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Nagelring, TharkadProvinz Donegal, Lyranische Allianz
23. März 3067
Eine frische Morgenbrise wehte durch das offene Hangartor. Sie schmeckte nach Schnee und Kühlflüssigkeit. Die Rufe der Krieger, die sich auf die Schlacht vorbereiteten, hallten durch das riesige Gebäude, zusammen mit einem Jubel, der Peter galt, als er über den fleckigen Stahlbeton des Hangars schritt. Er stieg auf die rautenförmig gemusterte Metallplatte der Hebeplattform, die ein Nagelring-Tech an einem Fafnir herabgelassen hatte, dem für ihn vorbereiteten Mech. Vorbei an den wuchtigen, viereckigen Beinen und dem mittigen Vorbau für den Wächter-Störsender, trug die Plattform ihn hinauf zur Pilotenkanzel. Das Cockpit lag zwischen breiten Metallschultern und bekam zu beiden Seiten Deckung von den riesigen Magnetläufen der schweren Gaussgeschütze. Die hundert Tonnen schwere Maschine war mit breiten goldenen Akzenten steinerblau lackiert, der einzige Kampfkoloss in Peters gesamter Streitmacht, der die Farben der lyranischen Hofgarde beanspruchte, der traditionellen Einheit des Archons.
Das einzige Insignium, das er in den Kampf führte, war das der Lyranischen Allianz, die geballte linke Faust im blauen Panzerhandschuh vor einem weißen Schild in nach unten verlängerter Rautenform. Auf dem Weg hinauf ins Cockpit streckte Peter eine Hand aus und strich über das groß auf die Frontseite der Maschine gemalte Wappen. Das Metall war kühl. Das Fusionsfeuer im Herzen des Fafnir schlief noch, der Avatar wartete darauf, zum Leben erweckt zu werden. »Für die heutige Schlacht habe ich das St.-Marinus-Haus verlassen«, flüsterte Peter bei sich, als der Aufzug das offene Kanzeldach des Cockpits erreichte und mit einem Ruck anhielt. Für diesen Kampf hatte er einen Teil des Feldzugs beansprucht, den Victor gegen ihre Schwester führte - und zu seinem gemacht.
Würde Victor annehmen, dass Peter wieder selbst nach Ruhm griff? Dass er immer noch ein waghalsiger Egoist war, wie er es bei der Bellerivekatastrophe gewesen war? Er erinnerte sich an die tragische Nacht, als wäre sie erst einen Tag her und nicht zehn Jahre. Es war eine Falle gewesen. Man hatte seine Lanze in das Dorf gelockt, um eine Terroristenbande zu jagen. Die Dorfbewohner waren umgekommen, bevor seine Leute eingetroffen waren. Aber das spielte keine Rolle. Fünfhundertdreiundfünfzig Menschen waren gestorben, nicht wegen irgendetwas, was er getan hatte, sondern weil er war, wer er war.
Und wer war er? Das war die Frage, auf die er sich durch das Exil im St.-Marinus-Haus eine Antwort erhofft hatte. Eine Antwort, nach der er immer noch suchte.
Peter stieg ins Cockpit, schloss das Kanzeldach und wartete, während die batteriegetriebenen Motoren die Kabine luftdicht versiegelten. Er warf den nächsten Schalter um und die Heizung lief an. In der Enge hinter der Pilotenliege kniend zog er die Thermalmontur aus, und in der noch immer eisigen Luft bekam er sofort eine Gänsehaut. Als er sich schließlich auf dem Platz des Piloten niederließ, trug er nur noch Kampfstiefel, Unterhose und Kühlweste. Mehr brauchte er nicht.
Peter fuhr den BattleMech hoch und überprüfte die Systeme. Kreiselstabilisator, Sensoren, Waffen - alles intakt und einsatzbereit. Der Fusionsreaktor erwachte mit tiefem, pulsierendem Wummern. Er griff zur Halterung schräg über sich und zog den Neurohelm herab, setzte ihn auf, rückte ihn zurecht, bis er fest anlag, dann schloss er den Kinngurt. Ein dünnes Kabel fiel von der Kinnseite des Integralhelms herab und Peter stöpselte es in die dafür vorgesehene Buchse an der Seite der Pilotenliege. Die Kühlweste schloss er noch nicht an das Lebenserhaltungssystem an. Damit wartete er, bis das Cockpit aufgewärmt war. Jetzt war er kampfklar.
