17

E-Mail

Von: Haley

An: Mama und Papa

Betreff: Insassin

Stell dir vor! Joanna bewegt sich. Ich habe schon seit Tagen so ein Flattern verspürt, sodass ich schon den Verdacht hatte, aber heute war es definitiv ein Stoß. Philip sitzt im Moment neben mir und wartet darauf, dass ich ihm sage: »Jetzt«, damit er es fühlen kann. Aber heute Abend ist sie ruhig. Wir fangen trotzdem damit an, ihr vorzulesen und Musik für sie zu spielen. Heute Abend liest er ›Gute Nacht, lieber Mond‹. Ist das nicht unglaublich?

Ganz liebe Grüße von uns dreien

Haley

»Maus?« Schwesterherz rief aus der Küche.

»Am Computer. Komm nach hinten.«

Sie betrat den Raum mit den Worten: »Ich habe Angst, dein Haus zu betreten, seit dein Mann so einen Wutausbruch wegen seiner Privatsphäre hatte.«

Sie bezog sich damit auf einen Tag, der bereits einige Monate zurücklag. Fred war damals gerade aus der Dusche gestiegen, hatte sich ein Handtuch umgebunden und war in die Küche gegangen, in der Mary Alice und Miss Bessie am Tisch gesessen, Schokochips gegessen, Cola getrunken und sich ganz wie zu Hause gefühlt hatten.

Fred hatte, total erschrocken, das Handtuch fallen lassen und war geflohen. Alles, woran er sich später erinnerte, waren die Schokoladenchips und ein rosafarbener Häkelhut, und diese beiden Bilder hatten sich in seine Netzhaut gebrannt. »Nimm ihr diesen verdammten Schlüssel weg, Patricia Anne.«

Das tat ich natürlich nicht, aber ich bat sie darum, ein wenig diskreter zu sein.

»Ich weiß nicht, warum«, sagte sie. »Es war nicht so, als hätte er etwas zu verbergen gehabt.«

»Armselig«, pflichtete ihr Miss Bessie bei.

Unnötig zu erwähnen, dass ich ihre Meinungen nicht an Fred weitergab. Es brachte nichts, Salz in die Wunden zu streuen. Ich erinnerte sie aber dennoch daran, dass er gerade aus der Dusche gekommen war und sie ihn erschreckt hatten.

Beide sagten: »Huh.«

»Was hast du erhalten?«, fragte Schwesterherz nun, während sie über meine Schulter schaute.

Ich rutschte ein Stück, damit sie sich setzen konnte. »Schau dir das an. Das ist wundervoll.«

Sie las die E-Mail und sagte: »Wie ist das? Lass mal sehen. Haley ist im vierten Monat schwanger. Wie groß ist deiner Meinung nach jetzt Joanna? So groß wie eine Honigmelone?«

»Das bezweifle ich. Am meisten wachsen sie doch in den letzten zwei Monaten.«

»Du hast immer wie ein Stock mit Knoten ausgesehen, als du schwanger warst, und ich, als hätte ich einen Kürbis verschluckt.«

»Mama hat gesagt, du hättest deine nur hoch getragen.«

Schwesterherz nickte und klopfte mit dem Fingernagel auf den Bildschirm. »Schwanger sein ist schön, weißt du, Maus? Wenn nicht meine Ehemänner alle gestorben und nicht die Dehnungsstreifen gewesen wären, dann hätte ich noch mehr Kinder bekommen. Ich hoffe, Marilyn wird bald schwanger.«

»Ich auch. Und ich wünsche mir auch, dass Freddie heiratet und häuslich wird.«

»Er ist glücklich. Willst du das ausdrucken?«

»Unbedingt. Ich möchte ein Sammelalbum für sie anlegen.«

Schwesterherz klickte mit der Maus, und der Drucker legte los. »Ich gehe ins Krankenhaus. Ich dachte, du wolltest vielleicht mitkommen.«

»Gibt es irgendetwas Neues?«

»Nicht wirklich. Virgil hofft, dass ich Tammy Sue überreden kann, eine Weile mit zu mir nach Hause zu kommen und sich ein wenig auszuruhen. Er macht sich Sorgen um sie.« Sie griff nach dem Papier, das der Drucker ausgespuckt hatte. »Ich dachte, du könntest mir vielleicht dabei helfen.«

