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Tharkad City, TharkadProvinz Donegal, Lyranische Allianz
2. April 3067
Schnee fiel in kleinen, pulvrigen Flocken auf
Tharkad City, ein Schnee, der von einem Windstoß oder einem
vorbeikommenden Schweber hoch aufgewirbelt wurde. Eine steife Brise
fegte die Straßen frei und trieb den Schnee in flachen Wehen gegen
den Bordstein und in die Seitengassen. Peter schätzte die
Sichtweite auf fünfhundert Meter, etwa zwei Querstraßen weit, aber
auf diese Entfernung war ein Mech schon kaum mehr als ein dunkler
Schatten und Bodenfahrzeuge ließen sich leicht übersehen. Was von
seinen Kriegern noch übrig war, stützte sich bei der Suche nach den
restlichen Mechs der 2. Hof garde und 11. Arkturusgarde weitgehend
auf die Sensoren. In einer Situation, in der es schwer war, Freund
und Feind auseinander zu halten, musste er versuchen, diese
fanatischen Loyalisten auszuschalten, ohne die Hauptstadt stärker
als unbedingt nötig zu beschädigen. Allen Berichten zufolge gab es
nur noch eine, vielleicht zwei Lanzen Verteidiger, doch die waren
auch entschlossen, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Nondi Steiner
war eine von ihnen.
Peter stampfte mit dem 100-t-Fafnir auf die
nächste
Kreuzung und seine Tante nahm ihn mit zwei künstlichen Blitzschlägen aus den Partikelprojektorkanonen unter Beschuss. Die hochenergetischen Entladungen lösten sich aus dem fernen Schatten ihres HauptmannOmniMechs und schlängelten sich mit schlangenhafter Eleganz über die eisglatte Straße. Ein Schuss schnitt in die rechte Seite des Fafnir, zerkochte die Kompositpanzerung und schleuderte die Metallkeramik in glühenden Klumpen auf die Straße. Der zweite zuckte rechts vorbei, verfehlte den Cestus, der Peter folgte und zertrümmerte die Glasfassade eines Bürogebäudes. Große Glasscherben regneten wie Eiszapfen auf Fahrbahn und Bürgersteig herab.
Um Tharkad City nicht mehr als unvermeidbar zu beschädigen, feuerte Peter nach sorgfältigem Zielen nur ein schweres Gaussgeschütz ab. Die von den gigantischen Magnetspulen beschleunigte Kanonenkugel zog auf der kurzen Strecke eine beachtliche Schneewolke nach sich, bevor sie in die Schulter des Hauptmann einschlug. Im nächsten Augenblick verblasste das Sensorbild. Entweder war Nondis Omni zurückgewichen oder in eine Seitenstraße eingebogen. Schneefall und die Magnetechos von Stahlträgern naher Gebäude störten die Ortung.
Peter teilte zwei BattleMechs vom Ende seiner kurzen Kolonne ein, die Kreuzung zu halten, und schickte zwei weitere Halblanzen in Parallelstraßen, während er selbst geradeaus weitermarschierte. Auf dieselbe Weise hatten seine Truppen schon die Feste Asgard und die Triade erobert. Sie trieben die Loyalisten vor sich her und schlossen sich wieder zusammen, sobald die sich zum Kampf stellten. Der Erfolg dieser Taktik war bisher mäßig.
Sein Planungsstab hatte erwartet, die Feste Asgard mit ihrer einsamen Position auf dem Gipfel des Berges Wotan wäre das schwierigere Ziel, doch die Militäranlage war nach kurzen Kampfhandlungen gefallen. Die Angreifer hatten sich nur mit statischen Befestigungen und Artillerie herumschlagen müssen, und die Verteidiger hatten sich auf ein paar mit Raketen bewaffnete Mechs und Fahrzeuge beschränkt. Nondi Steiner hatte nämlich dem Stolz Donegals befohlen, die Triade um jeden Preis zu halten, und die 2. Hofgarde und die Goldenen Löwen zur Verteidigung Tharkad Citys abkommandiert. Peters 20. Arkturusgarde hatte in und um die Triade weitere dreißig Prozent Verluste erlitten, und sie hätten noch schwerer ausfallen können, wären die Blue Star Irregulars nicht mit einem Bataillon schwerer Maschinen durch die Reihen gebrochen und hätten den ermattenden Angriff neu belebt. Doch auch seiner Tante war der Ausbruch gelungen, und sie hatte die letzten beiden Kompanien Verteidiger in schnellem Tempo in die Hauptstadt geführt, wo sie gehofft hatte, die Verteidigung selbst zu befehligen.