Jedenfalls beinahe.
»Systemstatus«, meldete der Computer, der seine eigenen Prüfungen
und Aktivierungsroutinen abgearbeitet hatte. »Alle Anzeigen normal.
Initiiere Sicherheitsprotokoll.«
»Peter Steiner-Davion«, sagte er langsam und deutlich, wie zu einem
kleinen Kind. »Kommandierender General, Sturmeinheit Tharkad.« Er
verzog bei seinem Rang leicht das Gesicht, weil es nur ein Titel
>ehrenhalber< war, den er sich nicht verdient hatte.
Zumindest noch nicht.
»Stimmmusterabgleichung erfolgt, General Peter Steiner-Davion.
Sicherheitsbestätigung erbeten.« Damit verlangte der Computer
seinen privaten Schlüsselcode. Stimmmuster ließen sich fälschen.
Der Schlüsselcode war ein Kernsatz, den Peter persönlich ausgewählt
und eingegeben hatte und den nur er kannte. Er hatte ein Motto
gewählt, an das er sich aus den Studien in St. Marinus
erinnerte.
»Gürte dich mit Rechtschaffenheit«, sagte er. »Denn das ist Rüstung
genug.« Damit fasste er die Steuerknüppel und stählte sich für den
bevorstehenden Kampf.
Jetzt war er bereit.
Peter hatte in den letzten Wochen hart trainiert, um sich an den erbeuteten Fafnir zu gewöhnen. Der 100-tKoloss war langsam, aber gut bewaffnet und ausgezeichnet gepanzert, mit über neunzehn Tonnen Durallex-Spezial-Kompositstahl. Und wie sich herausstellte, brauchte er jedes Gramm dieses Schutzpanzers, während er sich wieder mit den Tatsachen eines hart umkämpften Schlachtfelds vertraut machte. Der NordZehn-Morast war eine tückische Schule.
Der etwa auf halber Strecke zwischen dem Nagelring und Tharkad City liegende Morast verwandelte sich im Frühjahr, wenn die Schneedecke sich nach schweren Regenfällen auflöste, in ein Netz aus schnell strömenden Bächen. Jetzt, fest in der Hand des langen Winters, stellte das zehn Kilometer breite Gelände eine gefährliche Mischung aus gefrorenen Teichen, Bodenspalten und vom Wasser angespülten Felsen dar, alles verborgen unter einer frischen Schneedecke. In Verbindung mit dem heftigen Bemühen der Loyalisten, wichtige Bereiche des Morasts mit Vibrabomben zu übersäen, stand Peters Angriffsstreitmacht vor einem echten Problem.
Nondi Steiner führte den Angriff persönlich aus der Stadt, was Peter überraschte, bis er die Streitmacht sah, die sie gegen ihn zusammengezogen hatte. Die 1. Hof garde führte die Offensive an, flankiert von der 24. Lyranischen Garde und der 11. Arkturusgarde. ComStars Einzelgänger IV-Ypsilon folgten als strategische Reserve, und Präzentor Dag Kesselring schien tatsächlich so versessen aufs Mitkämpfen wie Morgan Kell vorausgesagt hatte. Nondi setzte fast die gesamten auf dem Planeten verfügbaren Streitkräfte ein, um Peters Vormarsch zu stoppen. Es war eine althergebrachte lyranische Taktik. Man konzentrierte so viel Schlagkraft wie möglich gegen den Feind, senkte den Kopf und stürmte los. Mit den zusätzlichen vier Panzer- und Panzergrenadier-Regimentern, die seine Tante auch noch aufgeboten hatte, verfügte sie ohne Zweifel über die zahlenmäßige Überlegenheit.
