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Prinzenpalais, Avalon City, New
Avalon
Gefechtsregion New Avalon, Mark Crucis, Vereinigte Sonnen
Katrina empfing ihren Geheimdienstoffizier im Büro der Ersten Prinzessin. Sie ließ ihn vor dem Schreibtisch warten, während sie die Berichte über die finanziellen Kosten des Bürgerkriegs las. Im offenen Kamin loderten Gasflammen über Holzscheiten aus Keramik und sorgten für Wärme. Draußen wehte stürmischer Wind, trieb prasselnd den Schneeregen gegen das Panzerglasfenster, eine Erinnerung, dass der Winter mit der Südhalbkugel New Avalons noch nicht fertig war. Dieses Jahr ließ der Frühling auf sich warten. Für Katrina konnte er nicht früh genug kommen.
Sie hakte die gelesenen Dateien mit einem Griffel auf dem Compblock ab. »Die Kämpfe auf Tikonov allein haben mehr als zwei Milliarden Kronen direkte Schäden und Produktionsausfall verursacht«, stellte sie laut fest, weil sie die Zahl selbst kaum glauben konnte.
Die Bemerkung war nicht als Gesprächseröffnung beabsichtigt, Richard Dehaver fasste sie aber so auf. »Das ist sicher nicht der schlimmste Schaden.«
Sie fand den schlimmsten Eintrag und schüttelte den Kopf. »Es wird kaum gelingen, Kathil zu überbieten. Bis jetzt drei Regimenter und eine komplette RKG vernichtet. Produktionsausfälle in den Mechfabriken. Zivile Verluste.« Sie stieß mit dem Griffel auf den Sensorschirm und löschte einen Eintrag. »Und ein Kreuzer der Avalon-Klasse zerstört. Ein Kriegsschiff!« Die Robert Davion war nicht das einzige Kriegsschiff, das bei den Kämpfen zerstört worden war, bisher aber das neueste und teuerste.
Katrina lehnte sich zurück und rieb sich für einen Augenblick mit den Handballen die Schläfen. Dann gab sie es als vergebene Liebesmüh auf, ließ die Hände zurück auf den Schreibtisch sinken und spielte nachdenklich mit dem goldenem Armband am rechten Handgelenk. »Haben Sie Nachrichten von New Syrtis?«, fragte sie schließlich und blickte zu dem Geheimdienstmann auf.
Richard Dehaver stand in entspannter Haltung vor ihr. Der Freizeitanzug lag maßgeschneidert um die breiten Schultern. Rote Haare und eine von Sommersprossen überzogene Nase verliehen seinem Gesicht ein jungenhaftes Aussehen, solange man ihm nicht in die Augen schaute. Sie waren von einem schmutzigen Grün, leer und leblos, als blicke man in einen Tümpel ohne Grund. Es waren Augen, die in den Jahren beim Geheimdienst viel gesehen hatten und zahllose Geheimnisse verbargen. »Ich habe Neuigkeiten über New Syrtis«, antwortete Dehaver vorsichtig. »Aber ich wollte es Simon Gallagher überlassen, Euch darüber zu informieren.«
Was bedeutete, dass die Neuigkeiten Katrina nicht gefallen würden, ganz gleich, von wem sie sie hörte. »Wie schlimm?«, fragte sie.
»Die Kämpfe auf New Syrtis sind heftig, aber George Hasek ist im Vorteil. Gallaghers Plan, die Vanguard Legion auf unsere Seite zu ziehen, hat sich als zu optimistisch herausgestellt. Sie ... haben sich geweigert.«
Offenbar mit deutlichen Worten. Sie schob die Wut und den verletzten Stolz beiseite. Die Söldner waren für das große Bild ohne Belang. »Noch etwas?«
Dehaver nickte. »Euer Agent der Tollwütigen Füchse ist gescheitert. Als er ins Büro des Dukes stürmte, traf er auf eine zu starke, bewaffnete Gegenwehr.«
Katrina zog warnend eine Augenbraue hoch. Sie hatte Dehaver nichts von dem Befehl an die Tollwütigen Füchse erzählt. Sie hatte gehofft, George Hasek schnell und leise aus dem Weg zu räumen. Doch Dehaver hatte ein besonderes Talent, Dinge in Erfahrung zu bringen, von denen sie nicht wollte, dass er davon erfuhr. Hätte er es nur geschafft, Victor auf Murphrid ausfindig zu machen, bevor ihr Bruder aus dem Versteck gekommen war und den Planeten freiwillig verlassen hatte. Dann hätten sie ein Gesprächsthema gehabt. »Für jemanden, der aus anderem Grund hier ist, sind Sie bemerkenswert gut informiert.«
Dehavers Miene blieb ausdruckslos. »Alles Teil
meiner Arbeit, Hoheit.«
Sie lehnte sich vor, die Hände auf dem Schreibtisch verschränkt.
