Vierzehntes Kapitel

Welche Frau würde sich nicht verzweifelt nach Raynes Küssen sehnen, Maman? Trotzdem hoffe ich, dass er sich eines Tages nach den meinigen verzehrt. Leider widersetzt er sich stur all meinen Bemühungen.

Die Veränderungen waren unübersehbar. Als sie am selben Abend in Danvers Hall dinierten, trug Madeline ein atemberaubendes Abendkleid aus weißer Brüsseler Spitze über blassgrüner Twillseide. Ihr Haar war sehr viel weicher aufgesteckt als früher und von smaragdgrünen Bändern mit aufgestickten Perlen durchwirkt.

Auch Madelines Züge wirkten weicher, irgendwie zarter und vornehmer. Seine junge Braut war beinahe schön, stellte Rayne fest, und als er sah, wie sie sich mit den anderen Gästen unterhielt, war offensichtlich, dass sie bereit war, den Platz als Countess an seiner Seite einzunehmen.

Ohne Frage war die neue Madeline reizender als die unscheinbare Frau, mit der er sich letzte Woche vermählte. Und obgleich ihre äußere Erscheinung ihm weniger wichtig war als ihr Esprit, ihre Intelligenz und ihr lebendiger Verstand, konnte er nicht umhin, ihren Wandel reizvoll zu finden. Vor allem aber verdross ihn, dass seine Entschlossenheit, Abstand zu wahren, merklich schwächelte.

Was erst recht der Fall war, als sie nach Riverwood zurückkehrten und sich für die Nacht zurückzogen. Madeline hatte offenbar mehr Vertrauen in ihre weiblichen Reize gefasst.

Oben vor der Tür ihres Schlafgemachs blickte sie ihn mit ihren großen Augen fragend und zugleich einladend an, was bewirkte, dass Rayne sich entsann, wie warm und willig sie vor wenigen Stunden in seinen Armen gelegen hatte.

Ein Dutzend Herzschläge lang sah Rayne nichts als ihren verlockenden Mund. Er sehnte sich danach, Madeline in ihr Schlafzimmer zu folgen und die ganze Nacht dort mit ihr zu verbringen. Dennoch ließ er sie allein. So dringend er auch einen Erben zeugen wollte, war es klüger, ihre Intimität in Grenzen zu halten.

Natürlich schlief er miserabel, war es ihm doch unmöglich, die Erinnerungen an den Liebesakt mit Madeline zu vertreiben. Beim Aufwachen am nächsten Morgen fühlte er sich rastlos und mürrisch. Ihm war durchaus verständlich, dass er sie begehrte, doch warum er solche Schwierigkeiten hatte, emotional auf Distanz zu bleiben, nachdem er geschworen hatte, nichts als körperliches Verlangen zu empfinden, war ihm unbegreiflich.

Es erging ihm kein bisschen anders, als Madeline frisch und liebreizend in cremefarbenem Musselin im Frühstückssalon erschien. Rayne wollte sie auf der Stelle in seine Arme ziehen und ihren verlockenden Mund sowie ihren noch verlockenderen Körper küssen.

Zweifellos erklärte diese Regung, weshalb er dankbar für den kleinen Zwischenfall war, der ihn aufs Neue zur Vorsicht ermahnte. Sie führten eine höfliche Unterhaltung über die Gäste, die Madeline am Vorabend kennengelernt hatte, als sie versehentlich eine höchst verdächtige Bemerkung machte. Rayne hatte sie gerade beglückwünscht, die Sympathien ihrer Nachbarn gewonnen zu haben.

Madeline lachte verhalten. »Um ehrlich zu sein, versuche ich, mehr wie Roslyn Moncrief zu sein. Ich weiß, dass du sie sehr bewunderst. Wie beschriebst du sie noch? Als ›faszinierend‹? Und du hast ihr eine hohe Intelligenz zugeschrieben.«

Rayne merkte auf. Es gab nur eine Möglichkeit, wie Madeline davon wissen konnte: Sie hatte seinen Schreibtisch durchsucht.

»Woher weißt du von meiner Bewunderung für sie?«, fragte er gelassen.

Madeline fuhr zusammen und sah ihn schuldbewusst an. Nun blieb abzuwarten, ob sie gestehen oder sich mit einer Lüge herauswinden würde.

Nach kurzem Zögern entschied sie offenbar, die Wahrheit zu gestehen. »Ich sah zufällig deine Liste der Brautkandidatinnen.«

Als er sie nur schweigend betrachtete, ergänzte sie: »Ich habe nicht spioniert, sondern ich suchte in deinem Schreibtisch nach Briefpapier. Eine der Schubladen war unverschlossen, und als ich deine Liste entdeckte, wurde ich neugierig und habe sie gelesen.«

Rayne schwieg weiterhin, so dass sie schließlich eine Hand auf seinen Arm legte. »Es tut mir leid, Rayne. Ich wollte es nicht, und es wird auch nicht wieder vorkommen, das verspreche ich dir.«

Ihr Blick war unschuldig, aber Rayne war schon einmal auf ein flehendes, hübsches Gesicht hereingefallen.

