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VSS Melissa Davion, New-Avalon-System Gefechtsregion New Avalon, Mark Crucis, Vereinigte Sonnen

15. November 3066

Victor Steiner-Davions erste Schlacht um New Avalon fand nicht am Boden in einem Mech statt, sondern fünfhundert Kilometer außerhalb der Umlaufbahn des Planeten, als sein Kreuzer der Ara/on-Klasse, die VSS Melissa Davion, und die drei verbliebenen Korvetten der Fox-Klasse auf Katherines Raumflotte trafen. Der Doppelrumpfkreuzer schüttelte sich mit jedem durch das ganze Schiff dröhnenden Treffer. Alarme gellten durch die Zentrale und Victor malte sich aus, wie die Reparaturtrupps einander durch einsame Schiffskorridore Anweisungen und Warnungen zubrüllten. Er wusste, ab und zu wurden die Rufe der Männer und Frauen durch das Zischen der ins All entweichenden Atmosphäre zum Schweigen gebracht. Er konnte nur hoffen, dass ein hastig angebrachter Metallflicken oder der Knall eines sich schließenden Sicherheitsschotts das tödliche Vakuum in den meisten Fällen rechtzeitig aufhalten konnte.

Die Brücke der Melissa Davion entging den meisten dieser tödlichen Ablenkungen, wenn auch nicht allen. Zwei junge Maate schweißten eine Metallplatte auf die Schottwand und versiegelten das gellend pfeifende, stecknadelkopfgroße Leck, das - wenn auch nur für einen Moment - alle Besatzungsmitglieder im Raum an die eisige Gefahr erinnert hatte, die unmittelbar hinter der gepanzerten Rumpfhülle lauerte. Victors Gehör normalisierte sich, als das Lebenserhaltungssystem den Luftdruck wieder auf Normalwert hob. Er atmete tief durch und schmeckte den trockenen Ozongeruch der Kohlendioxydfilter in der aufbereiteten Luft.

»Ihr solltet besser runter in die Zentralkontrolle gehen«, stellte Vice Admiral Kristoffer Hartford fest. Dann schaute er von seiner Hologrammanzeige auf und schob ein »Hoheit« nach.

Victor war sich da nicht so sicher. Die Erste Offizierin des Schiffes hatte den Befehl über die Zentralkontrolle übernommen, von der aus alle Schadenskontrollarbeiten des Schiffes geleitet wurden. Außerdem konnte die Zentrale zur Not die Brücke ersetzen. Victor hatte sich den freien Sitzplatz geschnappt. In den 5-Punkt-Gurt geschnürt, der an den Gurtharnisch der Pilotenliege eines BattleMechs erinnerte, klammerte er sich mit neuer Kraft an die Armlehnen und ließ sich den Vorschlag durch den Kopf gehen. Brachte er tatsächlich alles in Gefahr, indem er auf der Brücke des Kreuzers blieb und sein Leben riskierte? »Ich habe mich lange genug beschützen lassen, Kris. Ich bleibe hier, bis Sie dieses Ding über New Avalon geparkt haben und unsere Invasionsstreitmacht eintrifft.«

Falls sie eintraf. Und falls Victors Kriegsschiffe die Verteidiger New Avalons besiegen konnten, um ihr den Weg freizumachen.

Neunundsiebzig Sprungschiffe warteten am Zenitsprungpunkt, eine aus allen Systemen in Victors unmittelbarer Reichweite zusammengekratzte Armada. Sie hatten in einer der größten Truppenbewegungen aller Zeiten einhundertdreiundachtzig Landungsschiffe ins System von New Avalon gebracht. Diese Transporter waren nur acht Stunden hinter Victor und holten schnell auf. Sie hofften auf einen freien Anflug auf den Planeten. Falls sie den nicht bekamen, würde die Invasion als ein Tontaubenschießen enden, bei dem Katherines vier Kriegsschiffe die mechbeladenen Landungsschiffe wie überreifes Obst zerplatzen und ihre Ladung wie zermanschtes Fruchtfleisch und Samen ins All versprühen ließen. Nur würde niemals etwas daraus wachsen. Das Einzige, das im Vakuum schockgefrorene Leichen zu erwarten hatten, war eine Feuerbestattung beim Sturz in New Avalons Atmosphäre.

