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Sahlat, TikonovAchernar-PDZ, Mark Capeila, Vereinigte Sonnen 28. Juni 3065
Sergeant Christoffer Pierce steuerte den siebzig Tonnen schweren JM7-F JägerMech die Kowloonallee der Einkaufsmeile von Sahlat entlang und suchte die düsteren Straßenschluchten ab. Die dicken Regentropfen, die wie tausend winzige Hämmer auf die Panzerung des Kampfkolosses schlugen, hüllten die Straßenlaternen ein und verschleierten ihr Licht. Die Straßenabschnitte waren schwarze Fluchten, durchbrochen nur von winzigen, glänzenden Abschnitten, wo das gedämpfte Licht auf den Asphalt fiel und wie eine Spiegelung nicht vorhandener Sterne zu ihm auffunkelte.
Das endlose Hämmern des Regens, der wogende Gang des BattleMechs ... zu jeder anderen Zeit hätte Pierce dies als einschläfernd empfunden, aber nicht heute. Ständiges Plappern auf den Kommkanälen verhinderte das, ein ununterbrochener Strom von Warnungen, durchsetzt von Befehlen und Kampfberichten. Die 15. Leichte Deneb-Kavallerie war in einen weiteren Sektor der Stadt vorgedrungen.
»... sie nicht gesehen. Bei diesem Wolkenbruch versagt die Infrarot-Ortung.«»Zwei Raupen, ein Schweber und ein Lichtbringer. Südwestquadrant, Meldung von Di-san und Huar. Ecke Neumann und Blumen.«
»Brauchen Unterstützung im Industriegebiet.«
»... werden zurückgedrängt ...«
»Feuert mit allem, was ihr habt, auf diesen verdammten Taifunl«
Und die Schlacht um Tikonov tobte weiter.
Christoffer gehörte zur 3. Kompanie der 6. CrucisLanciers, Colonel
Victoria Vinemans Tsamma-Lanciers - einem Regiment unter vielen,
das versuchte, die Kontrolle über den Planeten Tikonov zu gewinnen,
sei es im Namen Prinz Victor Steiner-Davions oder seiner Schwester
Katherine. Drei Monate zuvor war dies noch die Schlacht des Bürgerkriegs gewesen. Prinz Victor
war persönlich auf Tikonov gewesen und das Dreifache an Truppen war
auf beiden Seiten in die Schlacht marschiert. Es hatte die große
Offensive des Prinzen werden sollen, der Sprung aus den heftig
umkämpften Raumsektoren der Lyranischen Allianz in die Vereinigten
Sonnen, um seinen Truppen eine sichere Operationsbasis zu
verschaffen. Der Anfang vom Ende, hatte Colonel Vineman
versprochen. Ein willkommener Gedanke nach zweieinhalb Jahren
erbitterter, verzweifelter Kämpfe.
Dann war der Prinz abgeflogen, hatte Tikonov aufgegeben und sich
wieder in den lyranischen Raum zurückgezogen. Laut Gerüchteküche
zur Erholung. Man erzählte, der Tod Omi Kuritas habe Victor
Steiner-Davion so schwer getroffen, dass er den Kampfwillen
verloren hatte. Das wollte Pierce nicht glauben. Er konnte es nicht
glauben, und einer ganze Reihe anderer Krieger ging es sichtlich
genauso. Sie wussten, dass Tikonov ein wichtiger Planet war, doch
vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs nicht mehr als ein möglicher
Zwischenstopp auf dem Weg nach New Avalon, Zentralwelt der
Vereinigten Sonnen und Katherines Machtbasis. Welchen Sinn hätte es
gehabt, in Prinz Victors Namen hier zu kämpfen, falls er nicht
zurückkäme?
Sahlat war nur das letzte Schlachtfeld, das diese Überzeugung auf
die Probe stellte. Die Stadt lag mitten auf einer wichtigen
Verkehrsroute und war einer von mehreren Dominosteinen, die kippen
mussten, wollten Katherines Loyalisten in einer Großoffensive die
BattleMechfabriken an der Aranobucht zurückerobern. Der 3. Kompanie
standen gerade genug Mittel zur Verfügung, um Sahlats Fall zu
verzögern, allerdings reichten sie nicht aus, um die Stadt
dauerhaft zu halten. Sie war nicht mehr als eine Hinhalteeinheit,
mit der Aufgabe, den Vormarsch von Katherines Loyalisten
aufzuhalten, damit die übrigen Kräfte Victors weiter hinten eine
stärkere Verteidigung aufbauen konnten. Eine Ablenkung.
