11. Kapitel

Also«, Karolina setzt eine verschwörerische Miene auf, »nun erzähl schon! Wie habt ihr euch kennengelernt?«

Ich seufze. Offensichtlich will sie die Tatsache, dass wir beide gerade allein in Małgorzatas Küche sitzen, für ein kleines Verhör nutzen.

»Aber das haben wir dir doch schon erzählt.«

Seit Jan und ich beschlossen haben, dass es sinnlos, wenn nicht gar gefährlich ist, seiner polnischen Familie jetzt die Wahrheit zu beichten, weicht Karolina nicht mehr von meiner Seite. Verständlicherweise will meine neue Schwägerin wissen, wie ihr kleiner Bruder, der bisher immer als Luftikus der Familie gehandelt wurde, auf einmal in dermaßen feste Hände geraten konnte, und das, ohne irgendjemandem davon etwas zu sagen.

Unsere offizielle Version entspricht fast der Wahrheit: Wir haben uns über seinen Job bei Oma Strelow kennengelernt, meiner Großmutter. Nun ja, genau genommen ist Oma Strelow ja gar nicht meine Großmutter. Aber da wollen wir mal nicht so kleinlich sein.

Trotzdem gibt sich Karolina aus irgendeinem Grund nicht damit zufrieden. Sie scheint zu ahnen, dass mehr hinter unserer Geschichte stecken muss.

»Ich verstehe immer noch nicht, wieso Jan nicht gesagt hat, dass er sich verliebt hat und heiratet.«

»Na ja, das ging ja alles ziemlich schnell. Er wollte euch einfach nicht so vor vollendete Tatsachen stellen. Ihm war es lieber, wenn ihr mich erst mal in Ruhe kennenlernen könnt.«

Karolina zieht die Augenbrauen hoch. Ich sehe ihr an, dass irgendetwas sie enorm umtreibt. Sie sieht sich in der Küche um. Außer uns keine Menschenseele. Dann holt sie Luft.

»Tina, bist du in freundlicher Erwartung?«

Ach, daher weht der Wind! Sie denkt, ich sei schwanger. Ich muss grinsen und überlege, ob ich sie mal ein bisschen zappeln lasse. So viel Neugier muss eigentlich bestraft werden.

»Natürlich bin ich in freundlicher Erwartung.«

»Ach!« Karolina reißt die Augen auf. »Ich wusste es!«

Ich nicke. »Genau. Ich konnte es kaum erwarten, euch alle kennenzulernen, und war mir sicher, dass ihr alle sehr freundlich seid.«

»Oh.« Karolinas Mundwinkel gehen nach unten. Sie ist nicht wirklich zufrieden mit meiner Antwort! Ich könnte mich kringelig lachen, versuche aber, möglichst unschuldig zu gucken.

Karolina unternimmt einen neuen Versuch. »Wir sind freundlich, sicher. Und ich freue mich auch, dass wir uns jetzt kennen. Aber ich meinte, ob du … äh, also, Jan und du, ihr habt so schnell geheiratet, da habe ich mich gefragt, ob es vielleicht einen Grund gibt für diese Eile.«

Ich nicke. »Aber natürlich.«

»Ja?«

»Große Liebe!«

»Gut, gut. Und noch etwas anderes?«

»Etwas anderes als die große Liebe? Das verstehe ich nicht.«

Ich kann förmlich sehen, wie Karolina mit den Worten ringt. »Nun, vielleicht wird sich eure kleine Familie ja in absehbarer Zeit vergrößern …«

»Vergrößern? Wie meinst du das?« Nach wie vor versuche ich, möglichst doof aus der Wäsche zu schauen, und weide mich innerlich an ihrem Gestammel.

»Tine, was ich meine, ist: Bist du etwa schwang-ger?«, bricht es schließlich doch noch aus ihr heraus.

In gespielter Empörung reiße ich die Augen auf. »Schwanger? Ich? Gott bewahre! Was denkst du denn von mir?«

»Entschuldigung, ich dachte nur, weil ihr ja so schnell … Ich wollte nicht unhöflich sein, ich …«, stottert sie.

