22
VSS Melissa Davion, New-Avalon-System Gefechtsregion New Avalon, Mark Crucis, Vereinigte Sonnen
15. November 3066Victor Steiner-Davions erste Schlacht um New Avalon fand nicht am Boden in einem Mech statt, sondern fünfhundert Kilometer außerhalb der Umlaufbahn des Planeten, als sein Kreuzer der Ara/on-Klasse, die VSS Melissa Davion, und die drei verbliebenen Korvetten der Fox-Klasse auf Katherines Raumflotte trafen. Der Doppelrumpfkreuzer schüttelte sich mit jedem durch das ganze Schiff dröhnenden Treffer. Alarme gellten durch die Zentrale und Victor malte sich aus, wie die Reparaturtrupps einander durch einsame Schiffskorridore Anweisungen und Warnungen zubrüllten. Er wusste, ab und zu wurden die Rufe der Männer und Frauen durch das Zischen der ins All entweichenden Atmosphäre zum Schweigen gebracht. Er konnte nur hoffen, dass ein hastig angebrachter Metallflicken oder der Knall eines sich schließenden Sicherheitsschotts das tödliche Vakuum in den meisten Fällen rechtzeitig aufhalten konnte.
Die Brücke der Melissa Davion entging den meisten dieser tödlichen Ablenkungen, wenn auch nicht allen. Zwei junge Maate schweißten eine Metallplatte auf die Schottwand und versiegelten das gellend pfeifende, stecknadelkopfgroße Leck, das - wenn auch nur für einen Moment - alle Besatzungsmitglieder im Raum an die eisige Gefahr erinnert hatte, die unmittelbar hinter der gepanzerten Rumpfhülle lauerte. Victors Gehör normalisierte sich, als das Lebenserhaltungssystem den Luftdruck wieder auf Normalwert hob. Er atmete tief durch und schmeckte den trockenen Ozongeruch der Kohlendioxydfilter in der aufbereiteten Luft.
»Ihr solltet besser runter in die Zentralkontrolle gehen«, stellte Vice Admiral Kristoffer Hartford fest. Dann schaute er von seiner Hologrammanzeige auf und schob ein »Hoheit« nach.
Victor war sich da nicht so sicher. Die Erste Offizierin des Schiffes hatte den Befehl über die Zentralkontrolle übernommen, von der aus alle Schadenskontrollarbeiten des Schiffes geleitet wurden. Außerdem konnte die Zentrale zur Not die Brücke ersetzen. Victor hatte sich den freien Sitzplatz geschnappt. In den 5-Punkt-Gurt geschnürt, der an den Gurtharnisch der Pilotenliege eines BattleMechs erinnerte, klammerte er sich mit neuer Kraft an die Armlehnen und ließ sich den Vorschlag durch den Kopf gehen. Brachte er tatsächlich alles in Gefahr, indem er auf der Brücke des Kreuzers blieb und sein Leben riskierte? »Ich habe mich lange genug beschützen lassen, Kris. Ich bleibe hier, bis Sie dieses Ding über New Avalon geparkt haben und unsere Invasionsstreitmacht eintrifft.«
Falls sie eintraf. Und falls Victors Kriegsschiffe die Verteidiger New Avalons besiegen konnten, um ihr den Weg freizumachen.
Neunundsiebzig Sprungschiffe warteten am Zenitsprungpunkt, eine aus allen Systemen in Victors unmittelbarer Reichweite zusammengekratzte Armada. Sie hatten in einer der größten Truppenbewegungen aller Zeiten einhundertdreiundachtzig Landungsschiffe ins System von New Avalon gebracht. Diese Transporter waren nur acht Stunden hinter Victor und holten schnell auf. Sie hofften auf einen freien Anflug auf den Planeten. Falls sie den nicht bekamen, würde die Invasion als ein Tontaubenschießen enden, bei dem Katherines vier Kriegsschiffe die mechbeladenen Landungsschiffe wie überreifes Obst zerplatzen und ihre Ladung wie zermanschtes Fruchtfleisch und Samen ins All versprühen ließen. Nur würde niemals etwas daraus wachsen. Das Einzige, das im Vakuum schockgefrorene Leichen zu erwarten hatten, war eine Feuerbestattung beim Sturz in New Avalons Atmosphäre.