Verzichtbar.
Pierce schüttelte den Kopf. Seine Muskeln protestierten, wo der
schwere Neurohelm auf den gepolsterten Schultern der Kühlweste
auflag. Er klammerte sich verzweifelt an die Steuerknüppel. Die
Finger taten weh. Er hielt die Feuerknöpfe bis knapp vor den
Kontakt gedrückt.
Sein Blick suchte nach dem Feind, zuckte von der Sichtprojektion
zur Hilfsmonitoranzeige der Thermalortung und zurück zu dem von
Regentropfen verzerrten Bild des Sichtschirms. Irgendwo da draußen
lauerte die 15. Deneb, über die ganze Stadt verteilt und von den
Tsamma-Lanciers zurückgedrängt. Als hätte er weitere Beweise
gebraucht, blitzten plötzlich neutral blaue Symbole auf der
Sichtprojektion auf. Eine MedTechkompanie der Landers bog hinter
ihm in die Kowloonallee ein. Sie war mit weiteren Verwundeten auf
dem Rückzug zum südlichen Stadtrand. An den äußeren Rändern des
Sichtschirms, der eine 360°-Rundumsieht auf den 160°-Panoramaschirm
komprimierte,
sah er die lange Kolonne aus Rettungsfahrzeugen und
Transportern. Vermutlich beförderten sie die Überreste
der Infanteriekompanie, die beim Sturm der 15. Deneb
auf Sahlats östlichen Grüngürtel zerschlagen worden
war. Und der Rest der 15. konnte sich nicht weit dahinter
befinden.
An der nächsten Ecke erregte ein Schemen vor dem
dunklen Hintergrund der Straße seine Aufmerksamkeit. Die IR-Anzeige
war bei diesem Dauerregen ziemlich wertlos. Der Wolkenbruch
reduzierte alle Temperaturunterschiede auf leichte
Farbtonschwankungen.
In einer Stadt voller Eisenträger und Stahlbeton war
die Magnetortung allerdings noch wertloser. Immerhin
genügte sie ihm, das Fahrzeug als Hwnter-Raketenpanzer zu erkennen.
Er zog das Fadenkreuz über den
Schatten, dann riss er es wieder zurück, als das Zielsymbol die
Farbe von Tiefschwarz zu einem warnenden Rot änderte. Die
Sichtprojektion hatte den Panzer
als Lancier-Einheit identifiziert, eine seiner eigenen
Hilfseinheiten.
Die Identifikation war gerade rechtzeitig gekommen, um ihn vor
einem furchtbaren Fehler zu bewahren, doch den Hunter rettete sie nicht. Eine feindliche
Gausskugel prallte vom Straßenbelag ab und in die
rechte Flanke des Panzers. Eine der Antriebsketten riss
und stoppte ihn mitten auf der Kreuzung. Von der anderen Seite der
Ecke kamen zwei blutrote Lanzen aus
gebündeltem Licht herab und stießen durch die zertrümmerte
Panzerung. Sie weideten den Hunter
in
nicht einmal einer Sekunde aus, äscherten die Panzerbesatzung ein
und jagten die Munitionslager in die
Luft. Die Oberseite des Fahrzeugs brach auf wie eine
Erbsenschote und wütendes Feuer spie hinaus auf
die Kreuzung. Schrapnellsplitter prasselten gegen die
Beine des JägerMech. Pierce zog den
Fahrthebel zurück, legte beide Multi-Autokanonen auf den
Hauptfeuerknopf und bewegte das Fadenkreuz hinüber zur Straßenecke,
gerade als ein feindlicher Cestus auf
die Kreuzung trat. Wie der JägerMech
hatte auch der Cestus eine entfernt
humanoide Form mit wuchtigem Rumpf und hochgezogenen Schultern. Er
trat das brennende Wrack des Hunter
beiseite und stampfte drohend auf die Kreuzung heraus. Die rechte
Seite des khakilackierten Mechs war bereits von Treffern
beschädigt. Vorsichtig, um einen Fehlschuss in die Gebäude hinter
dem Mech zu vermeiden, brachte Pierce das Fadenkreuz über die
angeschlagene Rumpfseite.
Das Fadenkreuz leuchtete kräftig goldgelb auf und er drückte ab.
