner Liebe.

Leise ging die Tür auf. Ladvarian betrat das Zimmer, gefolgt von Kaelas.

Daemon beobachtete die verwandten Wesen. Hatten sie für sich entschieden, sich dem Befehl der Königin zu widersetzen, allein gelassen zu werden? Oder hatten sie seine Anwesenheit als Zeichen gedeutet, ebenfalls eintreten zu dürfen?

Nach einer Minute wedelte Ladvarian einmal kurz mit dem Schwanz. *Wir kommen später wieder.*

Sie zogen sich so geräuschlos zurück, wie sie gekommen waren.