Ohne die erhofften Kriegsschiffverstärkungen von Kathil konnte das auch Victors Schicksal werden. Katherine ihrerseits hatte die VSS Luden Davion und die VSS Alexander Davion im Einsatz, beides Kreuzer der Avalon-Klasse, und die Korvetten Antrim und Murmansk. Schiffslaser zuckten in kurzen Lichtblitzen durch die Leere zwischen den Kriegsschiffen, als beide Seiten in einem tödlichen Ballett nach einer günstigen Angriffsposition suchten. Raketenrohre spien ihre riesigen Mordgeschosse aus und Magnetkanonen beschleunigten massive Ladungen Metall, die lautlos durch die Nacht jagten, um mit tödlicher Wirkung ihre kinetische Energie abzugeben. Gelegentlich huschten bald mehr Luft/Raumjäger über die Monitore als Sterne zu sehen waren, auch wenn die zwei Sturmschiffeskorten der Melissa Davion sie daran hinderten, dem Doppelrumpf des Kreuzers zu nahe zu kommen.
Ungücklicherweise ließ sich dasselbe nicht über die Intrepid sagen, Victors vierte Fox-Klasse-Korvette. Die Intrepid hatte erst ihren Geleitschutz und dann den größten Teil der Avionik- und Kontrollsysteme an die geballten Angriffswellen der Luft/Raumjäger verloren. Jetzt trieb sie, um die eigene Achse rotierend, außer Kontrolle auf der anderen Seite des Planeten und taumelte langsam auf einen Absturz in dessen Lufthülle zu. Ob sie in der Atmosphäre verglühte oder in eine Umlaufbahn schwenkte, wo sie die patrouillierenden Kreuzer endgültig erledigten, ließ sich nicht vorhersagen.
»Steuermann, beidrehen«, befahl Hartford und spießte seinen Flotten-KommTech mit einem harten Blick auf. Der Techoffizier zuckte unbehaglich mit den Schultern, als spürte er den bohrenden Blick des Vice Admirals im Rücken. »Flotte, die Kentares und die Donnings zurückziehen. Die Robinson soll die Spitze übernehmen und sie bremsen.«
Victor versuchte, die Befehle Hartfords auf den Hauptschirmen zu verfolgen und sah die drei verbliebenen Fox-Korvetten sich von Katherines Kreuzern lösen. Die VSS Robinson wählte mühsam einen etwas anderen Kurs als die beiden anderen Schiffe und bog zur Oberkante des Monitors ab. Doch weder die Alexander Davion noch die Luden Davion nahmen den Köder an.
Hartford kratzte sich den grau melierten Bart
und schüttelte den Kopf. »Sie spielen nicht mit.«
Beide Kreuzer blieben auf der Seite der Loyalisten und dicht bei
New Avalon, gleichgültig, welche Öffnung Victors Schiffe ihnen
anboten. Die Kapitäne kannten ihre Hauptaufgabe, und die bestand
darin, in der Funktion einer Abwehrmauer zwischen New Avalon und
der anfliegenden Invasionsstreitmacht zu bleiben. In dieser
Defensivposition und mit der
überlegenen Feuerkraft der beiden Kreuzer war ihre Stellung kaum zu
knacken. Vice Admiral Hartford schickte Victors Flotte mehrmals
gegen sie vor, erst, um die Loyalisten in die Atmosphäre
hinabzudrängen, dann wiederholt, um die Gefechtsgruppe auseinander
zu ziehen und damit einen der Kreuzer zu isolieren und zu
zerstören.
