16
Das Abendessen verlief ruhig. Bevor Fred hereinkam, hatte ich Schwesterherz erzählt, dass ich wusste, dass Day Armstrong das Messer in meiner Tasche versenkt hatte. Ich erzählte ihr auch, dass Tim Hawkins zurückrufen wollte und dass sie, falls der Anruf während des Abendessens käme, das Telefon im Schlafzimmer abnehmen und ihm erzählen sollte, was passiert war, damit Fred ein nettes, gemütliches Essen haben würde. »Er ist immer noch ganz aufgelöst, weil ich verhaftet worden bin, und ich will ihn nicht noch weiter beunruhigen.«
Schwesterherz rollte mit den Augen. »Gott bewahre, dass Fred beunruhigt sein könnte.«
»Und sag nichts von Larry Ludmiller, wie schlimm verletzt er ist oder dass wir ihn gefunden haben. Ich erzähle es ihm dann später.«
»Hey, Maus, die Welt dreht sich weiter. Glaubst du nicht, dass er es herausfinden wird?«
Ich rührte ein letztes Mal in der Dillsauce, stellte sie auf der hinteren Platte warm und schaltete die vordere aus. »Ich habe dir ja gesagt, dass ich es ihm erzählen werde. Es ist nur so, dass ihn das stört, dass wir andauernd Leichen finden. Er sagt, das sei nicht normal.«
»Nun, es ist nicht meine Schuld, dass um uns herum andauernd Leute ermordet werden. Bevor du in den Ruhestand gegangen bist, ist das nie passiert.« Schwesterherz öffnete den Kühlschrank und nahm sich ein Bier heraus. Ich bot ihr ein Glas an, aber sie schüttelte den Kopf. »Neulich bei der Engelseher-Gesellschaft hat so ein unverschämtes Weib gesagt: ›Oh, Sie sind doch die, die ständig Leichen findet.‹ Ich glaube, ich hätte ihr eine heruntergehauen, wenn ich nicht eine Dame wäre.« Sie hielt den Hals der Bierflasche mit zwei Fingern, kippte diese und trank die Hälfte davon in einem Zug. »Abgesehen davon hätte sich Mama im Grabe umgedreht.«
Ich war zu müde, um mich mit ihr zu streiten oder sie darauf hinzuweisen, dass sie diejenige war, die uns in die meisten Morde hineingezogen hatte mit ihren verrückten Aktivitäten.
»Egal«, sagte ich. »Jedenfalls erwähne nicht Larry.«
»Okay. Aber über Marilyn und Charlie können wir doch reden. Was sie wohl anhatte? Ich wette, sie sind einfach runter ins Rathaus, wie Philip und ich das gemacht haben.«
»Das war Roger. Du und Philip, ihr seid von einem Rabbi getraut worden, und du hast ein weißgelbes Chiffonkleid getragen.«
»Habe ich Philip gesagt? Ich meinte Roger, meinen alten Teddybären.«
Schwesterherz hat, ich schwör’s, ihre Männer kategorisiert in den Hohlwangigen, aber Wonnigen (Will Alec), den Intellektuellen (Philip, weil er Bücher las) und Roger, den Teddybären (ich weiß nicht, warum, vielleicht war er so behaart).
Was mich an etwas erinnerte. »Bonnie Blue hat ein paar Bücher mit Hochzeitskleidern für dich hiergelassen. Sie liegen auf dem Couchtisch.«
»Großartig. Hast du sie dir schon angeschaut?«
»Ein paar.«
»Was meinst du?«
»Manche davon sind wunderschön.«
Debbie wachte auf, als ihre Mutter sich auf das Sofa setzte. »Ich werde kein Gelb tragen«, murmelte sie, als sie ihre Mutter eines der Bücher in die Hand nehmen sah.
»Natürlich wirst du das. Das ist deine Farbe.«
Debbie setzte sich stöhnend auf. »Ich muss Bruderherz stillen gehen.«
»Willst du zum Abendessen bleiben?«, fragte ich.
