8

Während ich draußen mit Woofer Gassi ging, rief Marilyn an und hinterließ eine Nachricht, dass alles okay sei und sie mich später über die Details informieren würde. Sie würde auswärts essen, ich solle mir keine Sorgen machen. Sie wisse, wo der Schlüssel sei.

Es wurde eiskalt draußen, und die Wolken hingen wieder tiefer. Wenn nicht März gewesen wäre, hätte ich geschworen, dass es gleich anfangen würde zu schneien. Ich brachte Woofer nach drinnen, und er legte sich sofort in den Luftstrom der Heizung. Muffin war wie immer entzückt, ihn im Haus zu haben. Sie rieb sich in inniger Zuneigung an ihm, und er nahm mit einem Seufzer ihre Aufmerksamkeit hin.

Ich schaltete die Frühnachrichten an, um den Wetterbericht zu hören. Ein Grad heute Nacht mit Rundumbewölkung, die die durchziehende Kaltfront hinterlassen hatte. Kein Niederschlag. All diese ausgedehnten grünen Flächen auf dem Radarschirm waren Virga, wie der Wetterfrosch erklärte, Niederschläge, die verdunsteten, bevor sie den Boden erreichten.

Ich dachte darüber nach, ein heißes Schaumbad zu nehmen, als das Telefon klingelte.

»Bring Knoblauchbrot mit«, sagte Schwesterherz und legte auf.

Fred kam durch die Hintertür, küsste mich auf den Nacken und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank.

»Es soll aber nicht schneien, oder?«, fragte er.

»Dem Wetteransager zufolge nicht. Hattest du einen guten Tag?«

»Ja. Ist Marilyn wieder weg?«

»Sie isst auswärts zu Abend. Und wir bekommen Steaks bei Schwesterherz. Vergiss nicht, dass meine Schwester nicht weiß, dass Marilyn hier ist.«

»Ich weiß nichts. Bringt Henry die Vorspeise mit?«

»Wahrscheinlich.«

Henry Lamont, Debbies Mann, ist Chefkoch in einem der feinsten Countryclubs von Birmingham. Fred ist so begeistert von seiner Küche, dass er wahrscheinlich seine Flinte gezogen hätte, wenn Henry Debbie keinen Heiratsantrag gemacht hätte.

»Gut.« Er nahm einen Schluck von seinem Bier. »Hast du noch mal was von Haley gehört?«

»Wir haben eine E-Mail bekommen. Ich habe sie ausgedruckt und mit dem Rest der Post auf den Schreibtisch gelegt.«

»Gutes Mädchen.« Er gab mir einen Klaps auf mein Hinterteil.

Ich versetzte ihm einen leichten Schlag auf das seine und warf einen Blick in den Tiefkühlschrank, um zu sehen, ob wir noch eine Stange Knoblauchbrot hatten.

Es standen bereits drei Autos in Mary Alice’ kreisförmiger Auffahrt, und Lichter schimmerten in allen Erdgeschossfenstern.

»Sieht aus wie eine richtige Party«, sagte Fred. »Ich dachte, es ginge um ein kleines Familienessen.«

»Virgils Kinder und Debbie und Henry. Wir werden allmählich eine ziemlich große Familie.« Ich stieg aus dem Auto und blickte bewundernd auf das Haus, das meiner Meinung nach eines der schönsten in Birmingham ist. Schwesterherz wollte immer ein Haus haben wie Tara aus ›Vom Winde verweht‹, mit Säulen und Veranda. Aber dieses Haus entsprach ganz seiner Umgebung, massiv und elegant, wie es war.

Etwas Feuchtes streifte mein Gesicht. Ich streckte die Hand aus und blickte ins Licht der Veranda. »Fred, ich glaube, es schneit.«

»Das kann kein Schnee sein. Die Temperaturen liegen weit über dem Gefrierpunkt.«

Ich war mir nicht so sicher.

