2. Kapitel
Na endlich! Ich habe schon mindestens fünfmal bei dir angerufen! Warum gehst du denn nie an dein Handy? Du bist echt schwerer zu erreichen als der Papst.«
Alexander klingt genervt. Er mag es gar nicht, wenn man ihn warten lässt. Bedenkt man allerdings, dass ich in den zwei Jahren, die wir nun zusammen sind, schon mehr Zeit damit verbracht habe, auf ihn zu warten, als ihn tatsächlich zu sehen, geschieht ihm das nur recht.
»Hallo, Schatz! Dein Vergleich hinkt schon deshalb, weil ich gar nicht katholisch bin. Ich hab das Klingeln einfach nicht gehört.«
»Kein Wunder, deine Handtasche ist ein echtes Massengrab. Wahrscheinlich liegt dein Telefon mal wieder unter mehreren Schichten von Make-up, Zeitschriften und Schülerheften«, mault Alexander.
»Als würdest du dich immer gleich melden, wenn ich anrufe.«
»Ja, aber wenn ich nicht rangehe, stecke ich meistens in einem Termin. Und meine Sekretärin erreichst du immer.«
»Ja, so ist das eben, wenn man richtig wichtig ist.« Ich muss kichern. »Aber gut zu wissen, dass ich ebenso gut alles mit Frau Weigand besprechen kann. Sollte ich also das nächste Mal den dringenden Wunsch nach animalischem Sex verspüren und dich nicht erreichen, treffe ich mich einfach mit der Weigand.«
»Haha, sehr lustig! Aber wann kommst du denn nun nach Hause? Ich hab mir heute extra den Nachmittag freigenommen, damit wir in Ruhe letzte Reisevorbereitungen treffen können. Ich könnte dich auch irgendwo einsammeln, wenn es dann schneller geht.«
»Bloß nicht! Ich habe mein Brautkleid dabei – das darfst du auf keinen Fall vor der Trauung sehen! Außerdem bin ich mit dem Auto unterwegs. Also, ich schätze mal … höchstens eine Stunde, dann bin ich da.«
Alex seufzt noch ein letztes Mal, dann legt er auf. Ich stehe inzwischen vor der Drehtür meiner Bank. Meinen Nissan Micra habe ich ziemlich kriminell halb auf dem Bürgersteig direkt vor dem Eingang geparkt. Erstaunlicherweise habe ich tatsächlich schon fast alles erledigt, was es noch zu tun gab. Nur noch kurz das Geld abholen und in den Drogeriemarkt, dann bin ich fertig. Hoffentlich geht das hier flott.
In der Schalterhalle angekommen, stelle ich mich brav an der kurzen Schlange vor der Kasse an. Nur zwei Leute vor mir, länger als zehn Minuten wird es wohl nicht dauern. Ich atme tief durch und beginne, mich zu entspannen. Bald schon sitze ich im Flieger auf die Seychellen, neben mir der Mann, den ich liebe. Dort werde ich ihn heiraten, bin endlich seine Frau und verbringe meine Flitterwochen im Paradies.
Schon komisch, wie das Leben so läuft. Als ich Alex auf der Party von Svea kennengelernt habe, fand ich ihn total unsympathisch. Typische Heuschrecke. Also, so eine mit Geld, nicht mit sechs Beinen. Ich weiß gar nicht mehr, wer ihn mitgebracht hatte, jedenfalls stand er zwischen all den Lehrern, die im Wesentlichen Lehrerinnen waren, wie ein sperriges Möbelstück, das versehentlich an die falsche Adresse geliefert worden war. Wahrscheinlich hatte eins der anderen Mädels versucht, die Männerquote etwas nach oben zu treiben. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich aber zu mir hingezogen und wich mir nicht mehr von der Seite, seit ich ihn gebeten hatte, mir auf dem Weg zum Buffet doch mal Platz zu machen. Richtig gewundert hat mich das nicht – schon zu meinen eigenen Schulzeiten war ich leider diejenige, die Sozialwaisen magisch anzog. Wahrscheinlich, weil ich es nie übers Herz bringe, Leute allein in der Ecke stehen zu lassen. Und, zack, kleben sie an mir, und ich werde sie nicht mehr los. Andererseits, Alexander war auf der Party zwar eindeutig der Außenseiter – auf dieser Veranstaltung, die optisch dem Gründungsparteitag der Grünen sehr nahkam, trug sonst niemand Sakko und Krawatte –, er war aber auch der einzig attraktive Mann weit und breit. Groß und sportlich, blaue Augen, dunkle Haare. Eine echte Sahneschnitte. Also beschloss ich, meine Ohren auf Durchzug zu stellen und mich auf seine äußeren Vorzüge zu konzentrieren. Ich nippte huldvoll an meinem Vino und ließ einen sehr langatmigen Vortrag über Firmenkäufe, Mergers and Acquisitions, Hedgefonds und was nicht alles über mich ergehen. Nach dem zweiten Glas Rotwein fing ich an, ketzerische Zwischenbemerkungen zu machen und mich als Sozialistin zu outen. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, brachte aber ein bisschen Farbe ins Gespräch. Nach dem dritten Glas wechselten wir das Thema und sprachen über die größten Liebesfilme des amerikanischen Kinos der dreißiger und vierziger Jahre, und nach dem vierten Glas knutschten wir im Schummerlicht des kleinen Flurs vor Sveas Gästetoilette. Danach sahen wir uns fast jeden Tag. Ich lernte seine reichen Freunde kennen und mochte sie nicht, und er fand meine ebenfalls doof. Nach einem Jahr zogen wir trotzdem zusammen. Tja, und nun fliegen wir übermorgen unserem gemeinsamen Leben als Herr und Frau Weltenstein entgegen. Wer hätte das gedacht?