Ohne die erhofften Kriegsschiffverstärkungen von Kathil konnte das auch Victors Schicksal werden. Katherine ihrerseits hatte die VSS Luden Davion und die VSS Alexander Davion im Einsatz, beides Kreuzer der Avalon-Klasse, und die Korvetten Antrim und Murmansk. Schiffslaser zuckten in kurzen Lichtblitzen durch die Leere zwischen den Kriegsschiffen, als beide Seiten in einem tödlichen Ballett nach einer günstigen Angriffsposition suchten. Raketenrohre spien ihre riesigen Mordgeschosse aus und Magnetkanonen beschleunigten massive Ladungen Metall, die lautlos durch die Nacht jagten, um mit tödlicher Wirkung ihre kinetische Energie abzugeben. Gelegentlich huschten bald mehr Luft/Raumjäger über die Monitore als Sterne zu sehen waren, auch wenn die zwei Sturmschiffeskorten der Melissa Davion sie daran hinderten, dem Doppelrumpf des Kreuzers zu nahe zu kommen.

Ungücklicherweise ließ sich dasselbe nicht über die Intrepid sagen, Victors vierte Fox-Klasse-Korvette. Die Intrepid hatte erst ihren Geleitschutz und dann den größten Teil der Avionik- und Kontrollsysteme an die geballten Angriffswellen der Luft/Raumjäger verloren. Jetzt trieb sie, um die eigene Achse rotierend, außer Kontrolle auf der anderen Seite des Planeten und taumelte langsam auf einen Absturz in dessen Lufthülle zu. Ob sie in der Atmosphäre verglühte oder in eine Umlaufbahn schwenkte, wo sie die patrouillierenden Kreuzer endgültig erledigten, ließ sich nicht vorhersagen.

»Steuermann, beidrehen«, befahl Hartford und spießte seinen Flotten-KommTech mit einem harten Blick auf. Der Techoffizier zuckte unbehaglich mit den Schultern, als spürte er den bohrenden Blick des Vice Admirals im Rücken. »Flotte, die Kentares und die Donnings zurückziehen. Die Robinson soll die Spitze übernehmen und sie bremsen.«

Victor versuchte, die Befehle Hartfords auf den Hauptschirmen zu verfolgen und sah die drei verbliebenen Fox-Korvetten sich von Katherines Kreuzern lösen. Die VSS Robinson wählte mühsam einen etwas anderen Kurs als die beiden anderen Schiffe und bog zur Oberkante des Monitors ab. Doch weder die Alexander Davion noch die Luden Davion nahmen den Köder an.