Beide Multi-AKs spien einige Hundert Granaten aus, deren Spitzen
aus abgereichertem Uran hergestellt waren, um die für den Kampf
gegen solche Metallgiganten nötige Durchschlagskraft zu erreichen.
Trotz seiner Bemühungen donnerte die Salve der linken Autokanone
weit vorbei und zertrümmerte die Ziegelfassade eines verwaisten
Baumarkts. Doch das Geschütz im rechten Arm des JägerMech setzte ein vernichtendes Metallgewitter
voll ins Ziel. Panzerbruchstücke regneten auf die Straße, wo sie
sich in den Regenpfützen mit Glasscherben und Steinbrocken
vermischten.
Der Cestus war jedoch nicht so schwer
beschädigt, wie Pierce es sich gewünscht hätte. Er hielt dem wilden
Angriff stand, auch wenn er auf das linke Bein zurückgeworfen
wurde. Dann richtete sich der Mech wieder auf und schlug mit aller
Macht zurück. Seine schweren Lichtkanonen zogen breite
Schmelzspuren an der linken Seite des JägerMech hinab, und das Gaussgeschütz feuerte eine
Nickeleisenkugel ab, die eine tiefe Delle in der Rumpfpanzerung
hinterließ. Kurzlebige Lichtlanzen der mittelschweren Laser
kosteten Pierce zusätzliche Panzerung vom linken Mecharm, die
zischend auf die regennasse Straße hinabtropfte. Der JägerMech stolperte nach rechts, der linke Fuß
schwang zu weit aufwärts, und er duckte die Maschine mit
übertrieben vorgebeugtem Torso um die nächste Hausecke. Der schwere
Neurohelm übertrug die Nervenimpulse seines Gleichgewichtssinns an
den Kreiselstabilisator des BattleMechs. Ein lautes Aufheulen drang
an sein Ohr, als das Gyroskop darum rang, den schweren Kampfkoloss
in Balance zu halten. Der Mech blieb auf den Beinen, Pierce nahm
Fahrt weg und zog sich rückwärts die Straße hinab zurück. »Pierce
auf Kowloon«, meldete er. Das sprachaktivierte Helmmikro fing seine
Stimme auf und das Kommsystem strahlte die Meldung über die
allgemeine Frequenz ab. »Ein Hunter
verloren. Stehe in Gefecht mit Cestus.«
Er erhielt keine Antwort, nur die bruchstückhaften Fragmente
anderer Kämpfe.
Wieder schüttelte sich der JägerMech,
als der Cestus der Kavallerie ihn mit
den Lasern unter Beschuss nahm und bis auf eine dünne Metallschicht
die verbliebene Panzerung von den linken Gliedmaßen schälte.
Pierce' Feuerleitcomputer gelang es nicht, die beschädigte
Rumpfseite des Metallriesen sicher zu erfassen. Das Fadenkreuz
blinkte schwarz-gold, um die teilweise Zielerfassung anzuzeigen. Er
gab extralange Feuerstöße aus den Multi-Autokanonen ab und
verschleuderte die Munition in Großhandelsmengen. Die Granaten
fraßen Panzerung vom linken Knie des Cestus bis zu rechten Schulter und von der linken
Hüfte bis hinauf zum glockenförmigen Kopf.
Pierce hatte erhebliche Zweifel, ob das ausreichte, um den
Cestus dauerhaft auszuschalten. Vorerst
aber schien das Stakkato dieses Bombardements seinen Zweck erfüllt
zu haben. Der Loyalisten-Pilot verlor die Kontrolle über den
fünfundsechzig Tonnen schweren Koloss. Der Mech kippte nach hinten,
dann warf er sich zum Ausgleich wieder heftig nach vorne und trat
versehentlich einen abgestellten PKW zu Klump, als der rechte
Mechfuß abrutschte. Seine Schulter knickte eine Straßenlaterne um,
die der riesige gepanzerte Rumpf der Kampfmaschine kurz darauf
völlig unter sich begrub, als er vornüber auf die Straße stürzte.
Inzwischen aber hatte bereits eine neue Bedrohung Christoffers
Aufmerksamkeit gefesselt.
Ein anderer BattleMech stampfte die Kowloonallee herab auf ihn zu -
ein wuchtiger Schatten, der die ganze Straßenschlucht füllte. Ob
der Cestus ihn verdeckt hatte oder ob
er gerade erst aus einer Seitenstraße auf die Allee getreten war,
spielte eigentlich keine Rolle. Jedenfalls nicht im Vergleich zu
der Information, die neben dem Gefahrensymbol der Sichtprojektion
prangte. Pierces Mund trocknete aus, er schmeckte den metallischen
Geschmack der Angst, als er die Kennung las. BNC-6S.
