7
Das Geräusch von der Dusche, die Fred nahm, weckte mich auf. Ich langte nach der Fernbedienung, klickte ›Good Morning America‹ an und sank prompt wieder in den Schlaf. Als ich wieder aufwachte, war Fred bereits weg und die Sendung fast zu Ende. Oh, die Freuden des Ruhestandes!
Ich öffnete die Fensterläden und sah, dass der Regen aufgehört hatte. Der Himmel hing aber immer noch tief, voller dunkler Wolken. Es war möglich, dass vor der Küste noch mehr Regen lauerte. Das Außenthermometer mit den großen Zahlen zeigte neun Grad an. Ich hatte es in einem Baumarkt entdeckt und sofort gekauft. Wir haben es mit Draht an unserem Zaun befestigt, und Schwesterherz lässt häufig Bemerkungen darüber fallen, wie geschmacklos es sei, aber hey, wir können die Anzeige lesen.
Die Tür zum Gästezimmer war zu, weshalb ich annahm, dass Marilyn noch schlief. Aber damit lag ich falsch. Sie saß am Küchentisch, trank Kaffee und las die Zeitung. Sie trug einen Flanellschlafanzug, der von oben bis unten mit Seehunden bedruckt war, die auf der Nase Bälle balancierten.
»Ich möchte einen solchen Pyjama zu Weihnachten haben«, sagte ich, während ich auf den Kaffee zuging.
»Guten Morgen, Tante Pat. Ich notiere es auf meiner Liste.«
»Möchtest du noch mehr Kaffee?«
»Im Moment nicht.« Sie faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. »Ich habe gerade über diesen Mooncloth gelesen, diesen Typen, der umgebracht wurde. Es steht ein langer Artikel über ihn in der Zeitung. Wusstest du, dass er ein russischer Tänzer war? Ein richtig prominenter Ballettstar?«
Ich griff nach dem Zucker. »Ein Russe namens Mooncloth?«
»Der Zeitung zufolge ist das die Übersetzung seines Bühnennamens.«
»Ein russischer Ballettstar, der in einem Elvis-Kostüm auf der Bühne im Alabama Theatre tanzt? Was soll das um alles in der Welt?«
Marilyn schob mir die Zeitung zu. Ich erkannte das Foto des gut aussehenden jungen Mannes auf der ersten Seite nicht. Aber ich hatte ihn auch nur ein einziges Mal gesehen, und da war sein Gesicht verzerrt gewesen. RUSSISCHER BALLETTSTAR IM ALABAMA THEATRE ERMORDET, verkündete die Schlagzeile – der Leitartikel des Tages. Ich schlürfte meinen Kaffee und las den Artikel, aus dem hervorging, dass Mr Mooncloth, einer von Russlands führenden Tänzern, im Rahmen eines kulturellen Austauschprogramms in den Vereinigten Staaten weilte. Er war vor Kurzem mit dem New York City Ballet aufgetreten, wo er von der Kritik für seine Auftritte hoch gelobt worden war. Mr Mooncloth, hieß es weiter, stand kurz vor Abschluss seines zweiten und letzten Jahres als Austauschkünstler, als er ermordet wurde.
»O Gott«, sagte ich. »Birmingham bestimmt mal wieder sämtliche Schlagzeilen. Womöglich ein internationaler Zwischenfall. Warum konnte, wer auch immer ihn niedergestochen hat, dies nicht in New York tun? Was hatte er hier überhaupt zu suchen beziehungsweise im Alabama Theatre mit Larry und Buddy und diesen anderen Elvis-Imitatoren auf der Bühne herumzuhüpfen?«
»Wenn wir das wüssten, dann könnten wir wahrscheinlich auch sagen, warum er ermordet wurde.« Marilyn schob ihren Stuhl zurück. »Möchtest du einen Bagel, Tante Pat?«
»Gern.« Ich las, während Marilyn die Bagels in den Toaster schob und den Frischkäse herausholte.