»Nun jaaa«, füge ich gedehnt hinzu – irgendwie macht mir dieses Spiel gerade ziemlich Spaß. »Natürlich haben Jan und ich schon über Nachwuchs nachgedacht. Das wäre schließlich die Krönung unserer Liebe!«

»Oh.« Karolina sackt in sich zusammen. Meine letzte Bemerkung hat ihr den Rest gegeben. Das hat sie aber auch nicht besser verdient. Trotzdem ist sie mit ihrer Inquisition offenbar noch nicht am Ende.

»Ihr habt doch sicherlich kirchlich geheiratet, oder?«

»Nö, ich bin ja Atheistin. Das war für uns nicht so wichtig.«

»Was?«

Mit einem Schrei stürzt Karolina aus der Küche ins Wohnzimmer, wo Jan dem Fragen-Bombardement seiner Tante schutzlos ausgesetzt ist. Die beiden Verdächtigen werden sozusagen unabhängig voneinander verhört. Ich lausche dem aufgeregten Geschrei, das nun folgt, und höre, wie Jan schwach protestiert. Dann kommen Małgorzata und Karolina in die Küche, Jan schleicht hinter ihnen her, als würde er zum Schafott geführt.

»Tine, so geht das nicht«, sagt Karolina bestimmt, und Tante Małgorzata nickt eifrig dazu. »Ihr müsst kirchlich heiraten. Jan ist Katholik, das gehört sich so. Alles andere wäre eine Schande für seine Familie, insbesondere für unsere Mutter!«

»Na klar«, ich winke generös ab. »Das können wir ja mal irgendwann nachholen, wenn wir Zeit dafür haben.«

»Irgendwann?« Karolina ist völlig außer sich. »Nichts da! Das wird sofort nachgeholt! Keine Widerrede!«, herrscht sie mich an. »Zum Glück haben wir Onkelchen. Der wird das alles regeln!«

Wie meint sie das denn jetzt? Hilfesuchend blicke ich zu Jan, aber der zuckt nur ergeben mit den Schultern. Deswegen sage ich so bestimmt wie möglich: »Okay, okay. Und jetzt wäre ich gern mal einen Augenblick mit meinem Mann allein. Schatz? Kommst du?«

Ich knuffe Jan in die Seite, schiebe ihn in Richtung Haustür und schnappe mir auf dem Weg unsere Jacken. Erst mal raus hier! Jan ist offenbar in einem Zustand absoluter Willenlosigkeit, denn er folgt mir wie eine Marionette.

Als wir vor der Platte stehen, fängt er an zu jammern. »Oh, du heilige Scheiße! Wir müssen jetzt schnellstens Gerda finden, dann können wir meiner Familie endlich die Wahrheit sagen – ihr werden sie glauben. Sonst zerren die uns noch vor den Altar!«

»Ach, Quatsch, das können die doch gar nicht«, versuche ich ihn zu beruhigen, »Außerdem geht das nicht so schnell, auch nicht in Polen!«

»Hast du eine Ahnung!«, stöhnt er. »Das geht hier ganz schnell, besonders, wenn man einen Priester zum Onkel hat.«

»Echt? Oh! Na, dann … lass uns jetzt mal schnell weitersuchen!«

»Und was erzähle ich meiner Familie, wo wir jetzt so dringend hinwollen?«

»Mann, jetzt sei nicht so ein Weichei! Denk dir irgendwas aus. Von mir aus, dass wir einen Ehekrach haben und allein sein wollen. Das müsste deine Schwester, der alte Drachen, doch verstehen.«

 

Was auch immer Jan seiner Familie erzählt hat, sie fragen jedenfalls nicht mehr nach, als wir uns auf den Weg machen. Wir rasen also Richtung Altenheime, parken, und ich stolpere Jan hinterher, der rauchend die Promenade entlangjagt. Jetzt hat er’s aber echt eilig. Eine Senioren-Residenz nach der anderen streichen wir von unserer Liste, und ich merke, dass Jan langsam in Panik gerät.

»Komm, lass uns mal irgendwo einen Kaffee trinken«, sage ich beschwichtigend, »oder einen Kamillentee.« Vielleicht ist Koffein nicht gerade das, was Jan jetzt guttut.

Wir setzen uns in einer kleinen Seitenstraße in ein Café, direkt ans große Panoramafenster, durch das wir das bunte Treiben draußen beobachten können. Nicht dass Oma Strelow just in diesem Moment hier langspaziert und wir sie verpassen!

