18. Kapitel

Was war das heute Nacht? Einfach ein spontanes Gefühl? Weil die Situation so war, wie sie war? Oder war es mehr? Seit einer Stunde liege ich schon wach und kann nicht mehr einschlafen. Dabei ist es erst halb fünf, der Wecker klingelt erst um neun. Aber in meinem Kopf schwirren die Gedanken durcheinander – an Schlaf ist nicht zu denken. Ich blicke neben mich. Dort liegt Jan und atmet tief und regelmäßig. Friedlich sieht er aus, wie ein kleiner Junge. Irgendwie … niedlich.

Ich bin wirklich der treue Typ. Fremdflirten ist nicht mein Ding, Fremdküssen sowieso nicht, von anderen Dingen, die mit »fremd« anfangen, gar nicht zu reden. Wieso also hatte ich vor ein paar Stunden das dringende Bedürfnis, Jan zu küssen? Ihn zu spüren? Wenn er nicht irgendwann auf die Bremse gestiegen wäre – ich weiß nicht, wie weit wir gegangen wären. Also wir im Sinne von ich.

Fühle ich mich jetzt schlecht? Ich horche in mich hinein. Nein, kein Stück. Weiowei. Was sagt das denn über mich? Habe ich unterwegs nicht nur meine Traumhochzeit und mein Autochen, sondern auch noch mein Gewissen verloren? Gut, auf der Hochzeitsfeier habe ich Jan auch geküsst, aber das war etwas anderes. Denn erstens gehörte das zu einer gelungenen Inszenierung nun einmal dazu, und zweitens war ich völlig betrunken. Ich hätte vermutlich auch mit Onkelchen Bogumił geknutscht. Oder mit Małgorzata. Gestern Abend aber waren wir allein – kein Schauspiel nötig. Und ich hatte vielleicht einen kleinen Schwips. Mehr aber auch nicht. Ich wusste genau, was ich tat. Und was ich tun wollte.

Ich wälze mich unruhig hin und her. Okay, ich stecke offenbar in einer ernsten Beziehungskrise. Anders ist das alles nicht zu erklären. Klar, Jan ist süß und ein richtig guter Typ. Aber ich habe mich sicher nicht in ihn verliebt. Das kann nicht sein. Jan ist nur das Symptom der Krise, nicht ihre Ursache. Sobald ich wieder in Lübeck bin, muss ich mit Alexander sprechen. Und zwar nicht nur über den Banküberfall. Oder habe ich vielleicht gar keine Beziehung mehr und weiß es nur noch nicht? Alexander klang bei unserem letzten Telefonat nicht gerade so, als sei er mein angehender liebender Ehemann. Er klang eher wie jemand, dem ich gerade ziemlich egal bin. Ich merke, wie mir bei diesem Gedanken wieder die Tränen kommen. Wie konnte sich mein Leben nur in einer Woche so ändern?

»Hey, Tine, alles in Ordnung?«

Mit meinem Rumgewälze habe ich offenbar Jan geweckt. Jedenfalls rappelt er sich jetzt auf und guckt mich ganz verschlafen an.

»Äh, ja, klar. Ich bin nur wach geworden, weil ich so … äh … Durst habe.«

»Sicher?« Jan schaut nachdenklich. »Ich dachte, dass du vielleicht wegen unserer …«

»Ja, sicher«, schneide ich Jan schnell das Wort ab. »Willst du auch was trinken? Dann bringe ich dir ein Glas mit.«

Jan nickt.

Ich wühle mich aus dem Bett und gehe zur Minibar. Ich hoffe, Jan vergisst über einem schönen Glas Mineralwasser, was er mich eigentlich fragen wollte.

Klack, das Licht in der Minibar geht an. Wodka, Gin, Bier, Champagner. Kein Wasser, kein Saft. Na gut, dem unsachgemäßen Verdünnen von kostbarem Alkohol durch Flüssigkeiten ohne Prozente steht man hier offenbar kritisch gegenüber, und eigentlich habe ich ja auch gar keinen Durst. Unverrichteter Dinge ziehe ich von dannen und schlüpfe wieder unter die Bettdecke.

»Hey, Fräulein, ich hatte ein Wasser bestellt«, ruft Jan mit gespielter Empörung.

»Tut mir leid. Wasser ist aus. Wir haben nur noch Champagner«, informiere ich ihn pflichtschuldigst.