Hartford kratzte sich den grau melierten Bart und schüttelte den Kopf. »Sie spielen nicht mit.«
Beide Kreuzer blieben auf der Seite der Loyalisten und dicht bei New Avalon, gleichgültig, welche Öffnung Victors Schiffe ihnen anboten. Die Kapitäne kannten ihre Hauptaufgabe, und die bestand darin, in der Funktion einer Abwehrmauer zwischen New Avalon und der anfliegenden Invasionsstreitmacht zu bleiben. In dieser Defensivposition und mit der überlegenen Feuerkraft der beiden Kreuzer war ihre Stellung kaum zu knacken. Vice Admiral Hartford schickte Victors Flotte mehrmals gegen sie vor, erst, um die Loyalisten in die Atmosphäre hinabzudrängen, dann wiederholt, um die Gefechtsgruppe auseinander zu ziehen und damit einen der Kreuzer zu isolieren und zu zerstören.
Und jedes Mal blieben Victors Schiffe dabei erfolglos.
Hartford zog laut die Nase hoch und fletschte die Zähne in Richtung Hauptschirm. Er wirkte alles andere als erfreut. »Steuermann, einen Punkt zwischen den beiden Kreuzern anvisieren und Kurs darauf setzen. Armierung, Feuer frei, sobald sie in Reichweite kommen. Alle Salven ansagen. Jetzt wirds hart.« Bei den letzten Worten drehte er sich um und schaute wieder zu Victor. Der warf einen Blick zur geschlossenen Brückenluke. »Ich verlasse diese Brücke einen Schritt hinter Ihnen, Kris.«
»Hoheit, wenn wir sie jemals aus dem Schatten des Planeten drängen wollen, muss ich uns diesmal näher heranbringen.«
»Lassen Sie sich von mir nicht aufhalten.« »Flotte!«, brüllte Hartford und machte einem Teil der aufgestauten Frustration durch Lautstärke Luft. »Ich will die Robinson etwas voraus und hoch. Die Kentares und Donnings sollen mit großem Winkel an unsere Backbordseite ziehen, als wollten sie sich zwischen die Loyalisten und deckwärts schieben.« In Formation stießen die Kriegsschiffe wieder auf New Avalon zu. Ihre eigenen Luft/Raumjäger schwärmten voraus und bildeten einen Keil, der den loyalistischen Kordon durchbrach und sich auf Katherines Kriegsschiffe stürzte. Feindliche Jäger und eine Reihe Sturmschiffe erwiderten den Gefallen, griffen aus der Flanke an und machten sich wieder davon, wobei sie dem Kreuzer grundsätzlich einen Fox als Ziel vorzogen. Den Innenbereich einer Keilformation, in dem sich die Schussfelder aller fünf - inzwischen nur noch vier - Schiffe überlappten, hatten sie durch bittere Erfahrung meiden gelernt. Die unfassbare Feuerkraft, die dort zur Wirkung kam, sorgte dafür, dass nichts, was sich in diesen Bereich verirrte, ihn aus eigener Kraft wieder verlies. Zumindest hatten die meisten das gelernt. Ein Overlord-A3 versuchte es trotzdem und wollte sich unter die Robinson schieben. Die Salven der Kriegsschiffe ließen das Sturmschiff durchlöchert und antriebslos zurück, nur von glitzernden Eisfontänen geschüttelt, mit denen die letzten Luftreserven ins All strömten.
Die Zentralkontrolle gab in der kurzen Kampfpause einen Bericht an die Brücke durch und meldete leichte Rumpfschäden sowie den weit ernsteren Verlust beider Schiffs-Gaussgeschütze an der Steuerbordbreitseite. Hartford quittierte die Meldung mit einem kurzen Knurren, dann befahl er, Katherines Flotte auf den Hauptschirm zu bringen. Ihre beiden Avalon-Kreuzer hingen in der Mitte der Formation. Die Teilrümpfe der katamaranartigen Konstruktion ragten an Steuerbord und Backbord vor und luden die Angreifer in die Umarmung der Loyalisten ein. Die Antrim und die Murmansk begleiteten die Alexander Davion und Luden Davion in großer Entfernung. Sie hielten sich etwas voraus und waren bereit, alle Ausbruchsmanöver abzufangen, die Victors Admiral versuchen mochte.
»Es ist, als starre man in den Lauf einer Kanone«, stellte Victor leise fest.
Hartford schüttelte den Kopf. »Das ist zweidimensional gedacht, Hoheit.« Sein Tonfall lag hart am Rande der Feindseligkeit, doch Victor wusste, dass dies nicht persönlich gemeint war. Es lag einfach im Naturell des Mannes, den er sich als Flottenkommandeur ausgesucht hatte. Hartford war ein kleinwüchsiger Mann mit breitem Brustkorb. Er war Flottenoffizier in der dritten Generation und von der typischen robusten Eigenständigkeit, die Victor mittlerweile bei allen Raumfahrerveteranen erwartete. Sie schienen zum größten Teil für ihre Arbeit geboren, in einem Ausmaß, das den Prinzen beinahe davon überzeugte, die Clans seien mit ihrem Menschenzuchtprogramm auf dem richtigen Weg.
Die Melissa Davion schüttelte sich, als eine Jägerstaffel die Bauchseite attackierte. Victor sah sie auf einem Nebenschirm wie Piranhas davonschießen. »Wie sehen Sie es denn?«, fragte er.
Die Antwort ließ mehrere Sekunden lang auf sich warten, als müsse der Vice Admiral erst entscheiden, ob es der Mühe wert war. Sein Waffenoffizier gab die Zielentfernung für eines der verbliebenen S-Gaussgeschütze des Kreuzers durch und baute ein stetes Feuerschema auf. Hartford beobachtete die Salven genau. Schließlich hob er beide Hände, als halte er einen großen, unsichtbaren Ball zwischen ihnen. »Es ist eine Kugel, Hoheit. Wir befinden uns in der Mitte, und wo immer sich eine echte Bedrohung befindet ...« Er deutete erst auf den Hauptschirm, dann an einen unsichtbaren Punkt auf der Oberfläche der Kugel. »... Das legt den Radius fest.« Er bewegte die Hände in einer Geste, mit der er die Oberfläche der Kugel nachzeichnete. »Die Bedrohung breitet sich aus, bis sie die Kugel einschließt. An der Position der Bedrohung, nennen wir sie den Pol, ist die Gefahr am größten, und sobald man die Mittellinie, sozusagen den Äquator, überschreitet, verblasst sie beinahe zu Null.«