Jan brütet über seiner Tasse, und auch ich schweige einen Moment. Die Stille wird nur vom Ticken einer Uhr unterbrochen, irgendwo in der Ferne hört man Sirenen.

»Das tut mir echt leid«, wage ich den Versuch eines Gesprächs. »Das mit dem Brautkleid ist blöd gelaufen. Aber mir war so kalt und …«

»Schon gut, Tine«, seufzt Jan. »Blöd gelaufen trifft es auf den Punkt. Aber du kannst nun wirklich nichts dafür. Schon gar nicht für meine fromme Verwandtschaft.«

»Du bist mir also nicht böse?«

»Nee, natürlich nicht! Außerdem kann ich dir gar nicht böse sein. Wenn ich in deine blauen Augen sehe, schmelze ich doch sofort dahin …«

Aha, Jan kann schon wieder frech grinsen. Flirtet der etwa mit mir?

Bevor ich verlegen werden kann, schießt ein roter Nissan Micra mit quietschenden Reifen um die Ecke, genau so einer, wie ich ihn fahre. Direkt vor unserem schönen Panoramafenster macht der Wagen eine Vollbremsung, weil sich ihm von vorne zwei Polizeiautos in den Weg stellen. Von hinten kommen jetzt drei weitere Autos angerast und stellen sich auch quer. Jetzt, wo der Micra steht, kann ich sehen, dass er ein deutsches Kennzeichen hat. HH – TS 709. Das ist ja fast mein eigenes Autokennzeichen – nur Hamburg statt Lübeck und 709 statt 708. Im ersten Moment dachte ich wirklich, das sei mein Auto! Ich beobachte, wie etliche schwer bewaffnete Polizeibeamte auf den Wagen zustürmen, die Türen aufreißen, zwei Männer herauszerren und zu Boden werfen. Mein Gott, wie in einem Actionfilm!

»Duck dich«, zischt Jan, der schon unter dem Tisch kauert. Ich gehe in die Knie und krabble zu ihm. Er hat recht, wahrscheinlich fliegen uns hier gleich die Kugeln um die Ohren!

»Bestimmt ist der Wagen gestohlen worden, oder was meinst du? Dabei lohnt sich das bei einem Micra doch eigentlich gar nicht«, stoße ich hervor. »Der ist doch gar nicht wertvoll. Aber geklaut ist geklaut. Die polnische Polizei ist ja echt auf Zack – bei Autodieben scheinen die nicht lange zu fackeln.«

Jan schüttelt den Kopf. »Bei Autodieben würde unsere Polizei nicht so einen Aufstand machen. Mensch, Tine, die suchen uns – beziehungsweise dich und Oma Gerda!«

»Was? Bist du sicher?« Mir wird irgendwie mulmig.

»Klar! Das war doch dein Auto, oder?«

Ich schüttle den Kopf. »Nee, aber fast das gleiche Kennzeichen. Vielleicht haben die Bullen das so schnell nicht registriert. Ich dachte auch erst, das sei mein Wagen.«

Vorsichtig versuche ich, über die Tischkante zu lugen. Die beiden Kerle aus dem Nissan machen einen total verängstigten und verstörten Eindruck und werden gerade in Handschellen recht unsanft abgeführt. Tja, das hat man davon, wenn man fast das Auto einer international gesuchten Verbrecherin fährt! Aber wieso werde ich eigentlich schon international gesucht?

Zwei Dumme, ein Gedanke: »Warum fahndet die polnische Polizei nach deinem Wagen?«, wundert sich Jan und zieht sich noch ein bisschen weiter unter den Tisch zurück.

Siedend heiß durchfährt es mich. Alexander! Das Schwein! Den habe ich doch von dem Café am Dom aus angerufen. Offenbar hatte er nichts Besseres zu tun, als die Telefonnummer gleich an die Polizei weiterzugeben. Ich fass es nicht! Verräter! Kaltherziger Vollidiot! Obrigkeitshöriges Arschloch!

Zerknirscht kläre ich Jan auf. Der schüttelt den Kopf. »Mensch, das war echt unvorsichtig von dir.« Als er sieht, dass ich mal wieder kurz vorm Heulen bin, nimmt er meine Hand. »Schon gut, ich kann dich ja verstehen. An deiner Stelle hätte ich ihn wahrscheinlich auch angerufen. Aber, wenn ich das mal so sagen darf, dein Alexander ist irgendwie ein komischer Vogel …«

»Ja …« Komischer Vogel ist echt noch geschönt. »Da hat uns der komische Vogel wohl verpfiffen«, flüstere ich.

