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Triade, TharkadProvinz Donegal, Lyranische Allianz
18. August 3066
Nondi Steiner wartete respektvoll hinter ihrem Schreibtisch und starrte auf den großen Wandschirm, von dem die kalten Augen ihrer Nichte, ihres Archons, aus sechshundert Lichtjahren Entfernung auf sie her abschauten. Katrina stand in einer Gefechtszentrale vielleicht im Watchtower der AVS, vielleicht im Palais selbst - vor einer riesigen Videokarte, auf der sich Markierungen verfeindeter Armeen bewegten und bekämpften. Adjutanten und Offiziere wimmelten um sie herum, alle in die dunkelgrünen Uniformen der Vereinigten Sonnen gekleidet. Nicht einer von ihnen trug lyranisches Blau. Nur Katrina.
Nondi versuchte es zu übersehen und ließ den Blick schweifen, während sich Katrina Nondis Mitteilung durch den Kopf gehen ließ, dass Peter Steiner-Davion auf dem Tharkad gelandet und in einem der älteren Landhäuser der Familie Quartier bezogen hatte. Doch der Schirm beherrschte den Raum, und Katrinas Bild rief sie zurück. Viel mehr gab es in ihrem Büro in der Triade, Tharkads Regierungskomplex, auch nicht zu betrachten. Ein großer, quadratischer Schreibtisch und ein paar Sessel. An einer Wand die Fahnen Tharkads und der vier Provinzzentralwelten. Ein großfomatiges Porträt Katrinas an einer Seite der Tür, ein Hologramm von Nondis erstem BattleMech auf der anderen.
»Und Peter hat kein Interesse daran gezeigt, das Grab unserer Mutter zu besuchen, sagst du?«, fragte Katrina.
»Keines. Sein Landungsschiff hat den zugewiesenen Flugkorridor verlassen und ist geradewegs nach Resaurius geflogen. Vielleicht hat Peter erraten, dass wir ihn in Gewahrsam nehmen wollten, sobald er in Tharkad City aufsetzt.«
Katrina schaute sich um. Offenbar galten ihre Blicke Personen außerhalb des Bildes. »Oder jemand hat ihn gewarnt. Das gefällt mir nicht, Generalin. Ganz und gar nicht. Ausgerechnet jetzt taucht Peter wieder auf? Gerade als Morgan Kell verschwindet und Victor einen Angriff auf New Avalon vorbereitet? Falls das der Beginn eines zweigleisigen Sturms auf beide Zentralwelten ist, bringt es uns in eine schwierige Lage.«
Als Generalin des Heeres, die sie neben der Position als Katrinas Regentin ebenfalls war, hatte Nondi sich seit zwei Jahren auf eine solche Entwicklung vorbereitet. »Ich habe vier zuverlässige Regimenter auf Tharkad, einschließlich beider Hofgarden und der versprochenen ComGuardisten. Außerdem habe ich in Eurem Namen die 11. Arkturusgarde und die Alarion-Jäger von Skye abgezogen. Sie werden nächsten Monat hier eintreffen.« Nondi verschränkte die muskulösen Arme über der breiten Brust. »Falls Morgan Kell zum Tharkad kommt, wird er ihn nicht wieder verlassen.«
»Genau das macht mir Sorgen«, erwiderte Katrina, und ein Anspannen der Haut um ihre Augenwinkel war das einzige äußere Anzeichen von Unmut. »Ich bin immer davon ausgegangen, dass mir die volle Macht der Lyranischen Allianz hier auf New Avalon zu Hilfe käme, wenn die Zeit kommt und ich sie brauche. Ich hatte nicht erwartet, dass es jemals nötig sein würde, AVS-Einheiten zu deiner Unterstützung nach Tharkad zu schicken. Bring in Erfahrung, was Peter vorhat, und erstatte mir sofort Bericht.«
Nondi nickte entschieden, dann entgleisten ihre
Züge. »Wie?«, fragte sie.
Katrina schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln voll eisiger Ruhe.
