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Ich lag bäuchlings unter der Küchenspüle und aß zu den Klängen von Vivaldis ›Frühling‹ ein Erdnussbutter-Bananen-Sandwich, als sich eisige Hände um meine Knöchel schlossen. Ich fuhr kreischend hoch und schlug mit dem Kopf so fest gegen das Abflussrohr, dass ich Sterne sah. Das Nächste, was ich mitbekam, war, dass mich jemand unter der Spüle hervorzog und eine wohlvertraute Stimme sagte: »Was um Himmels willen machst du da?«
Mein Kinn schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Küchenboden auf, was mich erneut Sternchen sehen ließ; die Schmerzen von beiden Schlägen trafen sich unter meiner Schädeldecke.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
Vielleicht, dachte ich, würde sie, wenn ich einfach da liegen bliebe, wieder verschwinden – wobei mit »sie« meine Schwester gemeint war, die Herrin der Welt. Der Schmerz würde nachlassen, Vivaldi würde zum ›Sommer‹ übergehen und dann zum ›Winter‹. Irgendwann würde ich aufstehen und Eis für die ballonartig anschwellende Beule an meinem Hinterkopf holen. Wenn ich Glück hätte, käme ich mit einem minimalen Gehirnschaden davon.
»Du hast doch nicht versucht, Selbstmord zu begehen, oder, wie diese Schriftstellerin? Sag mir, dass du nicht Selbstmord begehen wolltest, Maus. Du würdest mir damit etwas Schreckliches antun.«
»Was?« Ich kämpfte mich in die Sitzposition und blickte zu Mary Alice hoch. Weit hoch. Sie ist 1,83 Meter groß (sie sagt 1,86 Meter) und wiegt nach eigenem Eingeständnis 113 Kilo.
»Ich weiß ja, dass ich in letzter Zeit, seit ich so viel mit Virgil zusammen bin, nicht mehr oft vorbeigeschaut habe, aber ich hätte nicht gedacht, dass du derartige Depressionen hast.«
»Was zum Teufel quatschst du da?« Ich tastete versuchsweise meinen Hinterkopf ab. »Vielleicht habe ich eine Gehirnerschütterung, aber selbstmordgefährdet bin ich nicht.«
»Aber was treibst du dann unter der Spüle?«
»Ich habe ein paar von diesen Fliesen zurechtgedrückt. Sie klebten nicht gut, weshalb ich sie beschwert und mich ein paar Minuten draufgelegt habe.« Ich blickte nach unten und sah mein Erdnussbutter-Bananen-Sandwich zerquetscht an meinem T-Shirt kleben. »Eigentlich war ich gerade dabei, mein Mittagessen zu verspeisen. Und die Schriftstellerin, an die du gedacht hast, ist Sylvia Plath. Die hat den Kopf aber in den Backofen gesteckt, nicht unter die Spüle.« Ich streckte ihr eine Hand entgegen. »Hilf mir auf!«
Schwesterherz packte mich mit diesen eisigen Händen, die den ganzen Trouble verursacht hatten, und zog mich hoch.
»Wie kommt es, dass deine Hände so kalt sind?«, fragte ich, während ich langsam auf den Küchentisch zuging und mich auf einen Stuhl sacken ließ. Ich fand schnell heraus, dass sich der Schmerz auf ein Pochen reduzierte, wenn ich auf ruckartige Bewegungen mit dem Kopf verzichtete. »Du hast mich halb zu Tode erschreckt.«
»Ich wollte mir Eis für eine Cola holen, und als ich mich umschaute, sah ich dich zur Hälfte unter der Spüle hervorschauen.«
»Würdest du mir jetzt ein paar Eiswürfel holen? Einfach in ein Küchentuch gewickelt.«
Sie öffnete den Kühlschrank. »Möchtest du auch eine Cola und Aspirin?«
Ich nickte gedankenlos. Schmerz durchzuckte meinen Schädel.
»Vielleicht habe ich wirklich was Ernsthaftes abbekommen«, sagte ich. Ich schloss erst das eine Auge und dann das andere. Sah ich mit dem linken ein wenig verschwommen?