So weit sich das feststellen ließ, war ihr Empfang kälter ausgefallen als ein tharkanischer Schneesturm. Irgendeine freche Kommandeurin hatte sich geweigert, ihre Autorität anzuerkennen, und diese Linda McDonald hatte über offene Frequenz erklärt, Nondis »jeder klaren Linie entbehrende Führung« habe bei ihr die Frage aufgeworfen, »warum, zum Teufel, wir noch immer gegen unsere eigenen Landsleute kämpfen, obwohl Victor Davion Hunderte Lichtjahre weit entfernt ist.« Dan Allard hatte Peter diese seltsame Aussage übermittelt, und er hatte die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und Waffenstillstandsverhandlungen mit Generalleutnant McDonald eingeleitet. Seine Leute hatten die Mitglieder der 11. Arkturusgarde lokalisiert, deren Kapitulation entgegengenommen und sie aus der Stadt begleitet. Generalin Gray hatte den Befehl über diese Operation übernommen. Sie war froh, nicht gegen das Schwesterregiment der Weißen Bären kämpfen zu müssen, und hatte kein Interesse an einem erneuten Aufflammen der Feindseligkeiten, die nur zu weiteren Toten und noch mehr Verwüstung geführt hätten. Zuversichtlich, dass er die Lage in guten Händen zurückgelassen hatte, konnte sich Peter auf die Suche nach seiner Tante machen.
Er fand sie zwei Querstraßen weiter - beziehungsweise sie fand ihn. Er war schon an den Trümmern von zwei Gebäuden vorbei und hatte sie für die Rettungsmannschaften auf der Suche nach Verletzten markiert. Es handelte sich um die Ruinen eines Bürogebäudes und eines Kaufhauses, die hoffentlich beide menschenleer gewesen waren, als irgendein loyalistischer MechKrieger auf der Flucht vor den anrückenden Truppen Peters durch sie hindurch abgekürzt hatte. Nondi schien ein weiteres Loch in der Stadtlandschaft gefunden oder hergestellt zu haben, wo sie sicher vor einer Ortung darauf wartete, dass Peter ihr in die Falle ging. Sie steuerte den Hauptmann mit schnellem Schritt aus der Deckung, hatte die Zielerfassung aktiv und erfasste ihn mit den Geschützen, als im Cockpit ihres Neffen gerade der erste Alarm aufgellte. Aus ihrer schweren Autokanone spuckte sie lodernde Feuerzungen einer Ultra-Waffe, und glutheißes Metall hämmerte auf Torso und Arme des Fafnir. Die Lichtbögen der PPKs peitschten über seine Mechbeine und verbrannten einen weiteren Teil der Schutzabdeckung zu nutzloser Schlacke.
»Du hast uns das aufgezwungen, Peter Davion.« Nondis Stimme überlagerte mehrere gerade eintreffende Berichte, und Peter schaltete hastig auf den NotBefehlskanal, den seine Tante als Privatverbindung benutzte. »Du und Victor.«
Sie hätte ebensogut sagen können: er und Satan. So viel Hass und Verachtung legte sie in den Namen seines Bruders. Peter feuerte ein Gaussgeschütz ab, mehr eine Reflexhandlung als die Folge einer Überlegung. Diesmal traf die Kugel Nondis OmniMech am linken Bein und zertrümmerte genug Panzerung für einen leichten Panzer.
Der Hauptmann hielt sich mühelos aufrecht und feuerte mit allem, was er hatte, zurück. Die Wucht der Breitseite warf Peter in die Gurte, jedoch durch sorgfältige Bewegungen der Steuerknüppel konnte er den Fafnir auf den Beinen halten. Seine Tante hatte eine gut für den Stadtkampf geeignete Konfiguration gewählt. Die Ultra-Autokanone war auf kurze Distanz von vernichtender Schlagkraft. »So heimtückisch wie der Vater«, schrie sie ihn an. »Ihr alle beide!«
Das war ein Fehler - mitten im Feuergefecht zu reden. Irgendwo im Hinterkopf wusste Peter das. Er wusste auch, dass seine Tante genau den Fragen gefährlich nahe kam, mit denen er selbst rang, seit Morgan Kell ihn aus dem selbst gewählten Exil geholt hatte.
»Ich bin nicht mein Vater, und ich bin ganz sicher nicht mein Bruder«, flüsterte er und war sich nicht sicher, ob das Mikro es auffing. Er legte Laser und Gaussgeschütze auf den Hauptfeuerknopf und schlug seinerseits mit einer vollen Breitseite zurück. Der harte Rückstoß der schweren Gaussgeschütze schleuderte ihn mit Wucht in die Gurte, der Fafnir wurde nach hinten gegen eine Straßenlaterne geworfen, die unter dem Aufprall augenblicklich brach. Hätte eine Hauswand die überschwere Kampfmaschine nicht aufgehalten, wäre Peter mit dem Fafnir wahrscheinlich gestürzt. Das Donnern von berstendem Zement und Beton dröhnte durch die Kabine. »Und ich bin ebenso ein Steiner wie Katherine.« War er das wirklich? Falls sich Rolle und Rechte eines Menschen an seinen Taten orientierten, was hatte er tatsächlich getan, bevor er sich auf den Bürgerkrieg seines Bruders eingelassen hatte? Zugegebenermaßen hatte er versucht, weiteres Unheil zu vermeiden, doch es blieb eine Tatsache, dass er der Allianz schon einmal den Rücken gekehrt hatte.