Zwei Tage später kam es zu einem ernsteren Vorfall. Am späten Nachmittag ertappte Rayne Madeline, als sie versuchte, ein Gespräch von ihm zu belauschen.

Seit seiner Rückkehr nach Riverwood hatte er mehrere Berichte aus London bezüglich der Ermittlungen erhalten. Als er den neuesten Kurier mit letzten Anweisungen entließ, öffnete er die Tür seines Studierzimmers und fand seine Gemahlin draußen auf dem Korridor vor.

Madeline lächelte ihn freundlich an. »Ich haderte eben mit mir, ob ich klopfen sollte, Mylord. Ich wollte deine Privatsphäre nicht stören.«

Rayne war nicht sicher, ob er ihr glauben sollte, wollte es allerdings nicht vor dem Kurier diskutieren. Also nickte er dem Mann nur zu und wartete, bis er fort war.

Sobald sie allein waren, sah Madeline scheu zu ihm auf. »Du hast wieder einmal den Tee versäumt, und ich wollte dich einladen, ihn mit mir zusammen zu nehmen.«

Da ihm kein plausibler Grund einfiel, ihre Einladung auszuschlagen, folgte er Madeline in den Salon, wo seine Bediensteten bereits gedeckt hatten.

Während Madeline ihm einschenkte, sagte sie: »Ich wusste nicht, dass du noch in der Spionage tätig bist.«

»Wie kommst du auf den Gedanken?«

Sie sah ihn an. »Wenn ich finstere Gestalten sehe, die zu allen Tages- und Nachtzeiten kommen und gehen, fällt es mir nicht schwer, den Grund zu erraten.«

»Und du hast geraten, dass meine Besucher mit Spionage zu tun haben?«

»Ja. Mir fiel diese besondere Dringlichkeit auf, die bei gewöhnlichen Geschäftsangelegenheiten nicht vorkommt. Und wie Bittsteller, von denen du in Anbetracht deines Titels und Vermögens gewiss einige haben dürftest, erschienen sie mir ebenfalls nicht.«

»Woher das Interesse an meinen Angelegenheiten, meine Liebe?«, fragte Rayne ausweichend.

Madeline zog eine Braue hoch. »Warum nicht? Sollte ich mich nicht fragen, was meinen neuen Gemahl beschäftigt? Ist es abwegig, dass ich mich für deine Angelegenheiten interessiere, nur weil wir eine Vernunftehe führen?«

Vielleicht war es nicht abwegig, entschied Rayne, trotzdem behagte ihm ihr Interesse nicht.

»Ich dachte, du hättest deine Tätigkeit aufgegeben, wenngleich mich nicht wundert, dass dem nicht so zu sein scheint. Du liebst die Herausforderung, und ich kann mir schwerlich vorstellen, dass dich das müßige Leben eines Adligen glücklich macht.«

Als Rayne nichts erwiderte, fuhr sie mit einem provokanten Lächeln fort: »Ich vermute, Männer deiner Profession können sich nicht einfach ins Privatleben zurückziehen.«

»Ich habe noch nicht entschieden, was ich in Zukunft tun will«, erwiderte er.

Was der Wahrheit entsprach. Nach Napoleons erster Niederlage 1814 hatte sich sein Freund Will Stokes auf das Fangen von Dieben und sonstigen Kriminellen verlegt, und erst kürzlich schlug er Rayne vor, gleichfalls zu den Bow Street Runners zu kommen. Nur hatte die Arbeit dort nicht denselben Reiz wie die, gegen tödliche französische Spione zu agieren.

Sein jüngstes Unternehmen indes hatte Rayne eine vage Vorstellung davon gegeben, was er mit seinem Leben anfangen könnte. Verschwörungen aufzudecken und Staatsstreiche zu vereiteln, könnte die Langeweile kurieren, die ihn plagte, seit er nicht mehr für den britischen Geheimndienst arbeitete.

Madeline beobachtete ihn, während sie an ihrem Tee nippte. »Wenn du dich für eine Zukunft entscheidest, würde ich gern von deinem Entschluss erfahren. «

»Natürlich.«

»Beantworte mir doch bitte nur eines. Falls du in gefährliche Machenschaften verstrickt bist, muss ich um deine Sicherheit fürchten?«

»Nein, du hast nicht den geringsten Grund, dir um mich Sorgen zu machen.«

Seine Antwort schien ihr nicht zu gefallen. Allerdings würde Rayne nicht mit ihr über das Komplott gegen den Prinzregenten reden.