Und jedes Mal blieben Victors Schiffe dabei erfolglos.
Hartford zog laut die Nase hoch und fletschte die Zähne in Richtung
Hauptschirm. Er wirkte alles andere als erfreut. »Steuermann, einen
Punkt zwischen den beiden Kreuzern anvisieren und Kurs darauf
setzen. Armierung, Feuer frei, sobald sie in Reichweite kommen.
Alle Salven ansagen. Jetzt wirds hart.« Bei den letzten Worten
drehte er sich um und schaute wieder zu Victor. Der warf einen
Blick zur geschlossenen Brückenluke. »Ich verlasse diese Brücke
einen Schritt hinter Ihnen, Kris.«
»Hoheit, wenn wir sie jemals aus dem Schatten des Planeten drängen
wollen, muss ich uns diesmal näher heranbringen.«
»Lassen Sie sich von mir nicht aufhalten.« »Flotte!«, brüllte
Hartford und machte einem Teil der aufgestauten Frustration durch
Lautstärke Luft. »Ich will die Robinson
etwas voraus und hoch. Die Kentares und
Donnings sollen mit großem Winkel an
unsere Backbordseite ziehen, als wollten sie sich zwischen die
Loyalisten und deckwärts schieben.« In Formation stießen die
Kriegsschiffe wieder auf New Avalon zu. Ihre eigenen Luft/Raumjäger
schwärmten voraus und bildeten einen Keil, der den loyalistischen
Kordon durchbrach und sich auf Katherines Kriegsschiffe stürzte.
Feindliche Jäger und eine Reihe Sturmschiffe erwiderten den
Gefallen, griffen aus der Flanke an und machten sich wieder davon,
wobei sie dem Kreuzer grundsätzlich einen Fox als Ziel vorzogen. Den Innenbereich einer
Keilformation, in dem sich die Schussfelder aller fünf - inzwischen
nur noch vier - Schiffe überlappten, hatten sie durch bittere
Erfahrung meiden gelernt. Die unfassbare Feuerkraft, die dort zur
Wirkung kam, sorgte dafür, dass nichts, was sich in diesen Bereich
verirrte, ihn aus eigener Kraft wieder verlies. Zumindest hatten
die meisten das gelernt. Ein Overlord-A3 versuchte es trotzdem und wollte sich
unter die Robinson schieben. Die Salven
der Kriegsschiffe ließen das Sturmschiff durchlöchert und
antriebslos zurück, nur von glitzernden Eisfontänen geschüttelt,
mit denen die letzten Luftreserven ins All strömten.
Die Zentralkontrolle gab in der kurzen Kampfpause einen Bericht an
die Brücke durch und meldete leichte Rumpfschäden sowie den weit
ernsteren Verlust beider Schiffs-Gaussgeschütze an der
Steuerbordbreitseite. Hartford quittierte die Meldung mit einem
kurzen Knurren, dann befahl er, Katherines Flotte auf den
Hauptschirm zu bringen. Ihre beiden Avalon-Kreuzer hingen in der Mitte der Formation.
Die Teilrümpfe der katamaranartigen Konstruktion ragten an
Steuerbord und Backbord vor und luden die Angreifer in die Umarmung
der Loyalisten ein. Die Antrim und die
Murmansk begleiteten die Alexander Davion und Luden
Davion in großer Entfernung. Sie hielten sich etwas voraus
und waren bereit, alle Ausbruchsmanöver abzufangen, die Victors
Admiral versuchen mochte.
»Es ist, als starre man in den Lauf einer Kanone«, stellte Victor
leise fest.