»Natürlich nicht. Das ist nur eine Beule.«
Schwesterherz reichte mir die Cola, das Aspirin und ein Stück Küchenrolle mit Eiswürfeln. Ich schluckte das Aspirin und versuchte es noch einmal mit dem Augentest. Ich sah durch das Erkerfenster auf Woofers Iglu-Hundehütte. Erst mit dem rechten Auge. Okay. Dann mit dem linken. Ein paar kleine schwarze Punkte.
»Ich habe schwarze Punkte vor meinem linken Auge«, sagte ich. »Ich denke, ich habe mir die Netzhaut verletzt.«
Schwesterherz setzte sich mir gegenüber. »Das heißt gar nichts. Dir geht’s gut. Ich habe ständig solche Punkte. Einer sieht aus wie diese kleinen weißen Mehlwürmer, mit denen Großvater zu angeln pflegte. Hat immer diese Sonnenbarsche damit gefangen. Das kommt und geht.«
»Du siehst weiße Mehlwürmer?«
»Manchmal. Wie gesagt, das kommt und geht.«
Ich drückte das Papierhandtuch mit dem Eis an meinen Hinterkopf und sah Mary Alice das erste Mal an, seit sie gekommen war. Das erste Mal richtig. Das eine Mal vom Boden aus zählte nicht.
»Du siehst superschick aus heute«, sagte ich. Was stimmte. Sie trug einen pinkfarbenen Hosenanzug, und ihr Haar war von einem dunkleren Blond als sonst. Den Pony trug sie zur Seite gekämmt, ihre Haut schimmerte.
»Danke. Ich war bei Delta Hairlines, und da hat eine Dame kostenlose Verschönerung als Werbung für irgendeine neue Senioren-Kosmetikserie angeboten. Ich habe ihr gesagt, dass ich erst vierundsechzig sei, aber sie hat mich trotzdem behandelt.«
»Vierundsechzig, hä?«
Schwesterherz antwortete nicht. In Wirklichkeit ist sie sechsundsechzig, aber an ihrem letzten Geburtstag hat sie entschieden, von nun an rückwärts zu zählen. Ich bin fünf Jahre jünger als sie, oder zumindest war ich das. In ein paar Jahren werde ich älter sein als sie, und sie wird bald keinen Anspruch mehr auf Rentner-Verschönerungskuren haben.
»Ich habe ihr einiges von der Kosmetik abgekauft und wollte dir eigentlich auch etwas mitbringen, aber unsere Hauttöne sind vollkommen unterschiedlich.«
Das stimmte. Alles an uns war unterschiedlich. Sie hat einen olivenfarbenen Teint und braune Augen, und ich habe helle Haut und hellbraune Augen. Während ich rotblondes Haar hatte, war Schwesterherz brünett. Jetzt bin ich grau, und sie ist gewöhnlich rotblond. Hinzu kommt, dass ich Größe 36 trage – und weiß Gott, welche Größe Schwesterherz hat. Wen wundert es da, dass ich ihr als Kind geglaubt habe, wenn sie mir erzählte, ich sei adoptiert worden? Alle glaubten ihr. Ich war nur froh, dass wir zu Hause geboren wurden und es deshalb keine Gelegenheit zu einer Verwechslung im Krankenhaus gegeben hatte.
Ich schloss erneut mein rechtes Auge. Einer der Punkte im linken sah tatsächlich ein bisschen so aus wie ein Mehlwurm. Ich rollte meinen Augapfel hin und her.
»Machst du das mit Absicht oder hast du so eine Art Tick?«, wollte Mary Alice wissen.
»Ich mache das bewusst.«
»Gut, ich bin nämlich gekommen, um dir Neuigkeiten zu erzählen. Virgil und ich haben den Termin festgelegt.«
»Für die Hochzeit, Patricia Anne. Sei nicht so schwer von Begriff.«
»Schwer von Begriff? Ich wusste nicht einmal, dass du verlobt bist. Was ist eigentlich mit Cedric passiert?«
»Wem?«
»Dem Mann, mit dem du meines Wissens zuletzt verlobt warst.«
»Ach, ich denke, es ist aus zwischen uns.« Sie nahm mit gedankenvollem Blick ein Schlückchen von der Cola. »Ich meine, er ist in England und so. Ich werde es ihn aber wissen lassen.«
»Das wäre sehr rücksichtsvoll. Du könntest ihn ja zur Hochzeit einladen.«
»Nun ja, wir waren nie wirklich ernsthaft verlobt.«
Sarkasmus kommt bei dieser Frau überhaupt nicht an.