»Ich kann nicht. Mir tut schon alles weh.«
»Das war eine weitere Sache, die ich hinsichtlich zwei Monate alter Babys vergessen hatte. Manche Dinge können nicht warten.«
»Gib den Zwillingen ein Küsschen von Teeny.« Mary Alice hatte bereits ihr erstes Buch aufgeklappt und sagte jetzt: »Wow!«
»Wie geht es Larry Ludmiller?« Debbie zog sich ihren Mantel an.
»Nicht gut. Aber ist es nicht großartig, dass deine Schwester geheiratet hat?« Sie blätterte die Seite um. »Schau dir dieses trägerlose Kleid an. Glaubst du, ich könnte damit durchgehen?«
Fred kam just in diesem Moment herein. Mary Alice hielt ihm das Buch hin. »Glaubst du, ich könnte hiermit durchgehen, Fred?«
»Nun, du würdest jedenfalls nicht darin ersaufen wie das arme Mädchen auf dem Foto.«
»Das stimmt.«
Ich begleitete Debbie zur Hintertür und versprach ihr, sie anzurufen, wenn ich etwas über Larry erfahren würde. »Oder etwas anderes in dieser Angelegenheit«, ergänzte ich. Ich fügte meine Küsschen an die Kinder denen hinzu, die »Teeny« ihnen gesandt hatte. Eine der großen Freuden im Leben meiner Schwester ist, dass Fay und May sie »Teeny« nennen, etwas, das wir uns nicht erklären können. Richardena, das Kindermädchen, ist »Deeny«, vielleicht gibt es hierzu eine Verbindung. Einen Moment lang überlegte ich, wie mich wohl Joanna nennen würde, und fühlte ein leichtes Flattern im Bauch.
Als ich wieder ins Wohnzimmer blickte, sah ich etwas vollkommen Unerwartetes. Fred und Schwesterherz saßen auf dem Sofa, schauten sich die Brautkleider an und diskutierten das Für und Wider eines jeden Modells.
»Sieh dir das an«, sagte Fred. »Diese Frau ist eigentlich spindeldürr, sieht aber wie ein Fettarsch aus mit all dem Stoff am Rücken.«
»Aber wenn sie tatsächlich ein Fettarsch wäre, würde das niemand merken. Die Leute würden denken, das läge an dem Stoff.«
»Stimmt.«
Ich überließ dieses überraschend geistesverwandte Duo ihrem Modestudium, deckte den Tisch und trug das Abendessen auf.
»Das hier ist fantastisch«, sagte Fred, als ich sie zum Abendessen rief. »Schau mal, mein Schatz.« Er zeigte mir das Buch. »Ist das nicht großartig?«
Das Kleid bestand aus etwa 100 Metern Stoff, überzogen mit Netzgewebe, in das an verschiedenen Stellen kleine Sträuße aus weißen Rosen und Spitze eingenäht waren. Bänder flatterten aus den Bouquets. Ich sah Fred prüfend an, ob er es ernst meinte. Es war so.
»Fantastisch«, sagte ich. Ich ging in die Küche und dachte, dass egal, wie lange man mit einem Mann verheiratet war, dieser einen immer noch überraschen konnte. Und das ist nicht schlecht.
Wie gesagt verlief das Essen ruhig. Wir sprachen über Marilyn und Charlie Boudreau und wie sehr wir hofften, dass die beiden glücklich sein würden. »Eine geeignete Verbindung jedenfalls«, sagte Fred grinsend. Dann fragte er, was wir den Tag über so getrieben hätten. Ich erzählte ihm von dem Schaukelstuhl, sagte, dass dieser draußen im Auto von Schwesterherz sei. Schwesterherz beschrieb Maurice, den Grizzlybären, was Fred ein leises Schmunzeln entlockte. Als wir Schokoladeneis am Stil aßen – den einzigen Nachtisch, den ich hatte finden können –, klingelte das Telefon. Schwesterherz sprang auf, behauptete, das sei für sie, und verschwand im Flur. Fred fand das überhaupt nicht ungewöhnlich. Ich hatte jedoch Mühe, mein Eis herunterzuschlucken, bevor sie zurück war und sagte, das seien die Leute von Hannah Home gewesen. Ihr Lastwagen käme am Mittwoch in unsere Straße, um Altkleider und Sperrmüll abzuholen. Sie hätte ihnen gesagt, dass wir nichts zum Ausrangieren haben.
