15
Als ich in meine Küche kam, setzte ich mich, ohne meine Jacke auszuziehen, an den Tisch. Ich zitterte, konnte aber nicht sagen, ob ich wirklich fror oder ob es die Nerven waren. Oder mein Fieber kehrte womöglich zurück, was Gott verhüten mochte.
Ich stand auf, spülte mein Antibiotikum und eine Aspirintablette mit einem Glas Wasser hinunter und setzte mich wieder. Muffin sprang auf den Tisch und rieb sich an meinen aufgestützten Armen.
»Eine Katze auf dem Tisch ist total unhygienisch«, sagte ich zu ihr, während ich sie hinter den Ohren kraulte und ihrem Schnurren lauschte. »Erinnerst du dich noch an das Schnappmesser, von dem ich dachte, einer aus Virgils Familie hätte es während der Dinnerparty am Samstagabend in meine Handtasche gesteckt?« Muffin nickte. »Nun, ich lag vollkommen falsch. Ich weiß jetzt genau, wann es in meine Tasche gesteckt wurde und wer es getan hat. Sie hatte einen Mann mit dem Messer umgebracht, und jetzt hing da meine offene Tasche, einfach ein idealer Ort, um es loszuwerden.« Ich blickte Muffin an. »Verstehst du, warum Damenhandtaschen sich so sehr dafür eignen, Sachen verschwinden zu lassen? Dinge gehen darin verloren unter all den Lippenstiften, dem losen Kleingeld und den Quittungen. Im Lebensmittelgeschäft geben sie dir deinen Kassenbeleg samt Wechselgeld, und du stopfst alles in deine Tasche und sagst dir, dass du sie irgendwann einmal ausmisten willst, aber du tust es nie, und die Regale in deinem Schrank werden schwerer und schwerer mit all den Handtaschen in verschiedenen Farben darauf.«
Muffin legte sich hin und schloss die Augen. Wäre sie Mary Alice, hätte sie gesagt: »Was zum Teufel blubberst du da?«
Was zum Teufel blubberte ich da? Welchen Beweis hatte ich, dass Day Armstrong in den Mord an Griffin Mooncloth verwickelt war? Ich konnte mir Timmy Hawkins Reaktion ausmalen, wenn ich ihn anrufen und ihm erzählen würde, dass meine Tasche offen gewesen war, als Day zufälligerweise eine Sekunde lang am Tisch gestanden hatte. Und dass ich wüsste, dass sie das Schnappmesser dort habe hineinfallen lassen.
»Wie kommen Sie auf den Gedanken?«, würde er fragen.
Und ich würde ihm antworten müssen: »Ich weiß es einfach.« Immerhin wäre ich nicht so dumm, weibliche Intuition geltend zu machen. Es sind schon Männer gestorben, weil sie über die Intuition von Frauen gelacht haben. Ich meine, wirklich gestorben. Meine Großtante Sophie hatte eines Tages so ein Gefühl, dass die hundert Jahre alte Eiche in ihrem Vorgarten umfallen würde. Und Onkel Joe und sein Nachbar hatten im Garten gestanden und über die verrückten Eingebungen von Frauen gelacht, als der Baum sie zermanschte. Tante Sophie hatte »Unterschätze niemals die Kraft einer Frau« auf seinen Grabstein gravieren lassen und war dann an den Strand gezogen, wo sie jeden Tag angeln konnte und kein Gras mähen musste.
Timmy Hawkins würde kein Wort davon glauben.
Ich legte den Kopf zwischen meine Arme auf den Tisch. Selbst mit abgedeckten Ohren konnte ich Muffin noch immer schnurren hören. Eis plumpste aus der Eiswürfelmaschine in die Kühlung. Draußen beschloss Woofer, seine Hütte zu verlassen und irgendetwas anzubellen. Die Nachmittagssonne warf Lichtstreifen über den weißen Küchenfußboden. Das war meine Welt: sicher und behaglich. In dieser Welt stachen keine Bankvizedirektorinnen jemandem die Eingeweide aus dem Leib oder zogen irgendwelchen Leuten eins mit dem Baseballschläger über den Kopf. Besonders nicht, wenn ihre Mutter mit mir befreundet war und mir Schaukelstühle schenkte, um meine Enkeltochter darin zu wiegen.