»Weshalb sind Sie hier, Richard?«
»Reg Starling.«
Katrina starrte ihn an. Dehaver war einer der ganz wenigen
Menschen, die wussten, dass Reg Starling eine Deckidentität war,
die Sven Newmark angenommen hatte, ein alter Geschäftspartner, der
auch auf der Gehaltsliste ihres Vetters Ryan Steiner gestanden
hatte. Victor hatte Ryans Tod angeordnet, nachdem er von dessen
Verwicklung in den Tod ihrer Mutter erfahren hatte. Falls es aber
irgendwelche greifbaren Beweise für den Kontrakt gegen sie gab,
waren die zusammen mit Newmark verschwunden. Sven Newmark hatte
sich später als Reg Starling ein neues Leben aufgebaut und als
einer der umstrittensten Maler der Lyranischen Allianz Bekanntheit
erlangt. All das war natürlich geschehen, bevor Katrina auf den
Thron gestiegen war, und sie hatte sich nicht weiter um Newmark
alias Starling gekümmert. Erst recht nicht, nachdem ein Bericht auf
ihrem Schreibtisch gelandet war, demzufolge Starling wegen
subversiver Aktionen meutralisiert< worden war.
Bis zu seiner Auferstehung.
Im Mai des vergangenen Jahres hatte Dehaver ihr mitgeteilt, der
Künstler habe eine neue, regelmäßig erweiterte Serie von Gemälden
vorgestellt. Die Serie trug den Titel >Blutprinzessin< und
stellte Katrina selbst als Objekt einiger kontroverser
Kompositionen dar. Was eine höfliche Umschreibung dafür war, dass
Starling sie als blutgierige Tyrannin porträtierte. Dann hatte er
vor sechs Monaten eine Kopie des letzten Bildes der Serie ins
Palais geschickt. An der Leinwand war ein Erpresserbrief befestigt,
in dem er zehn Million Kronen für sein Schweigen und fortgesetztes
Verschwinden verlangt hatte. Katrina hatte das Bild in ihrem Büro
unter Verschluss. Sie brauchte es sich nicht anzusehen. Es hatte
sich ihr in allen Einzelheiten ins Gedächtnis gebrannt.
Das Bild zeigte sie als verhärmte Vettel, die versuchte, zwei
überladene Kronen gleichzeitig zu tragen, und mit schwarzen
Stummeln an Stelle ihrer perfekten weißen Zähne. Mit einer
Krallenhand presste sie Blut aus einer sterbenden Welt, mit der
anderen führte sie die Fäden einer Marionette. Die Marionette
konnte nur Reg Starling selbst darstellen, der einen Spatel voller
roter Farbe hielt und mit einem Messer an den Fäden sägte, die ihn
an seine böse Herrin fesselten. Und er wurde nicht aus einer
Schachtel gezogen, sondern aus einem Sarg, der neben einem offenen
Grab stand. Der Grabstein im Hintergrund war ein Fleck leere
Leinwand, auf dem mit grauer Tinte sehr sorgfältig >Sven
Newmark, 12. März '36 bis ???< stand.
Katrina zwang sich, betont gelassen zu antworten. »Sie haben mir
vor einiger Zeit erklärt, sicher zu sein, dass Starling noch lebe.
Darf ich daraus, dass Sie ihn jetzt wieder ansprechen, schließen,
dass Sie sich entweder geirrt haben oder sich Reg Starling in
Gewahrsam befindet?«
»Weder noch, Hoheit. Allerdings nicht aus mangelndem Bemühen. Ihr
werdet Euch erinnern, dass der Mann, wenn er nicht gefunden werden
will, ein besonderes Talent dafür hat, zu verschwinden.«
»Warum sollte ich mich an irgendetwas bezüglich Starling oder
Newmark erinnern?«, fragte Katrina wütend. »Ich würde es vorziehen,
seine Existenz vollständig zu vergessen. Und was haben Sie getan, um mir dabei zu helfen?«
Dehaver blieb unbeeindruckt. »Ich habe die Umstände des Attentats
auf Eure Mutter untersucht«, erklärte er locker.