»Da draußen befinden sich vier loyalistische Kriegsschiffe«, kommentierte Victor. »Wenn die ihre Formation auflösen, haben Sie fünf sich überschneidende Kugeln unterschiedlicher Größe.«

Hartford nickte einmal knapp und endgültig. »Willkommen in meiner Welt.« Sein Blick wanderte über die Bildschirme und die Hologrammanzeige, dann rief er neue Berichte der Brückenoffiziere an.

Er nahm die meisten in Empfang, bevor die ersten Treffer die Melissa Davion erschütterten, die Spitze des Steuerbordrumpfes eindellten und klaffende Löcher an dessen Innenseite aufrissen. Auf dem Schirm drehte sich die Luden Davion für eine Breitseite zurecht. Grellblaue Lichtblitze zuckten entlang des Kreuzerrumpfes auf, als die Schiffs-Gaussgeschütze die Ladung der Kondensatoren in die Magnetspulen entluden und eine gigantische Kanonenkugel auf die Melissa Davion zu beschleunigten. Die Alexander Davion schob sich vor und schwenkte auswärts, um die beiden Korvetten an der Außenseite der Formation anzugreifen.

»Steuermann, weiter backbord schwenken. Die vorderen Steuerbordgeschütze in Schussposition drehen.«
Der Prinz schaute zu seinem Admiral hinüber. »Haben wir nicht alle schweren Waffen dahinter verloren?«
»Umso weniger Schaden kann der Gegner an der Steuerbordseite anrichten«, antwortete Hartford, ohne die Augen vom Schirm zu nehmen. »Steuermann, Hauptschub zurücknehmen. Vorbereiten auf harte Wende Steuerbord und Beschleunigung auf mein Zeichen.«
Mit der bis zu diesem Zeitpunkt aufgebauten Geschwindigkeit glitt die Melissa Davion in das ausbrechende Chaos des Gefechts. Ihre vorderen Autokanonen und Schiffslaser krachten, sobald die Luden Davion in Reichweite kam, und glichen das bis dahin sehr einseitige Schusskonto aus. Die Zentrale gab Schadensmeldungen durch wie Zeitdurchsagen: Avionik, einer der Supraleiterringe des KF-Antriebs, das Steuerbordgravdeck. Hinter jeder Meldung hörte Victor den Tod guter Crewmitglieder. Hartford schien in den Schäden bloß ausgefallene Systeme zu sehen. Als die letzte Magnetkanone der Steuerbordseite ausgefallen war, gab er dem Steuermann das Zeichen für die Wende, die sie fort von New Avalon drehen und die Flottengruppe von den Loyalistenschiffen wegschwenken würde.
»Und jetzt schwenken wir um und treten der Luden in den Arsch«, brüllte er über die Brücke.
Nur konnten zwei ihrer Korvetten diesen Schwenk nicht mehr mitmachen.
Die Alexander Davion war weiter als je zuvor aus der Loyalistenformation ausgebrochen und hielt einen Kurs, mit dem sie die Admiral Corinne Donnings und die zurückgefallene Kentares abschnitt. Ein ganzes Geschwader Luft/Raumjäger stürzte sich auf den Kreuzer und versuchte ihn abzudrängen. Das Schiff glitt durch den Schwärm Jagdmaschinen und überließ es den drei Landungsschiffen, seinem Geleitschutz, den Angriff zurückzuschlagen. Zerschossene Jäger trieben im Kielwasser der Alexander Davion. Ein paar Feuer loderten kurz an der Steuerbordseite des Kreuzers und erstickten schnell, sowie sich der sie speisende Sauerstoff ins All verflüchtigte. Der Schaden reichte nicht annähernd aus, die Jagd des Titanen auch nur zu bremsen.
Es kam zu keinem Schwenk. Der Kapitän der Alexander Davion begnügte sich mit einem geraden Vorstoß und wollte offensichtlich mit den Korvetten im Vorbeiflug Breitseiten austauschen. Der Kreuzer brachte die Steuerbordseite fünfzehn Grad tiefer, um die etwas erhöhte Position auszugleichen, die er im Anflug bezogen hatte. Auf mittlere Entfernung war die Alexander Davion einem Fox um mehr als dreihundert Prozent Feuerkraft überlegen. Vice Admiral Hartford brüllte Flotten-Komm an, die Korvetten augenblicklich auf Fluchtvektor abdrehen zu lassen.