Ich dachte, sie hätte die Wahrheit erzählt, bis Fred ins Wohnzimmer gegangen war, um ›Wer wird Millionär‹ zu schauen. Sie lehnte sich zu mir herüber und flüsterte laut, dass der Anrufer Tim Hawkins gewesen sei und dass er mit mir am nächsten Morgen reden würde. Sie habe ihm aber dennoch erzählt, dass ich Day verdächtigen würde.
Verdächtigen, zum Teufel. Ich wusste, dass sie es war. Und ich war statt ihrer verhaftet worden.
»Hier ist auch ein sehr hübsches, Mary Alice«, rief Fred aus dem Wohnzimmer. Ich warf einen Blick durch die Tür und sah, dass er sich wieder die Brautkleiderentwürfe ansah. Der Mann hatte seinen Verstand verloren. Schwester rannte im Galopp zu ihm, um zu sehen, was er gefunden hatte, und sie vertieften sich eine weitere Stunde in die Kleider. Erstaunlich.
Nieselregen herrschte draußen, als Schwesterherz, auf beide Hüften ein Buch gestemmt, wieder ging. Sie sagte, sie würde den Stuhl in ihrem Auto lassen, und wir könnten ihn dann am nächsten Tag zu Philips Haus hinüberfahren. »Und ich ruf dich an, wenn ich was über du weißt schon wen höre.«
»Wen?«, fragte Fred, als sich die Tür schloss.
Es ist ein großer Unterschied, ob man etwas vor seinem Mann verheimlicht oder ihn geradewegs anlügt. »Larry Ludmiller«, gestand ich. Was bedeutete, dass ich ihm die ganze Geschichte erzählen musste.
»Verdammt, Patricia Anne«, sagte er. »Verdammt. Warum hast du mir das nicht erzählt?«
»Ich wollte dich nicht beunruhigen.«
Er sah mich stirnrunzelnd an.
»Und außerdem habe ich dir gerade alles erzählt.«
Er griff sich die Zeitung. »Ich gehe ins Bett.«
»Du bist böse auf mich, stimmt’s?«
»Ich bin nur verärgert.« Er verschwand im Flur.
Fred ist selten böse auf mich, so selten, dass es mich fast zerreißt, wenn er es ist. Ich räumte die Küche zu Ende auf, sah die 22-Uhr-Nachrichten, nahm ein weiteres Aspirin und mein Antibiotikum und hoffte, dass er zurückkommen würde, um mir zu sagen, dass es ihm leidtue. Er kam aber nicht. Gegen elf ging ich auf Zehenspitzen ins Bad, zog mein Nachthemd an und glitt neben ihm ins Bett. Ich war mir nicht sicher, ob er schlief oder nicht, aber er drehte sich weder um, noch sagte er mir gute Nacht.
Ausgeschlossen, dass ich schlafen konnte. Schließlich ging ich ins Wohnzimmer, nahm mir einen Carolyn-Hart-Krimi und vertiefte mich in die Weihnachtsabenteuer der Romanhelden. Aber selbst diese konnten mich nicht von den Geschehnissen des Tages ablenken. Larry Ludmiller, verkrümmt und blutverschmiert, stand unablässig zwischen mir und den Seiten. Sicher war er jetzt aus dem Operationssaal heraus oder sie wussten zumindest irgendetwas. Schließlich nahm ich das Telefonbuch zur Hand, schlug das Uniklinikum nach und bekam die Nummer des Wartezimmers auf der Intensivstation von der Vermittlung, indem ich vorgab, dass dort ein Familienmitglied von mir in Behandlung sei. Nun, total gelogen war das ja nicht.
Ich wählte die Nummer in der Hoffnung, dort niemanden aufzuwecken. Eine Frau nahm ab, und ich fragte, ob Virgil Stuckey da sei. Als er an den Apparat kam, entschuldigte ich mich dafür, dass ich mitten in der Nacht anrief, erzählte ihm dann aber, dass ich nicht schlafen konnte, weil ich mir Sorgen machte um Larry.