»Mit Larry ist alles wie gehabt?«

»Er ist nach wie vor im Schwebezustand. Hier.« Sie reichte mir den E-Mail-Ausdruck. »Was hat dein Polizist gesagt, als du ihm von Day Armstrong erzählt hast?«

»Mein Polizist hat gesagt, er wolle es nachprüfen.« Ich faltete die Mail zusammen und legte sie in eine Schachtel in der Ecke, auf der »Haley« stand. »Ich sagte ihm, er solle mich aus dem Spiel lassen.«

»Das wird schwierig sein.«

»Ich weiß.« Ich machte die Schachtel zu. »Gib mir ein paar Minuten, dann komme ich mit.«

»Virgil sagt, sie hat seit gestern keinen Bissen gegessen.« Ich nahm eine schnelle Dusche und schlüpfte in eine leichte graue Wollhose und einen Pullover.

»Du siehst aus, als seist du schon in Trauer«, sagte Schwesterherz, als ich ins Wohnzimmer kam. »Ins Krankenhaus sollte man mit strahlenden Farben gehen.«

»Möchtest du, dass ich mitkomme, oder nicht?«

Schwesterherz nickte und stand auf. Sie leuchtete genug für uns beide in ihrem geblümten Stufenrock und den lilafarbenen Stiefeln. »Es ist einfach so, dass Farbe die Menschen aufheitert.«

»Da hast du recht«, sagte ich. »Und du siehst sehr hübsch aus.«

»Nun, du kannst ja nichts dafür, dass du nicht mein Fingerspitzengefühl hast.«

Da sagte sie die Wahrheit.

»Ich habe Haleys Stuhl bei ihr zu Hause gelassen auf meinem Weg hierher«, erklärte sie mir, als wir zum Auto liefen. »Habe ihn einfach in den Hausflur gestellt.«

»Ich wusste gar nicht, dass du einen Schlüssel hast.«

Schwesterherz tätschelte ihre Tasche. »Visa Card. Es ist ein Wunder, dass sie noch niemand bis aufs letzte Hemd ausgeraubt hat. Man würde meinen, Philip hätte mehr Verstand.«

»Sie haben eine Alarmanlage.«

»Mit Codenummern, die so oft gedrückt wurden, dass sie ganz abgenutzt sind. Abgesehen davon habe ich letztens gesehen, was du eingegeben hast.«

Wir stiegen in den Mercedes meiner Schwester. »Ich vermisse meinen Jaguar«, sagte sie. »So wahr ich hier sitze, ich lege mir noch einmal einen zu.«

Und mit diesen Worten fuhr sie aus meiner Einfahrt, und wir düsten zum Universitätsklinikum.

»Ich denke, ich habe mich für ein Kleid entschieden«, sagte sie mit einem Kopfnicken in Richtung der Bücher, die Bonnie Blue gebracht hatte. Diese hüpften auf dem Rücksitz, als wir in ein paar Schlaglöcher fuhren.

»Ist es eines, an das ich mich erinnere? Oder eines von denen, die du dir zusammen mit Fred angeschaut hast?«

»Nein. Es ist weiter hinten in dem Buch. Das Design nennt sich Rubens. Keine Rüschen oder Flitter. Prinzessinnenstil. Aber es hat einen ziemlich tief ausgeschnittenen runden Halsausschnitt.« Sie deutete einen Kreis an, der fast bis zu ihrer Taille ging. »Ich meine wirklich tief.«

»Die Kleider der Brautjungfern müssen aber nicht entsprechend sein, oder?«, fragte ich alarmiert.

»Natürlich nicht. Du hast ja auch nichts, was das halten würde.«

Ich konnte ihr da nicht widersprechen.

»Schau mal. Da fährt eine Frau aus dem Parkplatz.« Schwester fuhr über zwei Spuren der Nineteenth Street hinweg und schnappte ihn sich. Ein Mann in einem Nissan, der bereits abgebremst hatte und dort parken wollte, zeigte ihr einen Vogel.

