12

Prinzenpalais, Avalon City, New Avalon
Gefechtsregion New Avalon, Mark Crucis,
Vereinigte Sonnen

19. April 3066

Die Hologrammuhr zeigte bei Katrina Steiner-Davions Eintreffen in der Kommzentrale des Palais' 22:10. Die roten Leuchtziffern hingen in der Mitte des Raumes in der Luft, wo sie von allen Stationen aus zu sehen waren. Es war mehr als eine einfache Uhr, es war die offizielle Zeitangabe, die an jede ausgehende und eintreffende Nachricht angehängt wurde. Sie wurde vier Mal pro Minute mit der planetaren Zeit New Avalons abgeglichen und ging auf eine Zehntausendstel Sekunde genau. ComStar war so pedantisch, dass diese Genauigkeit der Ausrüstung nur ein Teil der Bedingungen war, die der Orden gestellt hatte, bevor er die Erlaubnis erteilt hatte, vom Palais aus den lokalen Hyperpulsgenerator fernzusteuern.

Ein ComStar-Präzentor arbeitete mit Katrinas zwei Dienst habenden KommTech-Offizieren am Aufbau der Echtzeitverbindung. Er unterbrach seine Tätigkeit gerade lange genug, um sich respektvoll vor der Archon-Prinzessin zu verbeugen und sie über den Status der Arbeit zu unterrichten.

»Wir sind fast so weit, Hoheit. Die HPG-Zentren auf Freedom wurden wegen der nahen Kampfhandlungen fixiert. Die Schüsseln müssten aber gleich fertig justiert sein.«

Katrina nickte knapp. Eine Erinnerung an die Kämpfe in der Provinz Skye war nicht geeignet, ihre Stimmung zu verbessern, und für die bevorstehende Unterredung brauchte sie einen klaren Kopf. Sie fragte sich kurz, ob vielleicht Gavin Dow diese Erinnerung arrangiert hatte, um ihre Konzentration zu stören, befand das aber für unwahrscheinlich. Freedom war der Planet, auf dem ComStar einen Ableger nach Tukayyid angebaut hatte, und zwar an die HPG-Befehlsstrecke zwischen Tharkad und New Avalon, die sie finanziert hatte. Sie tat es als Zufall ohne machtpolitischen Hintergrund ab.

Jedoch ein sehr entgegenkommender Zufall, erinnerte sie sich. Es war unklug, Gavin Dow oder ComStar für ihr Handeln allzu schnell selbstlose Motive zuzugestehen. Kurz nachdem sie Yvonnes Thron angenommen hatte, hatte Katrina sich dem logistischen Albtraum gegenübergesehen, zwei Sternenreiche von einer Hauptstadt aus lenken zu müssen. Ihre Lösung hatte darin bestanden, Milliarden Kronen zu investieren, um diese Befehlsstrecke mit ComStars Hilfe aufzubauen. Hyperpulsgeneratoren überbrückten den Abgrund von Raum und Zeit und gestatteten die Übetragung von Nachrichten zwischen bis zu fünfzig Lichtjahren entfernten Welten ohne messbaren Zeitverlust. Natürlich brauchten beide Welten dazu eine HPG-Station als Sender beziehungsweise Empfänger, und zu diesem Zweck müssten die Anlagen ihre riesigen Antennenschüsseln entsprechend justieren. Um die empfangene Nachricht dann über das nächste Stück einer Strecke zu versenden, richtete die Station die Antenne neu aus, um die aufgelaufenen Daten an den nächsten Empfänger weiterzureichen. Dieses Stafettensystem konnte selbst für Nachrichten höchster Priorität eine Laufzeit von mehreren Tagen erzwingen, da eine Übertragung nur möglich war, wenn die beiden Schüsseln der kommunizierenden Station aufeinander ausgerichtet werden konnten. Durch die Tatsache, dass beide Planeten sich sowohl um ihre Sonne als auch um die eigene Achse drehten, war das keineswegs immer möglich. Durch den Bau zweiter HPG-Stationen auf ausgewählten Welten zwischen New Avalon und Tharkad bestanden jedoch inzwischen die Voraussetzungen, eine Echtzeitverbindung zwischen den beiden Zentralwelten aufzubauen, deren Verzögerung sich auf Millisekunden beschränkte - die Zeit, die nötig war, um das Signal vor Ort von der Empfangs- zur Sendestation zu übermitteln.