»Sie wissen nicht einmal, wo er wohnte oder wie er hierhergekommen ist«, sagte ich empört. »Und irgendwoher muss er dieses Elvis-Kostüm bekommen haben. Scheint so, als wolle die Polizei das überprüfen.«
»Nichts von alldem ergibt einen Sinn«, stimmte Marilyn zu. »Möchtest du noch etwas Kaffee?«
Ich hielt ihr meine Tasse hin. »Kein Wunder, dass Dusk Armstrong wusste, wer er war. Ich dachte, sie habe gesagt, er sei mit ihr auf die Ballettschule gegangen. Sie muss aber gemeint haben, dass er dort unterrichtet hat.«
Marilyn goss den Kaffee ein und nahm die Bagels aus dem Toaster. »Weißt du, woran ich mich erinnere, Tante Pat? Ich erinnere mich daran, dass du immer Zuckerstangen auf dem Küchentresen stehen hattest, um den Kaffee damit umzurühren. Das wäre jetzt die Krönung.«
»Schau auf dem zweiten Regalbrett in der Speisekammer nach. Sie sind in einer roten Blechdose.«
Marilyn stellte die Bagels und den Frischkäse auf den Tisch und ging zur Speisekammer. Sie kam lächelnd zurück, eine Pfefferminzstange in der Hand, und sah in ihrem Flanellpyjama aus wie zwölf.
»Schätzchen«, sagte ich, während ich zuschaute, wie sie den Kaffee umrührte. »Was sind deine Pläne für den heutigen Tag?«
»Mein Termin in der Universitätsklinik ist um zwei. Ist es in Ordnung, wenn ich noch eine weitere Nacht bei dir bleibe? Es könnte spät werden, bis ich mit allem durch bin.«
»Natürlich. Es ist uns eine Freude. Das weißt du.«
Ich strich Frischkäse auf meinen Bagel und nahm einen Bissen. »Hast du noch einmal über Charles Boudreau nachgedacht? Ich bin sicher, dass er immer noch im Tutwiler ist.«
Die Pfefferminzstange machte ein klirrendes Geräusch am Tassenrand. »Ich habe über ihn nachgedacht.«
»Und?«
»Ich habe dir erzählt, wie er reagiert hat, als ich ihn darum bat, Vater meines Kindes zu sein, Tante Pat. Er hat wie verrückt gestottert und gesagt, er habe unsere Abmachung nur für einen Witz gehalten.«
»Aber er hat seine Meinung geändert.«
»Vielleicht weil er denkt, dass ich ihn heirate, wenn ich schwanger werde.«
Ich muss sehr verdutzt ausgesehen haben.
»Es ist eine lange Geschichte, Tante Pat. Es genügt zu sagen, dass ich nicht um alles in der Welt mit Charlie Boudreau zusammenleben könnte.« Marilyn nahm einen Bissen von ihrem Bagel und kaute wie wild.
So weit zu Charles Boudreaus Chancen.
»Möchtest du, dass ich dich heute Nachmittag begleite?«, fragte ich, nachdem wir mit Essen fertig waren.
»Nein, aber danke. Es wird schon schiefgehen.« Sie stand auf und stellte ihren Teller und die Kaffeetasse in den Geschirrspüler. »Weißt du, was ich jetzt gleich noch für dich tue?«
»Das Haus durchsaugen?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Woofer zu seinem Spaziergang ausführen. Das Wetter ist zu nasskalt für dich heute früh.«
Ich fühlte mich plötzlich hundert Jahre alt und zerbrechlich wie Glas. »Ich bin sicher, dass es mit meiner Gehhilfe geht. Und ich packe mich warm ein.«
Marilyn lachte. »Oh, Tante Pat. Das habe ich überhaupt nicht gemeint.«
Aber natürlich hatte sie das.
Ich nahm die Zeitung und setzte mich auf das Sofa im Wohnzimmer, wahrend sich Marilyn anzog. Ich wünschte, sie riefe ihre Mutter an. Jeden Moment konnte die Hintertür auffliegen und Mary Alice hereinschneien. Dann würde sie Marilyn entdecken und wäre sowohl in ihren Gefühlen verletzt als auch wahnsinnig wütend. An ihre Wutanfälle bin ich gewöhnt, aber die Gefühle meiner Schwester kann man nicht so leicht verletzen. Doch in diesem Falle wäre es so. Da war ich sicher.
»Marilyn«, sagte ich, als sie durchs Wohnzimmer zurückkam, »deine Mutter wird sich jeden Moment telefonisch hier melden oder auftauchen. Willst du sie nicht doch anrufen? Ich fände das schön.«
Marilyn schüttelte den Kopf. In dem Augenblick klingelte das Telefon, und sie verschwand wie der Blitz durch die Hintertür.