In den ersten Stunden der Schlacht war ihre Taktik beinahe erfolgreich. Sie trieb Peters Truppen zurück und verhinderte jedes weitere Vorrücken auf Tharkad City. Dank der Qualität der Einheiten unter seinem Befehl erholte sich Peter jedoch von diesem Rückschlag. Das, und weil seine kombinierten Luft/Raumeinheiten den Himmel von Loyalistenmaschinen freifegten. Außerdem kostete die Hau-drauf-Taktik seine Tante einiges an taktischer Initiative. Peter verließ sich auf die größere Erfahrung seiner Kommandeure und gestattete der Angriffsstreitmacht, sich aufzuteilen und die verfolgende Loyalistenarmee auseinander zu ziehen.
Die 4. Skye Rangers lieferten der 11. Arkturusgarde auf die für sie typische Weise eine lustige Verfolgungsjagd. Sie brauchten mindestens sechs Stunden, um sich wieder zu sammeln, ganz egal, wie ihr Teil der Schlacht auch verlief. Die anderen hatten sich um den verminten Bereich des Nord-Zehn-Morasts versammelt. Jetzt teilten sich die 1. Kell Hounds das Zentrum der Kampflinien mit Peters 20. Arkturus. Phelan lauerte im Hintergrund mit der 4. Wolfsgarde und hielt sich bereit, eventuell aufbrechende Lücken zu schließen.
»Peter, hier ist Dan.« Oberst Daniel Allards Stimme klang so gepresst, als würde er gleich etwas sagen müssen, was keiner von ihnen gerne hörte. Und so war es auch. »Bis jetzt war der Kampf ziemlich ausgeglichen. Möglicherweise ist jetzt der Moment, sich zu fragen, wie wichtig uns dieser Kampf heute wirklich ist.«
Sehr wichtig, entschied Peter auf der Stelle, und überraschte sich zwar selbst mit dieser plötzlichen Entschiedenheit, wollte sich aber auf sein Gefühl verlassen. Nondi zeigte keine Anzeichen bevorstehender Kapitulation und ganz sicher keine Bedenken, ihre Armee jedem Vormarsch entgegenzuwerfen. »Wenn wir es heute nicht auskämpfen, müssen wir es morgen tun«, antwortete er, und das stimmaktivierte Mikrophon fing den Ärger in seiner Stimme auf. »Wir sind einfach gleich stark, so kann keine Seite einen sicheren Vorteil erringen.« Er wusste: Mit jedem Tag, den sich der Bürgerkrieg auf Tharkad hinzog, hielten die Kämpfe auf anderen Welten der Allianz an und brachen neue aus. Wenn Peter schon den Schlachtpreis bezahlen musste, dann besser hier als auf Dutzenden verschiedener Planeten und mit dem Leben von tausend guten Soldaten, die einfach nur das Pech hatten, unter dem Befehl einer zu allem entschlossenen Tyrannen zu stehen.
»Das ist das Rezept für eine Katastrophe«, erinnerte ihn Dan. »Die 24. wird aggressiv.« Peter sah es auf der strategischen Anzeige. Allards Kell Hounds saßen zwischen Nondis 1. Hofgarde und der 24. Lyranischen Garde in der Zange, geradeso wie Peters 20. Arkturusgarde gegen die Umklammerung durch den Stolz Donegals und Dag Kesselrings ComGuards kämpften. »Der erste Fehler hier draußen wird auch unser letzter sein.«
Peter nickte, dann unterbrach er das Gespräch für einen Moment, weil sich ein ComGuardWikinger plötzlich von seinem bisherigen Opfer löste und die Phalanx seiner Raketenlafetten Peter zudrehte. Alarmglocken wetteiferten gellend um Peters Aufmerksamkeit, als der Mech hinter einer Wand aus grauem Auspuffdampf verschwand.
In einem so schwerfälligen Mech wie dem Fafnir war an ein Ausweichen vor der Raketenbreitseite nicht zu denken. Peter duckte sich in die Polster und stemmte sich mit breitbeinig aufgesetzten Mechbeinen gegen den Gefechtskopfhagel. Der Wächter-Störsender brach die Zielerfassung der Artemis-Systeme an Bord des Wikinger, was den Schaden etwas reduzierte. Trotzdem schlugen fast fünfzig Raketen in die rechte Flanke des überschweren Mechs durch. Eine Handvoll krachte seitlich in den Kopf des Fafnir, schlug Krater in die Panzerung und hinterließ einen Riss in der Seitenscheibe des Kanzeldachs.