Eine Banshee.
»BefehlsMech«, rief er, noch während er den Ladevorgang der
Autokanonen abbrach und den Auslöser drückte. Zu schnell und zu
schwer belastet, blockierte die Waffe im rechten Mecharm. Aus der
Linken spie eine lange Flammenzunge und ein Strom von
Kaliber80-mm-Granaten donnerte in den Rumpf der gegnerischen
Maschine. »Banshee, 6S. Auf Kow...« Das
schwere Gaussgeschütz der Banshee
blitzte auf, als die Magnetspulen ihre Energie abstrahlten,
zweihundertfünfzig Kilogramm Nickeleisen auf
Überschallgeschwindigkeit beschleunigten und geradewegs in die
rechte Flanke des JägerMech
schleuderten.
Selbst in fabrikneuem Zustand war sein Schutzpanzer solchen
Treffern nicht gewachsen. Ganze Metallkeramikplatten barsten unter
dem Aufprall und regneten in großen Brocken und als
rasiermesserscharfe Splitter auf den Asphalt der Straße.
Stützstreben aus geLoyalisten aufflammen sah. Leuchtspurmunition
brannte eine Bahn durch den Wolkenbruch und zeichnete
eine Linie aus weißem Feuer in den Regen, die beide
Kriegsmaschinen verband.
Die erste Leuchtspurkugel prallte in einem weißen
Feuerball vom Panzerglas des Kanzeldachs ab, Pierce
hätte beinahe aufgelacht. Aber dann hämmerte die
volle Gewalt der Kaliber-10-cm-Autokanone hinterher
und schlug eine Spur weit ausladender sternförmiger
Risse in das Cockpitdach, als der Banshee-Püot die
Salve über den Kopf des JägerMech zog.
Es war schlimmer als je zuvor, und die Kanzel erbebte unter
dem
mörderischen Beschuss, während das Granatenbombardement in
ohrenbetäubender Lautstärke das Prasseln des Regens imitierte.
Pierce wurde in die Gurte
geschleudert und verlor fast das Bewusstsein, als ein
Hammerschlag die Seite des Neurohelms traf. Doch
die Schmerzen, die seinen gefolterten Leib durchzuckten, rissen ihn
zurück in den Wachzustand. In einem
Augenblick absoluter Klarheit starrte er auf die Löcher
im Kanzeldach und beobachtete, wie sich das eindringende
Regenwasser vermischt mit Blut auf dem Cockpitboden
sammelte.
Zuerst fühlte er den beißenden Schmerz im rechten Knie, dann am
Arm, in der Schulter. Seine Hand
war vom Steuerknüppel gerutscht. Er schaute hinunter
und sah, dass sie in Gelenknähe halb abgerissen war.
Blut schoss in warmen Fontänen aus der Wunde auf
den nackten Oberschenkel, die Liege, die zertrümmerte
Kontrollkonsole. Pierce hob den Blick zurück zum
Kanzeldach und starrte durch den Regen hinaus auf
den hünenhaften Schatten der Banshee,
die langsam
näher wuchtete. Im Schein einer Straßenlaterne konnte
er gerade das Einheitsabzeichen der 15. Deneb erkennen, die
Läuferfigur eines Schachspiels. Er runzelte die
Stirn. »Das ist nicht mal eine Steiner-Einheit.« Er versuchte sich
zu erinnern, warum die Tsamma-Lanciers gegen eine Einheit kämpften,
die genau wie sie aus den Vereinigten Sonnen stammte, und fand
keine Antwort.
Dann schnitt das schwere Gaussgeschütz der Banshee das beschädigte Bein unter dem Rumpf des
JägerMech ab. Der unvermittelte Sturz
und der harte Aufprall verdrängten alle anderen Gedanken.
Als Katherine endlich zum Militär griff, um ihrer Probleme Herr zu werden, dachten wir, sie hätte den entscheidenden Fehler begangen. Doch sie gab nicht auf. Möglicherweise ist das ein weiterer Beweis der alten Binsenweisheit: »Letztlich ist alles Politik« .
- Aus Ursache und Wirkung, Avalon Press, New Avalon, 3067