»Hast du die Zeitung gelesen?« Schwesterherz wartete gar nicht erst, bis ich mich gemeldet hatte. »Ist das zu glauben – ein russischer Spion wird direkt vor unseren Augen umgebracht? Und was zum Teufel gibt es für ihn in Birmingham auszuspionieren? Unsere nuklearen Sprengköpfe in den Höhlen unterhalb von Vulcanus?«
Marilyn öffnete noch einmal die Tür, schnappte sich Woofers Leine vom Ende des Küchentresens und war wieder weg. Feiges Mädchen.
»In der Zeitung hieß es, dass er Balletttänzer war. Von einem Spion war nichts zu lesen.«
»Aber du weißt, dass er einer war. Was sollte ein russischer Balletttänzer sonst in Birmingham tun?«
»Elvis imitieren?«, seufzte ich. Sie würde außer sich sein, wenn sie herausfände, dass Marilyn hier war und ich es ihr nicht erzählt hatte.
»Sei nicht albern, Maus. Das könnte er auch in Russland tun. Aber hör zu, der eigentliche Grund dafür, dass ich anrufe, ist, dass Virgil heute Abend Steaks braten will. Debbie und Henry, Tammy Sue und ihr Mann und Virgil junior kommen.« Sie hielt kurz inne. »Und natürlich du und Fred. Ein netter Familienabend. Ich dachte erst, wir sollten warten, bis Haley und Philip wieder zu Hause sind und Marilyn vielleicht hochkommen könnte, aber das Wetter ist so gottserbärmlich, und nach dem, was im Alabama Theatre passiert ist, brauchen wir alle etwas zur Aufmunterung. Wir können es später ja noch mal wiederholen.«
Schuld. Schuld.
»Wie viel Uhr?«, fragte ich.
Nachdem ich aufgelegt hatte, nahm ich den Staubsauger heraus und stürzte mich mit Verve auf die Hausarbeit. Der Hausputz hat etwas Gewissenberuhigendes an sich.
Ich war gerade dabei, die Toilette sauber zu machen, als Marilyn über den Flur kam, sich an die Tür lehnte und mich beobachtete.
»Lass uns zum Mittagessen ins Hunan Hut gehen, Tante Pat«, schlug sie vor.
»Nein. Da ist deine Mutter.«
»Wie wäre es dann mit etwas Gemüse im Anchorage?«
Ich spülte die Toilette und richtete mich auf. »Da wird sie auch sein.«
»Und sauer auf uns beide?«
»Ich habe keine Angst davor, dass sie sauer ist. Ich möchte nur ihre Gefühle nicht verletzen.«
»Nun, ich auch nicht, Tante Pat.« Marilyn folgte mir den Flur entlang ins andere Badezimmer. »Ich denke, ich rufe Debbie an.«
»Gute Idee.« Erzähl von deinen Schuldgefühlen. Ich sprühte Reiniger ins Waschbecken und nieste. »Hattet ihr einen schönen Spaziergang, Woofer und du?«
»Er hat jeden Baum markiert, an dem wir vorbeikamen.«
»Guter Junge.«
»Und er wollte nicht mit reinkommen. Er ist in sein Iglu gegangen.«
»Ich bringe ihm gleich ein paar Hundekuchen.«
Marilyn stand in der Türöffnung, als wollte sie etwas sagen, zögerte jedoch.
»Was ist denn?«, fragte ich.
»Ist dir je der Gedanke gekommen, dass Mama eine Naturgewalt ist?«
Ich lachte laut heraus. »Häufig. Jetzt geh deine Schwester anrufen.«
Ich war gerade dabei, eine Ladung Wäsche aus dem Korb zu nehmen, als sie hereinkam, um mir zu sagen, dass sie zu Debbie hinüberfahre.
»Ist alles okay?«, fragte ich.
Tränen traten ihr in die Augen. »Ich bin einfach durcheinander.«
Ich ließ die Wäsche fallen und umarmte sie. Zum Teufel, ich wäre auch durcheinander, wenn ich auf dem Weg in eine Kinderwunschklinik wäre, um mit einem Baby schwanger zu werden, das ich allein großziehen müsste und über dessen Vater ich nichts wüsste. Ich würde für Charles Boudreau optieren, ob ich nun mit ihm zusammenleben könnte oder nicht. Vielleicht würde ihr Debbie das auch erzählen. Andererseits hatte Debbie die süßesten Zwillinge der Welt von der Samenbank der Universitätsklinik bekommen.