Er grinst. »Na dann: Champagner! Aber sofort! Sonst beschwere ich mich bei der Geschäftsleitung!«

»Aber mein Herr! Es ist noch nicht einmal fünf Uhr morgens!«

»Na und? Ich befinde mich in meinen Flitterwochen. Da passt Champagner sowieso besser. Her mit dem Zeug!«

Als ich einfach ungerührt liegen bleibe, springt Jan aus dem Bett. Harrr, nur mit Boxershorts bekleidet, sieht er schon sehr annehmbar aus. Ich konzentriere mich auf die Bettdecke und hoffe, dass Jan nur einen Spaß macht und nicht wirklich im frühen Morgengrauen eine Flasche Schampus köpfen will. In meiner momentanen Gefühlsverfassung sollte ich unbedingt darauf achten, ganz nüchtern zu bleiben. Besser, man führt mich erst gar nicht in Versuchung.

Plopp. Jan macht keinen Spaß. Keine dreißig Sekunden später hält er mir ein volles Glas unter die Nase.

»Jan, es ist vier Uhr neununddreißig. Findest du das nicht ein bisschen früh?«

»Vier Uhr neununddreißig? Nee, das finde ich eher ein bisschen spät! Ich meine, die Nacht ist fast rum, und wir haben noch keinen Champagner getrunken. Das geht ja gar nicht! Also: Na zdrowie!« Seufzend nehme ich ihm das Glas ab, und wir stoßen an. Wo soll das noch enden?

Zwei Gläser später finde ich die Regel, vor achtzehn Uhr keinen Alkohol zu trinken, völlig überholt. Champagner schmeckt wirklich zu jeder Uhrzeit. Mir geht es deutlich besser als noch vor einer halben Stunde, und ich sehe alles lockerer. Es ist einfach so: Alex hat mich schlecht behandelt, und das hat er nun davon. Jawoll! Und im Grunde genommen ist ja auch gar nichts gewesen. Das bisschen Knutschen gestern Abend zählt doch gar nicht. Und es war sooo schön. Wie gut Jan küssen kann – oder habe ich mir das eingebildet?

»Woran denkst du gerade?«, will Jan in diesem Moment von mir wissen.

Ich merke, wie ich rot werde – ob der meine Gedanken lesen kann?

»Äh, ach nichts.«

»Sag doch mal. Du hast gerade so seltsam geguckt.«

»Seltsam?«

»Na ja, irgendwie … verträumt.«

»Wahrscheinlich, weil ich so müde bin. Ich habe gerade gedacht, dass wir hier zwei sehr schöne Tage hatten.«

Jan nickt. »Stimmt. Ich fand es auch sehr schön mit dir. Es war sehr … besonders.«

Er sieht aus, als wolle er noch etwas sagen, lässt es dann aber bleiben. Ich muss gähnen. Mit einem Mal bin ich tatsächlich so müde, dass ich kaum noch die Augen aufhalten kann.

»Hm, ich glaube, ich muss noch ein bisschen schlafen.«

»Gute Idee. Ich auch.«

Ich will mich gerade wieder auf meine Seite legen, da nimmt mich Jan in den Arm und küsst mich. Erst zögerlich, dann entschlossen. Ob es an der Krise mit Alex, dem Champagner oder woran auch immer liegt: Nach einer Schrecksekunde küsse ich ihn auch. Und zwar ziemlich entschlossen. Nein, ich habe es mir nicht eingebildet: Jan kann echt gut küssen, es ist die richtige Mischung zwischen zärtlich-spielerisch und wild. Ich merke, wie ich am ganzen Körper eine Gänsehaut bekomme. Stundenlang könnte ich so weitermachen. Trotzdem bin diesmal ich es, die Jan sanft von sich schiebt.

»Gute Nacht, mein Gemahl. Ich brauche noch ein bisschen Schönheitsschlaf.«

Jan lächelt. Falls er enttäuscht ist, lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken.

»Du hast recht, ich könnte auch noch ein wenig Schlaf vertragen.« Bevor er sich allerdings in sein Kissen kuschelt, flüstert er mir noch etwas ins Ohr.