Schwesterherz öffnete die Tür, noch bevor wir klopften. Sie hatte einen lilafarbenen Samtanzug an, und das Verandalicht ließ ihr Haar goldener erscheinen als gewöhnlich. Oder vielleicht hatte sie heute einen Ausflug zu Delta Hairlines gemacht. Sie streckte die Hand aus. »Hast du das Knoblauchbrot?«

»Und auch dir einen schönen guten Abend, liebe Schwägerin. Welche Freude, dich zu treffen. Und du siehst großartig aus.« Fred reichte ihr die Tüte. »Wir haben bei Piggly Wiggly haltgemacht und zwei Stangen gekauft.«

»Blödmann.« Sie nahm die Tüte und eilte damit den Flur hinunter. »Kommt rein«, rief sie über die Schulter hinweg.

»Die Gastfreundschaft des Südens«, sagte Fred. »Darf ich dir deinen Mantel abnehmen, meine Liebe?«

»Ja, darfst du, mein Lieber, und dann nehme ich dir deinen ab.« Wir grinsten einander an. Ich hängte die Mäntel in den Flurschrank, und dann gingen wir nach hinten ins Wohnzimmer.

Fünf Menschen waren vor dem Kaminfeuer versammelt: Debbie, Tammy Sue und ein Mädchen, das wir noch nicht kannten, saßen auf dem Sofa, während Larry Ludmiller und Buddy Stuckey mit dem Rücken zum Kamin standen. Larry trug ein kariertes Hemd und kakifarbene Hosen, und sein schwarzes Haar war zurückgekämmt, was dem Elvis-Look abträglich war. Buddy hingegen hatte einen schwarzen Rollkragenpullover und schwarze Jeans an. Sein Haar war im Elvis-Stil frisiert, und seine vollen Lippen kräuselten sich verächtlich auf einer Seite, als er uns begrüßte. Elvis höchstselbst hätte es nicht besser machen können.

Debbie stand auf, umarmte uns und stellte uns vor. Das Mädchen war Olivia Ludmiller, Larrys Schwester. Olivia war dünn und blass, und es schien ihr egal zu sein, ob sie unsere Bekanntschaft machte oder nicht. Sie sagte »Hallo« und beschäftigte sich dann wieder mit ihren Fingernägeln.

»Wo ist Henry?«, fragte Fred. Der Himmel bewahre, dass Henry und sein Essen nicht da wären.

»Er kommt ein bisschen später. Ich habe aber die Vorspeisen schon mitgebracht, Onkel Fred.« Debbie zeigte auf einen Spieltisch in der Ecke des Raumes. »Ich habe Mama geholfen und vergessen, sie hier rüberzustellen.«

»Ich hole sie«, bot Fred an. Ich hoffte, die Teller waren voll.

»Ich geh vielleicht besser in die Küche und schaue, was ich helfen kann«, sagte ich.

»Wer wirklich Hilfe braucht, ist Daddy.« Tammy Sue deutete auf die Terrasse, wo eine warm eingepackte Gestalt über einen Grill gebeugt stand.

»Ich habe sie ihm angeboten«, sagte Buddy.

Fred stellte einen Teller mit »Feuerradpastetchen«, wie er sie nannte, auf den Couchtisch, nahm sich zwei davon und ging zur Fenstertür. »Ist das Virgil da draußen?«

»Mister Macho persönlich.« Buddy klang etwas unwirsch, was ihm einen strengen Blick von Tammy Sue einhandelte.

»Zum Teufel noch mal, es schneit.« Fred stopfte sich beide Pastetchen in den Mund, öffnete die Tür und trat hinaus zu Virgil. In diesem Moment kam Tiffany, die patente Putzfee, aus der Küche. Tiffany arbeitete eigentlich für einen Reinigungsservice, aber sie verbrachte mehr und mehr von ihrer Zeit bei Mary Alice. Am heutigen Abend trug sie rote Caprihosen und einen rot-weiß gestreiften Pullover. Ihr blondes Haar war zu einem französischen Zopf geflochten. Tiffany ist dreiundzwanzig. Muss ich noch mehr sagen?

»Ich nehme Getränkebestellungen entgegen«, verkündete sie, während sowohl Larry als auch Buddy Haltung annahmen. »Hallo, Mrs Hollowell, ich weiß, dass Sie eine Cola wollen, und Sie auch, Debbie, weil Sie noch stillen. Bruderherz. Aber was ist mit dem Rest von Ihnen?«

»Habt ihr Wodka hier?«, fragte Buddy.