Hartford schüttelte den Kopf. »Das ist zweidimensional gedacht,
Hoheit.« Sein Tonfall lag hart am Rande der Feindseligkeit, doch
Victor wusste, dass dies nicht persönlich gemeint war. Es lag
einfach im Naturell des Mannes, den er sich als Flottenkommandeur
ausgesucht hatte. Hartford war ein kleinwüchsiger Mann mit breitem
Brustkorb. Er war Flottenoffizier in der dritten Generation und von
der typischen robusten Eigenständigkeit, die Victor mittlerweile
bei allen Raumfahrerveteranen erwartete. Sie schienen zum größten
Teil für ihre Arbeit geboren, in einem Ausmaß, das den Prinzen
beinahe davon überzeugte, die Clans seien mit ihrem
Menschenzuchtprogramm auf dem richtigen Weg.
Die Melissa Davion schüttelte sich, als
eine Jägerstaffel die Bauchseite attackierte. Victor sah sie auf
einem Nebenschirm wie Piranhas davonschießen. »Wie sehen Sie es
denn?«, fragte er.
Die Antwort ließ mehrere Sekunden lang auf sich warten, als müsse
der Vice Admiral erst entscheiden, ob es der Mühe wert war. Sein
Waffenoffizier gab die Zielentfernung für eines der verbliebenen
S-Gaussgeschütze des Kreuzers durch und baute ein stetes
Feuerschema auf. Hartford beobachtete die Salven genau. Schließlich
hob er beide Hände, als halte er einen großen, unsichtbaren Ball
zwischen ihnen. »Es ist eine Kugel, Hoheit. Wir befinden uns in der
Mitte, und wo immer sich eine echte
Bedrohung befindet ...« Er deutete erst auf den Hauptschirm, dann
an einen unsichtbaren Punkt auf der Oberfläche der Kugel. »... Das
legt den Radius fest.« Er bewegte die Hände in einer Geste, mit der
er die Oberfläche der Kugel nachzeichnete. »Die Bedrohung breitet
sich aus, bis sie die Kugel einschließt. An der Position der
Bedrohung, nennen wir sie den Pol, ist die Gefahr am größten, und
sobald man die Mittellinie, sozusagen den Äquator, überschreitet,
verblasst sie beinahe zu Null.«
»Da draußen befinden sich vier loyalistische Kriegsschiffe«, kommentierte Victor. »Wenn die ihre Formation auflösen, haben Sie fünf sich überschneidende Kugeln unterschiedlicher Größe.«
Hartford nickte einmal knapp und endgültig. »Willkommen in meiner Welt.« Sein Blick wanderte über die Bildschirme und die Hologrammanzeige, dann rief er neue Berichte der Brückenoffiziere an.
Er nahm die meisten in Empfang, bevor die ersten Treffer die Melissa Davion erschütterten, die Spitze des Steuerbordrumpfes eindellten und klaffende Löcher an dessen Innenseite aufrissen. Auf dem Schirm drehte sich die Luden Davion für eine Breitseite zurecht. Grellblaue Lichtblitze zuckten entlang des Kreuzerrumpfes auf, als die Schiffs-Gaussgeschütze die Ladung der Kondensatoren in die Magnetspulen entluden und eine gigantische Kanonenkugel auf die Melissa Davion zu beschleunigten. Die Alexander Davion schob sich vor und schwenkte auswärts, um die beiden Korvetten an der Außenseite der Formation anzugreifen.
»Steuermann, weiter backbord schwenken. Die
vorderen Steuerbordgeschütze in Schussposition drehen.«
Der Prinz schaute zu seinem Admiral hinüber. »Haben wir nicht alle
schweren Waffen dahinter verloren?«
»Umso weniger Schaden kann der Gegner an der Steuerbordseite
anrichten«, antwortete Hartford, ohne die Augen vom Schirm zu
nehmen. »Steuermann, Hauptschub zurücknehmen. Vorbereiten auf harte
Wende Steuerbord und Beschleunigung auf mein Zeichen.«
Mit der bis zu diesem Zeitpunkt aufgebauten Geschwindigkeit glitt
die Melissa Davion in das ausbrechende
Chaos des Gefechts. Ihre vorderen Autokanonen und Schiffslaser
krachten, sobald die Luden Davion in
Reichweite kam, und glichen das bis dahin sehr einseitige
Schusskonto aus. Die Zentrale gab Schadensmeldungen durch wie
Zeitdurchsagen: Avionik, einer der Supraleiterringe des
KF-Antriebs, das Steuerbordgravdeck. Hinter jeder Meldung hörte
Victor den Tod guter Crewmitglieder. Hartford schien in den Schäden
bloß ausgefallene Systeme zu sehen. Als die letzte Magnetkanone der
Steuerbordseite ausgefallen war, gab er dem Steuermann das Zeichen
für die Wende, die sie fort von New Avalon drehen und die
Flottengruppe von den Loyalistenschiffen wegschwenken
würde.