»Tine, du bist eine wahnsinnig tolle Frau. Alexander hat riesiges Glück.«

 

Auf der Rückfahrt nach Kolberg sind wir beide ungewöhnlich schweigsam. Schon beim Frühstück im Stella Maris hatte ich mich gegen meine sonstige Gewohnheit hinter der einzigen deutschen Zeitschrift verschanzt, die an der Rezeption auslag. Jetzt bin ich völlig im Bilde, was die Affären diverser deutscher Schauspieler anbelangt, und auch beim Liebesleben der Hollywoodstars macht mir niemand etwas vor. In meinem eigenen Privatleben ist mir hingegen einiges unklar, aber Klarheit wird wahrscheinlich maßlos überbewertet.

Auch Jan macht nicht den Eindruck, als hätte er gerade großen Klärungsbedarf. Er sieht aus dem Fenster, während links und rechts von uns wieder die Wälder vorbeiziehen. Ist mir gerade sehr recht, ich weiß sowieso nicht, wie ich die letzten vierundzwanzig Stunden erklären könnte. Ihm nicht und erst recht mir selbst nicht. Besser also gar nicht reden.

»Du, Tine«, setzt Jan schließlich doch an. »Das gestern …«

»Ja?«

»Also, ähm … dieser Räucherfisch war schon ganz schön lecker.«

Puh. Ich nicke. »Stimmt. Das finde ich auch.«

»Ich mag überhaupt sehr gern Fisch.«

»Hhm, geht mir genauso.«

Wir essen also beide gern Fisch. Dann wäre das ja schon mal geklärt. Ob wir als Nächstes entdecken, dass wir beide ein Faible für Laubsägearbeiten haben? Ich muss kichern.

»Was ist denn so lustig?«, will Jan wissen.

»Ach nix.«

»Sag doch mal!«

»Na gut. Ich musste gerade an Laubsägearbeiten denken.«

»Hä? Was ist das denn?«

»Laubsägearbeiten? Kennst du nicht?«

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Jan den Kopf schüttelt. »Nein. Das Wort habe ich noch nie gehört.«

»Also, eine Laubsäge ist eine Säge, mit der man aus ganz dünnen Holzbrettern Figuren aussägen kann. Das ist eine Bastelarbeit für Kinder. Sie sägen zum Beispiel ein Pferd oder einen Hund aus und malen das Holz dann an. War in meiner Kindheit sehr beliebt. Mein Vater konnte das stundenlang mit mir machen.«

»Aha. Und wieso musst du da gerade jetzt dran denken?«

»Weil es so belanglos ist. Also, ich meine, weil wir beide gerade versuchen, über etwas Harmloses, Unverfängliches zu reden. Du über Fisch – und dass du den gern magst. Dabei hatte ich das Gefühl, du wolltest eigentlich etwas anderes sagen. Tja, und da habe ich gedacht, dass ich als Nächstes ja mal mit dir über Laubsägearbeiten sprechen könnte.«

Ich riskiere einen Blick über die Schulter. Jan grinst. »Ach so. Aber ich wollte tatsächlich über Fisch mit dir sprechen.« Sein Grinsen wird breiter.

»Wirklich? Na, und mich würde tatsächlich brennend interessieren, ob du in deiner Kindheit gerne mit der Laubsäge gesägt hast.«

Jetzt müssen wir beide laut lachen. Bei mir steigert es sich sogar zu einem echten Lachanfall, der so schlimm wird, dass ich rechts ranfahre und kurz halte. Als wir uns beide wieder beruhigt haben, schüttle ich den Kopf und sehe Jan an. »Es ist schon komisch. Das mit uns, meine ich.«

Er nickt. »Das ist es. Komisch.« Schweigen. Er räuspert sich und blickt mir dann ganz ruhig in die Augen. »Aber vor allem sehr schön.«

Ungefähr eine Minute lang halte ich seinem Blick stand, dann schaue ich verlegen zu Boden, ganz so, als ob sich im Fußraum neben Gas, Bremse und Kupplung noch irgendetwas wahnsinnig Interessantes verbergen könnte.

»Ja, also, dann woll’n wir mal wieder, nicht?«

Ich fädele mich wieder in den Verkehr ein und versuche, einen möglichst lockeren und entspannten Gesichtsausdruck aufzulegen. Jan fummelt am Knopf des Uralt-Radios und findet irgendeine polnische Popwelle, deren Musikchef auch bei Radio Schleswig-Holstein arbeiten könnte – die 90er, 2000er und das Beste von heute. Gähn.