Apropos: Wer hätte gedacht, dass es in der Bank nun doch so lange dauert? Der erste Kunde war schnell fertig, aber die alte Dame vor mir scheint etwas ganz Kompliziertes zu wollen. Der Mann hinter dem Schalter schaut jedenfalls schon ganz angestrengt. Ich wiederum sehe kurz auf die Uhr in der Schalterhalle – tatsächlich stehe ich nun schon zwanzig Minuten hier rum. Mensch, Omi, gib Gas! Die Dame hinter mir scheint dasselbe zu denken und die Wartezeit durch besonders offensives Schlangestehen verkürzen zu wollen, jedenfalls kann ich ihren Atem in meinem Nacken spüren.
Weitere fünf Minuten vergehen. Hoffentlich habe ich nicht schon ein Knöllchen – mein Parkplatz ist wirklich nicht so doll. Oder noch schlimmer: Ein besonders gnadenloser Parküberwacher ruft den Abschleppdienst. Das könnte ich heute wirklich nicht gebrauchen. Dann müsste ich bis ganz an den Stadtrand fahren und mein Autochen für 150 Tacken auslösen. Und dann müsste Alex die restlichen Sachen allein besorgen, weil so eine Aktion natürlich Stunden dauert, ich erst nach Ladenschluss fertig werde und morgen Karfreitag ist. Und dann würde er mit Sicherheit die Hälfte vergessen, zum Beispiel meinen Damenrasierer, und ich müsste im Urlaub seinen benutzen, und sofort hätten wir Streit, weil seiner nämlich von meinen Beinhärchen angeblich stumpf wird. Und das ist nun wirklich kein Thema, über das ich mich in meinen Flitterwochen streiten möchte. Also muss das hier endlich mal schneller gehen!
Ein kurzer Blick an meiner Hinterfrau vorbei durch die Glastür: Der Micra steht noch genau dort, wo ich ihn abgestellt habe. In meiner Handtasche beginnt es zu klingeln. Alex. Klar, der wird wahrscheinlich auch langsam nervös. Von wegen selbst packen müssen und Damenrasierer. Ich lasse es klingeln. Bestimmt komme ich gleich dran. Die Omi gestikuliert mittlerweile wild. Ein bisschen schwerhörig scheint sie zu sein, jedenfalls redet sie sehr laut auf den Menschen hinter dem Kassenschalter ein, selbst aus zwei Metern Diskretionsabstand kann man sie noch ausgezeichnet verstehen.
»Junger Mann, ich muss Ihnen gar nichts glauben. Ich kenne Sie ja überhaupt nicht!«
Murmel, murmel – die Antwort des Bankangestellten kann ich höchstens erahnen, er steht schließlich hinter einer Glasscheibe. Ich glaube aber, es geht ein bisschen in Richtung »Regen Sie sich bitte nicht auf.«
»Jetzt beweisen Sie mir erst einmal, dass Sie mein Geld wirklich noch dahaben. Vorher bewege ich mich hier nicht vom Fleck.«
Murmel.
»Papperlapapp! Ihr steckt doch alle unter einer Decke – meine Söhne, die ganze Familie und die Bank. Ich weiß genau, dass ihr mich alle um mein mühsam Erspartes bringen wollt.«
O nein. Eine Grundsatzdiskussion mit einer offenbar leicht verwirrten Rentnerin. Das kann ja ewig dauern. Ich trete drei Schritte vor und spreche sie von der Seite an.