»Und jetzt schwenken wir um und treten der Luden in den Arsch«, brüllte er über die
Brücke.
Nur konnten zwei ihrer Korvetten diesen Schwenk nicht mehr
mitmachen.
Die Alexander Davion war weiter als je
zuvor aus der Loyalistenformation ausgebrochen und hielt einen
Kurs, mit dem sie die Admiral Corinne
Donnings und die zurückgefallene Kentares abschnitt. Ein ganzes Geschwader
Luft/Raumjäger stürzte sich auf den Kreuzer und versuchte ihn
abzudrängen. Das Schiff glitt durch den Schwärm Jagdmaschinen und
überließ es den drei Landungsschiffen, seinem Geleitschutz, den
Angriff zurückzuschlagen. Zerschossene Jäger trieben im Kielwasser
der Alexander Davion. Ein paar Feuer
loderten kurz an der Steuerbordseite des Kreuzers und erstickten
schnell, sowie sich der sie speisende Sauerstoff ins All
verflüchtigte. Der Schaden reichte nicht annähernd aus, die Jagd
des Titanen auch nur zu bremsen.
Es kam zu keinem Schwenk. Der Kapitän der Alexander Davion begnügte sich mit einem geraden
Vorstoß und wollte offensichtlich mit den Korvetten im Vorbeiflug
Breitseiten austauschen. Der Kreuzer brachte die Steuerbordseite
fünfzehn Grad tiefer, um die etwas erhöhte Position auszugleichen,
die er im Anflug bezogen hatte. Auf mittlere Entfernung war die
Alexander Davion einem Fox um mehr als dreihundert Prozent Feuerkraft
überlegen. Vice Admiral Hartford brüllte Flotten-Komm an, die
Korvetten augenblicklich auf Fluchtvektor abdrehen zu
lassen.
Victor wartete, die Hände mit weiß hervortretenden Knöcheln um die
Sessellehnen verkrampft, während die Korvetten ihre Ausweichmanöver
zu spät einleiteten. Die VSS Admiral Corinne
Donnings glitt zuerst an dem Loyalistenkreuzer vorbei,
spuckte ein halbes Dutzend Barrakuda-Raumraketen aus und stieß mit
Schiffslasern und -autokanonen zu. Ihre Abwehrgeschütze halfen
etwas gegen die feindlichen Luft/Raumjäger, doch die Panzerung war
zu dünn, um dem Bombardement durch den Kreuzer
standzuhalten.
Für jeden auf sie abgefeuerten Barrakuda antwortete die
Alexander Davion mit einem Schwertwal
aus ihren Rohren. Schiffslaser zermürbten die Panzerung der
Admiral Corinne Donnings und rissen
Löcher, die der Kreuzer mit Salven glühender Granaten und den
kalten, brutalen Schlägen der Gaussgeschütze füllte. Zerschlagen,
besiegt und Notsignale funkend schob sich der Fox an dem überlegenen Gegner vorbei, angetrieben
von einem flackernden Antriebsfeuer, das ihn auf Kollisionskurs mit
dem Planeten beschleunigte. Rettungsboote und -kapseln lösten sich
von dem kleineren Kriegsschiff, während die Alexander Davion ihre Aufmerksamkeit bereits auf
die Kentares richtete.