Das Klingeln des Telefons ließ mich hochfahren. Falls es Mary Alice war, die so früh anrief, bedeutete das, dass Larry tot war, als sie mit ihm im Krankenhaus angekommen waren. Ich langte nach dem Telefon, das auf dem Tresen stand. Mein Hallo kam kaum lauter als ein Flüstern heraus.
»Tante Pat? Bist du das?«
Ich war einen Moment lang so erleichtert, dass ich Marilyn nicht antworten konnte.
»Tante Pat?«
Ich atmete ein paarmal tief durch. »Ich bin es, mein Schatz.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
Ich konnte jetzt auf keinen Fall auf all das eingehen, was passiert war. »Die Nebenhöhle«, sagte ich.
»Schlimm?«
»Ich war bei der Ärztin und habe ein Antibiotikum bekommen.«
»Nun, die Neuigkeiten, die ich für dich habe, werden dich aufmuntern. Charles und ich haben heute früh geheiratet. Wir sind einfach ins Gerichtsgebäude marschiert und haben es gemacht.«
Es war so lange still, bis Marilyn erneut »Tante Pat?« sagte.
»Du und Charles Boudreau habt heute Morgen geheiratet?«
»Also, Glückwunsch, mein Schatz.« Ich hoffte, dass Marilyn meinen mangelnden Enthusiasmus auf die verstopften Nebenhöhlen zurückführte.
»Ich weiß, du bist überrascht, weil ich dir gesagt habe, ich könne nicht mit ihm leben, aber wir haben da eine Lösung gefunden. Und er hat exzellente Gene.«
»Das ist schön. Exzellente Gene sind wichtig.« Wenn feuchte Wischlappen in der Lage gewesen wären zu sprechen, hätten sie geklungen wie ich jetzt. Aber Marilyn schien es nicht zu bemerken.
»Ich ändere meinen Namen nicht, und die Kinder werden Doppelnamen haben. Sullivan-Boudreau oder Boudreau-Sullivan. Wir müssen noch ein paar Details klären. Aber das Wichtigste ist, dass Charlie die Wohnung neben mir gekauft hat. Auf diese Weise können wir zusammenleben, wenn wir wollen, und nach Hause gehen, wenn uns danach zumute ist.«
Ich wollte fragen: »Und wie steht es mit der Liebe?« Stattdessen sagte ich, dass sich das praktisch anhöre, und fragte, ob sie es schon ihrer Mutter erzählt habe.
»Ich habe ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen«, kicherte Marilyn. »Charles und ich haben noch ein paar Dinge zu erledigen. Er hat den Vertrag für seine Wohnung noch nicht unterschrieben. Wir sehen uns bald.«
»Okay, Schätzchen. Sag Charles, dass ich mich total für euch freue.«
Über euch wundere, hätte es besser getroffen. Und seiner Mutter auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen, dass man geheiratet hat? Das war geradezu unverschämt.
Zumindest hatte ich jetzt einen Grund, an etwas anderes zu denken als an Day Armstrong als Mörderin und Larry Ludmiller am Rande des Todes. Marilyn hatte glücklich geklungen. Ich stand auf und stellte eine Tasse Wasser in die Mikrowelle. Ein Gewürztee wäre jetzt gut. Mir war mittlerweile auch warm genug, um meine Jacke auszuziehen. Das Zittern hatte aufgehört.
Vielleicht würde Marilyn ja glücklich. In Kulturen überall auf der Welt gab es arrangierte Ehen ohne Liebe, die sich als sehr gut herausstellten. Und Marilyn war kein junges Küken mehr, wie ich es gewesen war, als Fred und ich geheiratet hatten. Ich war so sehr verliebt gewesen, dass ich das erste Mal, als ich einen Korb gemeinsamer Wäsche in der Waschmaschine wusch, dachte, ich würde vor Glück sterben. Ich habe das niemals jemandem erzählt, auch nicht Schwesterherz. Ganz besonders nicht Schwesterherz.