»Äh, ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber wäre es denkbar, dass Sie mich kurz vorlassen?«
Keine Reaktion. Nur der Schaltermensch rollt mit den Augen.
»Frau Strelow, ich kann ja mal eben nachsehen, wie viel Bargeld ich Ihnen jetzt spontan schon mal mitgeben kann. Würde Sie das etwas beruhigen?«
»Wieso mitgeben können – das ist mein Geld! Ich will sofort sehen, wo es ist, Sie Verbrecher!«
Ich räuspere mich. »Also, wenn der Herr jetzt Ihr Geld suchen geht, vielleicht darf ich ihn dann ganz kurz bitten, meins auch gleich mitzubringen? Weil – mein Auto steht ganz blöd vor der Tür, und bestimmt kriege ich da bald Ärger.«
Die Omi beäugt mich misstrauisch, als würde sie überlegen, ob das ein Trick ist, den der Bankmensch mit mir verabredet hat. Letzterer hebt hilflos die Hände. Wahrscheinlich fürchtet er, dass nun die nächste Wahnsinnige mit irgendeinem Unsinn kommt, und ist in diesem Moment ganz froh, durch eine Panzerglasscheibe von uns getrennt zu sein. Ich beeile mich, ihm zu erklären, dass mein Anliegen ganz unkompliziert ist.
»Wissen Sie, ich habe Fremdwährungen vorbestellt. Könnten Sie die dann nicht auch gleich …«
Bevor ich den Satz zu Ende gesprochen habe, legt die Omi richtig los. »Moment mal, Kindchen. Ich bin noch nicht fertig hier. Ich will sofort sehen, was mit meinem Geld passiert ist, sonst rufe ich die Polizei.«
Der Bankmensch seufzt, wendet sich seinem Computer zu und tippt etwas ein. Kurze Zeit später rattert unter seinem Tresen etwas, er greift dorthin und zieht ein ganzes Bündel Geldscheine hervor.
»So, Frau Strelow. Wenn Sie mal mitzählen wollen: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun …«
In diesem Moment klingelt mein Handy schon wieder. Alex. Der mittlerweile garantiert richtig sauer ist. Zu Recht. Hektisch wühle ich in meiner Handtasche. Wo, zum Geier, ist mein Telefon? Himmel, diese Tasche ist wirklich ein Massengrab! Bestimmt geht gleich die Mailbox ran. Da – ich bekomme etwas Flaches, Hartes zu fassen und ziehe es heraus. In diesem Moment passieren mehrere seltsame Dinge gleichzeitig: Der Kassierer glotzt mich an und verfällt erst in Schnappatmung, dann in Schreckstarre, die Oma unterbricht ihren Redefluss – und die Dame, die mir eben noch fast auf den Hacken stand, macht einen regelrechten Satz zurück. Was haben die denn alle? Rieche ich auf einmal irgendwie streng?
Bevor ich noch unauffällig an meiner eigenen Achselhöhle schnuppern kann, schmeißt sich die Oma plötzlich mit einem Hechtsprung direkt in meine Arme und reißt mich dabei fast um. Dann fängt sie an zu kreischen. »Hilfe! Ein Banküberfall! Bitte, bitte, tun Sie mir nichts! Sie bekommen all mein Geld, aber lassen Sie mir mein Leben!«
Wie aufs Stichwort erwacht der Kassierer aus seiner Schreckstarre und beginnt, die eben vorgezählten Geldscheine durch den Schlitz unter der Glasscheibe hindurchzustopfen. Was, zum Geier, ist hier los? Wieso Banküberfall? Die Oma wendet mir ihr Gesicht zu. Jetzt kreischt sie nicht mehr, sondern flüstert. »Los Kindchen, schnapp dir die Kohle. Das ist die Chance! Worauf wartest du? Lass uns abhauen. Bestimmt sind die Bullen gleich da!« Dann kreischt sie wieder. »Hilfe, ich bin eine Geisel, ich bin eine Geisel!«
Ich verstehe kein Wort. Die Oma ist offensichtlich völlig durchgedreht. Komisch nur, dass das außer mir niemand bemerkt. Im Gegenteil. Ich bilde mir ein, dass der Bankmensch in diesem Moment versucht, sich möglichst unauffällig zu bücken und unter seinen Schalter zu greifen. Der wird doch nicht tatsächlich den Alarmknopf drücken? Das darf doch nicht wahr sein!
Mein Handy beginnt wieder zu bimmeln. Allerdings klingt es so, als sei es immer noch in meiner Handtasche. Wie seltsam, was halte ich denn dann in meiner Hand? Ich sehe nach unten. Es ist die Spielzeugpistole von Jan-Ole.