»Sei’s drum«, fuhr sie fort, »die Hochzeit wird am 14. Mai sein. Virgil geht am 1. April in den Ruhestand, und wir kaufen uns ein Wohnmobil und fahren auf unserer Hochzeitsreise quer durch den Westen. Klingt das nicht lustig?«
Virgil Stuckey, der in Bälde mein Schwager sein wird oder auch nicht, ist der Sheriff des St. Clair County. Er ist ein ausgesprochen netter Mann, fünfundsechzig Jahre alt und größer als Mary Alice. Das Wohnmobil sollte besser keines von der kleinen Sorte sein.
»Es war Virgils Idee. Auf meiner ersten Hochzeitsreise hat mich Will Alec nach New York mitgenommen, mit Philip bin ich nach Paris gefahren und mit Roger in die Karibik nach St. Croix. Virgil meinte, eine Reise mit dem Wohnmobil wäre mal was anderes.«
»Da hat er recht.« Und ein ganzes Stück billiger ist es auch. Schwesterherz durchbrach mit dieser Heirat eingefahrene Muster. Die drei anderen Ehemänner waren alle sehr reich und jeweils achtundzwanzig Jahre älter als sie gewesen. Aber mit vierundsechzig (oder sechsundsechzig) ist es schwer, dieses Muster aufrechtzuerhalten.
Ich fragte mich, wie eingehend sich Schwesterherz mit Wohnmobilen befasst hatte. Ich veränderte die Position des feuchten Küchentuchs an meinem Hinterkopf und dachte darüber nach, wie mein Mann Fred und ich wohl auf einer langen Wohnmobil-Tour klarkämen. Wir sind seit fast einundvierzig Jahren verheiratet und liegen selten über Kreuz, aber in dem Fall würden wir uns wahrscheinlich schon lange vor Erreichen des Mississippis gegenseitig an die Gurgel gehen. Ehrlich gesagt: Auf Reisen kommen wir gar nicht gut miteinander aus.
»Haben diese Dinger ein Klo?«, fragte ich in Erinnerung an eine Fahrt durch South Carolina, als Fred ständig sagte: »An der nächsten Ausfahrt«, und ich das Gefühl hatte, gleich zu platzen.
»Mit Sicherheit.« Schwesterherz runzelte leicht die Stirn. »Glaubst du nicht?«
Ich zuckte mit den Achseln. Schmerz schoss mir in den Kopf. Verdammt. »Finde es raus.«
»Das mache ich. Virgil muss allerdings nicht oft. Er hat eine sehr gute Prostata. Er sagt, sein Arzt habe gemeint, er habe die Prostata eines Zwanzigjährigen.«
»Gut für Virgil.«
»Und für mich.« Schwesterherz grinste.
Ich ignorierte dies und dirigierte Schwesterherz in eine andere Richtung. »Hast du schon Pläne gemacht für die Hochzeit?«
Es funktionierte. Sie klatschte in die Hände und beugte sich vor.
»Es wird eine kleine Hochzeit werden, nur mit Familie. Und wir wollen, dass sie in einer kleinen Kirche auf dem Land stattfindet, so wie bei John F. Kennedy junior und Carolyn Bessette. Gott hab sie selig.« Sie seufzte und klopfte mit einer Packung Süßstoff auf den Tisch. »Ich wollte ihn später mal wählen.«
Ich dachte an die Schönheit und an die Möglichkeiten, die der Tod so plötzlich zunichte gemacht hatte. An den kleinen Jungen, der salutiert, den Mann, der die Hand seiner Braut geküsst hatte. Der Schmerz fuhr erneut bis unter meine Schädeldecke.