Erstaunlicherweise stieß die Kentares
bereits jetzt Rettungskapseln in die Schwärze des Alls aus, als
hätte sie ihr drohendes Schicksal akzeptiert. Sie schwenkte ein und
drehte in dem Versuch aufwärts, vor dem Bug des Kreuzers
vorbeizuziehen und der vernichtenden Breitseite auszuweichen. Aber
die Alexander Davion drehte sich mit
der Korvette und war nicht bereit, die Beute so leicht entkommen zu
lassen. Möglicherweise hinderte die Konzentration auf das taktische
Manöver die Loyalisten daran, die sonstigen Vorbereitungen der
Kentares zu erkennen. Wahrscheinlicher
jedoch war, dass die Besatzung des Avalon es einfach nicht glauben konnte.
Einer von Vice Admiral Hartfords Offizieren reagierte auf die
Warnsignale sofort und meldete das Problem, noch bevor er die
Sensoranzeigen komplett überprüft hatte. »Admiral! Wir zeichnen
eine sich aufbauende EM-Quelle in der Nähe! Kein ... Keine IR.« Ein
elektromagnetischer Impuls kündigte die Materialisation eines
Sprungschiffs an, obwohl jeder Versuch, so tief in der
Schwerkraftsenke um New Avalon aus einer Transition zu kommen,
blanker Selbstmord gewesen wäre. Das Fehlen einer Infrarotsignatur
machte diese Erklärung aber unmöglich.
Der Ortungsoffizier überprüfte die Ortung. »Verzeichnen schwache
Gravitationsstörungen ... und ein stärker werdendes EM-Feld. Sir,
es ist die Kentaresl Sie springt
weg!«
Kristoffer Hartford wurde bleich. Alles Blut wich ihm aus dem
Gesicht. Er schlug mit der flachen Hand auf das Schloss der
Sitzgurte, sprang auf und rannte zur Flotten-Kommstation. Er
schaltete auf offene Verbindung. Victor konnte sich nur in die
Gurte legen, den Blick auf den Hauptschirm geheftet. »Nein!
Kentares, nein!«, betete er.
Natürlich musste jeder Versuch, den Kearny-FuchidaAntrieb in dieser
Nähe des Planeten zu aktivieren und das System durch einen
Hyperraumsprung zu verlassen, ebenso tödlich verlaufen wie eine
Ankunft. Sogar noch mörderischer, denn die Gegenwart aller in der
Nähe befindlichen KF-Antriebskerne wirkte als Schwerkrafttanker,
verzerrte das sich aufbauende Sprungfeld und brach - im besten
Fall! - den Sprung gewaltsam ab. Die Kentares hielt direkt auf die Alexander Davion zu, und es war schwer
abzuschätzen, ob sich nicht auch die loyalistische Antrim oder sogar die Melissa
Davion zu nahe an dem Sprungversuch aufhielten.
Vice Admiral Hardford konnte nur noch einen knappen Befehl abgeben,
den Sprungversuch abzubrechen, bevor der letzte Funkspruch der
Kentares durch das Rauschen drang und
über die offene Verbindung aus den Brückenlautsprechern flüsterte.
»Gott schütze den Prinzen.«
Die Kentares schwamm durch ein
verzerrtes Energiefeld. Sterne verdunkelten sich zu kleinen, rot
glühenden Kohlen. Die Korvette schimmerte, ganz ähnlich dem
wellenartigen Wabern aufsteigender Hitze über dem heißem Asphalt
einer Wüstenstraße. Dann verzog sie sich zu einer grotesken Parodie
ihrer selbst. Das breite Heck des Schiffes blieb im Raum stehen
oder verlangsamte die Bewegung zumindest auf nahezu Null, während
der Bug mit einer Geschwindigkeit nach vorne schoss, die seine
Umrisse verschwimmen ließ. Die breite Rumpfmitte zog sich wie
Gummi, als der Rumpf zerschmolz und wie Wachs tropfte. Dann
schnellte das Heck vor, als die Korvette quer über den Bug der
Alexander Davion in den Sprung
eintrat.