»Das kann man nicht genau wissen«, flüstert Jan zurück. »Vielleicht wird einfach nur sein Telefon abgehört. Halte ich sogar für wahrscheinlicher, dass die Bullen so auf die Telefonnummer aus Polen gekommen sind.« Er drückt noch einmal meine Hand. »Ich würde ihn jetzt nicht automatisch verdächtigen. Es hilft nichts: Wenn wir zurück sind, musst du in Ruhe mit ihm reden. Das seid ihr beiden euch schuldig. Schließlich seid ihr verlobt und wollt den Rest eures Lebens miteinander verbringen.«

Ich nicke und stoße mir dabei den Kopf an der Tischplatte. Aua! Ziemlich unbequem hier unten. Das scheint sich auch der Kellner zu denken, der in diesem Moment vorsichtig auf die Platte klopft und sich höflich und in gebrochenem Deutsch erkundigt, ob alles zu unserer Zufriedenheit sei. Wir bedanken uns artig, gucken, ob die Luft wieder rein ist, und zahlen.

Es wird allerhöchste Zeit, dass wir Gerda aufspüren! Schließlich sind wir jetzt auch in Kolberg nicht mehr sicher. Drei Adressen haben wir noch auf unserer Liste. Und ich mag gar nicht daran denken, was wir tun sollen, wenn Oma Strelow auch dort nicht zu finden ist …

 

Sollte ich einmal alt (wahrscheinlich) und reich (nicht ganz so wahrscheinlich) werden, dann könnte ich mir ein Domizil wie dieses als Ruhesitz durchaus vorstellen: eine vornehme, schneeweiße Patriziervilla mit Giebeln und Türmchen, eigentlich fast schon ein Schloss. Wir öffnen das schmiedeeiserne Tor und gehen durch einen sehr gepflegten Garten, der eher ein Park ist – mit einem Rasen, der durchaus die Bezeichnung englisch verdient.

Und mitten auf diesem Rasen sitzt in einem bequemen Liegestuhl, kuschelig in eine flauschige Decke gemummelt, Oma Strelow und döst in der Nachmittagssonne.

»Gerda!«, quietscht Jan und sprintet über das Grün. Gerda schreckt aus ihrem Nickerchen hoch und schaut sich verdattert um. Dann erkennt sie uns – und freut sich.

»Ach, wie nett! Schön, dass ihr mich mal besuchen kommt.«

Besuchen? Die hat sie echt nicht mehr alle. Aber das wissen wir ja nun langsam.

Schnurstracks marschiere ich auf sie zu und will sie gerade sehr resolut aus ihrem Stuhl hieven, da ertönt hinter uns ein unglaubliches Gekeife. Wir fahren herum und sehen eine sehr strenge Dame mittleren Alters in einem sehr strengen schwarzen Kostüm auf uns zulaufen. Sie baut sich entrüstet vor uns auf und stellt uns auf Polnisch zur Rede. Jan versucht sie zu beschwichtigen, was ihm allerdings nicht gelingt: Die Dame wird immer lauter.

»Lassen Sie nur, Fräulein Agnieszka«, mischt sich jetzt Oma ein. »Ich kenne die beiden. Das sind Verwandte von mir. Die wollen mich nur besuchen.«

»Hmm.« Das Fräulein Agnieszka scheint nicht überzeugt.

»Wirklich!«, bekräftigt Oma und wendet sich an uns. »Kommt, ich zeig euch mal mein Zimmer. Ich habe es so schön getroffen. Das ist das Paradies auf Erden hier!«

Sie führt uns ins Haus, das auch innen einen gediegenen Charme versprüht. Ein älterer Herr mit einem Rollator kommt uns entgegengeschoben. Als er Oma sieht, macht er einen tiefen Diener und kräht: »Verehrteste!«

Oma kichert und flüstert uns zu: »Das ist Hubert aus München. Ein richtiger Charmeur!« Dann öffnet sie eine Tür und strahlt. »Mein eigenes Reich!«

Das Zimmer ist wirklich groß, der Boden ist mit Parkett in Fischgrätmuster ausgelegt, die Wände sind in einem warmen Gelb gestrichen, und vor den riesigen Fenstern bauschen sich zarte, helle Vorhänge. Antike, auf Hochglanz polierte Möbel runden den luxuriösen Eindruck ab.