Rayne schüttelte den Kopf. Hätte er ernstlich eine brave, fügsame Gemahlin gewünscht, die sich aus seinem Tun heraushielt, hätte er sie nicht heiraten dürfen. Madeline war klug und gewitzt. Wollte sie seine Geheimnisse lüften, wäre sie allemal dazu in der Lage, lebte sie doch mit ihm in seinem Haus. Die letzten paar Tage jedoch fragte Rayne sich, ob sie womöglich die Grenze zwischen schlichter weiblicher Neugierde hin zu etwas Finsterem überschritten hatte.

Jedenfalls spürte er, dass etwas nicht stimmte.

Oder suchte er nach Gründen, sie von sich zu stoßen? Nein, er hatte in vielen Jahren, die er mit Geheimnissen, Lügen und Betrügereien zu tun gehabt hatte, gelernt, seinem Instinkt zu trauen.

 

Madeline wunderte sich nicht, dass Rayne Teile seines Lebens vor ihr geheimhalten wollte. Von alten Gewohnheiten trennte man sich schwer, und schließlich hatte sie auch ihre Geheimnisse vor ihm.

Ihr war nicht entgangen, wie er sie musterte, als sie ihn nach seinen künftigen Plänen fragte. Sein misstrauisches Naturell war gewiss ein Grund, weshalb er ihren Avancen so entschieden widerstand.

Dabei wollte sie sich keineswegs in seine Angelegenheiten mischen. Fanny hatte ihr geraten, ein lebhaftes Interesse an ihrem Gemahl zu zeigen, und das musste Madeline nicht einmal vortäuschen. Und natürlich wäre sie in Sorge um ihn, sollte er wieder als Spion tätig sein.

Vor allem aber wollte Madeline wissen, was ihn davon abhielt, ihr Aufmerksamkeit zu schenken.

Fanny war sicher gewesen, dass ihre Methoden einen Mann wie Rayne erweichen würden, nur leider schienen sie bei ihm nicht zu wirken.

Zudem machte Madeline sich große Sorgen um ihren Bruder, da sie nichts von Gerard gehört hatte und keine Antwort auf ihre beiden Briefe erhielt. Sie wusste nicht einmal, ob er und seine Braut sicher in Maidstone angekommen waren, in dem Cottage von Lynettes Cousin Claude Dubonet.

Wenigstens schien Freddie Lunsfords Dilemma gelöst. Madeline hatte eine hastig gekritzelte Nachricht von ihm erhalten, in der er berichtete, dass Madame Sauville vor Wut schäumte, ihn jedoch nicht mehr erpresste, so dass sein Vater ihm nach wie vor wohlgesonnen war.

Das Glück hatte Madeline überdies eine neue Freundin und Verbündete beschert. Tess Blanchard, die andere Teilzeitlehrerin an der Akademie, war von einer vierzehntägigen Hausgesellschaft in Brighton nach Chiswick zurückgekehrt.

Tess war eine wahre Schönheit mit wundervollem schwarzem Haar und einer Haltung, die unmissverständlich für eine noble Herkunft sprach. Sie war ein wenig jünger als Madeline, die sie gleich alt mit der zweiundzwanzigjährigen Roslyn schätzte. Tess war die Freundlichkeit in Person, als sie Madeline erstmals in der Akademie begegnete.

»Lassen Sie mich bitte wissen, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, Lady Haviland«, hatte Tess sofort gesagt. »Ich stehe in Ihrer Schuld, da Sie meinen Unterricht übernahmen, solange ich fort war.«

»Die Gelegenheit war mir sehr willkommen«, entgegnete Madeline, »aber nennen Sie mich doch bitte Madeline. Ich gewöhne mich nur schwer an den formellen Titel.«

»Das werde ich, wenn Sie mich Tess nennen. Wie ich sagte, bin ich Ihnen dankbar, denn Ihre Ankunft erlaubte mir, Zeit mit meinem Cousin Damon, Lord Wrexham, zu verbringen. Damon heiratete kürzlich Lord Danvers‘ jüngere Schwester Eleanor, und ich bin seine einzige nahe Verwandte.«

»Ja, das hörte ich. Überhaupt haben Arabella und Jane mir viel von Ihnen erzählt.« Madeline hatte vornehmlich erfahren, wie sehr Tess sich wohltätig engagierte, seit ihr geliebter Verlobter vor zwei Jahren in der Schlacht bei Waterloo starb. »Ihre wohltätige Arbeit ist höchst bewundernswert!«

Tess lächelte. »Ihr Gemahl hat schon mehrfach sehr großzügig gespendet, aber nun hoffe ich, Sie als Förderin gewinnen zu können. Es ist verblüffend, wie einflussreich ein aristokratischer Titel beim Sammeln von Spenden sein kann.«

»Gerne würde ich mich mit Freuden nützlich machen. «

Tess betrachtete sie nachdenklich. »Arabella erwähnte, dass Fanny Irwin Sie berät. Bitte, erschrecken Sie nicht, Belle hat Ihr Vertrauen nicht missbraucht. Es ist nur so, dass sie mich drängt, Fanny bezüglich meiner Situation zu konsultieren.«

»Ihrer Situation?«, fragte Madeline.