Andererseits, was sagte das über Katherine, deren Handeln sie letztlich alle an diesen Punkt geführt hatte?
Nachdem sie ihre Position wieder verraten hatte, musste Nondi sich nicht nur mit Peters brutalem Gegenschlag auseinander setzen, sondern auch mit einem kampflustigen Cestus, der aus Peters westlicher Patrouille anrückte. Der Cestus-Pilot war möglicherweise etwas übereifrig, denn er verlor unmittelbar hinter der Straßenecke das Gleichgewicht und rutschte halb, halb stolperte er die Straße herab. Schließlich gab er den Kampf gegen die Schwerkraft auf, und legte den Mech mit weit gespreizten Armen und Beinen auf die Fahrbahn. Nondi Steiners Hauptmann stand über dem gestürzten Mech und bombardierte ihn mit tödlicher Feuerkraft. Die Kaliber-12-cm-Autokanone hämmerte durch die dünne Rückenpanzerung des Cestus, zerfetzte das Innenleben der Maschine und erzwang eine Notabschaltung, um einen katastrophalen Reaktorbruch zu verhindern.
Wieder und wieder dröhnten Peters schwere Gaussgeschütze. Er lud und feuerte, so schnell er konnte, entschlossen, seine Tante von dem wehrlosen Cestus und allen anderen Kriegern seiner Einheit abzulenken, die vielleicht noch auftauchten. Eine Überschallschnelle Kugel flog weit vorbei, schlug durch ein Gebäude hinter dem Hauptmann und hinterließ eine Mauerbresche von beeindruckendem Ausmaß. Die anderen fanden alle ihr Ziel, brachen tiefe Krater in Nondis Mechpanzerung auf und rissen den rechten Arm der Maschine so weit nach hinten, dass sein Schultergelenk blockierte.
»Du hast nichts von Katrina«, erklärte seine Tante wütend. »Ob du Victors Marionette bist oder Morgan Keils, spielt keine Rolle, Peter.« Ihr OmniMech schleuderte ihm in einem Granatenorkan Hunderte Kilogramm Munition entgegen. Ihre Partikelwerfer zeichneten blaue Linien in die Luft zwischen den überschweren Kampfkolossen, deren gleißendes Licht einen harten Kontrast zum leichten Schneetreiben bildete, das sie durchschnitten. Peter wurde auf der Pilotenliege durchgeschüttelt und fragte sich, wie lange er oder sein Mech diesem Ansturm noch standhalten konnten. Er antwortete mit einem weiteren Paar Gausskugeln, und Nondi schrie ihn an: »Du hast Krieg auf den Tharkad gebracht!«
Es war ihr Abschiedstreffer, und um nichts weniger brutal, nur weil er keine Panzerung zertrümmerte. Er traf in Peters Gedanken, kostete ihn Nerven und Selbstsicherheit. Hätte seine Tante in diesem Moment mit einer Geschützbreitseite nachgesetzt, wäre er zurückgewichen. Doch das tat sie nicht. Sie konnte es nicht mehr.
Der Hauptmann fiel nach hinten gegen eine Gebäudefront und rutschte kraftlos an der Fassade herab, in der eine breite Spur der Vernichtung zurückblieb. Er endete in sitzender Haltung, wie betrunken auf den verdrehten rechten Arm gestützt. Eine Kriegsmarionette, deren Fäden gerissen waren. Die Kugeln aus Peters schweren Gaussgeschützen hatten den Kopf des OmniMechs zertrümmert, die linke Hälfte des modellierten >Gesichts< abgerissen und das Cockpit in einen Trümmerhaufen aus Metall und Panzerglas verwandelt ... und Fleisch.
Peter hatte lange genug durchgehalten. Lange genug, um seine eigene Tante umzubringen.»Und das macht mich Katrina ähnlicher, als ich es je sein wollte«, stellte er fest, nachdem er das Helmmikrofon abgeschaltet hatte. Er stand über ihr und wusste: Nondi Steiner hätte dieses schnelle, beiläufige Ende gehasst. Vermutlich hatte sie in einem golden gleißenden Feuerball untergehen wollen, ohne einen Gedanken daran, wie ein aus der Eindämmung brechender Fusionsreaktor die Stadt verwüstet hätte. Genau das war der springende Punkt.
»Ich habe den Krieg auf den Tharkad gebracht«, gestand er im leeren Cockpit ein. »Doch hoffentlich kann ich der Allianz den Frieden bringen.«
Niemand >gewinnt< einen Krieg. Man überlebt ihn, mehr oder weniger erfolgreich.- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press. New Avalon, 3067