»Wie dem auch sei, das war jedenfalls eine wirklich schöne Hochzeit«, fuhr Schwesterherz fort, »und alle anderen Sorten hatte ich schon.«
»Stimmt.« Ich konnte die Ehemänner zwar nicht den einzelnen Feiern zuordnen, aber es hatte eine große kirchliche Hochzeit gegeben, eine zu Hause und eine, bei der das Paar durchgebrannt war, um zu heiraten.
»Ich stelle mir ein cremefarbenes Seidenkleid für mich vor – lang natürlich. Wie wäre es mit Violett für dich? Du wirst meine Trauzeugin sein. Und ich habe ein wundervolles Sonnenblumengelb für die Mädchen gesehen. Wir werden aussehen wie ein Frühlingsgarten.«
»Die Mädchen?«
»Debbie, Marilyn und Haley. Virgils Tochter wird auch mit von der Partie sein.«
Violett und Sonnenblumengelb? Lieber Gott. Ich machte eine kurze Rechnung. Meine Tochter Haley würde am vierzehnten Mai über den fünften Schwangerschaftsmonat hinaus sein. Ich konnte mir vorstellen, wie begeistert sie sein würde, ein sonnenblumengelbes Brautjungfernkleid zu tragen. Etwa genauso begeistert, wie es Schwesterherzens Töchter Marilyn und Debbie sein würden.
»Du hast es ihnen noch nicht erzählt, oder?«
»Ich will sie überraschen.«
Ich legte das feuchte Papierhandtuch auf den Tisch. »Mary Alice, ich möchte kein violettes Kleid tragen.«
»Natürlich willst du das.«
»Nein, will ich nicht. Ich habe mein ganzes Leben kein Violett getragen.«
»Das hättest du aber tun sollen. Wir verpassen deinem Haar eine Spülung, damit es nicht so ausgewaschen aussieht. Wirklich, Patricia Anne, du musst irgendwie Eisen zu dir nehmen oder mehr essen. Es wundert mich nicht, dass ich dich für tot gehalten habe, als ich diese spindeldürren weißen armseligen Beinchen unter der Spüle hervorschauen sah.«
»Geh nach Hause«, sagte ich.
»Okay.« Sie stand auf. »Aber ich habe dir noch gar nicht erzählt, dass Virgil junior Virgil und mich Karten für die Vulcanus-Benefizveranstaltung im Alabama Theatre morgen Abend besorgt hat.«
»Mir«, sagte ich. »Virgil und mir besorgt hat.«
»Du meinst, Fred und dir? Bestimmt hat er das. Ist das nicht nett? Vier Plätze in der ersten Reihe. Und wir gehen danach alle zusammen schön essen. Bei der Gelegenheit könnt ihr ihn kennenlernen.«
»Geh nach Hause«, sagte ich.
Schwesterherz zog ihre Jacke an. »Virgil junior ist ein Elvis-Imitator. Er soll richtig gut sein. Der strassbesetzte weiße Hosenanzug und die Koteletten sind allerdings gewöhnungsbedürftig.«
Ich warf mit dem feuchten Küchentuch nach ihr. Sie ging in Deckung.
»Die Fliesen unter deiner Spüle kommen hoch. Ich rufe dich an, wenn du nicht mehr so unleidlich bist.«
Das Einzige auf dem Küchentisch, womit man werfen konnte, war die Zuckerdose, und die wollte ich nicht zerbrechen. Aber Schwesterherz war ohnehin schon fast zur Tür raus.
Violett und Sonnenblumengelb. Bäh. Ich stand auf, wobei ich darauf achtete, meinen Kopf nicht zu schnell zu bewegen, und sah nach den Fliesen. Verdammt. Ein paar von ihnen lösten sich erneut. Doch auf keinen Fall würde ich mich wieder auf sie drauflegen; ich würde sie später ankleben. Ich schloss die Schranktür, kratzte mit einem Küchenmesser die Erdnussbutter und die Banane von meinem T-Shirt, zog es behutsam über die Beule an meinem Kopf, warf es in die Waschmaschine und ging duschen.