Ich war gerade dabei, das Wasser aus der Mikrowelle zu nehmen, als es an der Küchentür klopfte. Ich blickte auf und sah Bonnie Blue Butler dort, ein paar dicke Bücher auf ihre Hüften gestützt.
»Hey«, sagte ich, während ich die Tür öffnete, dankbar dafür, einen der mir liebsten Menschen auf der Welt zu sehen. »Was machst du denn so fern von deinem Arbeitsplatz?«
Bonnie Blue nickte in Richtung der Bücher. »Ich arbeite. Diese Entwürfe kamen gerade rein, und ich wollte sie Mary Alice zeigen. Wir hatten eigentlich einen Termin bei ihr zu Hause vereinbart, aber sie ist nicht da.«
»Komm rein.« Eines der Bücher war dabei, wegzurutschen, und ich fing es gerade noch rechtzeitig auf. »Sie ist in der Uniklinik. Larry Ludmiller, Virgils Sohn, wurde im Alabama Theatre verletzt. Richtig böse verletzt.«
»Was ist denn da passiert?« Bonnie Blue kam herein, und wir legten die Bücher auf den Tisch.
»Jemand hat versucht, ihn zu ermorden, Bonnie Blue. Hat ihm mit einem Baseballschläger auf den Kopf gehauen.«
»Jesus Maria. Warum sollte jemand hergehen und so etwas tun?«
Ich wollte sagen: »Weil er sie gesehen hat, wie sie Griffin Mooncloth umgebracht hat.« Stattdessen zuckte ich die Achseln. »Setz dich, ich mache dir einen Gewürztee.«
»Wird er durchkommen? Das ist der Mann von diesem hübschen jungen Mädchen, das mit euch im Geschäft war. Richtig?«
Ich nickte. »Das ist ihr Mann. Und ich weiß nicht, ob er es schaffen wird. Er sah ziemlich schrecklich aus.« Ich spürte, wie das Zittern erneut einsetzte.
Bonnie Blue griff die Tatsache, dass ich Larry Ludmiller gesehen hatte, nicht auf, was mir entgegenkam. Ich wollte die Geschehnisse im Alabama Theatre nicht noch einmal durchgehen.
»Marilyn hat eben angerufen«, sagte ich und stellte eine zweite Tasse in die Mikrowelle. »Sie und Charles Boudreau haben heute Morgen geheiratet.«
Marilyn hätte sich mit Bonnie Blue unterhalten sollen statt mit mir. Die klatschte in die Hände und rief erneut: »Jesus Maria.« Und dann: »Ist das nicht wundervoll?« Und ich begann zu denken: Ja, vielleicht war es das.
»Mary Alice wird erfreut sein.« Ich schaltete die Mikrowelle an und nahm einen weiteren Teebeutel. »Marilyn hatte über künstliche Befruchtung in der Uniklinik nachgedacht. Sie will unbedingt ein Baby.«
»Nun, eine Pipette kann den Job auch machen, aber die althergebrachte Methode macht einfach mehr Spaß.«
Dem konnte ich nichts entgegensetzen. Ich machte den Tee fertig und nahm ihn mit hinüber zum Tisch. »Sie werden in nebeneinanderliegenden Wohnungen wohnen. Marilyn sagt, sie glaube nicht, dass sie zusammenleben könnten.«
»Klingt nach einem perfekten Arrangement. Wenn es Ärger gibt, dann schickst du ihn nach nebenan. Wenn dir danach ist, lädst du ihn zum Abendessen ein. Schickst die Kinder rüber in Daddys Apartment zum Spielen.«
»Oh, Bonnie Blue. Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Ich weiß.« Sie rührte in ihrem Tee. »Was wetten wir, dass in zwei Monaten eine Wand herausgeschlagen wird?«
»Wir werden sehen.«
Bonnie Blue schaute nach draußen in den Garten. »Woofer geht es gut?«
»Ja. Diese Arthritis-Medizin hat einen glücklichen Hund aus ihm gemacht. Er gräbt sogar wieder Löcher im Garten und jagt Streifenhörnchen.«
»Das ist toll. Ich sollte für Daddy auch so was besorgen.«
»Sag mir nicht, dass er keine Streifenhörnchen mehr jagt.«
Wir lächelten einander an. Ihr Vater, mittlerweile in den Achtzigern, ist ein bekannter Volkskünstler in Alabama. Außerdem ist er ein bekannter Frauenheld.