»Verbindung steht«, erklärte ein Offizier. »Signalstärke gut. Verschlüsselung aktiv. Bild und Ton stehen auf Alphaband.« Er betätigte einen Schalter, und auf einem großen Wandschirm formte sich das Bild eines Mannes in ComStar-Uniform.

»Raus hier«, befahl Katrina und wartete, bis alle drei Techs die Zentrale verlassen hatten, bevor sie sich wieder dem Monitor zuwandte.

Der wartende Offizier hatte silbernes, an den Seiten kurz geschorenes Haar und gelblich grüne Augen, die Katrina an eine Raubkatze erinnerten. Er trug eine pulverblaue Jacke und Hose mit goldenen Litzen an Beinen und Ärmeln und breiten goldenen Manschetten. Über der Jacke hing ihm der Umhang des Ordens, die Kapuze aber war zurückgeschlagen, und er verzichtete auf die flache Mütze. Das einzige Rangabzeichen war die Schnalle, die den Umhang am Hals schloss, ein reingoldenes ComStar-Abzeichen, das nur der Präzentor Martialum des Ordens tragen durfte.

»Archon-Prinzessin«, begrüßte er sie förmlich und machte eine leichte Verbeugung vor der Kamera.
»Präzentor Martialum.« Der Ton ihrer Entgegnung war erheblich kälter und ihr Nicken kaum wahrnehmbar. Dows rechter Mundwinkel bog sich sehr leicht zu einem spöttischen Lächeln aufwärts, das sie ihm am liebsten mit einem riesigen Stein aus dem Gesicht geschlagen hätte.
Als er ComStar den Rücken gekehrt hatte, um seinen Krieg zu führen, hatte Victor Gavin Dow zu seinem Stellvertreter als einstweiligen Präzentor Martialum bestimmt. Sie gab es zwar nur äußerst ungern zu, doch das war ein geschickter politischer Schachzug ihres Bruders gewesen. Dow war zugleich Präzentor Tharkad, das für ComStars Aktivitäten in der Lyranischen Allianz verantwortliche Mitglied im Ersten Bereich des Ordens. Da er keineswegs zu Victors Anhängern gehörte, konnte niemand ComStar vorwerfen, in diesem Krieg eine Seite zu bevorzugen. Falls überhaupt, so hatte Gavin Dow Katrina bereits mehr geholfen, als man vertretbar hätte nennen können.
»Ich werde nicht lange herumreden, Gavin.« Katrina verschränkte trotzig und befehlend die Arme vor der Brust. »Meine Quellen teilen mir mit, dass Victors Truppen Thorin aufgegeben haben und Victor möglicherweise wieder selbst in den Krieg eingreift. Ich erwarte, dass er den Terranischen Korridor durchquert, um in die Vereinigten Sonnen vorzustoßen.«
Gavon Dows schmales Gesicht verriet keinen Gedanken. »Meine Quellen berichten dasselbe«, bestätigte er. »Ich glaube allerdings, Ihr habt mit Eurer Einschätzung der Ziele Victors nur zur Hälfte Recht.«
Das war typisch ComStar. Der Orden war so lange der Hüter der interstellaren Kommunikationswege und Hochtechnologien gewesen, dass viele seiner Mitglieder sich bis heute ein Vergnügen daraus machten, geheimnisvoll zu tun. »Falls Sie etwas wissen, dann heraus damit«, zischte sie. »Ich habe keine Zeit für Ratespielchen.«
»Archon Katrina«, erwiderte er, und verschluckte das »Prinzessin«, um ihre stärkeren lyranischen Beziehungen zu betonen. »Ich habe von Beginn an betont, dass wir bessere Verbündete als Gegner sind. Ich hätte gedacht, mit dem, was ich Euch letztes Jahr auf Marik gebracht habe, wäre das bewiesen.«