»Als Unverheiratete«, erklärte Tess mit einem kleinen Lachen. »Arabella ist so verzückt von ihrem eigenen Eheglück, dass sie sich dasselbe für mich wünscht. Ich kenne Fanny seit einigen Jahren, dachte jedoch niemals daran, ihren Rat in Herzensangelegenheiten zu suchen. Das war klug von Ihnen, Madeline.«

»Es war Arabellas Idee«, gestand sie.

Tess senkte die Stimme. »Hoffentlich empfinden Sie mich nicht als unverschämt, aber darf ich fragen, ob sich Fannys Methoden als hilfreich erwiesen?«

»Es ist noch zu früh, das zu sagen«, antwortete Madeline wahrheitsgemäß, »aber ich bin zuversichtlich. Vor allem aber hat Fanny mein Vertrauen in mich selbst erheblich gestärkt, und das allein war keine leichte Aufgabe.«

»Nun«, sagte Tess ernst, »ich bin inzwischen nicht mehr in Trauer und sehne mich danach, mein Leben wieder zu genießen. Daher wäre es wohl klug, mich von Fanny beraten zu lassen.«

Jane Caruthers gesellte sich zu ihnen, so dass sie beide sich wieder anderen Themen zuwandten, aber Madeline freute sich schon, die faszinierende Tess näher kennenzulernen.

Bis dahin bekam Madeline es mit zwei weiteren Familienmitgliedern Raynes zu tun. Ohne Vorwarnung erschienen seine beiden Schwestern am folgenden Nachmittag in Riverwood.

Sie waren gekommen, um Madeline zu begutachten, vermutete sie, und wieder einmal musste sie ihren Besuch allein empfangen, war Rayne doch am Morgen nach London gefahren.

Als sie in den Salon ging, in den Bramsley die beiden Damen geführt hatte, versuchte Madeline sich zu erinnern, was sie bisher über Raynes Schwestern wusste. Penelope war zwei Jahre älter als Rayne, Daphne ungefähr zwei Jahre jünger. Beide Schwestern hatten Baronets geheiratet, wodurch Penelope zu Lady Tewksbury wurde und Daphne zu Lady Livermore.

Beide waren gut aussehend, wie Madeline als Erstes feststellte, hatten schwarzes Haar und blaue Augen wie Rayne, waren allerdings nicht annähernd so groß. Sie saßen steif in ihren Sesseln, als wollten sie ungern länger als nötig bleiben. Und auf den ersten Blick sahen sie genauso hochmütig aus wie ihre Großmutter.

Aus ihrer frostigen Begrüßung schloss Madeline, dass ihre Großmutter sie bereits gegen Raynes neue Gemahlin eingenommen hatte.

Dennoch lächelte sie höflich, hieß die Schwestern in Riverwood willkommen und drückte ihre Freude aus, sie kennenzulernen.

Als sie fragte, ob sie ihnen Erfrischungen anbieten dürfte, antwortete Penelope kühl: »Danke, nein, wir bleiben nicht. Wir wollten lediglich sehen, welche Art Frau unser Bruder sich ausgesucht hat.« Nach kurzem Schweigen ergänzte sie: »Ich gestehe, Sie sind eine Überraschung.«

»Ach ja, inwiefern?«

»Zum einen sind Sie bedeutend älter.«

Madeline verkniff sich eine spitze Erwiderung.

»Wir hatten angenommen, dass Haviland seine Pflicht der Familie gegenüber kennt, aber leider irrten wir.«

Nun sagte Daphne etwas. »Es ist überdies so, dass Rayne nie auf eine Heirat erpicht war, und wir glaubten, er würde sich trotz der Bemühungen unserer Großmutter nicht zu einer Ehe bewegen lassen. Penelope und ich haben beide kurz nach unserem gesellschaftlichen Debüt geheiratet, wie man es von jungen Damen erwartet; hingegen hat Rayne sich all die Jahre gegen eine Heirat gesträubt.«

»Ich hatte kein gesellschaftliches Debüt«, gestand Madeline, »folglich auch wenig Gelegenheit, ledigen Gentlemen zu begegnen.«

Penelopes Miene war beinahe verächtlich. »Ja, das hörten wir. Sie waren als Gesellschafterin tätig, nicht wahr?«

»Ja, das war ich.«

»Zumindest ist es ein kleiner Trost, dass Sie nicht gänzlich inakzeptabel sind. Wir fürchteten, dass Sie sich als Peinlichkeit erweisen würden.« Penelope musterte Madeline. »Grandma machte uns glauben, Sie hätten keinen Geschmack, dieses Kleid ist untadelig.«

»Lady Danvers beriet mich beim Kauf meiner Garderobe«, sagte Madeline, die es nicht für schädlich hielt, den einen oder anderen illustren Namen zu erwähnen.