 

Für die nächste halbe Stunde meiden wir Gespräche über Fischgerichte, Laubsägearbeiten und unser Leben an sich. Als ich schließlich vor Tante Małgorzatas Platte parke, bin ich froh, aus dem Auto zu kommen. Und langsam packt mich auch die Freude darauf, schnell meine Siebensachen zusammenzuraffen und endlich wieder nach Hause zu fahren.

Wobei »schnell« natürlich relativ ist, wenn man sich von der polnischen Verwandtschaft verabschiedet: Schon im Treppenhaus riecht es sehr appetitlich, und ich werde das Gefühl nicht los, dass Tante Małgorzata etwas damit zu tun hat. Richtig getippt. Im Wohnungsflur duftet es verführerisch nach Braten, und an der Anzahl der dort abgestellten Schuhe sehe ich, dass sich ein größerer Trupp eingefunden hat, um die Frischvermählten vor der Abreise nach Deutschland ein letztes Mal zu sehen.

»Tine! Janusz!« Onkel Leszek kommt aus dem Wohnzimmer getrabt und begrüßt uns euphorisch. Ich kann zwar nicht verstehen, was er sagt, nehme aber stark an, dass er wissen will, wie es uns in Misdroy gefallen hat. Also setze ich ein strahlendes Lächeln auf und berichte.

»Hach, Misdroy war ganz toll! Ein echtes Luxushotel, das Stella Maris, und überhaupt ist der ganze Ort so schön!«

Jan übersetzt schnell. Leszek nickt zufrieden, Oma strahlt.

»Nicht wahr, ein ganz zauberhafter Ort ist das! Wie oft habe ich mit meinem Heinzi dort am Strand gesessen oder ein Café besucht. Ich freue mich, dass es euch so gut gefallen hat. Es ist einfach der richtige Platz für Verliebte.«

Dafür, dass Oma weiß, dass wir mitnichten verliebt sind und Leszek sie sowieso nicht versteht, trägt sie ganz schön dick auf. Oder glaubt sie diese Räuberpistole mittlerweile selbst? Egal, Hauptsache, sie ist wieder klar, wenn wir in Lübeck in der Polizeiwache stehen. Alles andere ist mir mittlerweile wumpe.

Jetzt kommen auch die anderen in den Flur, selbst Wojtek hat sich offensichtlich in der Klinik freigenommen, um seinen Schwager zu verabschieden, bevor der wieder nach Deutschland fährt.

»Na, wie fühlt an so verheiratet?«, will er von mir wissen.

»Großartig, danke! Die beste Entscheidung meines Lebens!« Wenn schon Schauspiel, dann richtig!

Das scheint auch Jans Motto zu sein, denn er nimmt mich in den Arm, drückt mich und küsst mich auf den Scheitel. Dann ruft er etwas auf Polnisch, was zur allgemeinen Erheiterung beiträgt.

»Ich habe ihnen gesagt, dass ich mich mit meiner neuen Chefin schon sehr gut verstehe.«

Sehr lustig, haha. Meine Eltern hätten wahrscheinlich auch drüber gelacht, mein Vater beantwortet Fragen nach der eigenen Wochenendplanung auch immer gerne mit einem freundlichen »Muss ich erst die Chefin fragen«.

Małgorzata schaut von der Küche in den Flur: »Zapraszam teraz wszystkich do stołu! Bo obiad będzie zimny!«

Vermutlich will sie uns alle an den Esstisch scheuchen. Sehr schön, es duftet nämlich dermaßen gut, dass ich kurz davor bin, loszusabbern.

Als wir alle sitzen, bringen Małgorzata und Karolina Platten und Schüsseln aus der Küche und stellen sie auf den Tisch. Braten mit dunkler Soße, Erbsen, Möhren, Knödel – lecker! Wojtek füllt etwas in unsere Gläser, was schon wieder verdächtig nach Wodka aussieht. Offensichtlich konnte er sich von seiner Trauzeugenrolle noch nicht ganz lösen. Ich beschließe, meine Finger davon zu lassen und höchstens zu nippen, schließlich liegen noch fast vierhundert Kilometerchen vor mir, die Hälfte davon auf polnischen Landstraßen.