»Nicht wirklich. Hat nur die Aufreißaktivitäten ein wenig heruntergeschraubt.« Sie schob ihren Tee zur Seite. »Wir lassen den einen Moment abkühlen. Ich möchte dir zeigen, was ich aus diesen Büchern herausgesucht habe. Mal sehen, was du denkst.«
Ich drehte meinen Stuhl herum. »Was für Bücher sind das?«
»In Atlanta gibt es eine Frau, die Hochzeitskleider entwirft für große, kräftige und schöne Frauen wie Mary Alice. Hier sind ein paar von ihren Entwürfen. Sie gestaltet auch alle anderen Kleider für die Feier, aber sie ist auf große Größen spezialisiert.«
Bonnie Blue hatte mehrere Seiten markiert. Sie schlug eine auf, auf der ein Mädchen Anfang zwanzig zu sehen war, das ein weißes, trägerloses Brautkleid trug, wahrscheinlich in Größe 38. »Du musst deine Vorstellungskraft ein wenig bemühen.«
Ich versuchte mir Schwesterherz in diesem Kleid vorzustellen und scheiterte dabei jämmerlich.
»Und dann ist da dieses.« Bonnie Blue blätterte zu einer anderen Seite, auf der das Model ein eng anliegendes Jerseyding anhatte. Flacher Bauch. Kesser Busen, der den Bleistifttest bestehen würde.
»Was für Unterwäsche trägt man denn unter so einem Kleid?«, fragte ich.
»Gar keine. Man muss sich die Haare mit Wachs entfernen.«
Ich erschauderte bei dem Gedanken. Und meiner Vorstellung nach würde es Schwesterherz genauso gehen.
Wir schauten uns weitere Bilder an. In manchen steckten tatsächlich Möglichkeiten.
»Wir müssen uns ranhalten«, sagte Bonnie Blue. »Ein paar Monate sind sportlich.« Sie schob das andere Buch herüber. »Das ist für die Brautjungfern und Brautmütter.« Sie sah mich an und runzelte die Stirn. »Ich denke, sie könnten was Passendes für dich machen.«
Ich würde mich verdammt noch mal nicht schuldig fühlen, weil ich klein war.
Bonnie Blue warf einen Blick auf die Uhr. »Ich muss jetzt wirklich in den Laden zurück. Weißt du was? Wie wäre es, wenn ich die Bücher einfach bei dir lasse? Du kannst sie durchschauen, und du siehst Mary Alice, noch bevor ich sie treffe.« Sie trank ihren Tee in einem großen Schluck. »Zeig ihr vor allem das Jersey-Ding.«
»Das mache ich«, sagte ich und meinte es auch so.
Auf dem Weg zur Tür hinaus blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um. »Wenn Larry Ludmiller stirbt, hat das aber keine Auswirkung auf die Hochzeit, oder?«
»Ich denke, alle werden noch traurig sein.«
»Aber sie wird doch auf jeden Fall stattfinden?«
»Da bin ich mir sicher.«
»Gut.« Sie winkte und ging die Treppe hinunter. Ich schwöre es, sie und Schwesterherz sind aus demselben Holz geschnitzt.
Ich zog ein Paar Jeans an und ein Sweatshirt, um Woofer Gassi zu führen, entschied dann aber, dass ich besser wartete, so lange es ging, für den Fall, dass Schwesterherz anrufen würde. Ich machte einen Lachsauflauf, schob ihn in den Ofen und schnitt etwas Kürbis klein, um ihn zu kochen. Im Kühlschrank war eine Packung mit fein geschnittenem Kraut. Ich kippte es in eine Schüssel, fügte Dressing hinzu und stellte es zurück in den Kühlschrank.