Katrina musterte ihn kalt. »Aus welchem Anlass, Richard?«
»Falls Reg Starling Sven Newmark ist,
war er mit Sicherheit beteiligt. Jetzt versucht er, Euch zu
belasten. Es wäre nützlich zu wissen, welche Indizien eine solche
Behauptung stützen, falls es denn welche gibt.«
Katrina nahm zur Kenntnis, dass Dehaver nach Indizien suchte, nicht
nach der Wahrheit. »Und?«, fragte sie ruhig. »Was haben Sie
gefunden?«
»Ich habe einen betrügerischen Landverkauf gefunden, der jemandem -
ungefähr zum Zeitpunkt von Melissa Steiners Tod - zwanzig Millionen
Kronen verschafft hat.«
Katrina blieb die Luft weg. »Sie haben ... was?« »Im Todesjahr
Eurer Mutter hat das Vereinigte Commonwealth einem Konzern zwanzig
Million Kronen Steuern erlassen. Das entspricht der Summe, die Reg
Starling als Preis für den Attentäter angibt. Die Einzelheiten des
Steuernachlasses sind aktenkundig. Der betreffende Konzern kaufte
für zwanzig Millionen Kronen von > unbekannter Hand< so gut
wie wertloses Sumpfland, das er anschließend für den Aufbau eines
Naturschutzgebietes dem Commonwealth stiftete. Der volle Betrag
konnte steuerlich geltend gemacht werden.«
Katrina nickte. »Das ist eine ausgezeichnete Argumentation gegen
den betreffenden Konzern, Richard,
- aber nicht gegen mich.«
»Nur wurde dessen Direktor später auf Eure Empfehlung in den
Adelsstand erhoben und mit einem Landgut bedacht. Das könnte man
als Gegenleistung für erwiesene Gefälligkeiten auslegen.«
Katrina erinnerte sich. Sie winkte ab. »Das war eine
Öffentlichkeitsmaßnahme.«
»Es ist verdächtig, Hoheit.«
»Aber es ist kein Beweis. Nicht, solange keine Verbindung der
>unbekannten Hand< zum Attentat auf meine Mutter nachgewiesen
ist.«
»Diese Unterlagen sind verloren gegangen, Hoheit. Sehr gezielt und
sorgfältig verloren gegangen.«
»Sie machen sich Sorgen, Reg Starling könnte diese Unterlagen
besitzen, und sie könnten Ihre Theorie stützen? Was auch immer Reg
Starling in seinem Besitz hat, ich bin sicher, es ist gefälscht.
Und falls es jemals ans Tageslicht
kommt, werden wir das beweisen.«
»Natürlich, Hoheit.« Dehaver wartete und beobachtete Katrina genau.
Er wartete auf Anweisungen.
Stattdessen stellte sie ihm eine Frage. »Welche Fortschritte haben
Sie bei der Suche nach Reg Starling gemacht?«
»Er befindet sich auf New Avalon. Das wissen wir
von dem Künstler, den er die Kopie seiner letzten Arbeit anfertigen
ließ.«
»Das vermuten wir schon seit April. Vielleicht war
es eine falsche Spur, um uns zu täuschen.«
»Nein«, stritt Dehaver schnell ab. »Ich vermute, wir
sollen wissen, dass er hier ist. Und uns beobachtet.« Er
machte eine Pause. »Es ist so lange her, seit er sich mit
uns in Verbindung gesetzt hat, dass ich mich allmählich frage, ob
die Erpressung nicht nur als Tarnung für
ein tödlicheres Vorhaben dienen soll. Ich verschärfe
Eure Sicherheitsmaßnahmen, Hoheit. Keine Öffentlichkeitsauftritte
mehr bis zu seiner Festnahme.« Katrina unterdrückte die Wut und
fragte sich, wie
weit sie diesem Erpresser entgegenkommen sollte, der
behauptete, handfeste Beweise gegen sie
zu besitzen.