»Besuch ihn«, sagte sie. »Und frag ihn.«
Eisnebel schränkte die Sicht auf gerade einmal hundert Meter ein, doch es war hell genug, dass Peter Steiner-Davion die Ankunft seiner Tante auf Burg Resaurius beobachten konnte. An einem offenen Fenster im zweiten Stock atmete er tief durch. Die kalte Luft stach in der Nase, ließ aber einen Hauch des Schneefalls der letzten Nacht auf dem Gaumen zurück. Der Geschmack Tharkads. Auch die Jahre in Zaniahs Wüstenklima hatten ihn nicht aus Peters Gedächtnis gelöscht. Er atmete weißen Dunst aus und starrte durch die Atemwolke ins Freie, während unter ihm die schmiedeeisernen Torflügel aufschwangen und Nondi Steiners Schweberlimousine in den Hof glitt.
Zwei Striker flankierten den dunklen Wagen. Die breiten, schweren Räder wirbelten grauen Schneematsch auf. Die leichten Panzer bogen ab und bezogen Posten, von denen aus sie das Hauptgebäude und die Tore im Schussfeld hatten. Ihre Anwesenheit strafte die gemächliche Fahrt der Limousine und die gelassene Art Lügen, mit der Nondi ausstieg und einen Moment lang im Burghof stand. Ungeschützt. Trutzig. Die stämmige Generalin wirkte in dem warmen Parka noch wuchtiger, und ihr gefrorener Atem sammelte sich als dünner Kranz um den Kopf, der ihr Gesicht verbarg, obwohl die Kapuze des Parkas zurückgeschlagen war. Sie kannte sich zu gut aus, als dass sie den häufig vereisten, freigeräumten Wegen über den Burghof traute, und stapfte durch den unberührten Schnee, bevor sie mit stampfenden Schritten die Treppe hochstieg.
Vermutlich, um den Schnee von den Stiefeln zu klopfen, war Peters erster Gedanke. Nur stampfte sie auf jeder der Stufen so hart auf, dass er es bis an sein Fenster hören konnte. Schnell verbesserte er sich. Nondi Steiner stürmte seine Burg, rammte sich den Weg frei wie mit einem Regiment BattleMechs. Er starrte hinaus in den Nebel und machte sich klar, dass das durchaus den Tatsachen entsprechen konnte, und er würde es nicht eher merken, bis der vorderste Zeus die Festungsmauern eintrat.
»Sie kommt, zum Kampf bereit, aus einer sicheren Position der Stärke heraus«, stellte Peter bei sich fest. »Aber wenigstens kommt sie.« Der Klang seiner Stimme war ihm ein vertrauter Trost, und auf Zaniah III war er sich selbst häufig die einzige Gesellschaft gewesen. Er wandte sich mit einem letzten Blick auf die beiden Panzer vom Fenster ab, nickte dem Mann zu, der tiefer in den Schatten wartete, und machte sich auf den Weg in den Flur.
Seine Tante war keine Frau, die man lange
warten ließ.
In den vielleicht drei Minuten, die er bis zum Salon im Erdgeschoss
brauchte, hatte Nondi Steiner den Parka bereits einem Diener
gegeben und eine halbe Tasse Orangentee geleert. Sie war in
kämpferischer Laune. Peter sah es an den verspannten Kinnmuskeln
und dem bohrenden Blick. Sie stand neben dem lodernden Kaminfeuer
und musterte Peter beim Eintreten kritisch.
»Wüstenroben, Peter? Auf Tharkad? Ich hätte gedacht, nach all den
Jahren in der Hitze von Zaniah III stünde dir der Sinn nach etwas
Dickerem.«
Katherines Geheimdienstapparat arbeitete also mit voller Stärke.
Aber nicht perfekt, denn dann wäre Nondi mit einem Regiment der
Hofgarde erschienen. Peter schaute an sich herab. Die leichte Robe
ähnelte denen, die er im St.-Marinus-Haus getragen hatte. »Eine der
ersten Lektionen, die man auf Zaniah lernt, ist: Man kann die Wüste
nicht bekämpfen. Man lernt, sie hinzunehmen und sich anzupassen.