Die Erinnerung hätte sie nicht nötig gehabt. Wie hätte sie vergessen können, dass es Dow gewesen war, der den Mantel des Schweigens durchbrochen hatte, der über dem Draconis-Kombinat lag und ihr die Nachricht vom Tod Omi Kuritas durch die Hand eines Attentäters gebracht hatte. Die Hand ihres Attentäters, doch das war ein Detail, das niemand je erfahren würde. »Sie haben mir nützliche Informationen gebracht, Dow, und ich habe sie mit politischer Münze vergütet. Auf der nächsten Whitting-Konferenz wird ComStar volles Stimmrecht genießen. Falls Sie heute wieder etwas für mich haben, werden Sie in Zukunft vielleicht erneut Gelegenheit bekommen, von meiner Großzügigkeit zu profitieren.«
Dow nickte und verschränkte militärisch entspannt die Hände auf dem Rücken. »Ich kann Ihnen mitteilen, dass Morgan Kell verschlüsselte Nachrichten an seinen Sohn Phelan und an Dan Allard geschickt hat.« Phelan, Khan der ins Exil geflüchteten Krieger des Wolfsclans, und Allard, der Kommandeur der Kell Hounds, stellten den harten Kern von Morgans Truppen im Arc-Royal-Defensivkordon. »Ich habe Beweise vorliegen, dass ein halbes Dutzend Einheiten im ARD mobil machen, einschließlich eines Regiments der Kell Hounds und der Galaxis Alpha der Exilwölfe.«
»Tharkad!« Den Namen brachte Katrina in einem erregten Aufschrei heraus. Sie zwang sich zur Ruhe. »Wagt er das? Morgan war bisher sehr vorsichtig, sich das lyranische Volk nicht zum Feind zu machen, und hat immer wieder erklärt, der ARD sei zum Besten der Allianz errichtet worden und notwendig, um die Clangrenze zu sichern. Wenn er gegen Tharkad marschiert, selbst in Victors Namen, ruiniert er dieses Image.« Sie schüttelte den Kopf. »Entweder uns entgeht ein wichtiges Stück dieses Puzzles, oder Morgan hebt die Truppen aus, um Victor im Gebiet der Sonnen zu unterstützen.«
»Wie Ihr meint, Archon. Ich kann Euch nur sagen, dass Kell nicht in den ARD unterwegs ist. Von Thorin aus ist er nach Milton geflogen und befindet sich momentan auf dem Weg nach Zaniah.«
»Zaniah?« Das Kloster? Morgan hatte einige Jahre der Kontemplation im dort ansässigen MechKriegerkloster verbracht und war erst bei Ausbruch des Vierten Nachfolgekrieges in die Innere Sphäre zurückgekehrt. Suchte er geistigen Beistand? Katrina riss sich zusammen und kehrte zu ihrem ursprünglichen Plan zurück. »Wenn er beten will, werden wir ihm Grund zum Beten geben. Meine loyalen Truppen auf und um Thorin können nicht rechtzeitig eingreifen, um Victor aufzuhalten, aber Sie haben vier Divisionen im Terranischen Korridor, die ihn ein für allemal stoppen könnten.«
Dow schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir uns bereits unterhalten, Katrina.« Die Verwendung ihres Vornamens war ein deutlicher Tadel. »Der Erste Bereich wird kein direktes Eingreifen in Euren Bürgerkrieg genehmigen.«
Unter den verschränkten Armen versteckt, ballte sie die Fäuste so fest, dass sich die Fingernägel schmerzhaft in die Handfläche gruben. Hätte sie etwas zur Hand gehabt, das sie auf den Wandschirm hätte schleudern können, hätte sie es vermutlich getan. »Ihre Ausflüchte ermüden mich, Gavin, und ich bin es satt, zuzuhören, wie Sie einer Katze gleich um den heißen Brei schleichen. Sagen Sie mir gefälligst gerade heraus, was Sie tun können.«