»Unverschämt«, sagte Schwesterherz. »Ich schwör’s dir, die Leute werden jeden Tag unhöflicher. Such keinen Augenkontakt mit ihm, Maus. Leute wie er sind es, die Gewalt im Straßenverkehr verursachen, und deshalb heißt es, dass man ihnen nicht in die Augen schauen soll. Sie sollen nicht das Gefühl haben, dass man sie herausfordert.«

Unter keinen Umständen würde ich dem Mann in die Augen schauen. Ich musste mich darauf konzentrieren, wieder Luft zu bekommen. Als wir schließlich am Krankenhausaufzug standen, war ich nahezu wieder so weit, normal atmen zu können.

Man hatte den Versuch unternommen, dem Warteraum der Intensivstation an der Universitätsklinik etwas Beruhigendes zu verleihen. Die Wände waren in einem gefälligen Rosaton gestrichen, der fast ins Pfirsichfarbene ging, und eine geblümte Bordüre am oberen Rand nahm das Rosa auf und fügte weitere Farben hinzu, darunter das dunkle Grün von Blättern, auf das ein paar der Sofas farblich abgestimmt waren. Ein weiteres Sofa und die Sessel waren in einem Industriegrau gehalten. Auf dem Bildschirm, der an der Wand montiert war, diskutierten Oprah Winfrey und Deepak Chopra darüber, wie wichtig es für Menschen sei, ihre Lebenskraft zu erneuern. Die Botschaft schien hier ihr Ziel zu verfehlen. Eine einzige Frau blickte auf den Bildschirm, und sie sah nicht sehr hoffnungsvoll aus.

Tammy Sue, Olivia und eine ältere kleine Frau mit grauem Haar, die uns als Larrys Tante Maude vorgestellt wurde, saßen auf einem der Sofas. Tante Maude saß zwischen den beiden jungen Frauen. Ich mochte sie auf Anhieb.

»Hübsche Stiefel haben Sie«, sagte sie zu Mary Alice, »und ich hoffe, Sie sind hergekommen, um Tammy Sue hier ein wenig rauszuholen. Wenn ihr Körper nicht etwas Anständiges zu essen und ein wenig Schlaf bekommt, dann kippt sie uns um, und wir haben zwei Patienten am Hals.«

»Deshalb sind wir da«, sagte Schwesterherz. »Gibt’s was Neues?«

Tammy Sue verneinte kopfschüttelnd. Ihre Augen waren so verschwollen, dass ich mich fragte, ob sie klar sehen konnte. »Sie sagen, wir können nur warten. Wir dürfen jede Stunde fünf Minuten rein, um ihn zu sehen.« Sie holte Luft. »Er ähnelt noch nicht einmal wieder sich selbst.«

»Also Tante Maude hat recht, Tammy Sue«, sagte Olivia. »Du musst hier mal für eine Weile raus. Larry weiß ohnehin nicht, dass du da bist.«

Tammy Sue antwortete ihrer Schwägerin gereizt: »Doch, das weiß er. Er weiß, dass ich hier bin.«

»Nein, das weiß er nicht. Er weiß gar nichts.«

»Doch, tut er.«

Die anderen Leute in dem Wartezimmer blickten interessiert auf. Tante Maude wandte sich an Olivia und teilte ihr ruhig mit, dass sie sich benehme wie ein Simpson. Die Simpsons, vermutete ich, waren für diesen Zweig der Ludmiller-Familie unterste Schublade. Jede Familie in den Südstaaten hat eine. Auf jedem Fall rutschte Olivia gründlich gescholten in ihre Sofaecke zurück.

»Geh, mein Schatz«, sagte Tante Maude zu Tammy Sue. »Ich bin hier. Verschaff dir etwas Ruhe und was zu essen.«

Tammy Sue schaute auf ihre Uhr. »Wir können ihn in zehn Minuten noch einmal sehen. Danach gehe ich.«

Wir setzten uns also und warteten. Und nicht einmal das freundliche Dekor konnte diesem Raum seine bedrückende Atmosphäre nehmen.

»Womit sollen wir sie denn verköstigen?«, fragte Schwesterherz, während die drei Frauen sich aufmachten, nach Larry zu sehen.