Penelope ignorierte es. »Sie begingen einen schwerwiegenden Fehler, indem Sie unsere Großmutter provozierten. Sie haben sie sich zum Feind gemacht.«

»Was gewiss nicht meine Absicht war.«

»Großmutter wird Sie schneiden.«

»Ein schlimmeres Schicksal als der Tod, ohne Frage«, murmelte Madeline.

Penelope kniff die Augen ein wenig zusammen. »Ich glaube, Sie begreifen nicht, was Ihnen bevorsteht. Man wird Sie gesellschaftlich ächten. Sie werden in keinem der feinen Häuser empfangen werden. Oder haben Sie seit der Vermählung irgendwelche Einladungen erhalten, abgesehen von denen des benachbarten Landadels?«

Madeline blieb ausnehmend höflich. »Ich würde die Countess of Danvers und die Duchess of Arden nicht als Landadel bezeichnen. Und ich bin glücklich, beide Damen Freundinnen nennen zu dürfen.«

»Sie hat Recht, Penny«, sagte Daphne.

»Sei still, Daphne.« Die ältere Schwester wandte sich wieder zu Madeline. »Falls Sie Aufmerksamkeit erfahren, dann nur, weil die Leute neugierig auf Havilands neue Countess sind.«

»Mag sein, aber deshalb gräme ich mich offen gesagt nicht. Zudem erledigt Rayne unsere Korrespondenz, so dass ich nicht weiß, welche Karten wir bekommen haben.«

Penelope verzog das Gesicht. »Ich traue Rayne durchaus zu, sie einfach wegzuwerfen. Er war immer schon entsetzlich nachlässig in Dingen des vornehmen Lebens.«

Madeline lächelte gelassen. »Ja, er sorgte sich mehr um solch niedere Belange wie den, die Welt von einem Tyrannen zu befreien.«

Daphne beäugte sie erstaunt. »Sie sind genauso direkt und unverblümt wie Großmama sagte!«

»Ich vermute, Lady Haviland benutzte andere Adjektive als diese, mich zu beschreiben.«

»Kümmert es Sie denn gar nicht, dass Sie ihren Zorn auf sich zogen?«

Madeline wurde ernst. »Mich kümmert, dass mein Gemahl nicht meinetwegen leidet. Ich wollte mich nie zwischen ihn und seine Familie stellen, doch kann ich weder meine Herkunft noch meine Erziehung ändern. « Sie sah zu Penelope. »Nur dass Sie es wissen, ich genoss eine vornehme Erziehung und bin sehr wohl imstande, mit Messer und Gabel umzugehen.«

»Aber können Sie ein Dinner zu Ehren eines Diplomaten geben?«, fragte Penelope scharf. »Oder einen Ball für vierhundert Gäste?«

»Gegenwärtig nicht, doch ich lerne schnell, und ich habe Freundinnen, die so großzügig sind, mich alles zu lehren, was ich wissen muss.«

Sie wollte nicht darauf hinweisen, dass Raynes Schwestern ihr eigentlich helfen sollten.

»Ich denke, Sie sind wohl doch die Richtige für Rayne«, sagte Daphne nachdenklich.

Madeline war überrascht. Anscheinend war Raynes jüngere Schwester eher bereit als die ältere, sie zu akzeptieren. »Wie kommen Sie auf den Gedanken?«

»Weil Sie die Konfrontation nicht scheuen. In dem Punkt gleichen Sie Rayne.« Daphnes Lächeln war charmant und ein kleines bisschen schelmisch. »Rayne wurde von unserem Vater nach dem norwegischen Raynor benannt, wussten Sie das?«

»Nein.«

»Es bedeutet ›göttlicher Krieger‹. Papa hielt sich für einen griechischen Gelehrten, aber zwischen seinen griechischen Phasen beschäftigte er sich mit den nordischen Sagen.«

»Daphne, bitte, zügle deine Zunge!«, befahl ihre Schwester.

Daphne jedoch ignorierte sie. »Penny und ich gaben unseren Kindern schlichte, altmodische englische Namen. Ihre heißen Michael und Peter, meine Francis und Henry.«

»Das reicht, Daphne!«, zischte Penelope.

»Rayne sagte mir, sein ältester Neffe wäre zwölf, der jüngste vier Jahre alt«, bemerkte Madeline.