Peters Ohren klingelten von den hämmernden Einschlägen. Er zog das Fadenkreuz auf die langsam zerfasernde Rauchwolke und suchte nach dem Wikinger. Das Fadenkreuz änderte die Farbe von Rot zu einem blinkenden Goldton, dann leuchtete es stetig golden, als die Sensoren eine sichere Erfassung meldeten. Peter legte den Fafnir nach vorne, stemmte sich in den gewaltigen Rückstoß und schoss mit beiden schweren Gaussgeschützen eine auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigte Kanonenkugel ab. Beide Kugeln trafen den Wikinger am linken Bein, gerade als die leichte Brise über dem Schlachtfeld ihn hinter der Rauchwand zum Vorschein brachte. Eine Kugel bohrte sich dem Mech in die Hüfte und zertrümmerte das Gelenk. Die andere barst durch den Unterschenkelaktivator, machte das Bein endgültig unbrauchbar und die ComStar-Maschine so gut wie bewegungsunfähig.
Peter schaltete hastig auf die Hauptfrequenz um. »2. Kompanie, nach Westen rücken. Macht den ComGuards Druck.« Schon sah er zwei Lanzen schwere ComGuard-Panzer anrücken, um den Wikinger zu retten, doch sie gerieten schnell in ein tödliches Kreuzfeuer, als seine Leibkompanie mithalf, den beschädigten ArtillerieMech zu isolieren.
Peter rückte näher an den Gegner, schaltete die beiden Extremreichweiten-Laser auf den Hauptfeuerknopf und schoss. Diesmal fiel es dem Wikinger schwerer, Treffer zu landen, weil Peter die optimale Angriffsreichweite verlassen hatte. Nur ein Dutzend Raketen trafen den Fafnir, kaum genug, den monströsen Stahlriesen zu beeindrucken. Peters Lichtwerfer fraßen wütend glühende Furchen über Kopf und Rumpf des Mechs. Eines der schweren Gaussgeschütze nutzte den Torsoschaden aus und beulte das Gyroskopgehäuse ein. Unter der Wucht des Rückstoßes taumelte der Fafnir rückwärts, doch Peter hielt ihn auf den Beinen.
Der Wikinger hingegen war erledigt. Der Kreiselstabilisator flog in Einzelteilen aus dem Riss im Rumpf, als sich das Hochgeschwindigkeitsgyroskop am eingedrückten Gehäuse selbst zerlegte. Die überschwere Maschine stürzte nach hinten und der Pilot rettete sich mit dem Schleudersitz, statt eine weitere Salve aus Peters Geschützen zu riskieren.
Peter sah den MechKrieger am Gleitschirm zurück zu den feindlichen Linien schweben und hoffte für ihn, dass er schnell einen Infanteriezug fand. Shorts und Kühlweste waren keine geeignete Kleidung für den tharkanischen Winter.
»Irgendwelche Vorschläge?«, fragte Dan in die Stille. Kein Zweifel, er hatte Peters kurzes Gefecht genau beobachtet, um ihm zur Not helfen zu können.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte Peter eine derartige Sorge als Beleidigung seines Könnens aufgefasst. Jetzt freute er sich darüber. Sie erinnerte ihn daran, dass es hier draußen um mehr ging, nicht nur um ihn. Er zog schnell Bilanz. Der Fafnir war in gutem Zustand - sogar in erstaunlich gutem Zustand, wenn man bedachte, dass so ziemlich alle Loyalisten in der Nähe die Gelegenheit genutzt hatten, ihn anzugreifen. Und seine Kompanie hatte die ComGuard-Panzer zum Frühstück verspeist. Nur eine Lanze war dem Kreuzfeuer entkommen. Peter schüttelte über die wiederholten Versuche der ComGuard-Division, sich gegen ein volles Regiment zu stemmen, den Kopf. Ohne die Hofgarde ...