Die genauen Einzelheiten der nächsten Ereignisse konnte Victor nie
ganz nachvollziehen, denn der elektromagnetische Impulsstoß der
transitierenden Korvette störte die Sensoren. Wie von einer
unsichtbaren Riesenhand aber riss es den KF-Antrieb der
Alexander Davion durch den Rumpf des
Kriegsschiffes und der Kreuzer wurde filettiert - wie ein zu groß
geratener Fisch. Der blitzartig beschleunigte Antriebskern
zertrümmerte die metallene Haut des Kriegsschiffes, zerschlug
Geschützbuchten, Kontrollräume und den Hauptfusionsantrieb in dem
Versuch, der Kentares in den Hyperraum
zu folgen. Es gelang ihm nicht. Das Feld brach zusammen, die
verdunkelten Sterne kehrten auf den Schirm zurück. Von der
abschließenden Schwerkraftwelle getroffen, trieb die Melissa Davion hart seitwärts, als habe sie ein
anderes Raumschiff mittschiffs gerammt. Victor sah etwas über den
Schirm treiben, das aussah wie das Heck der Kentares oder möglicherweise ein verbogenes
Trümmerstück der VSS Alexander Davion.
Ein paar Luft/Raumjäger taumelten richtungslos hinterher. Dann
füllte hartes, schlohweißes Licht den Schirm. Die Überreste des
Avalon-KlasseKreuzers
explodierten.
Von der Schockwelle der Kentares aufs
Deck geschleudert, hielt Vice Admiral einen gebrochenen Arm
schützend an sich gepresst. Er kümmerte sich weniger um die
Vernichtung, die der Verlust seiner Korvette auf dem Schlachtfeld
des Raumgefechts hinterlassen hatte, als um sein ursprüngliches
Manöver. »Feuer!«, brüllte er mit schmerzverzerrter Stimme.
»Vergesst die Kentares, die ist
verloren. Feuert auf den verdammten Kreuzer! Die Lucien!«
Victor blinzelte sich zurück in einen Zustand halbwegs
zusammenhängender Gedanken und schaute zwischen den Sichtschirmen
und der Hologrammanzeige hin und her. Nicht nur die Kentares und die Alexander
Davion waren aus der Gefechtsdarstellung verschwunden, die
Antrim trieb steuerlos durchs All, und
die Lucien Davion hatte Victors
Flaggschiff in ihre Heckzone driften lassen. Jetzt eröffneten die
Melissa Davion und die Robinson - Victors letzte Korvette gleichzeitig das
Feuer auf den verbliebenen loyalistischen Kreuzer.
Die Zerstörungskraft der Geschütze beider Kriegsschiffe hämmerte
auf die Heckdüsen der Lucien Davion ein
und zertrümmerte sie mit wilder Entschlossenheit. Victor sah die
kurz aufflackernden Einschläge der Raketen in der Nähe der hinteren
Geschützbuchten einschlagen. Die Lucien
Davion legte sich in einem Schwenk, und zwar allein mit den
vorderen Manöverdüsen. Doch sie bewegte sich zu langsam. Die
Melissa Davion drehte zu einer
Backbordbreitseite ein, und als die Lucien
Davion herumkam, zog Vice Admiral Hartford das vernichtende
Geschützfeuer über die ganze Rumpflänge des gegnerischen Kreuzers.
Das Bombardement schlug gnadenlos in den Gegner ein, bevor der das
Feuer erwidern konnte.