»Ja«, antwortete Penelope brüsk, während Daphne sich merklich entspannte und sogar lachte. »Glauben Sie mir, Lady Haviland, Sie wollen mich gewiss nicht ermuntern, über meine Kinder zu sprechen, es sei denn, Sie hätten den ganzen Tag Zeit. Ich könnte endlos von den beiden schwärmen!«

»Sie scheinen Ihre Söhne sehr gern zu haben.«

»Oh ja, das habe ich, und Penny die ihrigen, um ehrlich zu sein …«

Penelope fiel ihr ins Wort. »Die Erwähnung unserer Söhne bringt uns zum eigentlichen Zweck unseres Besuchs.«

»Welcher wäre?«, fragte Madeline höflich.

»Dürfen wir offen sein?«

»Unbedingt.«

»Wir hoffen sehr«, sagte Penelope und wirkte erstmals verlegen, »dass Sie keine Kluft in unsere Familie bringen, die niemals zu überbrücken wäre.«

»Ja«, stimmte Daphne ein, »es wäre nicht fair Rayne gegenüber, sollte Großmama ihn enterben, noch unfairer indes gegenüber unseren Söhnen. Obgleich wir erfreut wären, wenn sie uns ihr immenses Vermögen hinterlässt, wäre es unseren Söhnen untersagt, ihren Onkel zu sehen, und sie sind ihm sehr zugetan. «

Madeline stutzte. »Gestatten Sie Ihrer Großmutter, über Ihr Leben zu befehlen?«

Daphne kräuselte die Nase. »Ich fürchte ja. Großmama verfügt über das Vermögen, und wir möchten unsere Söhne nicht um ihr rechtmäßiges Erbe bringen, deshalb tanzen wir nach ihrer Pfeife.«

»Und was wünschen Sie von mir?«, fragte Madeline.

»Nun«, antwortete Daphne sichtlich hilflos. »Ich bin nicht sicher, ob etwas getan werden kann, selbst wenn Sie sich entschließen, Großmama um Verzeihung zu bitten, weil Sie ihr Widerworte gaben.«

»Hat Ihre Großmutter Ihren Besuch abgesegnet?«

»Nein, sie weiß nicht, dass wir hier sind. Aber Rayne ist ja immer noch unser Bruder, und wir sorgen uns um sein Wohl, wie auch um das unserer Söhne.«

»Mich wundert, dass Lady Haviland es Ihnen nicht direkt verboten hat.«

»Oh, das hat sie. Sie war äußerst irritiert, von seiner Vermählung zu erfahren – außer sich, könnte man sagen. Und sie zürnt Ihnen für die Art, wie Sie mit ihr sprachen.«

»Offenbar erwies ich ihr nicht den erwarteten Gehorsam«, bemerkte Madeline.

»Zweifelsohne taten Sie es nicht«, sagte Penelope und stand auf. »Komm, Daphne.«

»Ja, wir sollten gehen«, stimmte Daphne ihr zu. »Wir sind schon länger als die üblichen fünfzehn Minuten hier.«

Es schien Madeline absurd, dass die beiden den ganzen Weg von London hergefahren waren, um so kurz zu bleiben.

»Guten Tag«, sagte Penelope kühl und schritt zur Tür.

Daphne hingegen flüsterte Madeline zu: »Um ehrlich zu sein, Penny weigerte sich, Sie zu besuchen, bis ich ihr sagte, ich würde mit oder ohne sie herkommen. Und sie kann es nicht leiden, wenn ich so bestimmt auftrete.«

Sie wollte ihrer Schwester schon folgen, als sie abermals stehenblieb. »Übrigens, hat Rayne Ihnen schon den Haviland-Schmuck gegeben?«

Die Frage traf Madeline unvorbereitet, denn sie wusste gar nichts von der Existenz besagten Familienschmucks. »Nein, noch nicht.«

»Fragen Sie ihn nach dem Schmuck. Es scheint mir nicht fair, dass Sie ihn bekommen«, fügte sie munter hinzu, »denn Pen und ich haben ein größeres Anrecht darauf. Aber die Juwelen gehören leider zum Titel. Was auch ein Grund ist, weshalb Großmama so wütend auf Sie ist. Sie wird den Schmuck sehr ungern hergeben.«

»Meinetwegen darf sie ihn behalten.«

Daphne starrte sie ungläubig an. »Sie sind weit großzügiger, als ich es an Ihrer Stelle wäre.«

In dem Moment kam Madeline eine Idee. »Wissen Sie, wo der Schmuck verwahrt wird? In einem Bankschließfach oder einem Safe hier oder in Raynes Londoner Haus?«

»In der Bank, glaube ich. Aber nun muss ich gehen. Penny wird sehr ungehalten, wenn man ihren Wünschen zuwiderhandelt, genau wie Großmama.«

»Danke, dass Sie hier waren. Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.«

»Ganz meinerseits, obgleich ich es niemals zugäbe, sollten wir uns wieder begegnen. Es tut mir sehr leid.«

»Mir auch«, sagte Madeline ernst. Daphne war ähnlich charmant wie Rayne, hingegen war Penelope wie ihre Großmutter. Madeline bezweifelte, dass sie jemals Freundinnen werden könnten, zumindest nicht solange Lady Haviland absoluten Gehorsam von ihren Enkeln verlangte. Am meisten aber missfiel Madeline, dass es ihretwegen zum Bruch zwischen Rayne und seinen Schwestern kam.