Tiffany warf ihm einen Sie-machen-wohl-Scherze-Blick zu. »Wir haben alles, Bud.«

»Buddy«, korrigierte er sie.

»Er möchte ihn mit Orangensaft«, sagte Olivia, ihr Territorium markierend.

»Larry ebenso«, sagte Tammy Sue. »Ich hätte gern Weißwein.«

Tiffany lächelte. »Wir haben massenhaft Bier da. Sind Sie sicher, dass Sie nicht lieber das mögen? Leichtes natürlich.«

Debbie und ich blickten einander an. Das würde ein langer Abend werden.

»Mary Alice und Daddy haben uns von der Hochzeit erzählt«, sagte Tammy Sue, nachdem Olivia auch für Weißwein optiert hatte. »Das kommt wirklich schnell, oder? Sie haben sich doch erst vor ein paar Monaten kennengelernt.«

Deshalb also versteckte sich Mary Alice in der Küche und fror Virgil draußen auf der Veranda. Tammy Sue hatte den Neuigkeiten erwartungsvoll entgegenblickt, aber als sie sie erfahren hatte, waren sie bei ihr nicht gut angekommen.

Tammy Sue wandte sich an Debbie. »Was meinst du dazu?«

»Ich denke, es ist okay. Auf dem Elmwood-Friedhof ist noch Platz für weitere drei Ehemänner.«

»Nein, das stimmt nicht«, sagte ich. »Fred und mir wurden zwei der Grabstellen angeboten, und wir haben das Angebot angenommen.«

»Was?« Tammy Sue ließ ihren Blick von mir zu Debbie schweifen, um festzustellen, ob wir es ernst meinten.

»Alle Ehemänner von Mama sind nebeneinander auf dem Elmwood-Friedhof begraben«, erklärte Debbie in süßlichem Ton. »Mein Vater war der zweite.«

»Alle?« Tammy Sue kaute an ihrer Nagelhaut.

»Es sind nur drei.«

Tammy Sue blickte so erschrocken, dass ich Mitleid mit ihr bekam. »Sie waren alle sehr viel älter als Schwesterherz«, erklärte ich.

Tiffany kam mit den Drinks herein, und dann kreisten die Horsd’œuvres. »Mrs Crane lässt Ihnen bestellen, dass wir essen, sobald Henry hier ist. Er hat gerade angerufen und gesagt, es dauere noch etwa eine halbe Stunde.«

»Wir müssen nicht auf Henry warten«, sagte Debbie. »Die Steaks werden sonst kalt.« Sie deutete auf Fred und Virgil draußen auf der Veranda.

Tiffany bot mir ein Feuerradpastetchen an. »Die Steaks sind noch gar nicht drauf. Sheriff Stuckey heizt nur den Grill an.«

Herrgott noch mal. Virgil konnte sich ja von mir aus eine Lungenentzündung holen, wenn er wollte, aber nicht Fred. Ich stellte meine Cola auf den Couchtisch und ging raus auf die Veranda, um Fred zu sagen, dass er sofort reinkommen solle. Die beiden Männer standen dicht beieinander über den offenen Grill gebeugt.

»Larry sagte, er habe nicht erkennen können, ob es ein Mann oder eine Frau war«, sagte Virgil.

Fred blickte hoch und sah mich. »Hallo, Schatz. Virgil hat mir gerade erzählt, dass Larry einen Blick auf die Person erhaschen konnte, die diesen russischen Typen erstochen hat. Das einzige Problem ist, dass Larry nahezu blind ist ohne seine Brille.«

»Hallo, Patricia Anne.« Die Kapuze von Virgils Jacke war unter seinem Kinn zusammengebunden und ließ sein Gesicht so rund aussehen wie das eines Babys.

»Kommt mal rein, ihr beiden. Es ist eiskalt hier draußen. Ihr könntet diese Steaks auch in der Küche braten, wisst ihr.«

Virgil machte den Grill zu. »Ich denke, das sollten wir besser. Was macht Mary Alice?«

»Ich weiß nicht. Sie ist noch nicht wieder aus der Küche aufgetaucht.«

Virgil seufzte. »Ich gehe mal besser nach ihr schauen.«

»Hattet ihr Streit?«, fragte mein taktvoller Fred.