»Nun, du musst dich heute ja zu nichts verpflichten.«
»Stimmt.« Sie schniefte aber nach wie vor, als sie ging.
Ich stellte die Waschmaschine an und ging hinaus, um Woofer seine Leckerei zu geben. Der Himmel wurde heller. Bis zum Nachmittag würde die Sonne wahrscheinlich herauskommen. Hoffentlich würde es in der Nacht nicht so kalt, dass die Pfirsiche erfrören. Da müssen wir uns jedes Jahr Sorgen machen. Die meisten Menschen halten Georgia für den Pfirsich-Staat, aber der Pfirsich ist eines der wichtigsten Agrarerzeugnisse in Alabama. Frost im späten März, und alles ist kaputt.
»Patricia Anne?«, rief Mitzi über den Zaun. »Möchtest du mit mir Mittag essen gehen?«
»In den Club?«
»Wir sehen uns in einer Stunde.«
Der Club befindet sich auf dem Red Mountain und bietet die beste Aussicht im gesamten Bundesstaat. Vom Speisesaal blickt man auf der einen Seite auf das Jones Valley und auf Birmingham, auf der anderen kann man bis zu den Shades und Double Oak Mountains sehen. Dort hatten Debbie und Henry ihre Hochzeit gefeiert, und ein Hubschrauber war auf der Terrasse gelandet, um sie in ihre Flitterwochen zu fliegen. Dort hatten sich auch Haley und Philip kennengelernt. Als Mitzi und ich an unserem Tisch Platz nahmen, fiel mir ein, dass ich an diesem Morgen meine E-Mails noch nicht gecheckt hatte.
»Nur noch ein paar Wochen, und Haley ist wieder zu Hause«, sagte ich. »Ein paar Wochen.«
»Ob sie wohl schon schwanger aussieht?«
»Wahrscheinlich ein kleines Bäuchlein.«
Der Kellner servierte unser Essen. Man befindet sich im Süden, wenn selbst das eleganteste Lokal in der Stadt Grünkohl auf der Speisekarte hat. Mitzi und ich hatten beide welchen bestellt.
»Ich habe heute früh Marilyn Woofer Gassi führen sehen«, sagte Mitzi, ihre Gabel über dem Grünkohl balancierend. »Ist sie wegen einer Besprechung oder etwas Ähnlichem hier?«
»Einer Besprechung.« Nun, das war nicht unbedingt eine Lüge.
»Sie ist eine so schöne Frau.«
Ich pflichtete ihr bei und wechselte dann das Thema, indem ich sie fragte, ob sie am Morgen die Zeitung gelesen habe.
Sie hatte. »Ist es nicht unglaublich, dass dieser Mooncloth Russe war?«
»Mary Alice sagt, er müsse ein Spion sein, da es keinerlei Grund für einen russischen Balletttänzer gäbe, in Birmingham zu sein.«
Mitzi blickte verblüfft drein. »Warum sollte ein russischer Spion hier sein?«
»Gott weiß, warum. Das ist nur eins von Schwesterherzens Hirngespinsten.«
»Schreibt sie immer noch Geschichten?«
»Eine wurde sogar angenommen. Ich dachte, ich hätte dir das gesagt.«
»Nein. Das ist ja wundervoll.«
Das Essen war gut, meine Gesellschaft ebenfalls. Ich war entspannt und amüsierte mich, als mich ein »Hallo ihr« hochblicken ließ. Bernice Armstrong stand an unserem Tisch.
»Hallo, Bernice«, sagten Mitzi und ich gleichzeitig.
»Ich dachte doch, dass ihr das seid«, sagte Bernice. »Day und ich haben zusammen Mittag gegessen. Sie musste wieder zur Arbeit zurück, und ich habe ihr gesagt, dass ich noch auf einen Schwatz bei euch haltmachen würde.«
»Nimm Platz«, sagte Mitzi.