Das heiße Wasser fühlte sich wunderbar an. Als ich aus der Dusche gestiegen war und eine saubere Cordhose sowie einen Rollkragenpullover angezogen hatte, war ich fast fröhlich. Ich ging in das Zimmer, in dem früher unsere Söhne geschlafen hatten – und das sich mittlerweile in ein Näh-, Bügel-und Computerzimmer verwandelt hatte –, und checkte meine E-Mails. Keine neuen Nachrichten. Haley hatte vor ein paar Tagen ihren Fruchtwassertest gehabt, und ich hoffte auf Neuigkeiten. Aber in ein paar Wochen würde Schluss sein mit dieser E-Mailerei. Sie und Philip kamen zurück nach Hause. Zurück aus Warschau, wo sie seit August letzten Jahres lebten. Zwar hatten Fred, Mary Alice und ich sie an Weihnachten besucht, und die E-Mail-Drähte hatten geglüht, aber es würde viel schöner sein, sie wieder zu Hause zu haben und zu sehen, wir ihr Bauch dicker und dicker wurde mit dem Baby, das sie sich so lange gewünscht hatte. Haleys erster Mann, Tom Buchanan, war just zu der Zeit von einem betrunkenen Autofahrer getötet worden, als sie darüber nachgedacht hatten, eine Familie zu gründen. Diesen Schlag würde sie nie vollkommen überwinden, aber dann hatte sie Dr. Philip Nachman auf der Hochzeit ihrer Cousine Debbie kennengelernt und sich endlich wieder verliebt. Philip war fast zwanzig Jahre älter als Haley und hatte zwei erwachsene Kinder. Er war nicht furchtbar scharf darauf, eine weitere Familie zu gründen, und ihre Beziehung lief über Monate mit Unterbrechungen. Aber Haley hatte gewonnen. Sie sind verheiratet, sie ist schwanger, und Philip ist außer sich vor Freude darüber. Er ist ein Hals-Nasen-Ohren-Spezialist, und am Tag nach ihrer Hochzeit waren sie nach Warschau abgereist, wo er ein Seminar an der medizinischen Fakultät geleitet hatte.
Ich kaute an einem Fingernagel. Die Fruchtwasserergebnisse sollten jetzt eigentlich da sein. Und Haley hatte versprochen, mich zu informieren, sobald sie etwas hören würde. Bestimmt war alles in Ordnung. Bestimmt. Ich holte tief Luft, ging in die Küche und machte mir ein weiteres Erdnussbutter-Bananen-Sandwich.
Der schrecklichste Monat in Alabama ist nicht der April. Es ist der März. Als Schwesterherz gekommen war, hatte die Sonne geschienen. Jetzt war von Westen her eine schwarze Wolkenbank herangerollt, und es sah aus, als würde es bald regnen. Woofer trottete aus seiner Behausung, schüttelte sich gemächlich, ging hinüber zu der Ulme und hob das Bein. Am Stamm der Ulme hatte sich über die Jahre deshalb ein weißer Streifen gebildet.
Ich öffnete die Tür und rief ihn herein. Er blickte abwechselnd zu mir und dem Iglu und versuchte sich zu entscheiden. Dieses Iglu ist mächtig gemütlich an einem windigen Märztag.
»Es gibt auch ein Leckerli«, versprach ich. Ich nahm die Schachtel mit den Hundekeksen vom Küchentresen und schüttelte sie.
Er machte Platz und gähnte.
Ich schüttelte die Schachtel erneut. »Ich werde Muffin nicht erlauben, dich zu ärgern.«
Er wusste, dass ich log, aber er kam trotzdem herein. Muffin ist Haleys Katze, die ich für sie betreute. Muffin liebt Woofer und reibt gern schnurrend ihren Kopf an seinem. Woofer liebt es, sich in den warmen Luftstrom der Heizung zu legen, und Muffin rollt sich dann dicht an ihn geschmiegt zusammen. Ich habe mehrere niedliche Fotos von ihnen gemacht, um sie Haley zu schicken. Auf allen blickt Muffin glückselig und Woofer angeekelt drein.