»Er wird noch immer operiert, Patricia Anne«, sagte er. »Sie wissen einfach noch nichts.« Es war lange still, bevor er sagte: »Sie haben Tammy Sue ein Beruhigungsmittel gegeben. Sie döst jetzt ein wenig.«
»Ich hoffe, ich habe sie nicht aufgeweckt.«
»Nein, alles in Ordnung. Ich weiß deinen Anruf zu schätzen. Mary Alice hat sich auch schon ein paarmal erkundigt.«
Schwesterherz hatte also auch Schlafprobleme.
Virgils Stimme zitterte, als er sagte: »Schließ uns in deine Gebete ein, Patricia Anne.«
Ich versprach, dass ich das tun würde, und es war mir ernst damit. Nachdem ich aufgelegt hatte, ging ich zurück ins Bett und flüsterte dem Rücken von Fred zu, dass ich ihn liebte und dass ich mich nur bemüht hätte, ihn nicht zu beunruhigen. Endlich schlief ich ein.
Fred war schon weg, als ich aufwachte. Trotz des wenigen Schlafes stellte ich fest, dass ich mich gut fühlte. Das Antibiotikum hatte angeschlagen. Ich öffnete die Fensterläden und blickte nach draußen. Es war ein perfekter Frühlingstag, und das Sonnenlicht lag schimmernd auf den vom nächtlichen Nieselregen feuchten Blättern.
Ich wählte die Telefonnummer von Schwesterherz, und sie nahm nach dem ersten Läuten ab. Larry hatte die Operation überstanden. Virgil war gerade gekommen und trank einen Kaffee. Tammy Sue wollte das Krankenhaus nicht verlassen.
»Und die Prognose?«, fragte ich
»Nach wie vor fraglich. Aber wenigstens hat er die OP überlebt. Warte einen Moment.« Ich konnte eine männliche Stimme hören. »Virgil dankt dir dafür, dass du gestern Nacht angerufen hast.«
»Sag ihm, dass das gern geschehen ist. Sollte eine von uns sich um Tammy Sue kümmern?«
»Olivia ist dort. Du weißt, Larrys Schwester. Und Buddy – Virgil junior.«
»Okay. Ruf mich an, wenn du mich brauchst. Ich denke, ich muss noch ein wenig hierbleiben wegen Timmy Hawkins.«
Ich holte mir eine Tasse Kaffee und checkte meine E-Mails in der Hoffnung, etwas von Haley zu hören. Ich hatte drei Nachrichten. Eine sagte SEX SEX SEX, eine andere fragte, ob ich an Heimarbeit interessiert sei, und die dritte war von Amerikas bester Fernseh-Hausfrau Martha Stuart. Die Liebe Patricia Anne war nicht interessiert an den Riesen-Ausstechförmchen im heutigen Angebot. Stattdessen tippte ich Haleys E-Mail-Adresse ein, um ihr zu erzählen, dass es keine Neuigkeiten gebe und es uns gut gehe. Sie war in Warschau und schwanger. Was hätte sie angesichts unserer jüngsten Eskapaden anderes tun können, als sich Sorgen zu machen? Ich hatte den Computer abgeschaltet, bevor mir einfiel, dass womöglich weder Marilyn noch Debbie ihr die Nachricht von Marilyns Hochzeit gemailt hatten. Vielleicht würden wir sie, wenn Fred wieder zu Hause wäre, anrufen.
Ich wartete eine Stunde lang auf Timmys Anruf. Nichts. Und draußen war ein wundervoller Tag. Schließlich nahm ich Woofers Leine und verließ das Haus für einen Spaziergang. Schwesterherz hatte ihm im Grunde alles mitgeteilt, was ich ihm am Vorabend hätte erzählen können. Ich hatte ja keinen Beweis, dass Day die Schuldige war. Er konnte eine Nachricht hinterlassen.
Es tat so gut, sich besser zu fühlen, so gut, die Frische des Morgens nach einem Regen zu spüren. Woofer ging es genauso. Er jagte von einem Baum zum nächsten und bellte wie wild ein Eichhörnchen an. Wir gingen den gesamten Weg zum Homewood Park, wo ich mich auf eine Bank in die Sonne setzte, während Woofer neben mir auf dem Boden lag und den wenigen Leuten zuwedelte, die Kinderwagen schiebend oder joggend vorbeikamen und alle »Guten Morgen« sagten.