 

Als Rayne später am Nachmittag zurückkehrte und geradewegs in sein Studierzimmer ging, klopfte sie an seine Tür, sowie sie von seiner Ankunft erfuhr.

»Deine Schwestern waren heute hier«, sagte sie.

Rayne beäugte sie mitfühlend und bat sie, auf dem Sofa Platz zu nehmen. »Ich hoffe, sie benahmen sich weniger barsch als meine Großmutter.«

»Etwas weniger. Daphne wurde mit der Zeit sogar recht freundlich.«

»Was wollten sie?«

»Mich begutachten, vermute ich. Zumindest fand mein Kleid ihre Zustimmung«, erklärte Madeline schmunzelnd.

Rayne musterte sie. »So angezogen solltest du dich ziemlich gut in die gehobenen Kreise einfügen.«

Aus irgendwelchen Gründen war ihr, als machte er ihr damit kein Kompliment. »Stehen deine Schwestern und du euch nahe?«

Rayne zuckte mit den Schultern. »Ich mag sie, aber ich würde nicht behaupten, dass wir uns sonderlich nahestehen. Penelope ist herrisch und nörgelt fortwährend an ihrem Gemahl herum. Sie schlägt nach Großmutter. Bei Daphne besteht größere Hoffnung. Sie neigt zur Dramatik, kann jedoch sehr amüsant sein. Beide gehen ganz in ihren gesellschaftlichen Rollen auf, was mir, wie du weißt, nicht liegt. Wenigstens wandeln sie sich in Gegenwart ihrer Söhne wieder in vernünftige Wesen – auch wenn sie die Jungen ein bisschen zu sehr verwöhnen. Ein Jammer, dass sie meine Neffen nicht mitgebracht haben. «

»Ja, ich hätte mich gefreut, sie zu sehen«, pflichtete Madeline ihm bei. »Daphne sagte, Lady Haviland könnte eventuell ihr beträchtliches Erbe deinen Schwestern vermachen, weil du mich geheiratet hast.«

Rayne verzog keine Miene. »Meine Großmutter darf mit ihrem Vermögen tun, was sie für richtig hält.«

»Natürlich, aber ich möchte nicht, dass du meinetwegen leidest, Rayne.«

»Das ist sehr rücksichtsvoll von dir, meine Liebe.«

»Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun, um deine Großmutter zu versöhnen«, sagte Madeline ehrlich.

»Mach dir darüber keine Gedanken.«

Madeline lächelte matt. »Ich kann nicht anders. Daphne erwähnte übrigens auch, dass es Familienschmuck gäbe, der traditionell von einer Haviland-Countess zur nächsten weitergereicht würde.«

Für einen flüchtigen Moment blitzte Misstrauen in Raynes Zügen auf. »Soll das ein Vorwurf sein, weil ich dir den Schmuck noch nicht gab? Willst du, dass ich ihn herholen lasse, damit du ihn tragen kannst?«

»Nein, ganz im Gegenteil! Ich möchte deine Großmutter auf keinen Fall feindseliger stimmen als ohnehin schon. Schließlich betrachtet sie den Schmuck als ihr rechtmäßiges Eigentum.«

»Die Juwelen sind an den Titel gebunden, mithin hast du Anspruch auf sie.«

»Ich habe nie teuren Schmuck getragen, und ich habe auch kein Verlangen danach.«

Rayne musterte sie eine Weile, als wäre er nicht sicher, ob sie die Wahrheit sagte.

»Wenn du nach den Juwelen schicken musst, bedeutet das, dass sie in London aufbewahrt werden?«, fragte sie.

»Ja.«

»Aber du hast einen Safe hier in deinem Studierzimmer, nicht wahr?«

»Warum fragst du?«

Eigentlich wollte sie herausfinden, wie schwierig es für Gerard gewesen sein könnte, Baron Ackerby die Halskette aus dessen Safe zu stehlen.