»Nehmt doch Platz!« Oma Gerda deutet auf eine geschmackvolle Sitzgruppe in einer Zimmerecke. Dann drückt sie auf ein Knöpfchen, das sich direkt neben ihrem Bett befindet. Ein paar Sekunden später steckt eine Art Zimmermädchen seinen Kopf zur Tür herein. »Wir hätten gerne Tee. Und etwas Gebäck, bitte«, ordert Oma. Der dienstbare Geist verschwindet, kehrt kurz darauf mit einem Servierwagen zurück und kredenzt uns das Gewünschte.

»Wow!«, staune ich. »Ich dachte, das ist ein Altenheim und kein Fünf-Sterne-Hotel.«

»Das ist ein Fünf-Sterne-Seniorenstift«, erklärt Oma Strelow stolz. »Und das eine sag ich euch: Hier kriegt mich keiner mehr weg, hier lass ich mich nur noch in der schwarzen Kiste raustragen!«

Dann erzählt sie uns in aller Seelenruhe, dass sie nach Heinzis Beerdigung spontan beschlossen habe, sich noch ein wenig in Kolberg umzusehen. Und die Stadt sei ja noch genauso bezaubernd wie früher. Deshalb habe sie den Entschluss gefasst, ihren Lebensabend fortan in Kolberg zu verbringen. Sie sei bei Fräulein Agnieszka vorstellig geworden und habe sie – dank ihrer Plastiktüte – davon überzeugen können, sie aufzunehmen.

»Na, der Inhalt der Tüte reicht wohl kaum für einen kompletten Lebensabend, auch wenn hier alles billiger ist«, rutscht es mir heraus.

»Ich weiß, Kindchen, ich weiß. Ich bin zwar ein bisschen dement, aber nicht doof«, sagt Frau Strelow vergnügt. »Ich habe ja auch noch das Haus in Lübeck. Und das wird jetzt verkauft!«

»Aber bevor Sie irgendetwas verkaufen, fahren Sie mit mir nach Deutschland zur Polizei und klären diesen ganzen Schlamassel auf. Das haben Sie mir versprochen!«

»Ich geh hier nicht mehr weg!«, sagt Oma bestimmt. »Das Haus verkaufe ich sowieso über einen Makler.«

Offenbar ein klassischer Fall von Altersstarrsinn.

Jetzt schaltet sich Jan ein. »Gerda, erstens stehst du bei Tine im Wort, zweitens brauchst du ja wohl noch ein paar Sachen von zu Hause, die kannst du dann gleich holen. Und drittens: Was denkst du dir eigentlich, einfach so abzuhauen? Ich hab mir solche Sorgen gemacht! Dir hätte sonst was passieren können.«

»Papperlapapp«, wischt Frau Strelow seine Einwände beiseite. »Einem echten Pommern passiert schon nichts. Der ist wie Unkraut, der vergeht nicht. Und außerdem gehe ich hier nicht mehr weg!«

»Ich dachte immer, ein echter Pommer steht auch zu seinem Wort!«, gibt Jan zurück.

Mir reicht’s langsam. Dieses senile, starrköpfige Biest will tatsächlich mein Leben ruinieren. Das wollen wir doch mal sehen!

»Okay, Frau Strelow, ganz wie Sie wollen«, sage ich betont beiläufig. »Dann fahre ich jetzt nach Lübeck zurück und stelle mich der Polizei. Aber wissen Sie, was ich vorher noch mache?«

»Was denn?«, fragt sie neugierig.

»Vorher rufe ich Ihre Söhne an und erzähle ihnen, dass ihre arme, alte Mutter leider, leider gerade völlig durchknallt, das Familienerbe in Polen verprasst und am besten so schnell wie möglich entmündigt wird.« Ich mache eine kleine, dramatische Pause und füge gehässig hinzu: »Bye-bye, Kolberg. Adios, dolce vita.« Das passt zwar sprachlich nicht ganz zusammen, zeigt aber Wirkung.