»Nur für eine Minute.« Bernice nahm sich einen Stuhl und setzte sich. In ihrer Jugend war Bernice eines der hübschesten Mädchen von Birmingham gewesen. Groß und apart, ist sie auch Mitte sechzig immer noch schön. Ihr Haar ist jetzt weiß anstatt blond und umschließt modisch geschnitten ihre Ohren. Sie trug einen schlichten blauen Hosenanzug, und ihr Make-up war perfekt. Ich erinnerte mich daran, wie sehr Mary Alice sie gehasst hatte, als sie zusammen auf der Schule waren. Mit einem Blick auf ihre perfekte Haut (diese Frau hatte nicht einen Altersflecken auf ihrer Hand, Himmel noch mal), konnte ich verstehen, warum. Selbst ihr Schal war kunstvoll gebunden, etwas, das Hass auslösen musste. Einen Schal so zu binden, dass er richtig saß, ist, soweit es mich betrifft, unmöglich.
»Wie geht es euch?«, fragte sie.
»Gut«, antworteten wir im Chor.
»Ist Dusk noch hier?«, fragte ich. »Wir haben sie neulich abends im Alabama Theatre tanzen sehen. Sie ist sehr gut, Bernice.«
»Ihr wart da? Ist es nicht schrecklich, was da passiert ist?«
Wir nickten.
»Dusk konnte es nicht fassen. Sie liegt seither im Bett, die Arme. Ich habe versucht, sie dazu zu überreden, mit Day und mir zum Mittagessen zu kommen, aber sie sagte, sie fühle sich nicht danach. Übermorgen soll sie wieder nach New York zurück. Ich hoffe, sie ist dazu in der Lage.«
»Er war in einer Klasse mit Dusk?«
»Nicht wirklich. Ich glaube, er war mit einer ihrer Freundinnen in der Tanzklasse zusammen und ist manchmal gekommen, um mit ihnen zu tanzen.«
»Die Zeitung sagt, er sei ein wirklich herausragender Tänzer gewesen«, sagte Mitzi.
»Scheint so.« Bernice wedelte mit dem Finger in Richtung eines der vorbeigehenden Kellner. »Könnte ich bitte einen Kaffee haben?« Sie wandte sich wieder uns zu. »Day hat ihn tanzen sehen, als sie in New York war. Sie sagt, er ist der Beste.« Kurzes Zögern. »War der Beste.«
»Und niemand hat eine Idee, warum er in Elvis-Montur in Birmingham war?«, fragte ich.
»Gott, nein.« Bernice’ Kaffee kam, und sie griff nach der Kaffeesahne. »Sie sagen, es sei die verrückteste Geschichte, die sie je gehört hätten. Er war Russe, wisst ihr.«
»Sicher war er wegen irgendetwas anderem als der Elvis-Imitation hier«, bot ich als Erklärung an. »Er hatte für den nächsten Tag einen Termin mit Debbie vereinbart, weil sie ihm bei irgendeiner Angelegenheit behilflich sein sollte – eine Verabredung, die er offenkundig nicht einhielt.«
Bernice runzelte die Stirn. »Mary Alice’ Tochter Debbie? Die Anwältin?«
Ich nickte. »Sie hatte aber keine Ahnung, worum es ging.«
»Nun, ich denke, das tut jetzt auch nicht mehr viel zur Sache.« Bernice zuckte leicht mit den Schultern. »Wie geht es euren Männern?«
»Gut.«
»Ich habe gehört, dass auf Arthur geschossen wurde, ihm aber nichts passiert ist.«
»Er konnte ein paar Wochen nicht sitzen.«
»Mama?« Day Armstrong kam an den Tisch. Groß, schlank und blond, wie sie war, ähnelte sie ihrer Mutter. Marilyn hatte gesagt, Debbie sei eine Schulkameradin von Day gewesen, was sie Mitte dreißig sein ließ. Sie sah zehn Jahre jünger aus.
Bernice blickte alarmiert auf. »Ist etwas passiert?«
»Dusk hat mich, als ich gerade in mein Auto stieg, auf meinem Mobiltelefon angerufen. Sie sagt, es gehe ihr schrecklich.«
»Du meine Güte. Ich habe mir schon Vorwürfe gemacht, dass ich sie allein gelassen habe. Sie war zu ruhig. Hat sie Einzelheiten genannt?«
»Nur, dass sie krank ist.« Day wandte sich an uns. »Hallo, die Damen.«
Wir nickten. Bernice nahm ihre Tasche, die seitlich an ihrem Stuhl hing, und stand auf. »Warum hat sie mich nicht angerufen?«
»Sie sagt, sie hat es versucht.«
»Ich wette, ich habe dieses verdammte Ding nicht angeschaltet. Okay, geh du zurück zu deiner Arbeit, mein Schatz. Ich geh nach ihr schauen und gebe dir Bescheid. Wiedersehen zusammen.«
»Gib uns auch Bescheid, Bernice«, sagte Mitzi.