Bei all den Neuigkeiten, die Marilyn erzählt hatte, den Brautkleidern und der Zubereitung des Abendessens hatte ich es geschafft, meine Gedanken an Day Armstrong ganz nach hinten zu verbannen. Aber kaum hatte ich mich im Wohnzimmer niedergelassen, wirbelten sie wieder durch meinen Kopf. Ich konnte mich noch nicht einmal auf die neuen Buchpräsentationen von Oprah Winfrey konzentrieren. Als das Telefon klingelte, griff ich hastig danach. Ihr zweites Opfer war tot, ich wusste es.
Aber es war Debbie. Ob Marilyn mich angerufen habe. Wie ich darüber denken würde. Ob ich so geschockt sei wie sie. Marilyn hätte doch gesagt, das Letzte, was sie auf Erden tun würde, wäre, Charles Boudreau zu heiraten, und was um alles in der Welt würden sie sich dabei denken, Tür an Tür zu wohnen? Ob ich der Meinung sei, dass das funktionieren würde. Ob Marilyn wohl den Verstand verloren habe.
Ich gab zu, dass ich überrascht war. Und dann erzählte ich ihr, was Bonnie Blue hinsichtlich der Wand gesagt hatte, die sicher bald eingerissen werden würde.
»Das hoffe ich. Ich weiß, dass ich Henry nicht nebenan wohnen haben wollte.«
Wir waren beide einen Moment lang still und dachten nach. Dann lachten wir schallend auf. Es gibt keine Frau, die ihren Mann nicht gelegentlich gern vor die Tür setzen würde.
Dann fragte ich sie, ob sie von Larry Ludmiller gehört habe.
»Dass er gestern Nacht nicht nach Hause gekommen ist? Ja. Mama hat mir erzählt, dass Tammy Sue vor Sorge ganz aufgelöst war.«
»Nein. Dass wir ihn heute nahezu tot im Alabama Theatre gefunden haben. Hat deine Mama dich nicht angerufen? Jemand hat ihm mit einem Baseballschläger eins übergebraten.«
»O mein Gott, Tante Pat. Wo ist er? Wird er wieder auf die Beine kommen?«
»Ich weiß es nicht, Debbie. Er ist in der Universitätsklinik. Ich warte darauf, dass deine Mama anruft.«
»Oh, das ist schrecklich. Und die arme Tammy Sue.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann sagte ich: »Debbie, ich denke, ich weiß, wer es getan hat. Wer ihm einen Schlag versetzt hat. Und wer Griffin Mooncloth getötet hat.«
»Wer?«
»Day Armstrong.«
»Day?«
»Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich bin mir sicher.« Das Zittern war zurück. »Ich weiß nur nicht, wie ich damit umgehen soll. Niemand wird mir glauben.«
Am anderen Ende der Leitung war eine gemurmelte Unterhaltung zu hören. Dann sagte Debbie: »Tante Pat? Richardena ist hier bei den Kindern. Ich komm rüber zu dir.«
Normalerweise hätte ich darauf bestanden, dass alles in Ordnung sei mit mir und dass sie sich nicht bemühen müsse. Heute aber sagte ich: »Beeil dich.«
»Du könntest recht haben.« Debbie hatte es sich in der Ecke meines Sofas gemütlich gemacht. »Auch wenn mir der Gedanke zuwider ist.«
»Und ist es gegen das Gesetz, jemanden zu heiraten, damit er Staatsbürger unseres Landes wird?«