Er zögerte und überdachte seine Antwort. Katrina suchte nach einem Anzeichen von Nachgiebigkeit, und das harte Glänzen in Dows Blick zeigte ihr, dass er bereit war, ihr fast so weit entgegenzukommen, wie sie es wollte. »Ich kann nur bestehende Vereinbarungen zwischen ComStar und Euren Nationen strikter auslegen als bisher. Um genau zu sein, ich rede dabei von den Beistandsvereinbarungen. Falls Victors Einheiten Welten bedrohen, auf denen ComGuards stationiert sind, habt Ihr die Erlaubnis, diese Einheiten für Eure Bedürfnisse heranzuziehen.« Er lächelte dünn. »Falls es nicht mehr bringt, wird das zumindest die Verteidigung Tharkads und New Avalons erleichtern.«
Katrina gab sich keine Mühe, ihr Stirnrunzeln zu verbergen. »Viel ist das nicht.«
Er zuckte die Achseln, eine Geste, deren Beiläufigkeit im Widerspruch zum berechnenden Funkeln seiner Katzenaugen stand. »Es wird genügen müssen, Archon. Ich bin so weit gegangen, wie ich momentan zu gehen bereit bin.« Eine knappe Handbewegung, dann trat ganze drei Sekunden das ComStar-Symbol an die Stelle seines Bildes. Anschließend füllte Rauschen den Schirm, als die HPG-Befehlsstrecke zusammenbrach und die Stationen entlang der Route den Alltagsbetrieb wieder aufnahmen.
Dieser selbstgefällige, intrigante Bastard, dachte Katrina. Sie öffnete mit kontrollierter Langsamkeit die Arme und starrte auf das Schneegestöber des Wandschirms, während sie ihr weiteres Vorgehen überdachte.
Sie hatte gewusst, dass die Chancen, sich Dows Unterstützung zu sichern, gering gewesen waren. Das bedeutete keineswegs, dass Katrina sie nicht trotzdem wollte - sie war nur noch nicht bereit, den mit Sicherheit exorbitanten Preis zu bezahlen, den Dow dafür fordern würde. Prinzgemahl? Vielleicht war es das, worauf er aus war, falls er ComStar nach Ende des Krieges den Rücken kehren wollte. Primus? Er konnte kaum von ihr erwarten, dass sie ihm das ermöglichte. Was auch immer sein Ziel war, es durfte kein Zweifel daran bestehen, dass er äußerst ambitioniert war. Doch das galt natürlich ebenso für sie selbst. Katrina war aus dem Nichts zur Macht aufgestiegen, von klein auf zum Herrschen erzogen und doch durch ihren älteren Bruder davon ausgeschlossen. Was für eine altertümliche Methode der Thronfolge. Sie hatte so viel von ihrem Vater und ihrer Mutter darüber gelernt, wie man Macht ansammelte und behielt, weit mehr als Victor jemals erfahren hatte. Er war viel zu beschäftigt damit gewesen, Soldat zu spielen, sich in seinen Träumen von Ehre und Ruhm zu verlieren. Ob er sich wohl gelegentlich fragte, wie sie es geschafft hatte, an die Macht zu kommen, ohne jemals auch nur eine BattleMechkompanie oder ein Infanterieregiment zu benötigen? Aber jetzt brauchte sie sie, jetzt, da ihr Bruder Krieg gegen sie führte, und zwar brauchte sie mehr, als sie zur Verfügung hatte. Falls sie die nötigen Truppen nicht von der zunächst gewünschten Quelle erhalten konnte, gelang es vielleicht mittels einer anderen.