Victor wartete, die Hände mit weiß hervortretenden Knöcheln um die Sessellehnen verkrampft, während die Korvetten ihre Ausweichmanöver zu spät einleiteten. Die VSS Admiral Corinne Donnings glitt zuerst an dem Loyalistenkreuzer vorbei, spuckte ein halbes Dutzend Barrakuda-Raumraketen aus und stieß mit Schiffslasern und -autokanonen zu. Ihre Abwehrgeschütze halfen etwas gegen die feindlichen Luft/Raumjäger, doch die Panzerung war zu dünn, um dem Bombardement durch den Kreuzer standzuhalten.
Für jeden auf sie abgefeuerten Barrakuda antwortete die Alexander Davion mit einem Schwertwal aus ihren Rohren. Schiffslaser zermürbten die Panzerung der Admiral Corinne Donnings und rissen Löcher, die der Kreuzer mit Salven glühender Granaten und den kalten, brutalen Schlägen der Gaussgeschütze füllte. Zerschlagen, besiegt und Notsignale funkend schob sich der Fox an dem überlegenen Gegner vorbei, angetrieben von einem flackernden Antriebsfeuer, das ihn auf Kollisionskurs mit dem Planeten beschleunigte. Rettungsboote und -kapseln lösten sich von dem kleineren Kriegsschiff, während die Alexander Davion ihre Aufmerksamkeit bereits auf die Kentares richtete.
Erstaunlicherweise stieß die Kentares bereits jetzt Rettungskapseln in die Schwärze des Alls aus, als hätte sie ihr drohendes Schicksal akzeptiert. Sie schwenkte ein und drehte in dem Versuch aufwärts, vor dem Bug des Kreuzers vorbeizuziehen und der vernichtenden Breitseite auszuweichen. Aber die Alexander Davion drehte sich mit der Korvette und war nicht bereit, die Beute so leicht entkommen zu lassen. Möglicherweise hinderte die Konzentration auf das taktische Manöver die Loyalisten daran, die sonstigen Vorbereitungen der Kentares zu erkennen. Wahrscheinlicher jedoch war, dass die Besatzung des Avalon es einfach nicht glauben konnte.
Einer von Vice Admiral Hartfords Offizieren reagierte auf die Warnsignale sofort und meldete das Problem, noch bevor er die Sensoranzeigen komplett überprüft hatte. »Admiral! Wir zeichnen eine sich aufbauende EM-Quelle in der Nähe! Kein ... Keine IR.« Ein elektromagnetischer Impuls kündigte die Materialisation eines Sprungschiffs an, obwohl jeder Versuch, so tief in der Schwerkraftsenke um New Avalon aus einer Transition zu kommen, blanker Selbstmord gewesen wäre. Das Fehlen einer Infrarotsignatur machte diese Erklärung aber unmöglich.
Der Ortungsoffizier überprüfte die Ortung. »Verzeichnen schwache Gravitationsstörungen ... und ein stärker werdendes EM-Feld. Sir, es ist die Kentaresl Sie springt weg!«
Kristoffer Hartford wurde bleich. Alles Blut wich ihm aus dem Gesicht. Er schlug mit der flachen Hand auf das Schloss der Sitzgurte, sprang auf und rannte zur Flotten-Kommstation. Er schaltete auf offene Verbindung. Victor konnte sich nur in die Gurte legen, den Blick auf den Hauptschirm geheftet. »Nein! Kentares, nein!«, betete er.
Natürlich musste jeder Versuch, den Kearny-FuchidaAntrieb in dieser Nähe des Planeten zu aktivieren und das System durch einen Hyperraumsprung zu verlassen, ebenso tödlich verlaufen wie eine Ankunft. Sogar noch mörderischer, denn die Gegenwart aller in der Nähe befindlichen KF-Antriebskerne wirkte als Schwerkrafttanker, verzerrte das sich aufbauende Sprungfeld und brach - im besten Fall! - den Sprung gewaltsam ab. Die Kentares hielt direkt auf die Alexander Davion zu, und es war schwer abzuschätzen, ob sich nicht auch die loyalistische Antrim oder sogar die Melissa Davion zu nahe an dem Sprungversuch aufhielten.