Debbie nickte. »Ich muss nachschlagen, wie das Gesetz genau lautet, aber es ist illegal. Dusk hätte Schwierigkeiten bekommen, wenn Griffin Mooncloth sich entschlossen hätte, sie anzuzeigen.« Sie machte eine Pause. »Natürlich hätte er sich dann ins eigene Fleisch geschnitten, weil er nie wieder in das Land hätte zurückkehren können. Aber weißt du, ich habe keinerlei Idee, was ich seiner Meinung nach für ihn hätte tun können.«
»Dusk sagte, dass er keine Scheidung wollte. Vielleicht war er auf irgendeine Art Trennung ohne Auflösung des Ehebundes aus, in der Hoffnung, dass Dusk ihre Meinung ändern würde, oder vielleicht dachte er auch, du wüsstest ein Schlupfloch, das er nutzen könnte, um hierzubleiben.«
Debbie runzelte die Stirn und rieb an einem Flecken auf ihrem Pullover, der verdächtig nach getrockneter Milch aussah. »Aber wenn Day ihm empfohlen hat, mich zu konsultieren, und gedacht hat, er könnte einen legalen Weg finden, warum sollte sie ihn dann getötet haben? Irgendwas haben wir da noch übersehen, Tante Pat.«
»Ich weiß. Aber ich bin mir nach wie vor todsicher, dass sie das Messer in meiner Handtasche versenkt hat.«
Debbie gab den Flecken auf, dem mit Rubbeln allein nicht beizukommen war, und runzelte die Stirn. »Weißt du, vielleicht hat sie jemand anderen geschützt. Vielleicht hat sie Dusk mit dem Messer gesehen und hat es für sie beiseitegeschafft. Das würde Sinn ergeben.«
»Ich denke, ja.«
»Oder sie hat es im Theater auf dem Boden liegen sehen und Dusk für die Schuldige gehalten und hat es deshalb aufgehoben.«
»Das ist ebenfalls eine Möglichkeit.«
Das Telefon auf dem Tisch neben Debbie klingelte. Sie nahm ab und sagte Hallo.
Mama, gab sie mir stumm zu verstehen. »Nur zu Besuch. Ja, sie hat mir davon erzählt. Wie geht es ihm?« Kurzes Schweigen. »Was sagen sie?«
Larry war also noch am Leben. Ich ging in die Küche, nahm den Lachsauflauf aus dem Ofen und warf einen Blick auf die Uhr. Ich öffnete die Tür und rief Woofer. Wenn ich schon nicht mit ihm spazieren gehen konnte, dann könnte er wenigstens auf einen kurzen Besuch hereinkommen. Aber er saß am Zaun und beäugte einen kleinen weißen Pudel, der sich in Mitzis Vorgarten verirrt hatte. Keine Chance, dass er ins Haus kam.
»Mama möchte dich sprechen, Tante Pat«, rief Debbie.
Ich nahm das Telefon. »Was sagen die Ärzte?«
»Sie machen nach wie vor Untersuchungen. Er wird operiert werden müssen.«
»Wie stehen seine Chancen?«
»Nicht gut, denke ich.«
»Bleibst du noch da?«
»Nein. Seine ganze Familie ist hier. Und Tammy Sue braucht Virgil jetzt für sich. Ich werde in Kürze gehen.«
»Na, dann komm doch zum Abendessen rüber zu uns.«
»Was gibt es denn?«
»Lachsauflauf.«
»Mit Dillsauce?«
»Dann bin ich gleich da. Ich muss dir ja ohnehin deinen Stuhl bringen.«
Ich legte auf und ging zurück ins Wohnzimmer.
»Hat sie irgendetwas wegen Marilyn gesagt?«, fragte Debbie.