Katrina zog den Datenkristall aus der Tasche und wog ihn in der rechten Hand. Das goldene Armband funkelte sanft glänzend am Handgelenk. Sie hatte sich die Nachricht bereits einmal angesehen, vor Wochen, aber noch keine Entscheidung getroffen. Sie vergewisserte sich, dass die Tür noch immer sicher verschlossen war, dann schob sie den Kristall in ein Wiedergabegerät. Katrina kannte sich nicht mit den komplexen Details eines so aufwendigen Kommunikationssystems aus, doch sie wusste genug, um eine Aufzeichnung abzuspielen und sicherzustellen, dass nichts von dem, was über den Bildschirm lief, automatisch aufgezeichnet wurde. Die automatische Sicherung war für das Gespräch mit Dow ohnehin abgeschaltet worden. Sie vergewisserte sich jedoch noch einmal, um ganz sicher zu gehen.

Der Wandschirm wurde augenblicklich tiefschwarz, dann zeigte er das Portrait eines Mannes, der die Nachricht Hunderte Lichtjahre entfernt aufgezeichnet hatte. Wie Dow war auch er von bemerkenswertem Äußeren. Ein spitz zulaufender Haaransatz ragte über scharfen Gesichtszügen herab. In den braunen Augen lag der hungrige Blick eines Raubtiers, und eine Narbe, die sich halbrund von einem Punkt über dem linken Auge bis zum Kinn zog, kündete von seiner kämpferischen Vergangenheit. Im Gegensatz zum Präzentor Martialum hatte sie an den harten Zügen dieses Mannes ein persönliches Interesse.

Vladimir Ward, Khan des Wolfsclans, war erst der zweite Mann in ihrem Leben, der das für sich in Anspruch nehmen konnte. »Katrina Steiner-Davion.« Er begrüßte sie mit einem hart erkämpften Lächeln. Er verzichtete auf Titel oder Formalitäten. Vlad hatte ihr bereits die höchste mögliche Ehre erwiesen, indem er ihren Nachnamen benutzte. Bei den Clans trugen nur Krieger Nachnamen, und sie waren mit einer langen, ehrenvollen Geschichte verwoben.

»Ich muss dir mitteilen, dass mich dieser endlose Krieg zwischen dir und deinem Bruder abstößt und ich ihn als weiteren Beweis dafür betrachte, dass euer neu erstandener Sternenbund nichts weiter als ein politisches Manöver in der Auseinandersetzung gegen die Clans ist. Es wäre Victor besser bekommen, er hätte mehr von uns gelernt. Unsere Kriege sind niemals so ziellos ... so verschwenderisch. Ich gestehe dir zu, dass er die Bedingungen dieses Tests festgelegt hat, nicht du, aber das hätte mich nicht daran gehindert, den Sternenbund augenblicklich zur Farce zu erklären und mir Terra zu holen.« Er machte eine Pause.

»Aus zwei Gründen habe ich das nicht getan. Erstens und vor allem betrachtet sich Clan Wolf weiterhin als an den Waffenstillstand von Tukayyid gebunden. Das ist ein schwer wiegendes Argument, auch wenn dies für die Innere Sphäre möglicherweise unverständlich ist. Wir dürfen nicht weiter auf Terra vorrücken, ohne unsere Ehre einzubüßen, bis die Vereinbarung mit ComStar ausläuft. Trotzdem glaube ich, dass ich diese schwierige Zeit deinetwegen abgewartet hätte. Seit unserer ersten Begegnung im System Kiambas, als du nach den Pardern gesucht und stattdessen die Wölfe gefunden hast, warte ich auf die Gelegenheit zu sehen, wie du dich in einem Test schlägst.« Er hob beschwichtigend die Hand. »Missverstehe mich nicht. Ich weiß, du bist eine Führernatur und eine Frau, die ich in jeder Hinsicht - außer dem Kampf - als mir ebenbürtig anerkenne. Was wir während deines kurzen Aufenthalts bei uns geteilt haben, hätte ich nie zu finden erwartet.«