»Ich bin bloß neugierig. Du musst doch einen Platz haben, an dem du deine wichtigen Dokumente verwahrst. «

»Ja, ich habe hier einen Safe.«

»Wie ist er gesichert? Mit einem eingebauten oder einem Vorhängeschloss?«

Wieder sah er sie beunruhigend forschend an. »Das Schloss ist eingebaut, und ich habe den Schlüssel an einem sicheren Ort. Wozu das Interesse, meine Liebe? Hast du etwas, das du schützen möchtest?«

»Nein, ich fragte mich nur.« Madeline hielt es für klug, das Thema zu wechseln. »Nun, ich möchte dich nicht von deinen Angelegenheiten abhalten. Eines noch, ehe ich gehe … ich dachte mir, wir könnten heute Abend zusammen essen.«

»Ich hatte ohnehin vor, mit dir zu dinieren«, erwiderte Rayne unterkühlt.

»Nein, ich meine … in meinen Gemächern.«

»Was führst du im Schilde?«

Madeline spürte, wie sie rot wurde. »Ich würde heute Abend gern mit dir in meinem Privatsalon speisen. Erweist du mir bitte den Gefallen?«

Für einen Moment fiel sein Blick auf ihre Brüste, dann kehrte er zu ihrem Gesicht zurück. »Na schön«, antwortete er.

 

Madeline hatte sein Studierzimmer verlassen, und Raynes Unbehagen bezüglich seiner neuen Gemahlin hatte sich vervielfacht. Ihre Sorge um das Vermögen seiner Großmutter und die Haviland-Juwelen war schon befremdlich gewesen und das große Interesse an seinem Safe erst recht.

Chaotische, halbfertige Gedanken kreisten durch seinen Kopf, während er ans Fenster trat und grübelnd hinausblickte. Vielleicht war sein Argwohn Madeline gegenüber doch nicht so unangebracht wie er zwischenzeitlich dachte.

Im Geiste stellte er eine Liste ihrer verdächtigen Handlungen zusammen. Ganz oben stand, dass sie ihn ähnlich seiner früheren Liebe zu betören versuchte. Aus welchen Gründen, konnte er nicht einmal erahnen.

Trieben finanzielle Schwierigkeiten sie an? Sie hatte behauptet, dass sie den Familienschmuck nicht wollte, doch konnte er ihr glauben? Nachdem sie keinerlei Scheu gezeigt hatte, große Summen für ihre neue Garberobe auszugeben? Obgleich er sie zu Letzterem gedrängt hatte.

Und dann ihre schuldbewusste Miene, als er sie unlängst überführte, in seinem Schreibtisch gestöbert zu haben.

Rayne konnte nichts gegen die alarmierenden Bedenken machen, noch weniger gegen den Schmerz in seiner Brust. Und während er hin und her überlegte, gelangte er schließlich zu einer Antwort, die ihm die allerschlüssigste erschien: Madelines Bruder Gerard könnte der Grund sein.

Sie hatte ihm erzählt, dass sie ihm die Belohnung schickte, die sie von Freddie bekam, also war Gerard offensichtlich in Geldnot.

Ihr plötzliches Ja zu Raynes Antrag könnte einzig dem Zweck dienen, ihren Bruder vor einer finanziellen Katastrophe zu bewahren.

Rayne erlebte ein niederschmetterndes Déjàvu. Camille hatte Geld gebraucht, um ihrer Familie die Flucht zu ermöglichen, und ihm deshalb vorgetäuscht, ihn zu lieben. Es war durchaus möglich, dass Madeline ihn ebenfalls hinterging, um ihrem Bruder zu helfen.

War ihre Not groß genug, dass sie eine solche Intrige spann? Könnte sie sogar in irgendeiner Form mit Baron Ackerby verbündet sein?

Wie auch immer, die Beweise gegen Madeline türmten sich aus lauter kleinen Ausreden auf, die jede für sich genommen harmlos wirkten.

Es sollte ihn trotzdem nicht so sehr verstören, ermahnte Rayne sich.

Also was war zu tun? Zunächst musste er natürlich ihre Motive ergründen. Er könnte ihr eine Falle stellen. Falls sie hinter dem Inhalt seines Safes her war, könnte er ihr verraten, wo sie den Schlüssel fand, und abwarten. Er konnte sie auch mittels Lügen dazu bringen, ihre Gründe offenzulegen. Warum sollte er sich schuldig fühlen, wenn Madeline selbst ihm fortwährend auswich?

Heute Abend wollte sie ihn eindeutig verführen. Zwar hatte er beabsichtigt, auf seine ehelichen Rechte zu verzichten, aber bei ihrer Einladung war er von solcher Lust ergriffen worden, dass er zusagte.

Sollte sie ihn ruhig abermals in ihr Bett locken, denn je vehementer sie ihn umwarb, umso misstrauischer würde er.

Und falls sie glaubte, ihr mysteriöses Ziel zu erreichen, indem sie ihn bezauberte, würde sie bald erkennen, dass sie mit dem Feuer spielte.