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich denke, sie hat ihre Nachrichten noch nicht abgehört. Ich kann es nicht fassen, dass Marilyn das gemacht hat. Du?«
Ich zuckte die Achseln. Mir wegen Marilyn Gedanken zu machen konnte warten. »Deine Mama bringt mir den Stuhl, den mir Bernice Armstrong für Haley geschenkt hat. Den Schaukelstuhl.« Ich setzte mich und sah Debbie an. »Wie soll ich der Polizei erzählen, dass Bernice’ Tochter wahrscheinlich eine Mordwaffe in meine Tasche gelegt hat und dass das Risiko besteht, dass sie eine Mörderin ist? Ich frage mich, was mir Miss Manners’ ›Handbuch für gutes Benehmen‹ hier raten würde?«
»Weiß Mrs Armstrong irgendetwas von Dusk und Griffin Mooncloth?«
»Nein. Sie weiß nicht einmal, dass sie verheiratet waren. Sie denkt, Dusk kennt ihn aus der Tanzakademie.« Bei der Erwähnung von Bernice und dem Stuhl war mir aber noch etwas eingefallen: »Sie haben einen Grizzlybären namens Maurice zu Hause.«
»Was?«
»Die Armstrongs. Einen richtigen Grizzlybären in ihrem Hausflur. Ausgestopft. Hat die Arme so.« Ich hielt meine Arme so wie Maurice. »Hat deiner Mutter und mir einen Riesenschrecken eingejagt.«
»Was?«
»Der Onkel von Mr Armstrong hat ihn vor Jahren geschossen. Er haart, und das ist ein wenig mitleiderregend, weil Bernice sich sichtlich für ihn schämt. Ich meine, er steht direkt in ihrem Hausflur. Aber sie sagt, ihr Mann liebe und verehre ihn. Und er hatte schon eine Operation am offenen Herzen, ihr Mann, und verdammt, ich weiß, dass es Day war, die das Schnappmesser in meiner Handtasche versenkt hat, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Debbie reichte mir das Telefon. »Ruf Detective Hawkins an, Tante Pat.«
»Aber was, wenn ich falschliege?«
»Was, wenn du recht hast?«
»Reich mir das Telefonbuch.« Ich wählte die Nummer und hinterließ die Nachricht, dass ich Tim Hawkins um Rückruf bat. Nein, es handle sich nicht um einen Notfall.
Ich gab Debbie das Telefon zurück, damit sie es auf den Tisch legte. »Jetzt«, sagte ich, »lass uns aber mal von etwas anderem reden. Soll ich dir die Bücher mit den Hochzeitskleidern zeigen, die Bonnie Blue rübergebracht hat?«
»Ich werde nicht Gelb tragen.«
Ich nahm die Bücher und setzte mich neben Debbie auf das Sofa. Ich blätterte bis zu dem ersten Kleid, das Bonnie Blue gekennzeichnet hatte, dem trägerlosen. Debbie seufzte.
»Und Bonnie Blue gefiel auch dieses hier.« Ich blätterte zu dem aus Jersey, unter dem man nichts tragen konnte. Debbie seufzte erneut.
Ich blickte auf. Ihr Kinn lag auf ihrer Brust, und ihre Augen waren geschlossen. Die Ärmste. Ich hatte vergessen, wie es war, ein zwei Monate altes Baby zu haben.
Ich legte sie ausgestreckt aufs Sofa, stopfte ein Kissen unter ihren Kopf und deckte sie mit einer Wolldecke zu. Sie wurde dabei wach genug, um leicht zu lächeln.
Als Fred nach Hause kam, schlief sie noch immer, und Tim Hawkins hatte mich noch nicht zurückgerufen. Als Mary Alice kam, schlief Debbie nach wie vor. Fred war dabei, eine Dusche zu nehmen, und Tim Hawkins hatte meinen Anruf immer noch nicht beantwortet.
»Und?«, fragte ich, als Mary Alice durch die Küchentür kam.
»Er lebt noch. Das ist alles, was ich weiß.«
Ich nickte in Richtung Wohnzimmer. »Debbie schläft da drin.«
Sie warf einen Blick durch die Tür. »Ausgepowert, die Arme.«
»Möchtest du was zu trinken?«
»Ich nehme gleich ein Bier, sobald ich meine Nachrichten abgehört habe.«
Ich rührte die Dillsauce und wartete, wie sie auf Marilyns Mitteilung reagieren würde.
»Wie findest du das?«, rief sie glücklich aus, als sie den Telefonhörer auflegte. »Marilyn hat endlich Charles Boudreau geheiratet, Maus. Ich wusste, dass sie einen gesunden Menschenverstand besitzt.«