Karolina setzt sich neben mich. »Na, meine liebe Schwägerin? Hattet ihr eine schöne Zeit?«

Ich nicke. »Ja, es war fantastisch. Vielen Dank noch mal für das tolle Geschenk!«

Bevor ich ausführlicher schildern kann, was mir besonders gut gefallen hat, klopft Onkel Leszek mit seiner Gabel an ein Glas und räuspert sich. »Liebe Tine, du bist nun Majewska und freut uns sehr!«

Ui. Eine Rede auf Deutsch! Das muss Leszek extra einstudiert haben, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass er eigentlich kein Wort Deutsch spricht.

»Wir haben kennengelernt dich und lieben dich sehr. Janusz hat große Glück, und wir mit ihm. Wir wünschen euch lange, gute Ehe – ob in Deutschland oder Polen, egal.« Dann überlegt er kurz und zwinkert mir zu: »Aber am liebsten Polen. Hat dir gut gefallen, oder? Passt du auch gut zu uns!«

Ich bin so gerührt, dass ich mir schnell ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischen muss. Gern würde ich jetzt auf Polnisch antworten, aber leider war ich in den letzten beiden Tagen ja mit anderen Dingen beschäftigt. Wobei – was heißt eigentlich leider … Ich merke, wie sich in meinem Hals ein Kloß bildet, denn neben Rührung spüre ich auch sehr deutlich mein schlechtes Gewissen. Diese Leute nehmen mich auf wie eine Tochter, und ich schwindele sie an. Ich beschließe, mich nur kurz zu bedanken. Ich will nicht noch mehr lügen, auch wenn das Gefühl von Freundschaft und Verbundenheit, das ich tatsächlich mittlerweile für Jans Familie empfinde, echt ist.

»Lieber Leszek, liebe Małgorzata«, erwidere ich, »vielen Dank, dass ihr mich so herzlich aufgenommen und mit mir eine so schöne Hochzeit gefeiert habt. Ja, ich finde auch, dass ich hier gut hinpasse. Wenn Jan und ich wieder in Deutschland sind, werden wir sicher sehr oft an euch denken.«

Okay, nicht besonders emotional, aber sollte die ganze Geschichte jemals rauskommen, möchte ich nicht auch noch die Frau sein, die hier eine großartige Rede gehalten hat, von der offensichtlich kein Wort stimmte. Jan übersetzt schnell, alle nicken zufrieden. Sehr schön, scheint also ausnahmsweise auch mal ohne Pathos zu gehen.

Wer es mal wieder genauer wissen will, ist natürlich Karolina. Noch bevor ich meinen ersten Knödel verspeist habe, nimmt sie mich in die Mangel.

»Sag mal, wie geht denn das jetzt weiter bei euch in Lübeck? Als was will Jan denn da arbeiten? Ich meine, Altenpfleger kann es für einen studierten Germanisten doch auf Dauer nicht sein.«

Tja, eine gute Frage, über die ich mir naturgemäß noch nie Gedanken gemacht habe.

»Ach, irgendwas werden wir schon finden«, antworte ich daher ausweichend. »Mit einem EU-Pass kann Jan in Deutschland doch alles Mögliche machen.«

Karolina zieht die Augenbrauen hoch. »Es sollte aber schon etwas sein, mit dem man auch eine Familie ernähren kann, oder? Ihr wollt doch Kinder, nicht wahr?«

»Kinder? Ja klar, irgendwann mal.«

»Irgendwann mal?« Karolina schüttelt verständnislos den Kopf. »Du bist doch schon dreißig. Wie lange wollt ihr denn noch warten?«

Paff, das sitzt.

»Na hör mal, so alt ist das nun auch wieder nicht. In Deutschland ist das ein völlig normales Alter für das erste Kind!«

Obwohl das hier genau genommen nur ein Scheingespräch ist, bin ich jetzt wirklich angefasst. Karolina tut ja geradezu so, als wären meine Eierstöcke schon so gut wie hinüber. Blöde Kuh!

Die Kuh hebt entschuldigend die Hände. »Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Natürlich kann man auch später Kinder bekommen. Müsst ihr selbst wissen. Mein Bruder ist eben echt kinderlieb, aber das weißt du ja. Ich glaube, er hätte bestimmt gern eine Familie – na ja, entschuldige meine Neugier.«

»Du, ich hätte auch gern mal eine Familie. Aber erst möchte ich mal die Zeit zu zweit genießen.«

Karolina nickt verständnisvoll. »Natürlich. So lange kennt ihr euch nun auch wieder nicht.«

Genau. Wenn sie wüsste, wie recht sie damit hat.