Sie hielt die Aufzeichnung an. Vlads grobes Auftreten hatte sich gemildert, gerade weit genug, um Katrina die Andeutung einer möglichen Verletzlichkeit ahnen zu lassen. Das erregte sie und sie spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Sie spielte mit dem goldenen Armband, das Vlad ihr als symbolische Entsprechung einer Leibeigenenschnur geschenkt hatte, und erinnerte sich an ihre Begegnung: erst als seine Gefangene, dann als sein Gast. Ihr wurden tatsächlich die Knie weich, eine Reaktion, von der sie bis dahin geglaubt hatte, es gäbe sie nur auf den Seiten schnulziger Liebesromane. Damals war Katrina in die Clan-Besatzungszonen aufgebrochen, um ein geheimes Bündnis mit einem Clan zu schließen. Das war ihr gelungen, und noch weit mehr. Zum zweiten Mal in ihrem Leben traten Allianzen und Sternenreiche für sie in den Hintergrund, und sie sah einen Mann, der einen Platz an ihrer Seite wert war. Und dieser hier war ein weit stärkerer Charakter als der Erste. Ein Führer, den zu beherrschen sie niemals hoffen konnte. Was ein wahrhaft einzigartiges Eingeständnis war.

Katrinas Finger tanzten über die Tastatur und sie ließ die Aufzeichnung über den nächsten Teil vorlaufen, in dem Vlads Botschaft persönlicher wurde. Jetzt war nicht die Zeit für Erinnerungen, sondern für Taten. Sie fand die gesuchte Stelle und schaltete die Geschwindigkeit wieder auf normal.

»Ich habe deine Fortschritte in der Auseinandersetzung mit deinem Bruder aufmerksam verfolgt«, stellte Vlad fest. »Deine Kräfte haben ihm wiederholt kräftige, beachtenswerte Schläge versetzt. Wäre dem nicht so, ich könnte dir dieses Angebot nicht unterbreiten.«

Die Kamera zoomte zurück und zeigte Vlad neben einer Hologrammkarte der Lyranischen Allianz und des sie umgebenden Weltraums. Die Systeme der ClanBesatzungszonen waren in leuchtenden Farben hervorgehoben: Grün für Clan Jadefalke, Rotbraun für die Wölfe und Blau für die Geisterbären. Die lyranischen Sterne strahlten in einfachem Weiß, bis auf einen kleinen, etwa pyramidenfömigen Raumbereich, der wie ein Geschwür in die Allianz ragte. Diese roten Systeme formten den Arc-Royal-Defensivkordon, das Territorium unter dem Befehl von Morgan Kell.

»Ich schlage dir vor, durch das Jadefalken-Territorium einen Angriff auf diesen so genannten Defensivkordon zu unternehmen. Mein Ziel werden dabei die abgeschworenen ClanKrieger sein, die dort unter Khan Phelan im Exil leben.« Er legte so viel Spott und Verachtung in die Betonung von Phelan Keils Titel, dass in Katrina der Neid erwachte. »Ich erwarte, dass die Kell Hounds sich mit in Phelans Verteidigung stellen, und obwohl sie Söldner sind, haben sie sich als dem Wolfsclan würdige Gegner erwiesen, so dass mir auch dies willkommen wäre.«

Er wartete, während die Kamera ihn wieder in Großaufnahme erfasste. Katrina vergewisserte sich währenddessen noch einmal, dass die Tür fest verschlossen war. Das Abspielen dieser Nachricht war hart am Rande des Hochverrats. Es belustigte sie, dass Victors Feldzug zur Beendigung der Invasion unter Umständen eine offene Allianz zwischen ihrem Reich und Clan Wolf irgendwann in der Zukunft ermöglicht haben könnte.

»Der Test wäre mir willkommen«, fuhr Vlad fort, »aber ich werde ihn nicht ohne deine Erlaubnis beginnen. Dieser Bürgerkrieg ist dein Kampf, den du zu gewinnen oder zu verlieren hast.« Er betonte den Begriff mit noch offensichtlicherem Widerwillen, als er ihn selbst für Phelans Titel gezeigt hatte. »Und bei den Clans mischen wir uns nicht in die Kämpfe anderer. Falls du entscheidest, dass der Defensivkordon keinen direkten Anteil am Kampf zwischen dir und deinem Bruder hat, kann ich ihn angreifen, wie es mir beliebt. Beanspruchst du ihn jedoch zum Gegner, verpflichtet mich meine Ehre, auf jeden Angriff zu verzichten, es sei denn, ich werde meinerseits angegriffen.« Er nickte einmal kurz und entschieden. »So will es das Wesen der Clans.«