»Sie braucht Wohlfühlnahrung. Irgendeine hausgemachte Gemüsesuppe vielleicht oder Maisbrot.«

Schwesterherz nickte. »Das klingt gut. Hast du welches?«

»Im Tiefkühlfach.«

»Dann fahren wir sie zu dir zum Essen.« Sie nahm ein ›People‹-Magazin in die Hand und schaute es durch. Keine Ahnung, was sie in der Zeitschrift sah, das sie auf die Idee brachte, uns alle darüber zu informieren, dass sie Gott danke, heterosexuell zu sein.

Eine ältere Frau stand auf, schenkte sich Kaffee ein und bedeutete uns, dass wir ihr Platz machen sollten auf dem Sofa. Schwesterherz und ich rutschten beiseite. Die Frau sah sich um im Wartezimmer, um sicherzugehen, dass alle wieder schliefen oder zu ihren Zeitschriften zurückgekehrt waren, dann beugte sie sich zu uns und flüsterte: »Elvis war hier gestern Nacht.« Sie machte eine Pause, um die Reaktion abzuwarten, die Schwesterherz und ich zeigen würden. »Er hatte einen weißen Overall an und saß genau hier auf dieser Couch.«

»Das war Buddy Stuckey«, erklärte Schwesterherz. »Er ist ein Elvis-Imitator.«

»Nein, das war Elvis. Er sah übrigens gut aus. Nicht mehr so aufgedunsen. Hat einiges von dem Gewicht verloren, das er zugelegt hatte. Ich wollte Ihnen das nur erzählen, damit Sie wissen, dass der Mensch, der Ihnen nahesteht, wieder gesund werden wird.«

»Danke«, sagten wir beide.

»Bitte.« Sie warf erneut einen Blick auf die anderen Leute im Raum. »Hier gibt es einige, die glauben das nicht.«

Schwesterherz nickte. »Ich kann das nachvollziehen.«

»Hat eine Menge Gewicht verloren. War auch nicht gut für ihn. Hat geradezu nach Diabetes geschrien, wenn Sie mich fragen. Das ist es, was meine Schwester da nebenan hat.«

»Tut mir leid«, sagte Schwesterherz.

Die Frau schlürfte ihren Kaffee. »Sie wird schon wieder.«

Wir pflichteten ihr bei, dass dies sicher der Fall sei würde.

Tammy Sue kam wieder heraus. Sie sah noch jammervoller aus als zuvor. »Er sieht so erbarmungswürdig aus«, sagte sie. »Überall schwarz und blau.« Sie wischte sich mit dem Handrücken Tränen aus den Augen. »Wer hat so etwas nur getan?«

»Wir finden das heraus«, sagte Tante Maude besänftigend. »Und er hat sein Bein bewegt. Das ist ein prima Zeichen.«

Ich holte Luft. Ich hatte nicht an die Möglichkeit einer Lähmung gedacht, die aber natürlich existierte.

»Kommen Sie schon, Tammy Sue«, sagte Mary Alice. »Wir haben einen prima Parkplatz, fast direkt vor der Eingangstür.« Sie legte ihren Arm um die Schulter des Mädchens. »Und wie klingt eine hausgemachte Gemüsesuppe in Ihren Ohren?«

»Okay. Und eine Dusche wäre auch wunderbar.«

Ich warf einen Blick zurück, als wir den Warteraum verließen. Olivia Ludmiller stand am Fenster, ihr schmales Gesicht von Tränen überströmt.

Eine Stunde später saßen Tammy Sue, Schwesterherz und ich an meinem Küchentisch. Tammy Sue und meine Schwester aßen Gemüsesuppe und Maismuffins. Ich verdopple immer die Rezeptmenge, wenn ich Maismuffins mache, und friere die Reste ein. Eine Minute oder noch weniger in der Mikrowelle, und sie schmecken wie frisch gebacken. Ich war nicht hungrig, da ich ja mit Fred zu Mittag gegessen hatte, aber einem Muffin konnte ich nicht widerstehen.

»Die ist gut«, sagte Tammy Sue, während sie die Suppe kostete. Sie hatte geduscht, sich die Haare gewaschen und trug den marineblauen Veloursbademantel, den ich Fred zum Geburtstag gekauft hatte. Er hatte nie gesagt, dass er ihn nicht mochte, aber er hatte ihn nie getragen. Ziehen Sie daraus Ihre eigenen Schlüsse!

»Patricia Anne ist eine gute Köchin«, sagte Schwesterherz.

Ich war erfreut über das Kompliment.

»Sie verbringt eine Menge Zeit in der Küche.«

Diese Bemerkung erfreute mich nicht. Es klang so, als hätte ich nicht viel vom Leben. Ich versetzte ihr einen leichten Tritt gegen den Knöchel. »Genau wie Martha Stewart.«

»Wenn Larry aus dem Krankenhaus kommt, dann abonniere ich ›Martha Stewart Living‹ und mache all das, was sie macht. Meine eigene Weihnachtsdekoration, anstatt sie bei Wal-Mart zu kaufen. Und ich beine mein eigenes Hähnchen aus und brate es mit Rosmarin gespickt. Ich habe sie das einmal im Fernsehen zubereiten sehen.« Tränen traten in Tammy Sues Augen. »Wisst ihr, dass ich noch nie ein Hähnchen ausgebeint habe? Und ich weiß nicht einmal, was Rosmarin ist.«

»Es ist ein Kraut wie Petersilie, Salbei und Thymian«, sagte Schwesterherz. Man konnte förmlich hören, wie sie zwischen den Worten Salbei und Thymian nachdachte.

»Meine Mutter war eine wundervolle Köchin. Sie hat nicht so extravagantes Zeug gekocht, aber leckere Sachen wie Hähnchen und Klöße. Ich wünschte, ich hätte besser aufgepasst, wie sie die Dinge zubereitet hat, mir ihr Rezept für gefüllten Truthahn geben lassen zum Beispiel. So etwas eben.« Tammy Sue seufzte. »Sie hielt unser Haus so sauber, dass man vom Boden hätte essen können.«

»Wirklich?« Schwesterherz rollte ihre Augen in meine Richtung.

»Und sie hat sogar Daddys Unterwäsche gebügelt.« Die Tränen liefen über. »Ich habe noch nie Larrys Unterwäsche gebügelt.«

Schwesterherz legte ihren Löffel nieder. Sie begann panisch zu wirken.

»Ich habe Freds auch noch nie gebügelt«, sagte ich. »Ich glaube nicht an das Bügeln von Dingen, die man nicht sieht.«

Tammy Sue schenkte mir ein schwaches Lächeln.

»Man konnte vom Boden essen?«, fragte Schwesterherz.

»Ja, Ma’am. Sie liebte ein sauberes Haus.«

Ich konnte Muffin im Katzenklo in der Speisekammer herumkratzen hören. So viel zum Essen von meinem Boden.

Tammy Sue hörte das Geräusch ebenfalls. »Ich liebe Katzen«, sagte sie. »Larry und ich haben mittlerweile zwei. Aber als ich klein war, habe ich mir jede Weihnachten ein Kätzchen gewünscht und nie eines bekommen. Daddy hasst Katzen.«

Visionen von Bubba Cat, wie er auf seinem Heizkissen auf dem Küchentresen von Schwesterherz schläft, schwirrten mir durch den Kopf. Schwesterherz ging es genauso, da bin ich mir sicher. Ich warf einen Blick zu Tammy Sue hinüber, ob sie uns veräppeln wollte. Aber wie sie sich so über ihre Suppe beugte, sah sie ganz unschuldig aus. Schwesterherz hingegen runzelte die Stirn, während sie einen Muffin auseinanderbrach und ihn mit Butter bestrich. Sie hatte, wie ich wusste, in Erwägung gezogen, Bubba Cat mit auf ihre Hochzeitsreise im Wohnmobil zu nehmen, mit der vernünftigen Begründung, dass, wenn sie ihn dort mit seinem Heizkissen auf einen Tresen setzte, er den Unterschied gar nicht bemerken würde.

Ich befand, dass ich besser das Thema wechselte. »Es ist was Nettes passiert, als du da drin warst bei Larry«, sagte ich. »Eine Dame kam zu uns und erzählte uns, dass Elvis sie gestern Nacht im Wartezimmer besucht habe. Mary Alice erklärte ihr, dass das Buddy gewesen sei, aber sie glaubte ihr nicht. Sag ihm, dass er sehr überzeugend wirkt.«

Tammy Sue blickte verdutzt auf. »Buddy war nicht hier gestern Abend. Er musste bei einer Kriegsveteranenveranstaltung auftreten, und ich habe ihm gesagt, er solle das ruhig machen. Es gab nichts, was er im Krankenhaus hätte tun können.«

»Oh.« Ich beugte mich vor und konzentrierte mich darauf, meinen Muffin zu buttern. Der Rest der Mahlzeit verlief sehr ruhig, weil wir alle auf unsere eigenen Gedanken konzentriert waren.

»Vielleicht ist er gegangen und kam dann wieder, als Tammy Sue gerade gedöst hat oder bei Larry drinnen war«, sagte Schwesterherz später. Tammy Sue schlief in meinem Gästezimmer. Schwesterherz und ich hatten den Tisch abgeräumt, und dann hatte sie Bonnie Blues Bücher hereingebracht.

»Vermutlich«, sagte ich.

Sie öffnete eines der Bücher an einer Stelle, die sie mit einer zusammengefalteten Seite der ›Birmingham News‹ markiert hatte und auf der Frühjahrsschuhmode abgebildet war. »Hier ist das Rubens-Kleid.«

Es war wundervoll, ganz schlicht und natürlich nicht so weit ausgeschnitten, wie sie es gezeichnet hatte.

»Perfekt.« Und das entsprach der Wahrheit.

Sie setzte sich nieder und studierte das Kleid. »Ich weiß nicht, Maus. Du hast all das Zeug über Virgils erste Frau gehört. Er wird kein makelloses Haus oder gebügelte Unterhosen von mir bekommen. Er wird nicht einmal den Körper bekommen, dessentwegen mich alle meine anderen Ehemänner geheiratet haben.«

»Sei nicht dumm. Sie haben dich nicht wegen deines Körpers geheiratet. Sie haben dich geheiratet, weil sie dich geliebt haben. Und Virgil liebt dich auch.«

»Nun, das weiß ich. Aber die ersten drei haben nie erwartet, dass ihre Unterhosen gebügelt werden, und sie haben alle Katzen geliebt. Das macht mir wirklich Sorgen. Virgil hat nie erwähnt, dass er Bubba nicht leiden könne.«

»Vielleicht hat er sich geändert. Ist milder geworden.«

»Das bekomme ich heraus. Da kannst du sicher sein.«

Das Telefon klingelte, und ich griff danach in der Hoffnung, dass es Tammy Sue nicht geweckt hatte.

»Patricia Anne?« Es war Bernice Armstrongs Stimme. Mein Magen war wie zugeschnürt, aber ich erntete nicht den Zorn von ihr, den ich erwartet hatte. Stattdessen sagte sie, sie wolle sich dafür entschuldigen, dass Day das Messer in meine Tasche getan und mir so viel Unannehmlichkeiten verursacht habe.

»Ich schwöre es dir, ich kann dir nicht sagen, was in dieses Kind gefahren ist«, fuhr sie fort. »Sie sagt, es habe auf dem Bühnenboden gelegen, und sie habe es gedankenlos aufgelesen, und dann, als sie in der Zeitung gelesen hatte, dass es womöglich eine Mordwaffe war, sei sie in Panik verfallen. Und da hing deine Handtasche. Sie sagt, dass sie sich kaum noch daran erinnert, das Messer dort hineinfallen lassen zu haben.«

»Hat sie das der Polizei erzählt?«

»Sie ist noch immer da unten. Ich habe sie dorthin begleitet, aber sie machen einen Haufen Zeug mit ihr, versuchen sicherzustellen, dass sie die Wahrheit sagt.«

»Ein Stimmen-Stress-Analysator«, sagte ich.

»Das kommt ungefähr hin. Egal, jedenfalls haben sie gesagt, ich könne genauso gut nach Hause gehen, und es war gut, dass ich das gemacht habe, denn der arme Maurice war auf die Schnauze gefallen in der Eingangshalle. Ausgesprochen seltsame Sache. Sieht aus, als habe ihn irgendein Tier angegriffen. Überall ist Fell.«

Ich brauchte eine Sekunde, um den Namen Maurice und den ausgestopften Grizzlybären zusammenzubringen.

»Er ist schwer wie Blei, sodass ich erst mal nur um ihn herum staubsaugen kann, bis jemand hier ist und mir hilft, ihn aufzustellen, um zu sehen, ob noch alles beisammen ist.« Sie machte eine Pause. »Ich weiß nicht, wo Dusk ist.«

»Tut mir leid, Bernice«, sagte ich. Was hätte ich sonst sagen können?

»Nein, ich bin diejenige, der es leidtut, und Day ruft dich selbst an und entschuldigt sich, sobald sie ihre Füße aus diesem Gefängnis setzt. Ich verspreche dir das. Ich habe meine Mädchen nicht großgezogen, damit sie so etwas tun.«

Offenkundig war es Bernice nicht in den Sinn gekommen, dass an dem Messer-Vorfall mehr dran sein könnte, als dass Day es zufällig auf dem Boden gesehen und aufgehoben hatte. Ich fragte mich, ob Dusk ihrer Mutter von ihrer Ehe mit Griffin Mooncloth erzählt hatte und davon, dass sie von ihm erpresst worden war. Ich bezweifelte es, andernfalls hätte sie ängstlicher gewirkt hinsichtlich der Konsequenzen, die die Befragung auf dem Polizeirevier für Day haben könnte.

»Gut, lass mich jetzt staubsaugen, Patricia Anne. Und du kannst mit diesem Anruf rechnen.«

»Bernice«, sagte ich zu Schwesterherz, als ich auflegte. »Day hat zugegeben, dass sie das Messer in meine Tasche gesteckt hat. Sie ist jetzt unten auf der Polizeistation. Bernice hat sich für sie entschuldigt.«

Schwesterherz schloss das Buch und stand auf. »Weißt du, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Day Armstrong so wütend auf Griffin Mooncloth gewesen sein soll, dass sie ihn umgebracht hat, nur weil er an seiner Ehe mit Dusk festhalten wollte. Außer sie liebt ihn selbst. Es gibt vier Dinge, wegen denen Menschen töten, Maus: Geld, Rache, Eifersucht und Hass. Und natürlich sind manche auch einfach nur verrückt. Aber denk darüber nach. Würdest du einen Mann ermorden, nur weil er mit mir verheiratet bleiben will?«

»Nein, ich würde es dir überlassen, ihn umzubringen.«

»Genau. Falls also Day nicht wie verrückt in ihn verliebt war, dann war Dusk diejenige, die ihn umgebracht hat.« Darin verbarg sich ein gewisser Sinn. Schwesterherz nahm die Bücher und sagte, sie fahre zum Big, Bold and Beautiful Shoppe, um mit Bonnie Blue zu reden, sei aber rechtzeitig zurück, um Tammy Sue ins Krankenhaus zu fahren. »Lass sie ein paar Stunden schlafen. Sie hat es weiß Gott nötig.«

Der Rest des Nachmittags war daher sehr ruhig. Ich zog meine guten grauen Sachen aus, schlüpfte in ein Paar Jeans und putzte das Haus. Es war das erste Mal seit Tagen, dass mir danach zumute war. Ich konnte nicht staubsaugen, aber wischte den Küchenboden und staubte ab, sogar im Salon, in den wir nie gehen. Ich machte die Toiletten sauber und schrubbte die Ausgussbecken. Als Tammy Sue aufwachte und aus dem Gästezimmer kam, roch das ganze Haus, als ob eine Pinie mit einem Zitronenbaum veredelt worden wäre.

Das Erste, was sie machte, war, mit dem Wartezimmer der Intensivstation zu telefonieren und mit Tante Maude zu sprechen. »Ja, Ma’am«, hörte ich sie sagen, »okay.« Und dann: »Ist Olivia noch da?« Als sie aufgelegt hatte, stützte sie sich am Küchentisch ab, so als sei sie zu müde, um zu stehen.