Eine Schiffs-Gausskugel brach durch eine Geschützbucht der
Melissa Davion und zertrümmerte die
dort montierte Schiffs-Autokanone. Eine andere durchschlug dicht an
der Brücke gelegene Schottwände, so dass ein harter Schlag durch
den Boden fuhr, Hartford auf den gebrochenen Arm geschleudert wurde
und ein frisches Leck entlang einer Schweißnaht aufriss, durch das
die Luft pfeifend entwich. Der Zug der ins All schießenden
Atmosphäre riss Victor an den Haaren, er fühlte den
Druckunterschied auf den Ohren, aber schon nach Sekunden hatten die
Schadenskontrollmaate einen Metallflicken auf das Loch
gesetzt.
»Sir«, rief der Kommoffizier. »Die Lucien
Davion ergibt sich. Sie ergibt sich!« Wie zur Bestätigung
der Meldung beruhigte sich das Schiff, und es waren keine weiteren
Einschläge zu hören oder zu spüren.
»Feuer einstellen«, befahl Hartford mit zusammengebissenen Zähnen.
»Die Luden soll die Bewegung einstellen
und die Triebwerke herunterfahren. Steuermann, in ihr Heck. Wenn
sie auch nur eine Manöverdüse feuert, bevor wir eine Prisencrew an
Bord haben, eröffnen wir das Feuer.« Er atmete mühsam ein. »Alle
verfügbaren Bergungsschlepper kümmern sich sofort um die
Donnings, die Intrepid und die Antrim.«
»Ich habe die Intrepid in der Leitung«,
meldete sich Flotten-Komm. »Sie ist auf einer stabilen Umlaufbahn
über New Avalon. Die Donnings ist
verloren, Sir. Sie ist vor dreißig Sekunden in die Atmosphäre
gestürzt.«
Es war unnötig, das Ergebnis zu beschreiben. Kriegsschiffe drangen
nicht freiwillig in eine Lufthülle ein, und auch nicht öfter als
ein einziges Mal. Die Brückencrew gedachte der toten Kameraden in
einem Augenblick des Schweigens, ohne dass dieser angeordnet werden
musste, während alle Besatzungsmitglieder für sie hofften, dass es
schnell gegangen war. »Jemand sollte etwas sagen«, stellte der
Waffenoffizier leise fest. »Für die Donnings und die Kentares.«
»Das werden wir«, versprach Victor und schnallte sich los, um
Hartford zurück auf seinen Platz zu helfen. »Wenn das vorbei ist.
Ich hoffe, wir werden für sie alle etwas sagen.« Er nickte dem
Kommoffizier zu. »Jetzt setzen wir uns erst mit der Invasionsflotte
in Verbindung. Teilen Sie ihnen mit, dass sie freien Anflug auf New
Avalon haben.«
Und genau das taten sie. Die Lucien
Davion ergab sich, die Murmansk
floh zum Nadirsprungpunkt. Die meisten feindlichen Luft/Raumjäger
und Sturmschiffe suchten Rettung auf New Avalon, und nichts stand
den anfliegenden Truppentransportern mehr im Weg. Einer der
Brückentechs holte den Planeten auf den Hauptsichtschirm. Unter den
wachsamen Augen des Kreuzers drehte sich die obere Hälfte der
Weltkugel auf den Schirm. Nur die wütenden Triebwerksflammen eines
abziehenden loyalistischen Excalibur-KlasseLandungsschiffs störten das
friedliche blau-grüne Bild.
»Katherine«, flüsterte Victor bei sich, so leise, dass es nicht
einmal der Vice Admiral hörte. »Katherine, ich bin da.«
So viele Menschen unterstützten den Aufstieg meiner Schwester an die Macht. Ihr Intrigenspiel und die politischen Manipulationen waren ein Meisterstück. Das gebe ich zu. Was mich jedoch wirklich erstaunt hat, war, wie viele ihr so lange die Stange gehalten und nicht gesehen haben - oder nicht sehen wollten -, wie sie wirklich war. An welchem Punkt haben sie aufgehört, sich für die Wahrheit zu interessieren?
- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press. New Avalon, 3067