Vice Admiral Hardford konnte nur noch einen knappen Befehl abgeben, den Sprungversuch abzubrechen, bevor der letzte Funkspruch der Kentares durch das Rauschen drang und über die offene Verbindung aus den Brückenlautsprechern flüsterte. »Gott schütze den Prinzen.«
Die Kentares schwamm durch ein verzerrtes Energiefeld. Sterne verdunkelten sich zu kleinen, rot glühenden Kohlen. Die Korvette schimmerte, ganz ähnlich dem wellenartigen Wabern aufsteigender Hitze über dem heißem Asphalt einer Wüstenstraße. Dann verzog sie sich zu einer grotesken Parodie ihrer selbst. Das breite Heck des Schiffes blieb im Raum stehen oder verlangsamte die Bewegung zumindest auf nahezu Null, während der Bug mit einer Geschwindigkeit nach vorne schoss, die seine Umrisse verschwimmen ließ. Die breite Rumpfmitte zog sich wie Gummi, als der Rumpf zerschmolz und wie Wachs tropfte. Dann schnellte das Heck vor, als die Korvette quer über den Bug der Alexander Davion in den Sprung eintrat.
Die genauen Einzelheiten der nächsten Ereignisse konnte Victor nie ganz nachvollziehen, denn der elektromagnetische Impulsstoß der transitierenden Korvette störte die Sensoren. Wie von einer unsichtbaren Riesenhand aber riss es den KF-Antrieb der Alexander Davion durch den Rumpf des Kriegsschiffes und der Kreuzer wurde filettiert - wie ein zu groß geratener Fisch. Der blitzartig beschleunigte Antriebskern zertrümmerte die metallene Haut des Kriegsschiffes, zerschlug Geschützbuchten, Kontrollräume und den Hauptfusionsantrieb in dem Versuch, der Kentares in den Hyperraum zu folgen. Es gelang ihm nicht. Das Feld brach zusammen, die verdunkelten Sterne kehrten auf den Schirm zurück. Von der abschließenden Schwerkraftwelle getroffen, trieb die Melissa Davion hart seitwärts, als habe sie ein anderes Raumschiff mittschiffs gerammt. Victor sah etwas über den Schirm treiben, das aussah wie das Heck der Kentares oder möglicherweise ein verbogenes Trümmerstück der VSS Alexander Davion. Ein paar Luft/Raumjäger taumelten richtungslos hinterher. Dann füllte hartes, schlohweißes Licht den Schirm. Die Überreste des Avalon-KlasseKreuzers explodierten.
Von der Schockwelle der Kentares aufs Deck geschleudert, hielt Vice Admiral einen gebrochenen Arm schützend an sich gepresst. Er kümmerte sich weniger um die Vernichtung, die der Verlust seiner Korvette auf dem Schlachtfeld des Raumgefechts hinterlassen hatte, als um sein ursprüngliches Manöver. »Feuer!«, brüllte er mit schmerzverzerrter Stimme. »Vergesst die Kentares, die ist verloren. Feuert auf den verdammten Kreuzer! Die Lucien!«
Victor blinzelte sich zurück in einen Zustand halbwegs zusammenhängender Gedanken und schaute zwischen den Sichtschirmen und der Hologrammanzeige hin und her. Nicht nur die Kentares und die Alexander Davion waren aus der Gefechtsdarstellung verschwunden, die Antrim trieb steuerlos durchs All, und die Lucien Davion hatte Victors Flaggschiff in ihre Heckzone driften lassen. Jetzt eröffneten die Melissa Davion und die Robinson - Victors letzte Korvette gleichzeitig das Feuer auf den verbliebenen loyalistischen Kreuzer.
Die Zerstörungskraft der Geschütze beider Kriegsschiffe hämmerte auf die Heckdüsen der Lucien Davion ein und zertrümmerte sie mit wilder Entschlossenheit. Victor sah die kurz aufflackernden Einschläge der Raketen in der Nähe der hinteren Geschützbuchten einschlagen. Die Lucien Davion legte sich in einem Schwenk, und zwar allein mit den vorderen Manöverdüsen. Doch sie bewegte sich zu langsam. Die Melissa Davion drehte zu einer Backbordbreitseite ein, und als die Lucien Davion herumkam, zog Vice Admiral Hartford das vernichtende Geschützfeuer über die ganze Rumpflänge des gegnerischen Kreuzers. Das Bombardement schlug gnadenlos in den Gegner ein, bevor der das Feuer erwidern konnte.