Der Gedanke brachte ihn auf eine Idee. Peters Blick zuckte zum Hilfsmonitor, auf dem sich der Computer bemühte, das in ständiger Bewegung befindliche Geschehen der Schlacht auf eine halbwegs verständliche strategische Anzeige zu reduzieren. Nondi Steiner befehligte die Schlacht noch immer aus dem Zentrum der 1. Hofgarde, hatte aber, einem anständig durchdachten Plan entsprechend, mehr Truppen gegen die Kell Hounds eingesetzt als gegen Peters Weiße Bären von Uther. Das war auch durchaus ratsam, denn immerhin waren die Söldner eine Elitetruppe und wurden von einem erstklassigen Krötenbataillon unterstützt. Aber dadurch erhöhte sich der Druck auf Präzentor Kesselring und seine Ypsilon-Division, die nicht einmal die Hälfte der Kampfstärke eines voll unterstützten Mechregiments aufbrachte.
»Dan«, schaltete Peter zurück auf die Kommandeursfrequenz. »Ich möchte, dass Sie die Kell Hounds gegen die Schlitzer der 24. Garde werfen. Drehen Sie um, hämmern Sie auf deren Flanke ein und ziehen Sie die Aufmerksamkeit der 1. Hof garde auf sich. Holen Sie Nondi rüber nach Osten und lassen Sie Phelan alle Versuche eines Gegenschlags abfangen, aber werfen Sie sie nicht zurück. Binden Sie sie.«
Dan verstand schnell, was verlangt wurde. »Und was haben Sie vor, während wir uns mit dem Stolz Donegals prügeln?«
»Ich werde meine Weißen Bären in einem Frontalangriff auf diese verdammte ComGuard-Division stürzen. Luftunterstützung brauche ich dafür auch. Sagen wir in fünf Minuten. Kesselring wird versuchen, die Linie zu halten, und wir werden sie zerschmettern.«
»Was macht Sie so sicher, dass Kesselring auf Position bleibt, um sich zerschmettern zu lassen?« Die Frage kam von General Alden Gray, dem Kommandeur der 20. Arkturusgarde. Seine Stimme verriet einen Hauch von Besorgnis, Peter könnte vorhaben, die Einheit einer Ahnung wegen zu opfern.
Peter respektierte den Mann dafür, dass er zuerst an seine Leute dachte. »Weil ich früher genauso war wie er«, erklärte er kurz. »Er wird die Stellung halten. Er wird sich die Möglichkeit eines Scheiterns nicht eingestehen, bis es zu spät ist. Sobald wir durchgebrochen sind, wird die Arkturusgarde in den Rücken der 1. Hofgarde umschwenken ...« Er ließ die Worte ausklingen, als zwei ältere BurkePanzer ihn mit je drei Partikelwerfern ins Visier nahmen. Einer der Panzer mischte bei dem Drehmanöver, das für diesen Angriff notwendig war, in eine Bodenspalte, wobei die Kette riss und ihn in gefährlichem Gebiet stranden ließ. Der andere rollte weiter heran.
Als hätte Peter ein besseres Beispiel für die Sturheit der ComGuards gebraucht. Er entledigte sich des anrückenden Burke mit einem Schuss der schweren Gauss. Die Kugel zertrümmerte die Frontpanzerung derart, dass ein entschlossener Infanterist sich nach innen vorkämpfen und die Besatzung erschießen konnte. Der Panzer drehte um und floh. Seinen Begleiter überließ er der Gnade des nächsten arkturischen Mechpiloten oder Panzerfahrers, der bereit war, sich für den Abschuss mit dessen drei PPKs auseinander zu setzen.
»Und dann?«, fragte Dan. Seine Kell Hounds waren bereits in Bewegung und führten das von Peter erbetene Flankenmanöver aus.
»Dann machen wir meine Tante Nondi arbeitslos«, antwortete Peter. Er atmete schwer unter der Last, die er seiner Chronik des Bedauerns hinzufügte. »Wir vernichten die 1. Hofgarde.«
So sicher wie er sich Dag Kesselrings war, hing der Plan trotzdem von einer gefährlichen Annahme ab. Er erwartete von den ComGuardisten, dass sie ebenso entschlossen und starrköpfig waren wie ihr Kommandeur. Aber das waren sie nicht. Die 66. Division zerbrach nicht, sondern gab nach und formierte sich mehr durch Zufall denn aus Absicht zur perfekten Antwort auf Peters Frontalangriff. Rücken an Rücken mit Nondi Steiners Regiment hielten die Einzelgänger IVYpsilon Peters Vorstoß auf, während die Hofgarde auf Phelans 4. Wolfsgarde einschlug.