»Insofern ist es natürlich gut, wenn Jan sich erst mal in Ruhe eine richtige Arbeit sucht. Oder habt ihr schon mal daran gedacht, dass du auch in Polen arbeiten könntest? Du bist doch Deutschlehrerin. Als Muttersprachlerin hast du hier bestimmt gute Chancen, eine Stelle an einer Schule oder an der Universität zu finden.«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, auf den Gedanken bin ich noch nie gekommen. Eigentlich gefällt’s mir an meiner Schule ganz gut, und ich verdiene auch nicht schlecht.«

»Klar, ich sag ja auch nicht, dass du alles hinschmeißen sollst. Nur … vielleicht würde es sich lohnen, mal darüber nachzudenken.«

»Aber ich spreche kein Wort Polnisch.«

Karolina zuckt mit den Schultern. »Kann man alles lernen. Ist bestimmt für einen Deutschen nicht schwieriger, Polnisch zu lernen, als für einen Polen Deutsch. Ihr habt nämlich auch eine ziemlich schwierige Sprache, und trotzdem haben Jan und ich es doch ganz gut geschafft. Ich könnte dir Unterricht geben.«

Genau. Ein Träumchen – Polnischunterricht bei Dr. Karolina. Schlimmer geht’s nimmer. Aber ich brauche mich überhaupt nicht reinsteigern, denn wie mir gerade wieder einfällt, bin ich ja gar nicht mit Jan verheiratet, es gibt also überhaupt keinen Grund, nach Polen zu ziehen, und demzufolge auch keinen, Polnisch zu lernen. Ich nicke also nur höflich.

»Danke. Ich komme drauf zurück, wenn es so weit ist.« Am Sankt-Nimmerleins-Tag nämlich. Ich denke kurz nach und komme zu dem Ergebnis, dass man mit einem kleinen Wodka im Blut wahrscheinlich doch noch ganz gut Trabbi fahren kann, proste Karolina zu und kippe das Gesöff hinunter. Na zdrowie.

Nach dem Essen folgt die wort- und tränenreiche Verabschiedung. Tante Małgorzata drückt mich ununterbrochen an ihren wogenden Busen, und man muss wirklich kein Polnisch verstehen, um zu begreifen, was sie mir alles sagen will. Bogumił hat mir sogar noch ein Abschiedsgeschenk mitgebracht. Der Form nach ist es ein Buch, und zwar ein ziemlich dickes. Der wird mir alter Atheistin doch nicht die Bibel unterjubeln? Seinem Grinsen nach zu urteilen liege ich mit meinem Verdacht richtig. Ist aber irgendwie niedlich. Ich bedanke mich artig mit einem Küsschen links und rechts auf seine Wange, und Bogumił wird ganz rot.

»Hier«, sagt Karolina und gibt mir ein Lunchpaket. »Da ist auch etwas zu trinken drin. Ihr müsst darauf achten, dass Oma regelmäßig trinkt, dann hat sie auch weniger Aussetzer.«

Ich verkneife mir die Frage, ob Karolina eigentlich nicht nur Gymnasiallehrerin, sondern auch examinierte Krankenschwester ist. Aber wahrscheinlich hat sie recht. Gerda jedenfalls freut sich über das Paket und will gleich mal hineinschauen – die Bemerkung mit den Aussetzern hat sie glücklicherweise nicht gehört.

Als wir sie, das ganze Gepäck und uns selbst endlich im Trabbi verstaut haben, bin ich einerseits heilfroh, andererseits auch wehmütig. Vermutlich werde ich den Majewski-Clan so schnell nicht wiedersehen. Vielleicht auch nie wieder. Ich merke, dass mir dieser Gedanke einen Stich versetzt.

»Hey, alles klar bei dir?«, will Jan wissen. »Du guckst so komisch.«

Ich schüttle den Kopf. »Alles gut. Dann mal los. Nimmst du mal?« Ich drücke ihm meine Handtasche in die Hand, aus der noch Bogumiłs Geschenk rausragt.

»Was ist das denn?«

»Ein Abschiedsgeschenk von Bogumił. Ich glaube, die Bibel.«

Jan grinst. »Echt? Darf ich mal gucken?«

Ich nicke. Er reißt das Geschenkpapier auf und lacht. Es ist nicht die Bibel, sondern ein anderes Buch, das ich schon einmal bei Bogumił gesehen habe: SEKS.

Flitterwochen
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