Sie nickte. »Bye, ihr beiden.« Sie eilte zusammen mit Day hinaus.
»Es tut nichts zur Sache, wie alt die Kinder sind, stimmt’s?«, sagte Mitzi.
»Nein. Auch in dreißig Jahren noch wird Haley in Panik verfallen, wenn etwas mit Joanna nicht in Ordnung ist.«
Wir lächelten einander an.
»Möchtest du noch eine Orangen-Hefeschnecke?«, fragte Mitzi.
»Ich teile mir eine mit dir.«
E-Mail
Von: Haley
An: Mama und Papa
Betreff: Glücklich. Glücklich.
Stellt euch vor, das ist eine meiner letzten E-Mails
aus Warschau. Wir fliegen mit KLM nach Atlanta und dann mit Delta
nach Birmingham. Der Flug kommt dort gerade rechtzeitig zum
Abendessen an, und ich wünsche mir Fried Chicken,
Buttermilchbrötchen und Milk Gravy. Ich weiß, das ist schrecklich,
aber mir läuft schon das Wasser im Munde
zusammen. Die morgendliche Übelkeit macht mir nicht so viel aus,
Mama. Aber offenkundig habe ich schon vier Kilo
zugelegt.
Wir haben immer noch eine Menge zu packen und müssen
uns noch von vielen Freunden verabschieden. Hier gibt es so viel,
das ich liebe und vermissen werde. Aber ich werde ZU HAUSE
sein!
Ich habe Freddie und Alan wegen des Babys gemailt, und
sie haben beide geantwortet, dass du sie angerufen hast und wie
sehr sie sich für uns freuen. Vielleicht bringt das ja Freddie auch
auf Gedanken.
Ich muss los. Denkt einfach nur April.
Ich habe euch lieb,
Haley
Da war noch eine weitere E-Mail. Amerikas »beste Hausfrau« Martha Steward und ich waren gute Freunde geworden, seit ich mich auf ihrer Webseite registriert hatte. Ich bekomme nette Mitteilungen im Plauderton über ihre großen Ausstechförmchen und nistende Porzellanhasen. Als ich als Lehrerin in den Ruhestand ging, schenkte mir Schwesterherz ein Abonnement von Martha Stewarts »Living«, weil sie meinte, das würde meinen Appetit anregen und mich vielleicht ein paar Kilo zunehmen lassen.
Nun, ich muss Martha zugestehen, dass die Bilder meinen Appetit anregten. Aber für Fred war die Grenze erreicht, als ich ihm eine Kopfsalat-Kräuter-Suppe servierte. Er erklärte, dass Männer keinen gekochten Salat äßen. Ich fand eigentlich, dass die Suppe richtig schmackhaft war.
Heute erzählte mir Martha, welchen Spaß Kinder hätten, wenn sie mit Stiften auf Fenster malen dürften. Die Farben ließen sich auch ganz leicht mit Fensterreiniger wieder entfernen. Ha!
Da ich den Computer schon einmal angeschaltet hatte, schaute ich nach, ob Griffin Mooncloth eine Webseite hatte. Nein. Ich klickte auf das New York City Ballet. Er war aufgeführt, aber nicht als einer der Solotänzer. Hmmm.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb drei. Marilyn würde jetzt in der Uniklinik sein. Was sie ihr wohl sagen und wie sie sich wohl entscheiden würde? Ich fragte mich, ob es Dusk Armstrong wieder gut ging und wer Griffin Mooncloth umgebracht hatte und warum. Und ich stellte mir die Frage, ob es nachts frieren würde und der Frost die Pfirsichernte ruinieren würde.
Das Einzige, was ich tun konnte, war, ein Mittagschläfchen zu machen, was ich tat. Muffin lag zusammengerollt neben mir auf dem Sofa, und die Nachmittagssonne drang dämmrig durch das Küchenfenster.