Nicht dass die ComGuard-Truppen der Arkturusgarde lange standhalten konnten, die über weit mehr Mechs verfügte und mit Kampfeinsätzen in arktischer Kälte vertrauter war als die meisten anderen Einheiten auf diesem Schlachtfeld. Peters leichtere, schnellere Panzer stießen bereits durch die ersten Breschen in den Linien, und was von der Division noch blieb, lief ernsthaft Gefahr, in Kleinsteinheiten aufgespalten und stückweise vernichtet zu werden. Peter vergrößerte ihr Elend noch, indem er den Fafnir breitbeinig hinstellte und die schweren Gaussgeschütze abwechselnd abfeuerte, wobei er den schweren Rückstoß nie unterschätzte. Alle zwei Salven wechselte er auf Laser, um Munition zu sparen. Dieser zurückhaltende Einsatz verschenkte ein paar Abschüsse, machte den Fafnir aber zu einer ständigen Bedrohung, die schließlich ein paar nahe ComGuardisten den Mut kostete. Zwei Jessen, denen die Kameraden zu einer vernichtenden K3-Lanze fehlten, drehten um und setzten sich ins Hinterland ab.
Geradewegs in den ersten Luftangriff der
Jägerstaffeln Peters.
Zwei Jagatai-OmniJäger der Wolfsgarde
stießen durch die tief hängende graue Wolkendecke und fingen sich
in weniger als zweihundert Metern Höhe ab. Ihre ersten Salven
erwischten die lessen mit PPKs und
Impulslasern. Einer der beiden stürzte ohne Beine um, worauf die
Flucht des anderen noch panischer wurde. Die Jäger donnerten weiter
und feuerten auch in den Rücken der Hofgarde, gefolgt von einem
zweiten Angriff durch einen Schwarm Stingrays der Arkturusgarde.
Dies war Peters letzter Trumpf. Er hatte die Jäger herabgerufen,
die er bis jetzt so sorgsam aus dem Kampf herausgehalten hatte.
Falls die Loyalisten ihre Maschinen im richtigen Moment wieder
starteten, konnte ihn das die Lufthoheit kosten. Aber es war das
Risiko wert. Die Hofgarde war der Stützpfeiler von Nondis
Unternehmen. Ihr Ausfall sollte die ganze Strategie der Loyalisten
aufbrechen.
»Nicht nachlassen«, beschwor er seine Krieger über die allgemeine
Frequenz. »Wir müssen ihre Linien aufbrechen, bevor sie es mit uns
tun.«
Andere Meldungen schwappten über die Verbindung, als niedrigere
Offiziere Unterstützungsfeuer anforderten oder vor einem neuen
Minenfeld warnten, in das sie geraten waren. Auf dem Sichtschirm
sah Peter, wie ein Stilett durch eine
Vibrabombe ein Bein verlor. Der Mech fiel vornüber in den Schnee
und auf mindestens zwei weitere Minen. Eine riss ihm den Kopf ab,
zerfetzte das vorspringende Cockpit und den größten Teil des oberen
Torsos. Er fluchte leise. Mehr als hoffen, dass der Tod des Piloten
anderen das Leben gerettet hatte, konnte er nicht tun.
»Nein«, stieß Peter plötzlich laut aus. Es gab mehr, was er tun konnte. Er rammte den
Fahrthebel bis zum Anschlag und beschleunigte den überschweren
Fafnir auf dessen Höchstgeschwindigkeit
von über fünfzig Stundenkilometern.
Dan Allard bemerkte das Manöver, bevor Peter ein Dutzend Schritte
getan hatte. Zwei Kilometer entfernt und in eine ganz andere
Auseinandersetzung zwischen den Kell Hounds und der 24.