»Ich bin mir nicht sicher. Wir haben meinen Kindern gesagt, sie sollten ein wenig früher kommen, damit wir ihnen erzählen konnten, dass wir heiraten wollen und welche Pläne wir haben. Sie meinten, dass sie das für keine gute Idee hielten, woraufhin Mary Alice sagte: ›Pech gehabt!‹, oder irgendetwas in der Art, woraufhin Buddy entgegnete, dass sie wohl besser wieder gehen würden, und ich erwiderte: ›Zum Teufel, nein. Ich habe sechzig Dollar für diese Steaks ausgegeben. Ihr esst die, und wenn sie euch im Halse stecken bleiben.‹ Woraufhin Mary Alice in die Küche ging und sagte, ich hätte nicht für sie Partei ergriffen.«

»Na, das klingt ja nach großartigen Steaks«, sagte Fred. Ich warf ihm einen bitterbösen Blick zu.

»Ja«, pflichtete ihm Virgil bei.

»Ich schau mal nach Mary Alice«, sagte ich. »Kommt rein ans Feuer. Was möchtest du trinken, Virgil? Fred will ein Bier, das weiß ich.«

»Irgendwas.« Virgil wirkte dankbar. »Finde heraus, wie sauer sie ist und was ich falsch gemacht habe. Machst du das, Patricia Anne?«

»Das will ich sehen«, sagte Fred, der eindeutig sein Glück herausforderte.

Mary Alice stand am Tresen der Kücheninsel und streute Schinkenspeck über eine große Schüssel Spinatsalat, als ich hereinkam.

»Wehe, du sagst was«, sagte sie. »Ich habe es satt, nett und zuvorkommend zu sein.«

»Gott bewahre.« Ich blieb am Tresen stehen und tätschelte Kater Bubba, der auf seinem Heizkissen schlief. Ich hob eines seiner Beine ein wenig hoch und ließ es fallen. Er öffnete ein Auge und blitzte mich an. Gut, er lebte noch. Irgendwann einmal wird dieser Kater in den verdienten Katzenhimmel entschweben, und es wird tagelang niemand merken.

Tiffany kam herein, warf uns einen Blick zu und verschwand wieder im Esszimmer.

»Ich habe vor drei Ehemännern den Kotau gemacht.« Schwesterherz trat an die Spüle und drehte das Wasser auf. »Jetzt ist Schluss damit. Ich muss vor niemandem katzbuckeln, schon gar nicht vor jemandem, der keine Partei für mich ergreift.«

Die Vorstellung, dass Mary Alice vor irgendeinem ihrer Ehemänner den Kotau gemacht hatte, war lächerlich. Sie musste nur mit dem Finger schnipsen, und alle hatten nach ihrer Pfeife getanzt. Jetzt schien aber nicht der richtige Moment, um mit ihr zu streiten.

Sie seifte sich wie wild die Hände ab. »Wer will denn überhaupt die Stiefmutter von Elvis sein? Das ist doch einfach nur billig.«

Da hatte sie nicht ganz unrecht.

»Und dann tun sie so, als habe ihr Vater seinen Verstand verloren, weil er mich heiraten will.«

»Nun, es war ein Schock für sie. Tammy Sue machte doch letztens abends im Alabama Theatre einen richtig netten Eindruck. Wie habt ihr ihnen denn die Nachrichten beigebracht?«

Schwesterherz riss ein Papierhandtuch von dem Halter, um ihre Hände zu trocknen. »Sie kamen rein, und Virgil sagte irgendwas wie: ›Kinder, der liebe Gott hielt es für angebracht, Mary Alice und ich zusammenzubringen, und wir denken, das Beste, was wir tun können, ist, das Ganze zu legalisieren.‹«

»Mary Alice und mich«, korrigierte ich.

Schwesterherz blickte mich stirnrunzelnd an. »Bleib mir mit diesem Lehrerinnenscheiß weg, Maus.«

»Nun, er sollte eigentlich wissen, wann man ›ich‹ und wann man ›mich‹ sagt.«

»Er hätte das Ganze besser formulieren können, wenn du mich fragst. