6

»Marilyn zu befruchten?«

Fred und ich saßen am Küchentisch und aßen das gegrillte Hähnchen mit gebackenen Bohnen und Kartoffelsalat ohne Senf (wir hassen Kartoffelsalat, in dem Senf ist), das ich auf dem Heimweg im Piggly Wiggly gekauft hatte. Noch immer schlug Regen gegen die Fenster, und Woofer lag unter dem Tisch. Ich hatte meine Schuhe ausgezogen und kraulte ihn mit meinen bestrumpften Füßen.

»Das hat er gesagt, ich schwör’s. Er hat es sogar wiederholt.«

Fred runzelte die Stirn. »Klingt nach einem Verrückten. Ich bin froh, dass du ihn nicht hereingelassen hast. Was hat denn Mary Alice gesagt, als du es ihr erzählt hast?«

»Ich habe es ihr nicht erzählt. Ich sprach mit Debbie, und die hatte von ihrer Schwester die Mitteilung erhalten, man solle ihrer Mutter nichts sagen.«

»Darüber, dass irgendein Mann auftauchen würde, um sie zu befruchten?«

Ich tat mir noch etwas von dem Kartoffelsalat auf. »Debbie ist sich nicht sicher. Marilyn hat anscheinend von ihrem Autotelefon aus angerufen, und die Nachricht war verstümmelt. Aber kann sein, dass es das war, was sie gesagt hat.« Unter dem Tisch drehte sich Woofer um und gab unter meinen massierenden Füßen einen leisen Laut des Wohlbefindens von sich. Im Wohnzimmer lag Muffin, den Kopf auf einem Kissen, schlafend auf dem Sofa.

»Ich gebe diesen Schatz von einer Katze nicht zurück«, sagte ich und deutete mit dem Finger auf sie.

»Ich weiß.« Fred wischte sich die Hände an einer Papierserviette ab, bevor er nach einem weiteren Stück Hühnchen griff. »Kannte Debbie diesen Mann?«

»Nein. Sie hat keine Ahnung, worum es ging.«

Das gleichmäßige Geräusch des Regens wirkte hypnotisierend. Ich war plötzlich dankbar für mein warmes, trockenes Haus, für den pelzigen Körper unter mir, für den großartigen Mann, der mir gegenüber gegrilltes Hühnchen verschlang. Es war einer von den Momenten, die man am liebsten festhalten möchte, wenn man erkennt, wie glücklich man ist.

»Nun, Marilyn hatte immer einen gesunden Menschenverstand. Sie kann auf sich selbst aufpassen. Du glaubst doch nicht, dass dieser Mann gefährlich ist, oder?«, fragte Fred.

»Er schien nur wütend.«

»Na, irgendwann finden wir heraus, was da los ist.« Er nahm einen Bissen von dem Hühnchen und sagte: »Mmmm, ist das gut. Du solltest dir das Piggly-Wiggly-Rezept geben lassen, Schatz.«

Da war der Moment dahin. Ich zögerte, entschied aber, mich nicht beleidigt zu fühlen. Ich habe in den einundvierzig Jahren meiner Ehe gelernt, dass Fred bei der Hälfte der Dinge, die mich an ihm aufregten, gar nicht wusste, was in seinen Worten oder Handlungen mich verletzt haben könnte. Abgesehen davon ist es schwer, sich von einem Mann mit Barbecuesauce auf der Nase beleidigt zu fühlen.

»Wisch dir die Nase ab«, sagte ich.

Der Abend verlief im Weiteren friedlich.

Wir nahmen unseren Kaffee mit hinüber ins Wohnzimmer und schalteten die Nachrichten an. Rund achtzig Liter Regen pro Quadratmeter waren in den letzten vierundzwanzig Stunden gefallen. Village Creek war überflutet. Die »Stellen wir uns dem Wetter«-Reporterin des heutigen Abends zeigte auf die reißenden Wassermassen, während der Regen auf ihren Schirm ploppte. »Ein Regenzug, der mit töf, töf vom Golf her naht, ist die Ursache des Ganzen«, erklärte die vom Winde verwehte Reporterin – offenkundig eine Mutter von kleinen Kindern.

Dann ging es zurück ins Studio und zu der Mordgeschichte im Alabama Theatre. Griffin Mooncloth, ein Elvis-Imitator, ermordet auf einer Benefizveranstaltung für die Restaurierung der Vulcanus-Statue.

Ein Filmbeitrag wurde eingeblendet: Mr Wurlitzer, wie er auf den Orchestergraben deutete. »Genau hier. Hätte um ein Haar die Orgel zertrümmert.« Er blickte traurig drein. »Das wäre ein großer Verlust gewesen.«

»Gott«, grummelte Fred und zappte zu ›Glücksrad‹.

»Wir haben heute im Haus von Haley vergessen, die Alarmanlage anzuschalten«, sagte ich, während die Glücksradfee drei S erdrehte. »Bo Mitchell kam, um nachzuschauen, was los war, und erzählte mir, dass dieser Mooncloth-Knabe wahrscheinlich mit einem Schnappmesser niedergestochen wurde.«

Fred war interessiert genug, um den Ton leiser zu stellen. »Von hinten? Was ist dabei passiert? Wurde eine Niere verletzt?«

»Bo sagt, er wäre nicht so schnell gestorben, wenn nicht so etwas wie seine Aorta getroffen worden wäre.«

»Von hinten? Was ist mit den Rippen? Wäre die Klinge nicht daran abgeprallt?«

Ich umklammerte ein imaginäres Schnappmesser und hielt meine Hand leicht seitwärts. »Leg die Hand neben die Wirbelsäule, dreh sie, klicke das Messer auf, rein, raus und dann ein bisschen zur Seite. Wenn die Klinge lang genug ist, erwischst du die Aorta.«

»Dann ist aber überall Blut. Wir haben kein Blut gesehen.«

»Er hat innerlich geblutet. Das Messer verursacht nur eine kleine Einstichwunde.«

»Hat die Polizei das Messer gefunden?«

»Nein. Wer auch immer es war, hat es rausgezogen, zusammengeklappt und in seine Tasche gesteckt.«

Fred klopfte sich mit verschränkten Fingern nachdenklich das Kinn. »Es muss dennoch Blut an dem Messer gewesen sein, vielleicht nicht viel, aber etwas, und damit sind all diese Elvisse mit ihren weißen Anzügen aus dem Schneider.«

»Vermutlich«, stimmte ich ihm zu.

Fred nickte und drehte den Ton von ›Glücksrad‹ wieder auf. Dann stellte er ihn nochmals leiser. »Wie heißt noch mal der Mann von Tammy Sue?«

»Larry Ludmiller. Warum?«

»Ich wette, er hatte Blut auf seinem Arm und der Typ auf der anderen Seite ebenfalls. Du weißt, wie eng sie beieinanderstanden in dieser Reihe.«

»Mag sein. Aber weißt du, sie haben die Formation erst am Ende der Vorstellung gebildet. Zuerst tanzten sie alle einzeln, dann schlossen sie sich zu einer dem Publikum zugewandten Reihe zusammen. In dem Moment muss es passiert sein. Dieser Mooncloth-Knabe ist sicher nicht mit einer angestochenen Aorta herumgetanzt.«

Fred blickte zu mir hinüber. »Lass dich da nicht hineinziehen, Patricia Anne.«

»Was?« Ich war erstaunt. »Warum sollte ich da hineingezogen werden?«

»Ich weiß nicht. Ich habe einfach so ein Gefühl.«

»Also, das kannst du vergessen. Es gibt keinen Grund für mich, mich da hineinverwickeln zu lassen.«

Vanna erdrehte ein N.

»Hast du eine Idee, was das bedeuten soll?«, fragte Fred, auf den Fernseher deutend.

»Die Princess of Wales.« Ich muss wirklich mal in diese Show gehen. Nicht nur, dass ich all diese Puzzles lösen kann, ich bin so klein, dass der Moderator Pat Sajak neben mir groß wirken würde.

Der Abend war weiterhin angenehm und gemütlich. Fred döste in seinem Sessel. Woofer stand auf und trabte zur Hintertür, weil er rauswollte.

Als ich die Tür öffnete, stellte ich fest, dass das rhythmische Geräusch des Regens ein wenig nachgelassen hatte. Woofer trottete zu seinem Lieblingsbaum, markierte ihn und steuerte dann auf sein Iglu zu.

»Nacht, Nacht«, rief ich. Er wedelte mit dem Schwanz und verschwand in seiner warmen Hütte, einem der besten Käufe, die ich je getätigt hatte.

Ich deckte Fred mit einem wollenen Überwurf zu und rollte mich auf dem Sofa mit Muffin zusammen, um ›Wer wird Millionär?‹ zu schauen, eine andere Show, an der ich mit meinem mit Trivialwissen angefüllten Hirn einmal teilnehmen müsste. Ein Mann steckte bei der 125 000-Dollar-Frage fest, und ich sagte ihm gerade, er solle aufhören, die 64 000 Dollar nehmen und sich davonmachen, als ich ein heftiges Klopfen an der Hintertür vernahm.

»Fred«, sagte ich. »Jemand ist an der Hintertür.«

Er zog sich die Wolldecke dichter um die Schultern und seufzte leicht.

Das nächste Klopfen war insistierender. Vielleicht ist es Mary Alice, dachte ich. Sie war wie die Post. Weder Regen, Graupel noch Schnee konnten sie von ihren festgelegten Routen abbringen – und ich gehörte weiß Gott zu einer ihrer festgelegten Routen.

Ich stand just in dem Moment auf, als der Mann im Fernsehen seinen Verstand wiederfand und sich für das Geld entschied. Gut. In der Küche angekommen, drehte ich das hintere Licht an. Eine hochgewachsene Gestalt mit schwarzer Kapuze stand an der Tür, die Hand zu einem neuerlichen Klopfen erhoben. Mein Herz setzte ein paar Schläge lang aus.

»Tante Pat, ich bin’s!«

Ich öffnete die Tür. »Mein Gott, Marilyn, dir hat nur noch die Sense in der Hand gefehlt.«

»Was?«

»Schon gut, Schätzchen. Ich habe dich einen Moment lang nicht erkannt. Komm rein. Du bist ja völlig durchnässt.«

Unbeholfen versuchten wir, uns unter Umgehung des nassen Regenmantels zu umarmen, was schließlich in Lachen und damit endete, dass Marilyn sich zu mir herabbeugte und mich auf den Kopf küsste. Wie ihre Mutter ist sie 30 Zentimeter größer als ich. Anders als ihre Mutter ist sie dünn. Darüber hinaus ist sie hübsch, mit dunkelbraunen Naturlocken, olivfarbener Haut und großen braunen Augen. Sie wirkt exotisch in unserer blassen Familie, und sie verstand es immer, dies durch das Tragen von leuchtenden Farben und langen, fließenden Röcken zu unterstreichen.

»Sie sieht aus wie eine Zigeunerin«, habe ich ihre Mutter jammern hören. »Und warum schneidet sie sich nicht die Haare? Sie stehen ab wie ein dickes Bündel Stahlwolle.« Ich habe aber auch Haley und Debbie gehört, die sich wünschten, wie Marilyn auszusehen.

Aber an diesem Abend sah sie überhaupt nicht wie eine Zigeunerin aus. Als der Regenmantel fiel, sah ich, dass ihr Haar nach hinten gekämmt war und im Nacken mit einer Haarspange zusammengehalten wurde. Sie trug Jeans, einen roten Pullover und Laufschuhe, und ihre Augen waren verschwollen, als habe sie geweint.

»Habe ich dich erschreckt? Das tut mir leid.«

»Nur einen kurzen Moment.« Ich hängte ihren Mantel an die Speisekammertür. »Hast du schon etwas zu Abend gegessen?«

»Ich hatte einen Cheeseburger in Montgomery. Wo ist Onkel Fred?«

»Er schläft im Wohnzimmer. Montgomery ist aber schon eine ganze Weile her. Warum siehst du nicht zu, dass du trocken wirst, und ich mach dir was zu essen. Wir haben noch Kartoffelsalat und gebackene Bohnen übrig. Und ich kann dir ein Käsesandwich in den Grill tun.«

»Das klingt wundervoll.«

In diesem Moment klingelte das Telefon.

»Falls das Mama ist – du hast mich nicht gesehen. Bitte, Tante Pat.«

»Okay, Schätzchen.« Aber es war nicht Mary Alice, es war eine karitative Einrichtung für misshandelte und obdachlose Frauen, die ankündigte, dass ihr Lastwagen am Donnerstag bei uns im Viertel eine Runde drehen würde. Ich war erleichtert. Was auch immer da los war, Mary Alice war Marilyns Mutter. Ich wollte nichts vor ihr verbergen müssen.

»Hallo, Onkel Fred«, hörte ich Marilyn sagen. Das Telefon musste ihn geweckt haben.

»Hallo, Süße. Was machst du denn hier?«

»Eine lange Geschichte. Ich versuche jetzt erst mal, trocken zu werden. Ich erzähl dir dann alles.«

Ich schloss den Grill an und holte Käse, Butter und Dill-Essiggurken aus dem Kühlschrank. Falls der Kaffee nicht mehr heiß war, könnte ich eine Tasse in die Mikrowelle stellen. Außer, Fred wollte auch noch einen, dann würde ich eine weitere Kanne kochen müssen. Ich schaute ins Wohnzimmer und sah, dass er schon wieder eingeschlafen war. Das Erkennungslied von ›Wer wird Millionär?‹ lief.

War Marilyn auf der Flucht vor Charles Boudreau? Oder auf der Flucht zu ihm hin? Ich hatte ihr jedenfalls eine mit Sicherheit seltsame Nachricht zu übermitteln. Und warum wollte sie nicht, dass ihre Mutter von ihrer Anwesenheit erfuhr? Warum war sie hier?

»Es war schrecklich zu fahren heute Abend«, sagte sie, als sie wieder in die Küche kam. »Hinter Montgomery hat es unablässig geregnet.« Sie langte über den Tresen und kostete einen Bissen von dem Kartoffelsalat, den ich bereits auf ihren Teller gehäuft hatte. »Mmm, das ist gut.«

»In Pensacola hat es nicht geregnet? Die Wetterfee hat gesagt, der Regen würde vom Golf her zu uns ziehen.«

»Nicht, als ich los bin.«

»Setz dich, Schätzchen. Es ist alles fertig.« Ich nahm das Sandwich mit einem Pfannenheber aus dem Grill. Geschmolzener Käse triefte an der Seite herab. Es sah so gut aus, dass ich beschloss, mir auch eines zu machen. Aber zunächst reichte ich Marilyn ihren Teller und nahm den Kaffee aus der Mikrowelle.

»Das sieht großartig aus, Tante Pat. Danke.«

»Gern geschehen.« Ich schnitt eine Scheibe Käse für mein Sandwich ab, während Marilyn zu essen begann. Die Fragen konnten noch ein paar Minuten warten.

Muffin kam hereinspaziert und ging hinüber zu ihrem Wassernapf.

»Das ist Haleys Katze, oder?«, fragte Marilyn.

»Nicht mehr. Nach sieben Monaten habe ich Besitzansprüche auf sie erworben.«

Marilyn lachte. »Ich finde es total toll, dass Haley ein Baby bekommt. Debbie hat es mir erzählt.«

Ich legte mein Sandwich auf einen Teller und setzte mich zu ihr an den Küchentisch. »Joanna. Das ist ein hübscher Name, oder?« Ich wiederholte ihn noch einmal und ließ mir den Klang auf der Zunge zergehen. »Joanna.«

»Es ist ein wundervoller Name.«

Ich nahm einen Bissen von meinem Sandwich, das ich so wenig brauchte wie ein Loch im Kopf, das aber köstlich war, kaute, schluckte und sagte: »Marilyn, ein Mann namens Charles Boudreau kam heute hier vorbei. Er sagte, er sei hier, um dich zu befruchten, dass er freudig erregt, begierig und in ekstatischer Erwartung sei und dass er hoffe, es sei noch nicht zu spät.«

Marilyn legte bedächtig ihre Gabel nieder und blickte mich an. »Charlie war hier?«

Ich nickte. »Er nannte noch ein paar andere Adjektive, aber ich kann mich nicht mehr an alle erinnern. Sie hatten aber alle mit seiner Bereitschaft zu tun, an deiner Empfängnis zu partizipieren.«

Marilyn nickte, sagte aber nichts.

Schließlich fragte ich sie, ob sie mich nicht informieren wolle, was da los war. »Der arme Mann weinte sogar an einer Stelle.«

Sie entgegnete verdutzt: »Charlie hat geweint?«

»In ein sehr hübsches weißes Taschentuch.«

»Ich fasse es nicht.« Marilyn nahm ihre Gabel wieder in die Hand und begann weiterzuessen, so als hätten wir über das Wetter geredet.

»Er sagte, ich solle dir bestellen, dass er im Tutwiler ist.«

»Ganz schön frech.« Marilyn schaufelte sich eine Gabel mit Kartoffelsalat in den Mund und aß langsam.

»Wer ist das?«

Marilyn bedeutete mir mit der Hand, dass sie kaue und nicht in der Lage sei zu antworten. Schließlich nahm sie einen Schluck Kaffee, schob ihren Teller zurück und tupfte sich die Lippen mit ihrer Serviette ab.

»Das ist eine lange Geschichte, Tante Pat.«

»Ich habe Zeit.«

»Bist du sicher, dass er geweint hat?«

Mein mürrischer Gesichtsausdruck gab ihr zu verstehen, dass sie besser mit ihrer Geschichte fortfuhr.

»Erinnerst du dich noch, dass ich vor ungefähr fünfzehn Jahren, als ich das erste Mal nach Pensacola zog, Kurse an der West-Florida-Universität belegt habe?«

Ich nickte, erinnerte mich aber nicht.

»Nun, einer davon war ein Rhetorikkurs, und Charlie hat ihn auch besucht. Eines Abends fragte er mich, ob ich am darauffolgenden Samstag mit ihm essen gehen wolle, es sei sein Geburtstag. Ich erzählte ihm, dass es auch mein Geburtstag sei, und wir stellten fest, dass wir auf den Tag genau gleich alt waren.« Marilyn machte kurz Pause und untersuchte einen rot lackierten Fingernagel, der so perfekt aussah, dass er aus Acryl sein musste. Ob sie wohl irgendein Pilz-Problem hatte? Vor Jahren hatte ich mich mal von Schwesterherz zu künstlichen Nägeln überreden lassen und war schließlich beim Arzt gelandet.

»Wie auch immer.« Marilyn fuhr fort. Ich schob den Gedanken an grünschwarze Nägel beiseite und hörte zu. »Wir hatten eine wundervolle Zeit, aus der eine mehrjährige Beziehung wurde. Dann ging Charlie wegen des Gesundheitszustandes seiner Eltern zurück nach Lafayette. Er fragte mich, ob ich ihn heiraten und mit ihm kommen wolle, aber ich denke, er wäre überrascht gewesen, wenn ich Ja gesagt hätte. Wir versprachen einander allerdings, uns jedes Jahr an unserem Geburtstag zu treffen. Und wir schlossen einen Pakt, dass wir, falls wir mit vierzig nicht verheiratet wären und keine Kinder hätten, uns zusammentun würden.«

»Klingt wie Julia Roberts in ›Die Hochzeit meines besten Freundes‹.« Ich hätte mir auf die Zunge beißen mögen, als ich es ausgesprochen hatte. Aber Marilyn nahm es mir nicht übel.

»Ja, nicht wahr? Aber deren Stichtag war der Dreißigste. Wir hatten es nicht so eilig.« Marilyn fummelte an dem Fingernagel herum, der absprang und auf den Resten ihres Kartoffelsalates landete. »Verdammt«, sagte sie, klaubte ihn auf und wischte ihn an ihrer Papierserviette ab. Der richtige Nagel, stellte ich fest, sah rosafarben und normal aus. »Das Ding hat sich schon den ganzen Tag komisch angefühlt«, sagte sie. »Ich muss ihn wieder ankleben, bevor ich in die Klinik gehe.«

»Du gehst in die Klinik? Was fehlt dir denn?«

»Nichts. Ich gehe in eine Kinderwunschklinik, Tante Pat. Ich lasse mich künstlich befruchten, so wie Debbie damals.«

»Morgen?« Ich gab das Käsesandwich auf, das ich ohnehin nicht nötig gehabt hatte.

»Für Tests. Sie müssen sicherstellen, dass mein Eisprung und auch sonst alles in Ordnung ist. Dann setzen sie das Datum fest.«

»Aber Schätzchen …« Ich fühlte mich ein wenig benommen.

»Ma’am?«

»Was ist mit Charles?«

»Ich habe ihn letzte Woche angerufen und ihm gesagt: ›Charlie, wir werden nächsten Monat vierzig. Ich will dich nicht heiraten, aber ich möchte ein Baby, und du hast es versprochen.‹«

»Und?«

»Er sagte, er habe unsere Abmachung immer für einen Witz gehalten. Daraufhin sagte ich ihm, dass es okay sei, dass meine Schwester ihre Zwillinge über die Samenbank von Alabama bekommen habe und dass ich diesen Weg verdammt noch mal auch gehen könne. Und dass du das verstehen würdest.«

»Offensichtlich hat er seine Entscheidung bedauert.«

»Ist mir egal.« Tränen traten in Marilyns Augen. Sie griff nach ihrer Papierserviette und platzierte den Fingernagel auf dem Tisch.

Heftiger Regen schlug gegen das Erkerfenster. Muffin kam herein und sprang auf meinen Schoß.

»Vielleicht solltest du ihn trotzdem anrufen«, sagte ich. »Er wirkte völlig mitgenommen.«

»Ich glaube nicht. Und, Tante Pat, bitte sag Mama nicht, dass ich hier bin.«

»Aber warum nicht? Sie würde es verstehen.«

»Zum Teufel, nein, würde sie nicht. Ich habe mal die Möglichkeit erwähnt, eines Tages die Klinik aufzusuchen, woraufhin sie sagte, dass sie nicht verstehen könne, warum ihre Töchter nicht über die üblichen Rohre schwanger werden konnten.«

»Rohre?« Ich grinste. »Ich glaube, so habe ich sie das noch nie sagen hören.«

Marilyn schnaubte halb lachend, halb schluchzend, in das Taschentuch. »Verdammt.«

»Ich werde es ihr nicht erzählen, aber ich wünschte, du würdest es tun.«

Marilyn schüttelte den Kopf.

»Weiß es Debbie?«

»Noch nicht. Aber ich werde es ihr erzählen.« Sie stand auf, spritzte sich aus dem Hahn an der Spüle Wasser ins Gesicht und trocknete es mit einem Papierhandtuch ab. »Sie kennt aber die Geschichte mit den Rohren und fand sie lustig.«

Ich unterdrückte ein Kichern, was in einem Schluckauf endete.

Marilyn setzte sich wieder. »Okay, so viel zu dem Thema. Erzähl mir, was hier los ist, Tante Pat.«

»Du besuchst aber schon deine Mutter, während du hier bist, oder?«

»Oh, natürlich. Ich gehe zu ihr, wenn ich aus der Klinik raus bin. Ich erzähle ihr einfach, ich sei geschäftlich hier. Was der Wahrheit entspricht.«

»Dann kann sie dich auf den neuesten Stand hinsichtlich ihrer Hochzeitspläne bringen.«

»Sind sie so schlimm, dass du sie mir nicht erzählen kannst?«

»Welche Wirkung haben Violett und Sonnenblumengelb auf dich?«

»O Gott. Bist du das Violett?«

Ich nickte. »Sie wird dir alles darüber erzählen.«

»Du magst Virgil, stimmt’s?«

Ich nickte. »Sehr. Fred und ich haben seine Kinder gestern Abend kennengelernt. Sie scheinen auch sehr nett zu sein. Sein Sohn ist ein Elvis-Imitator.«

»Wirklich?«

Ich erzählte Marilyn von dem Abend im Alabama Theatre, von Griffin Mooncloth, dem Klappmesser, dem Sturz in den Orchestergraben.

»Dusk Armstrong kannte ihn«, fügte ich hinzu.

»Dawns kleine Schwester? Ich bin mit Dawn zur Schule gegangen. Ich denke, Debbie ging zusammen mit Day.« Marilyn schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht glauben, dass sie ihre Jüngste Dusk genannt haben.«

»Nun, sie war Bernice’ letztes Aufbäumen vor der Menopause.«

Erneut traten Tränen in Marilyns Augen. »Oh, Tante Pat, ich hoffe, ich habe nicht zu lange gewartet.«

»Nein, Schätzchen, hast du nicht. Alles wird gut werden.«

Erneut kam ein Schwall Regen hernieder.

»Du übernachtest aber heute hier, oder?«

»Wenn das in Ordnung ist.«

»Es ist mehr als in Ordnung.«

»Dann hole ich meine Übernachtungstasche.«

Marilyn nahm ihren Regenmantel von der Speisekammertür und sauste zu ihrem Auto. Ich weckte Fred, er verließ seinen Sessel und marschierte in Richtung Schlafzimmer.

»Bleibt Marilyn die Nacht über da?«, fragte er.

Ich sagte Ja.

Es dauerte aber noch ein paar Stunden, bis ich mich zu ihm legte. Marilyn und ich hatten eine Menge zu erzählen, bis wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht hatten. Schließlich glitt ich neben Fred ins Bett und war gerade dabei, einzuschlafen, als er sich an mich kuschelte.

»Liebling?«, flüsterte er.

»Ja?«

»Lass uns über Rohre reden.«

»Blödmann«, lachte ich. »Du hast die ganze Zeit gelauscht.«

»Nur zum Teil.«

»Nun, sag deinem Rohr, dass es sich benehmen soll.«

»Ich denke, es braucht eine Lehrerin, die ihm das sagt.«

Also tat es die Lehrerin.