»Siehst du?«, sagte ich und gab ihm ein paar Hundeleckereien. »Sie ist gar nicht hier. Sie liegt in meinem Bett, wo sie eigentlich nicht hingehört.«
Woofer aß einen von den kleinen Kuchen und nahm den anderen mit hinüber ins Wohnzimmer. Ich setzte mich an den Tisch, um mein Sandwich zu essen und eine Einkaufsliste zu schreiben. Eigentlich hatte ich Tomatensuppe und Thunfischsandwiches geplant, aber der Frühling hatte sich in den letzten Stunden in Winter verwandelt. Rindereintopf? Hühnerpastete?
Das Telefon ließ mich hochfahren. Der dumpfe Schmerz in meinem Kopf pochte.
»Tante Pat? Violett und Sonnenblumengelb?«
»Das sagt sie jedenfalls.«
»Ich kann nicht glauben, dass Mama wirklich heiratet.«
»Sie hat es schon dreimal zuvor getan.«
»Aber Mary Alice Tate Sullivan Nachman Crane Stuckey?«
»Vielleicht ist es diesmal das letzte Mal. Ihr geht der Platz auf dem Elmwood Friedhof aus.«
Debbie, die Tochter meiner Schwester, und ich kicherten beide. Schwesterherz hatte alle ihre Ehemänner nebeneinander in Elmwood begraben. Sie hatten sie jeder ein Mal geschwängert und waren einen gepflegten Tod gestorben – obwohl Roger Cranes Ableben während eines Transatlantikflugs einige Probleme verursacht hatte. Sie beschwert sich heute noch, dass der Todesort in seiner Sterbeurkunde in Längen- und Breitengraden angegeben ist. »Dabei waren wir schon so nahe an Atlanta. Das wäre ein hübscher Ort zum Sterben gewesen. Den hätten sie auch eintragen können.«
»Du hast nichts von Haley gehört, oder?«, fragte ich Debbie.
»Noch nicht. Aber es ist sicher alles in Ordnung, Tante Pat.«
»Ja.« Aber ich wollte mich vergewissern. Ich wollte eine Kopie vom Ergebnis der Fruchtwasseruntersuchung, die besagte, dass alles in Ordnung war mit dem Baby, ein gesunder Junge oder ein gesundes Mädchen. »Ich wünschte, sie würde sich das Geschlecht sagen lassen, dann könnten wir ein paar Dinge planen.«
Debbie schnaubte leise. »Setz Mama auf den Fall an. Erinnerst du dich? Ich wollte bei David Anthony das Geschlecht nicht wissen, aber sie hat in den Akten herumgeschnüffelt oder jemanden bestochen oder so und kam freudeschreiend damit an: ›Es ist ein Junge! Es ist ein Junge!‹«
»Sie hat der Neugeborenenstation der Universitätsklinik eine beachtliche Spende zukommen lassen.«
»Nun, wahrscheinlich sollte ich mich nicht beschweren.«
»Sie meint es gut.«
Debbie und ich kicherten erneut.
»Hast du schon von der Hochzeitsreise gehört?«, fragte ich.
»Nein, erzähl.«
Was ich tat.
»Mama und Virgil in einem Wohnmobil? Mein Gott, das ist köstlich. Was glaubst du, wie weit sie kommen?«
»Vielleicht bis Gardendale«, sagte ich. Das war eine Vorstadt westlich von Birmingham. Ich fühlte mich aber sofort schuldig. »Tut mir leid, Debbie. Ich bin gemein. Ich denke, das ist die Beule an meinem Kopf.«
Was nach weiteren Erklärungen verlangte.
»Hast du deine Pupillen gecheckt? Sind sie erweitert?«
Ich versicherte Debbie, dass ich in Ordnung war.
»Nun, du hast vielleicht wirklich eine Gehirnerschütterung, wenn du eine Minute lang ohne Bewusstsein warst. Du solltest eine Weile nicht schlafen!«
Ich versprach es. Debbie sagte, sie würde sich später noch einmal nach mir erkundigen, und wir legten auf.
Mittlerweile hatte leichter Regen eingesetzt, eigentlich war es eher dicker Nebel. Der Piggly Wiggly konnte warten, entschied ich. Ich ging ins Wohnzimmer, legte mich aufs Sofa, zog mir die Wolldecke über und schlief unverzüglich ein. So viel zu meinen Versprechungen.