Ich schloss die Augen. Ich hätte in diesem friedlichen Park hier schlafen können mit seinen riesigen schattenspendenden Bäumen, die gerade wieder grün ausschlugen. Für einen Moment kämpfte Larry Ludmiller nicht mit dem Leben, Day Armstrong ließ keine Messer in meine Handtasche fallen, und Fred war nicht mehr böse auf mich. Das durch die frischen Blätter fallende Sonnenlicht warf Schattenpunkte auf meine geschlossenen Augen. Ich seufzte und entspannte mich.
»Guten Morgen, Mrs Hollowell.«
Offenkundig war ich eingenickt, so heftig fuhr ich hoch.
»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.« Timmy Hawkins setzte sich auf die Bank neben mich. »Ich bin am Park vorbeigefahren und habe Sie gesehen.«
Ich wischte mir mit der Hand über den Mund und hoffte, er hatte nicht offen gestanden, und ich hatte nicht gesabbert – eine schlechte Angewohnheit von mir, wenn ich döse.
»Guten Morgen, Timmy«, sagte ich, während ich überlegte, ob er wohl im Dienst war. Er trug Jeans und ein University-of-Alabama-T-Shirt, auf dem ROLL TIDE stand. Und an seinen Füßen steckten braune Boots, die schon bessere Tage gesehen hatten.
»Ich war auf dem Weg nach Hause zu Ihnen. Genauer gesagt war ich auf dem Weg zum Piggly Wiggly. Heute ist mein freier Tag, und ich dachte, ich schau kurz bei Ihnen rein, falls Sie zu Hause sind.«
»Schwesterherz sagte, Sie würden anrufen.«
»Das habe ich auch.« Er streckte die Hand aus und tätschelte Woofer, der sich voller Wonne auf den Rücken drehte. Gut, dass Timmy kein Straßenräuber war. »Aber ich wollte ohnehin vorbeikommen.«
»Nun, hat sie Ihnen von Day Armstrong erzählt, davon, dass sie Gelegenheit hatte, das Messer in meine Tasche fallen zu lassen?«
Timmy nickte. »Erzählen Sie mir davon.«
Das tat ich dann auch, wobei ich hinzufügte, dass ich es nicht glauben wolle, es aber doch tat.
»Wie, glauben Sie, ist sie an das Messer gekommen?«, fragte Timmy.
Ich sah in seine arglosen blauen Augen. »Schieben Sie das jetzt nicht mir zu, Timmy. Ich glaube dasselbe wie Sie. Sie hat es vom Bühnenboden aufgehoben. Oder ist damit auf die Bühne rausspaziert. Gott weiß es. Aber ich sage Ihnen eins. Larry Ludmiller stirbt vielleicht gerade im Krankenhaus, weil, wer immer diesen Mann im Alabama Theatre umgebracht hat, denkt, dass Larry ihn gesehen hat. Oder sie«, fügte ich hinzu.
Die Augen waren jetzt nicht mehr arglos. »Wie kommen Sie auf den Gedanken?«
»Er hat uns das erzählt, also Larry. Er sagte, er habe sich umgedreht und vage jemanden hinter der Elvis-Reihe gesehen, just in dem Augenblick, als Griffin Mooncloth in sich zusammensackte. Es war nur ein flüchtiger Eindruck, umso mehr als Larry ohne seine Brille blind wie ein Maulwurf ist, aber die Person da hinten konnte das ja nicht wissen. Sie musste den Eindruck haben, dass Larry sie identifiziert hatte.«
Timmy nickte. »Ergibt Sinn.« Er tätschelte Woofer erneut. »Noch was anderes, was Sie mir erzählen können, Mrs Hollowell?«
»Ich fände es schön, wenn Sie Day wegen des Messers befragen, ohne mich zu erwähnen. Ich möchte nicht, dass ihre Mutter erfährt, dass ich diejenige war, die Ihnen das erzählt hat. Sie ist eine Freundin von mir.«
Timmy stand auf. »Wie soll ich das machen, Mrs Hollowell?«
»Lassen Sie sich etwas einfallen. Ganz so, wie Sie sich etwas haben einfallen lassen, als es darum ging, jemanden zu finden, der für Sie die Arbeit über Chaucer schrieb.«
Ich schwöre es: Timmy erbleichte. »Sie wissen das?«
»Natürlich. Tun Sie einfach, was Sie können, um mich aus der Sache herauszuhalten.«
»Ja, Ma’am. Das mache ich.«
Ich sah ihn mit hängenden Schultern zu seinem Wagen gehen. »Woofer«, sagte ich. »Es ist unglaublich, wie oft das funktioniert.«
Mitzi war dabei, Knochenmehl über ihr Iris-Beet zu streuen, als wir vorbeigingen. Ich öffnete mein Tor, gab Woofer eine Leckerei und ließ ihn hinein. Dann ging ich hinüber zu Mitzi, um ihr von Larry Ludmiller zu berichten.