Ich habe festgestellt, dass dies ebenso für die eisigen Pranken
Tharkads gilt.« Er nahm ein Glas Eiswasser aus der Hand eines
uniformierten Gefreiten und trank. »Im Übrigen ...« Nach all den
Jahren der Einsamkeit spürte er plötzlich einen Hauch der alten
Schärfe zurückkehren, »war ich auf einen wärmeren Empfang
vorbereitet.« Nondi stellte den Tee auf dem Kamin ab. »Hat Morgan
Kell dir den prophezeit?«, fragte sie und starrte dem Gefreiten
hinterher, der den Raum durch eine Seitentür verlassen
hatte.
»Morgan ist nicht hier, Tante Nondi. Ich habe nur deshalb ein paar
Mannschaften der 20. Arkturusgarde akzeptiert, weil ich wusste,
Burg Resaurius würde nicht über volles Personal verfügen. Und ich
wollte hierher zurück.«
Sie nickte. »Ja, ich erinnere mich, dass du hier immer am liebsten
warst. Behaglich genug, um als Kind in der Burg herumzustromern,
und beeindruckend genug, um dem Mann zu imponieren.« Sie blickte
sich in dem großen Raum mit den Steinmauern und der hohen, von
grobklotzigen Balken getragenen Kuppeldecke um. »Mir hat sie nie
gefallen. Die Burg täuscht vor, eine
Festung zu sein, aber eine entschlossene Mechlanze könnte sie in
Minuten niederreißen.« Sie schaute ihn wieder an. Ihr Blick war
nichts sagend. »Sie kann mich nicht abhalten, Peter.«
»Du hattest eine Einladung.«
»Das meine ich nicht, und du weißt es auch. Katrina ist sich noch
nicht sicher, was sie von dir halten soll, und deshalb habe ich mir
diesen freundschaftlichen Besuch
erlaubt. Wir möchten wissen, was du vorhast.«
»Ich möchte verhindern, dass der Bürgerkrieg Tharkad erfasst, und
ich hoffe dabei auf deine Hilfe.« Er sah das Stirnrunzeln seiner
Tante, bevor sie es unterdrücken konnte. Nondi eignete sich nicht
für Intrigen. »Du glaubst mir nicht?«
Nondis breite Schultern hoben und senkten sich in einem energischen
Zucken. »Du reist in verdächtiger Gesellschaft: Morgan Kell. Wäre
sein Defensivkordon beim Zurückdrängen der Jadefalken letztes Jahr
nicht so entscheidend gewesen, stünde er, nachdem er Victor auf
Tikonov und Thorin geholfen hatte, bereits auf der Liste der
Landesverräter. So warten wir ab, was er als Nächstes
tut.«
Peter hatte geglaubt, er wäre gegen die meisten Anfeindungen
abgehärtet, doch die blinde Arroganz seiner Tante ging ihm schon
jetzt auf die Nerven. »Morgan folgt, wohin ich ihn führe, und ich
bin zurück auf Tharkad. Ich habe kein Verlangen, hier zu sein, aber
ich werde hier gebraucht.« Er nippte an dem beschlagenen Glas,
genoss die Reinheit des Wassers und wünschte sich, es hätte die
Zweifel aus seinem Geist waschen können. »Katherine darf nicht
länger regieren, Tante Nondi. Ich hoffe, das ist auch dir
inzwischen klar geworden. Ich bin gekommen, um auf Tharkad zu
herrschen, und ich hoffe, du wirst meinen Anspruch
bestätigen.«
»Deinen Anspruch?« Nondi ballte die Hände an den verkrampften Armen
zur Faust. »Ich soll dich bestätigen?«
Peter stellte das Glas ab und legte die Hände wie zum Gebet
zusammen. »Du bringst das Heer mit. Nachdem Tharkad sicher ist,
werde ich die Unterstützung des Volkes gewinnen, wenn Morgan den
ARD auflöst und seine Systeme vorbehaltlos zurück in die Allianz
führt. Alle derzeit unter Victors Banner in der Allianz kämpfenden
Einheiten werden sich dir ergeben, und wir werden Frieden haben.