Die Nachricht endete abrupt. Keine Symbolschirme oder Fanfaren. Keine Zurschaustellung der eigenen Wichtigkeit.
Katrina nahm den Datenkristall aus dem Gerät. Sollte sie Vlads Angebot annehmen? Das war die Frage, die ihr momentan unter den Nägeln brannte. Vlad gewährte ihr den Status einer Gleichberechtigten, eine Ehre, von der sie sicher glaubte, dass sie unter den Khanen der Clans keineswegs üblich war und niemals einer Nicht-Kriegerin zugestanden wurde. Er bot ihr Hilfe an, und zwar ohne Katrinas Ehre oder Ruhm zu schmälern, als hätte ihr dies etwas bedeutet.

Sie wünschte sich, sie hätte den Rat Richard Dehavers einholen können, oder wenigstens den Simon Gallaghers, ihres Champions, aber das war unmöglich. Ihre Beziehung zu Vlad musste vor fremden Augen noch verborgen bleiben, und schon die Andeutung ihrer Existenz hätte ihrem Ansehen bei den übrigen Fürsten der Inneren Sphäre schweren Schaden zugefügt. So weit durfte es nicht kommen. In Gedanken verfluchte sie ihren Bruder. Hätte Victor nicht schon wieder ihren Aufstieg zur Ersten Lady des Sternenbundes verhindert, hätte die Möglichkeit einer missgünstigen Interpretation keine Rolle gespielt. Im Gegenteil, sie hätte die Verbindung zu einer wunderbaren neuen Allianz stilisieren können, die den Frieden in der Inneren Sphäre sicherte.

Also, was wollte sie? Darauf lief es letztlich hinaus, und Katrina wollte Vlad - als ebenbürtigen Partner, als Verbündeten und mehr.

»Falls ich seine Hilfe annehme«, überlegte sie laut, doch nicht zu laut, an ihrem Platz in der Mitte der leeren Zentrale, »sind wir nicht mehr ebenbürtig. Das legt den Schluss nahe, dass ich seine Hilfe brauche und meine Feinde nicht selbst besiegen kann.«

Ihre Kenntnisse der Clangesellschaft waren nicht umfassend, doch in ihren Augen ergab diese Argumentation einen Sinn. Es war etwas völlig anderes als die Forderung nach Unterstützung von Gavin Dow, den sie niemals als ebenbürtig oder als einen vollwertigen Verbündeten betrachtet hätte. Vlads Angebot war vermutlich ein weiterer Test, ein Versuch, ihren Wert zu ergründen. Katrina dachte nicht daran, ihn zu verpatzen. Sie wollte ihre Siege allein erringen. Das würde Vlad zeigen, dass er sie ebensowenig beherrschen konnte wie sie ihn.

Sie fand einen leeren Datenkristall, schob ihn in ein Aufzeichnungsgerät und setzte ihre Antwort auf.

Wenn man nach den zehn wichtigsten Welten des Bürgerkriegs fragt, werden die Antworten, die man erhält, vermutlich ziemlich auseinander gehen, aber mit Sicherheit werden fast alle Tharkad und New Avalon nennen. Glücklicherweise gibt es mindestens einen, der auch Zaniah III erwähnt.

- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press. New Avalon, 3067
BattleTech 61: Finale
titlepage.xhtml
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_000.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_001.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_002.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_003.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_004.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_005.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_006.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_007.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_008.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_009.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_010.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_011.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_012.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_013.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_014.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_015.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_016.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_017.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_018.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_019.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_020.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_021.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_022.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_023.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_024.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_025.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_026.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_027.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_028.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_029.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_030.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_031.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_032.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_033.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_034.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_035.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_036.html
BattleTech_6-Loren_-_Finale_split_037.html