Frau Strelow schluckt. »Kindchen, das würden Sie mir wirklich antun?«

»Ohne mit der Wimper zu zucken«, antworte ich mit Grabesstimme.

Sie zögert, überlegt und schaut hilfesuchend zu Jan. Doch der hat auch ein Pokerface aufgesetzt und meint nur: »Tja, Gerda, da kann ich nichts für dich tun.«

Das nenne ich doch mal Solidarität!

Oma Gerda schluckt noch einmal, dann seufzt sie tief. »Kindchen, du hast gewonnen. Und ich habe ja tatsächlich versprochen, mit dir zur Polizei zu gehen. Dann lasst uns mal losfahren. Je schneller wir das hinter uns bringen, desto eher bin ich wieder zurück!«

Bevor wir aufbrechen können, muss Frau Strelow natürlich noch Fräulein Agnieszka Bescheid geben, dass sie für ein, zwei Tage ihr Paradies verlässt. Der ist das überhaupt nicht recht – wahrscheinlich befürchtet sie, dass ihr dieser dicke, wohlhabende Fisch doch noch durch die Lappen geht. Aber Oma bleibt hart, und wir zockeln los.

Auf dem Weg zu Tante Małgorzata erzählt Jan ihr, was in den letzten Tagen alles passiert ist, und dass Oma nicht nur bei der deutschen Polizei, sondern auch bei seiner polnischen Familie Aufklärungsarbeit leisten muss.

»Stell dir vor, Gerda, meine Schwester denkt tatsächlich, dass Tine deine Enkelin ist und wir heimlich geheiratet haben!« Jan lacht. »Und wir konnten ihr doch nicht die Wahrheit sagen – die hätte uns ja kein Schwein geglaubt. Mann, gut, dass du wieder da bist. Die werden gleich aus allen Wolken fallen!«

Das tun sie tatsächlich. Als wir plötzlich mit Gerda Strelow im Schlepptau in Tante Małgorzatas Wohnzimmer stehen, ist dort schon wieder die komplette Sippschaft versammelt. Allerdings sieht es nicht unbedingt nach einem Kaffeekränzchen aus, eher nach einem handfesten Krisengespräch. Die erregte Diskussion endet abrupt, als Jan Oma nach vorne schiebt.

»Darf ich vorstellen«, ruft er, »das ist Oma Gerda, also Frau Strelow aus Lübeck. Ihr wisst ja alle, wer sie ist. Und Gerda möchte euch jetzt etwas sagen!«

Doch bevor Frau Strelow dazu kommt, bricht noch einmal ein kleiner Tumult aus. Alle reden aufgeregt durcheinander, Karolina übersetzt offenbar, was Jan gerade angekündigt hat, und dann schnattern alle noch mehr.

»Ruhe!«, brüllt Jan und noch einmal: »Ruhe, cisza!«

Die Meute verstummt, ein erwartungsvolles Schweigen breitet sich aus, alle starren uns an. Frau Strelow ist diese ganze Aufmerksamkeit offensichtlich etwas unangenehm. Verlegen nestelt sie an ihrem Rock, ihr Blick flackert. Jan und ich schauen uns unsicher an und denken wohl beide das Gleiche: O nein, bitte bleib jetzt klar im Kopf!

Oma räuspert sich energisch und drückt den Rücken durch. Gott sei Dank, blinder Alarm. Dann erhebt sie die Stimme: »Also, ich freue mich sehr, Sie alle endlich einmal kennenzulernen. Jans Mutter hat mir ja schon so viel von Ihnen erzählt.«

Karolina übersetzt flüsternd, die Spannung im Raum steigt, man kann sie förmlich mit Händen greifen.

»Und noch mehr freut es mich, dass Sie meine Enkelin Tine so herzlich in Ihre Familie aufgenommen haben.«

Wie? Was? Enkelin? Was redet die denn da?

Aber Oma Gerda kann das eben Gesagte noch toppen: »Ich kann mir vorstellen, dass Sie ziemlich überrascht waren. Das war ich nämlich auch, als die beiden Schlingel …«, jetzt zwinkert sie Jan und mir, die wir beide mit heruntergeklappter Kinnlade dastehen, schelmisch zu, »… mir von ihrer heimlichen Hochzeit erzählt haben. Aber wo die Liebe eben hinfällt …«

Flitterwochen
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