Möglicherweise hatte er tatsächlich etwas konstruiert,
das einer oberflächlichen Überprüfung standhielt. Sven
Newmark besaß verborgene Talente. »Starling könnte
etwas haben, das nützlich für uns sein mag. So gefährlich und
fehlgeleitet er auch ist, ich darf die Möglichkeit nicht übersehen,
dass er in der Lage sein könnte,
neues Licht auf das Attentat an meiner Mutter zu werfen.« Sie traf
eine Entscheidung: »Besorgen Sie das
Geld, Richard. Wenn es sein muss, werden wir ihn
damit aus dem Versteck locken. Holen wir ihn ans
Licht. Wir wollen sehen, was er zu wissen glaubt.«
Auf der anderen Seite des Planeten schlenderte Francesca Jenkins mit ihrem schweigsamen Begleiter durch die Provost-Galerie und täuschte Interesse an den Arbeiten neoklassizistischer Maler vor. Sie hatten eine ganze Stunde gewartet, ohne irgendetwas von Bedeutung zu besprechen, um ganz sicherzugehen, dass ihnen niemand gefolgt war. Seit dem Tag, an dem sie auf New Avalon eingetroffen waren, hatten sie sich mehr oder weniger an diesen Ablauf gehalten. Gelegentlich fragte sich Francesca, ob sie je wieder in ein halbwegs normales Leben zurückfinden konnte, in dem sie sich nicht bei jedem interessierten Blick eines Mannes unwillkürlich fragen musste, ob er in der nächsten Sekunde eine Waffe zog und versuchte sie umzubringen.
»Ich mache mir Sorgen«, stellte sie schließlich fest und schmiegte sich in die Arme von Agent Curaitis, während sie vorgaben, eine verzerrte Darstellung von Sun-Tzu Liaos Palast des Himmels zu bewundern. Curaitis, zwanzig Zentimeter größer als sie, hatte das Kinn auf ihren Kopf gelegt und bot das Bilderbuchbeispiel eines liebenden Freundes, Ehemanns oder Geliebten, während er sich umschaute. Nur das Fehlen echter Wärme in den Armen, die unbehagliche Art, mit der er sie hielt, ließ erkennen, dass nichts weiter zwischen ihnen war als ein paar Jahre sexueller Spannung durch ständige körperliche Nähe und mehr als einen gemeinsamen Adrenalinstoß.
»Es funktioniert«, versprach er.»Sie haben das auch noch nicht öfter gemacht
als ich«, erinnerte sie ihn.
Um genau zu sein, hatten die beiden sich erst bei diesem Auftrag
kennen gelernt und waren ein Team geworden. Beide arbeiteten für
Victor Steiner-Davion daran, Beweise gegen seine Schwester zu
sammeln. Francesca war auf Reg Starling angesetzt gewesen und hatte
versucht, ihm seine Geheimnisse zu entlocken. Er hatte sie ihr auch
verraten, allerdings erst nach seinem Tod durch Katherines Agenten.
Das Päckchen, das Starling ihr hinterlassen hatte, hatte Victor die
ersten handfesten Beweise gegen Katherine geliefert. Falls es ihnen
gelang, deren Herkunft zu bestätigen. Sie mussten nachweisen, woher
die Dokumente stammten, und Newmark alias Starling reichte dafür
nicht. Jedenfalls nicht allein.
Reg Starling auferstehen zu lassen, war eine schwierige Aufgabe
gewesen, doch mit der Hilfe eines Meisterfälschers und Curaitis'
Trickkiste hatten sie es geschafft. Zwei Jahre hatten sie das Spiel
gespielt, immer ängstlich darauf bedacht, nicht durch zu hastiges
Vorgehen Verdacht zu erwecken. Jetzt endlich verstärkten sie mit
dem Erpressungsversuch bewusst Katherines Verfolgungswahn. Je mehr
direkte Beweise sie für ihre Versuche sammeln konnten, Starlings
Beweise zu unterdrücken, oder noch besser, ihn auszuzahlen, desto
schwerer wogen ihre Indizien gegen sie. Mit etwas Glück würde
Katherine durch ihr Verhalten selbst die gegen sie gesammelten
Beweise bestätigen.