Sie kniete auf einer Plastiktüte und hatte Gartenhandschuhe an. Mitzi ist Anfang sechzig, hat aber graues Haar, so lange ich denken kann. Jetzt war es mehr weiß als grau, stellte ich fest, als ich zu ihr hinunterblickte, während sie sich den Pony mit dem Arm aus dem Gesicht strich. Ich würde nie so ein Glück haben. Rotblond mit grauen Strähnen sieht orange aus.
»Dein Haar ist wundervoll«, sagte ich.
»Danke.« Sie lächelte und zog eine Plastiktüte aus einer Kiste für mich, damit ich mich setzen konnte. »Was ist los? Du siehst aus, als ginge es dir besser heute Morgen.«
»Das ist auch so. Aber ich habe gerade Day Armstrong bei der Polizei verpfiffen, jemand hat um ein Haar Virgil Stuckeys Schwiegersohn umgebracht, und Fred ist sauer auf mich.«
»Die ersten beiden Dinge glaube ich, das dritte nicht.« Sie steckte ihre Kelle in den Sack mit Knochenmehl und vermischte es mit der Erde rund um eine Iris, die ich dann in einem Monat vom Küchenfenster aus blühen sehen und genießen können würde.
»Du kannst es aber glauben.«
»Erzähl es mir.«
Mitzi arbeitete weiter, während ich sprach. Woofer kam herüber, legte sich an den Maschendrahtzaun und beobachtete uns halb dösend.
»Ich habe recht, nicht wahr?«, fragte ich. »Day hatte die Gelegenheit, das Messer in meine Handtasche zu stecken, stimmt’s?«
Mitzi nickte. »Ich denke, die hatte sie. Sie war allerdings nur eine Minute lang da, Patricia Anne.«
»Mehr braucht es dafür auch nicht.«
Mitzi erhob sich schwerfällig von den Knien, seufzte und schob die Plastiktüte ein Stück weiter das Beet hinunter. »Mein Gott, ich bin steif wie ein Brett«, sagte sie, während sie sich erneut hinkniete. Sie stach mit ihrer Kelle in die Erde und runzelte die Stirn. »Erzähl mir noch mal von dieser Scheidungsgeschichte und den Schwierigkeiten, in denen Dusk steckt.«
Ich erzählte ihr, was Debbie gesagt hatte, dass es gegen das Gesetz war, jemanden einfach deswegen zu heiraten, damit er US-amerikanischer Staatsbürger würde.
»Aber würde Day jemanden ermordet haben, um ihre Schwester zu decken?«
»Ich weiß nicht. Aber ich denke, sie weiß vielleicht, wer es getan hat.«
Ein Auto fuhr in meine Einfahrt. Ich blickte auf und sah, dass es Fred war.
»Ich denke, damit hat sich dein drittes Problem erledigt«, sagte Mitzi.
Fred stieg aus dem Auto und kam zu der Stelle hinüber, an der wir saßen. »Ich dachte einfach, heute komme ich mal zum Mittagessen nach Hause«, sagte er.
Mitzi grinste, als ich aufstand. »Bon appétit.«
Das Sich-Versöhnen war nett. Ich erklärte, dass ich versucht hätte, ihn nicht zu beunruhigen, und er erklärte, dass es ihn mehr beunruhigt habe, dass ich versucht hatte, ihn nicht zu beunruhigen. Ich versprach, es nicht wieder zu tun. In dem Moment meinte ich das auch.
Später aßen wir Thunfischsandwiches zu Mittag.