Die Menschen werden in dir eine Retterin sehen, und nicht
Katherines Marionette.«
»Ich werde für meinen persönlichen Vorteil nicht das Vertrauen
entehren, das sie mir geschenkt hat.« Sie schleuderte Peter das
Angebot verächtlich zurück ins Gesicht. »Katrina ist der wahre
Archon.«
»Aber sie ist nicht hier auf Tharkad - und ich bin es.« Es war sein
letzter Versuch. »Was für ein Archon ist Katherine, dass sie ihr
Reich im Stich lässt, um größere Macht zu erringen? Du schaust sie
an und siehst in ihr das wiedergeborene Haus Steiner, Tante Nondi,
doch sie ist eine SteinerDavion, genau
wie ich oder Victor. Du siehst nur, was sie dich sehen lässt. Sie
erzählt dir, was du hören willst. Hat sie deinen Geist so sehr
gegen den Rest unserer Familie vergiftet, dass du dich an ihre
Hirngespinste klammerst, während um uns herum die Lyranische
Allianz in Flammen aufgeht?«
Nondi verschränkte die Arme vor der Brust. Peter konnte fast hören,
wie sich ihr Geist mit dem Hallen einer zufallenden Stahltür
verschloss. »Tharkad brennt nicht, Peter. Hier werden wir Ordnung
und Ehre aufrecht erhalten, bis das Chaos sich legt.«
»Alles brennt, wenn der Funke heiß genug ist.«
Sie stierte ihn mit frisch entfachter Wut an. »Soll das eine
Drohung sein, Peter Davion?«
»Eine Herausforderung, Generalin Steiner, eine, zu der du mich
gezwungen hast.« Peters Haltung wurde so kalt wie das Wetter
außerhalb der Burg, und er konnte ein Schaudern nicht unterdrücken.
Er hatte auf die Möglichkeit eines Gesprächs und eines Kompromisses
gehofft, aber wie Morgan es ihm vorhergesagt hatte: Nondi stand
völlig unter Katherines Bann.
Ein zweiter Mann betrat den Raum, der Mann, der mit Peter oben am
Fenster gestanden hatte. Er nickte kurz, und Peter deutete zu ihm
hinüber. »Du erinnerst dich möglicherweise an Richard de Gambier,
den ehemaligen Kommandeur der 2. Hofgarde. Er wird dich zurück zum
Wagen begleiten. Leider können wir dir nicht gestatten, deine
Striker-Eskorte mitzunehmen, aber wir
hielten es für das Beste, möglichen übereilten Entscheidungen von
deiner Seite vorzubeugen. Deine Panzerbesatzungen warten in der
Limousine, falls du so freundlich bist, sie mitzunehmen. Falls
nicht, werden wir dafür sorgen, dass sie irgendwie nach Tharkad
City kommen.«
Nondi kam zu ihm hinüber und starrte ihm mit kalter Wut in die
Augen. »Du bist zu weit gegangen, Peter. Du lässt mir keine andere
Wahl, als dich zu begraben.«
Peter nickte traurig. »Neben meiner Mutter? Und meinem Bruder?« Er
sah seine Tante bei der Erwähnung des vorzeitigen Endes von Melissa
zusammenzucken, bemerkte aber erst, als Arthurs Name fiel, eine
echte Regung. »Das wird dir möglicherweise schwerer fallen, als du
glaubst.« Er drehte ihr den Rücken zu und wartete ein, zwei
Pulsschläge, bevor er zur Tür ging. »Man kann gegen die Wüste nicht
kämpfen, Nondi Steiner. Nicht einmal mit dem Schnee Tharkads.«
Jahrelang hatte der ARD gewartet, wie ein Hammer, der zum Schlag auf Tharkad bereit lag. Schließlich sollte Peter den Griff halten, doch es war Khan Phelan Kell, der den ersten richtigen Schlag führte. Morgan Kell hatte mir Hilfe versprochen, und er hat sein Versprechen gehalten.
- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press. New Avalon, 3067