Francesca zog Curaitis zum nächsten Bild weiter. »Wir haben vorher
nie Zeichnungen veröffentlicht. Das passt nicht. Reg hat seine
Studien immer zerstört.«
»Symons hat letztes Jahr auf Upano ein paar verkauft. Das ist unser
Präzendenzfall.«
»Aber kein besonders guter.« Bei dieser Erinnerung verzog sie das
Gesicht. Valerie Symons war der Fälscher, den sie für die
>Blutprinzessin<-Serie bezahlt hatten. Momentan machte er
unter der Aufsicht Heimdalls >Urlaub<. »Seine Habgier hätte
alles zerstören können.«
»Und Sie können sicher sein, dass Katherines Leuten nicht entgangen
ist, wie ungewöhnlich das war.« Curaitis drückte ihre Hand und
spendete ihr damit begrenzten Trost. »Indem wir es wiederholen,
gelingt uns zweierlei. Erstens zeigen wir ihnen, dass das erste Mal
kein Fehler war, sondern bewusstes Handeln mit dem Ziel, der
>Blutprinzessin<-Serie zusätzliche Aufmerksamkeit zu
verschaffen. Erfolgreich.«
»Dem Himmel sei Dank, dass der große
Valerius gute Arbeit leistet«, bestätigte sie.
»Zweitens erhöht es hier und jetzt den Druck auf Katherine. Sobald
die Möglichkeit einer Verbindung zwischen ihr, Starling und Newmark
bekannt wird, werden Skandalvids und Gerüchteküche den Rest
übernehmen.«
Francesca blieb vor dem nächsten Ausstellungsstück stehen, einem
neuen Bild von S. Lewis, und nutzte die Gelegenheit, zu Curaitis
hochzuschauen. Seine dunklen Augen fixierten das Bild, ein
abstoßend hässlich verzerrtes Sprungschiff vor einem nicht minder
verzogenen Weltraum. Er blickte nicht einmal zu ihr herab. »Wann
machen wir unseren letzten Zug, wenn wir das jetzt durchziehen?«,
fragte sie.
»In sechs Monaten«, antwortete er. »Vielleicht später. Katherines
Agenten geben das Tempo vor.«
Francesca schnitt bei dem Gedanken an die gnadenlos verrinnende
Zeit eine angewiderte Grimasse. Ein anderer Besucher der Galerie
schaute herüber und nickte zustimmend. Das Bild war abscheulich schlecht. Sie gingen weiter zu dem
Bild, das sie beide an der Galeriewand hängen sehen wollten: eine
Kopie von Reg Starlings >Blutprinzessin VII<. Das letzte Bild
hatte bei Francesca beinahe einen Brechreiz ausgelöst, dieses
drohte den Betrachter jedoch in den Wahnsinn zu treiben. Es zeigte
eine verzerrte Karikatur Katherines, die sich die eigenen Augen aus
den Höhlen krallte und zerquetschte, um mit dem Blut einen
Blumentopf zu gießen. Die Blumen waren Mycosia Pseudoflora, Melissa
Steiner-Davions Lieblingsblumen, in denen die Bombe versteckt
gewesen war, die sie zerrissen hatte. Es half Francesca, ihre
Entschlossenheit zu festigen, wenn sie das Ziel all der Mühen ab
und zu zumindest bildlich vor Augen sah und sich daran erinnerte,
dass es den hohen Einsatz wert war.
»Es wird wohl so sein«, stellte sie leise fest und legte den Kopf
zurück an Curaitis' Brust - wie eine liebende Frau. »Wenn es
wenigstens eine gewisse Aufmerksamkeit erregt, erschwert es ihnen
zu behaupten, nichts von der Situation oder ihrer Tragweite gewusst
zu haben.«
»Potentielles juristisches Gewicht«, stellte Curaitis fest, und für
einen flüchtigen Moment suchte sein Blick den ihren. Verunsichert
schaute er wieder fort. »Das ist ein dritter Grund. Tun wir
es?«
Sie taten nichts, ohne sich vorher zu einigen - einer der Gründe
für den Erfolg ihrer Partnerschaft. Sie nickte, ohne sich von ihm
zu lösen. »Wir tun es. Starten wir den Countdown. Wir wollen
hoffen, dass das nächste Jahr auch das letzte von Katherines
Herrschaft wird.«
Ganz gleich, was der Volksmund sagt, Loyalität lässt sich weder gewinnen noch verlieren. Man bekommt genau das zurück, was man einsetzt. Und wenn sie unsere menschlichen Schwächen gelegentlich übersieht - nun, häufig sind das die Momente, wenn sie besonders gebraucht wird.
- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press. New Avalon, 3067