»Irgendwelche Veränderungen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er ist nach wie vor bewusstlos. Wo ist Mrs Crane?«

»Sie hat ein paar Dinge zu erledigen. Sie dürfte aber in Kürze zurück sein. Möchten Sie einen Tee mit viel Eis drin?«

»Das wäre großartig.«

»Warum setzen Sie sich dann nicht ins Wohnzimmer, und ich bringe Ihnen welchen.«

»Danke. Haben Sie Tylenol oder Aspirin?«

Ich öffnete den Küchenschrank und gab ihr die Flasche Tylenol extra stark. Sie nahm zwei und ging ins Wohnzimmer, als wären alle ihre Muskeln steif. Als ich in den Raum trat, lag sie ausgestreckt auf Freds Lehnstuhl.

»Ich wusste nicht, dass man derartig müde sein kann«, sagte sie, während sie ihren Tee entgegennahm. »Das sollte aber helfen. Danke, Mrs Hollowell.«

»Gern geschehen, Tammy Sue. Möchten Sie einen kleinen Happen essen?«

»Nein danke.« Sie nahm ihr Tylenol und trank etwas Tee. »Wenigstens ist Olivia nicht mehr im Krankenhaus. Vielleicht bleibt sie ja eine Weile weg.« Tammy Sue starrte in ihr Glas, als sei dies eine Kristallkugel. »Ich weiß, sie meint es gut, aber sie macht mich verrückt. Sie ist schon in guten Zeiten nicht der einfachste Mensch, und jetzt sind weiß Gott keine guten Zeiten.«

»Tut mir leid«, sagte ich.

»Mir auch. Sie ist so verrückt nach meinem Bruder Buddy, dass ich manchmal denke, sie nervt ihn allmählich. Was für mich in Ordnung ist.« Tammy Sue stellte ihr Glas auf den Tisch und sagte achselzuckend: »Was weiß ich? Vielleicht sind sie ja das glücklichste Paar auf der Welt. Aber jetzt sagt sie die ganze Zeit, sie sei schuld daran, dass Larry verletzt worden sei, und dass sie ihm etwas sagen müsse. Ich frage sie andauernd, was, aber sie sagt, sie müsse es Larry erzählen.«

»Wenn sie etwas darüber weiß, wer ihn attackiert hat, dann muss sie das der Polizei erzählen und nicht länger damit warten.«

»Natürlich muss sie das. Ich kann mir aber nicht vorstellen, was sie zu wissen meint. Vielleicht nichts.« Tammy Sue rieb sich die Hand an der Seite von Freds Bademantel ab. »Auf der anderen Seite besitzen sie und Larry zwei Apartments an der Valley Avenue, die er an auswärtige Künstler vermietet. Sie kümmert sich um das Organisatorische, und ich weiß, dass dieser Russe da gewohnt hat. Sie hat das der Polizei erzählt, aber ich denke, die wussten das schon. Der Gedanke geht mir nicht aus dem Kopf, dass sie vielleicht mehr weiß.«

»Vielleicht erzählt sie es Buddy.«

Tammy Sue zuckte erneut die Achseln. »Vielleicht. Ich bezweifle allerdings, dass sie wirklich etwas weiß. Olivia wird melodramatisch, wenn sie sich nur den Zeh anstößt.«

Die Hintertür ging auf, und Schwesterherz rief Hallo. »Nun, Sie sehen ja schon viel besser aus«, sagte sie zu Tammy Sue.

»Nein. Ich sehe aus wie der Tod, aber ich fühle mich ein wenig besser.«

»Das ist gut. Sind Sie startbereit, um zurück ins Krankenhaus zu fahren?«

»Lassen Sie mich noch kurz meine Sachen anziehen.« Tammy Sue lief den Flur hinunter.

»Sie sieht wirklich aus wie der Tod«, flüsterte Schwesterherz.

»Das habe ich gehört«, rief Tammy Sue.

Das behelligte Schwesterherz nicht. »Was hast du für große Ohren, mein Kind?«, sagte sie.

»Damit ich dich besser hören kann.«

Die beiden verstanden sich.