Arkturusgarde verwickelt, behielt er den möglichen nächsten Archon
trotzdem im Blick. »Peter, Sie sind zu weit vorn. Ziehen Sie sich
zurück! Was tun Sie da?«
»Ich übe mein Recht auf selbstständige Entscheidungen aus«, rief
Peter, ohne sich die Mühe zu machen, auf eine Privatverbindung
umzuschalten. »Ich korrigiere die Schlachtlinien. Jetzt.« Er strich
mit zwei Lasern über einen fernen Mantikor der Hofgarde und nutzte den durch die
angreifenden Luft/Raumjäger angerichteten Schaden dazu aus, den
Geschützturm des schweren Panzers zu blockieren. »Weiße Bären, die
Hofgarde angreifen«, befahl er. Dann wählte er die Frequenz des
gemischten Hilfsregiments aus Panzern und Kröten der 20.
Arkturusgarde. »Oberst Amzel, räumen Sie hinter uns mit der 66.
Division auf.«
Der Sturmangriff funktionierte etwa sq, wie er es erwartet - wie er
es erhofft - hatte. Seine Leibkompanie folgte ihm sofort und
feuerte auf äußerste Distanz aus allen Rohren, während die Mechs
sich plagten, ihn einzuholen. Das Risiko lag darin, wie der Rest
der 20. Arkturus reagieren würde. General Gray stand vielleicht
gerade in einem Schlagabtausch, oder möglicherweise zögerte er auch
ein paar Pulsschläge. Nicht, dass es wirklich eine Rolle spielte.
Im nächsten Augenblick trieb er seine Leute bereits an, Peter zu
folgen, und hatte sich ungeachtet der Nähe einer ComGuard-Lanze für
den Sturmangriff entschieden. Aus dem Hinterland rückte das
Hilfsregiment an und überrannte die noch verbliebenen
ComGuard-Stellungen.
Ein frischer Schwarm Luft/Raumjäger erledigte mit einem Luftangriff
den Mantikor für Peter und scheuchte
einen Trupp Fenris-Kröten aus dem
Versteck hinter einem Panzer. Das war Nondis Flankenschutz, mit der
Aufgabe, die 20. Arkturus an einem Angriff im Rücken der Hofgarde
zu hindern. Einer der vierbeinigen Gefechtspanzer fiel den
smaragdgrünen Lichtbolzen aus Peters Impulslaser zum Opfer, der den
Infanteristen in einem zerschmolzenen Ganzkörpergips aus
Kompositmetall einschloss. Dann schnitten seine
Extremreichweiten-Laser einem zweiten Arm und Bein ab. Die beiden
restlichen Infanteristen stürzten mit hüpfenden Sätzen auf ihn zu.
Einer schätzte die Entfernung falsch ab und kam unmittelbar vor dem
Fafnir auf. Peter stampfte einfach über
ihn hinweg, die riesigen Metallfüße des überschweren Kampfkolosses
hinterließen nur einen plattgewalzten Metallbrei. Die letzte Kröte
hatte seine Seite erreicht und trommelte mit den drei
Maschinengewehren auf die Mechpanzerung ein. Ein Bushivacker aus Peters Kompanie antwortete mit
einer Autokanonensalve, die den Fenris
zweiteilte.
Peter nutzte die wenigen Sekunden Atempause, um sich die Lage auf der Karte anzusehen. Von den 66. ComGuards war kaum noch etwas übrig. Ein paar vereinzelte leichte Panzer und schnelle Mechs flohen vor dem Hilfsregiment, doch das war es auch schon so ziemlich. Zwei oder drei überschwere BattleMechs hatten den ersten Ansturm überstanden. Peter las die Kennung von einem der Symbole und erkannte einen Spartaner. Ein verlorener Schatz aus den Zeiten des Ersten Sternenbundes. Diese Museumsmaschine konnte nur Präzentor Dag Kesselring gehören. Sie kämpfte kurz gegen eine volle Kompanie Vedette-Panzer und schoss drei von ihnen ab, bevor sie unter dem vereinten Feuer der leichten Autokanonen zu Boden ging. Dann erlosch das Symbol.
Peter wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Vormarsch zu. Er sah weitere Luft/Raumjäger sich aus dem zugezogenen Himmel stürzen, den Flankenschutz der Loyalisten zertrümmern und mehrere Wege in den Rücken von Nondis Mechtruppen öffnen. »Wir stoßen geradewegs durch sie hindurch«, befahl er, »und folgen ihrer Linie in den Rücken der 1. Hofgarde. Oberst Amzel kümmert sich um die Aufräumarbeiten. Wir kommen der 4. Wolfsgarde zu Hilfe, und zwar sofort.« Und der Himmel helfe jedem, der sich ihnen in den Weg stellte.