Eine Schiffs-Gausskugel brach durch eine Geschützbucht der Melissa Davion und zertrümmerte die dort montierte Schiffs-Autokanone. Eine andere durchschlug dicht an der Brücke gelegene Schottwände, so dass ein harter Schlag durch den Boden fuhr, Hartford auf den gebrochenen Arm geschleudert wurde und ein frisches Leck entlang einer Schweißnaht aufriss, durch das die Luft pfeifend entwich. Der Zug der ins All schießenden Atmosphäre riss Victor an den Haaren, er fühlte den Druckunterschied auf den Ohren, aber schon nach Sekunden hatten die Schadenskontrollmaate einen Metallflicken auf das Loch gesetzt.
»Sir«, rief der Kommoffizier. »Die Lucien Davion ergibt sich. Sie ergibt sich!« Wie zur Bestätigung der Meldung beruhigte sich das Schiff, und es waren keine weiteren Einschläge zu hören oder zu spüren.
»Feuer einstellen«, befahl Hartford mit zusammengebissenen Zähnen. »Die Luden soll die Bewegung einstellen und die Triebwerke herunterfahren. Steuermann, in ihr Heck. Wenn sie auch nur eine Manöverdüse feuert, bevor wir eine Prisencrew an Bord haben, eröffnen wir das Feuer.« Er atmete mühsam ein. »Alle verfügbaren Bergungsschlepper kümmern sich sofort um die Donnings, die Intrepid und die Antrim.«
»Ich habe die Intrepid in der Leitung«, meldete sich Flotten-Komm. »Sie ist auf einer stabilen Umlaufbahn über New Avalon. Die Donnings ist verloren, Sir. Sie ist vor dreißig Sekunden in die Atmosphäre gestürzt.«
Es war unnötig, das Ergebnis zu beschreiben. Kriegsschiffe drangen nicht freiwillig in eine Lufthülle ein, und auch nicht öfter als ein einziges Mal. Die Brückencrew gedachte der toten Kameraden in einem Augenblick des Schweigens, ohne dass dieser angeordnet werden musste, während alle Besatzungsmitglieder für sie hofften, dass es schnell gegangen war. »Jemand sollte etwas sagen«, stellte der Waffenoffizier leise fest. »Für die Donnings und die Kentares.«
»Das werden wir«, versprach Victor und schnallte sich los, um Hartford zurück auf seinen Platz zu helfen. »Wenn das vorbei ist. Ich hoffe, wir werden für sie alle etwas sagen.« Er nickte dem Kommoffizier zu. »Jetzt setzen wir uns erst mit der Invasionsflotte in Verbindung. Teilen Sie ihnen mit, dass sie freien Anflug auf New Avalon haben.«
Und genau das taten sie. Die Lucien Davion ergab sich, die Murmansk floh zum Nadirsprungpunkt. Die meisten feindlichen Luft/Raumjäger und Sturmschiffe suchten Rettung auf New Avalon, und nichts stand den anfliegenden Truppentransportern mehr im Weg. Einer der Brückentechs holte den Planeten auf den Hauptsichtschirm. Unter den wachsamen Augen des Kreuzers drehte sich die obere Hälfte der Weltkugel auf den Schirm. Nur die wütenden Triebwerksflammen eines abziehenden loyalistischen Excalibur-KlasseLandungsschiffs störten das friedliche blau-grüne Bild.
»Katherine«, flüsterte Victor bei sich, so leise, dass es nicht einmal der Vice Admiral hörte. »Katherine, ich bin da.«

So viele Menschen unterstützten den Aufstieg meiner Schwester an die Macht. Ihr Intrigenspiel und die politischen Manipulationen waren ein Meisterstück. Das gebe ich zu. Was mich jedoch wirklich erstaunt hat, war, wie viele ihr so lange die Stange gehalten und nicht gesehen haben - oder nicht sehen wollten -, wie sie wirklich war. An welchem Punkt haben sie aufgehört, sich für die Wahrheit zu interessieren?

- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press. New Avalon, 3067
BattleTech 61: Finale
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