Niemand tat es.
Während Peter die Weißen Bären von Uther über das verwüstete
Schlachtfeld führte, schwenkte Dan Allard die Kell Hounds plötzlich
von der 24. Lyranischen Garde weg und attackierte die Hofgarde
ebenfalls. Von drei Seiten bedrängt wussten die Loyalisten nicht,
wohin sie sich wenden sollten, und der Druck auf Phelans Wölfe ließ
nach. Die ClanKrieger nutzten die Gelegenheit zu einem
Gegenangriff, der ihre geringere Zahl Lügen strafte, die Mitte der
Kampflinie aufbrach und die Hofgarde in zwei Hälften spaltete.
Peter sah Nondis Hauptmann im Zentrum
einer Formation, die kehrt machte und versuchte, sich
freizukämpfen. Dan Allard hätte ihr fast den Weg abgeschnitten,
aber die EinsatzKompanie der Hofgarde warf sich den Kell Hounds
entgegen. Ihr Opfer verschaffte Nondi genug Zeit, ein schwer
angeschlagenes Bataillon aus Mechs und Panzern zu retten. Mehr
nicht.
»Lasst sie ziehen«, befahl Peter, als sich die Schlitzer den Kell
Hounds in den Rücken warfen, entweder als Vergeltung für die
Hofgarde oder in dem Versuch, sich deren Rückzug anzuschließen. Er
ließ Phelan und Dan eine geschlossene Front bilden und die 24.
Lyraner stoppen, während sich seine Arkturusgarde um die Nachzügler
kümmerte. Er wusste, seine Tante würde es zurück nach Tharkad City
schaffen, hier und jetzt aber war es besser, einen klaren Sieg zu
erringen, als seine Kräfte bei einem Glücksspiel aufzureiben. Er
stürmte durch ein halbherziges Laserbombardement und erledigte mit
den Gaussgeschützen einen Falkner der
Garde, während seine BefehlsKompanie eine Doppellanze Schwebepanzer
überrannte.
Ein paar Sekunden später meldete sich Dan Allard über die
allgemeine Frequenz. »Peter, Generalleutnant Riskind von der 24.
bittet um Kapitulationsbedingungen.« Das war für die Truppen
gedacht, bei denen Jubel ausbrach. Dann schaltete er auf
Privatverbindung um. »Es scheint, Ihre Tante hat ihm befohlen, ohne
Rücksicht auf Verluste anzugreifen. Was auch immer nötig ist, um
Sie zu erledigen.«
Katherines Kreatur durch und durch. Peter erinnerte sich an seine
Tante als vernünftige Frau und mitfühlende Kommandeurin. Doch davon
war offensichtlich nichts geblieben. Wenn man jemandem nur genug
Gift einflüsterte, konnte jeder Geist korrumpiert werden.
»Bedingungslos«, befahl er. »Das einzige Versprechen, das Riskind
von mir zu erwarten hat, ist, dass ich keine Leben
wegwerfe.«
»Ich vermute, dies wird ihm reichen.«
Peter vermutete dasselbe. Nach der Vernichtung der 66. ComGuards
und der Kapitulation der 24. Lyranisehen Garde blieb seiner Tante
neben der 11. Arkturus und den Resten ihrer beiden
Hofgarde-Regimenter nicht mehr viel. Jedenfalls nicht genug. Peter
konnte seine Truppen zur Reparatur ins Nagelring zurückziehen. Es
mochten noch ein, zwei Hinterhalte vor ihnen liegen, doch nur eine
Katastrophe konnte seine Streitmacht jetzt noch aufhalten. Der Weg
war frei, Tharkad City lag vor ihnen.
Das Ende war in Sicht.
Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, ich hätte sie ergriffen. Als wir endlich den Beweis für das volle Ausmaß der Tyrannei Katherines in Händen hielten, konnten wir kaum noch etwas damit anfangen. Doch das hinderte uns nicht daran, jeden möglichen Vorteil auszunutzen.
- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press. New Avalon, 3067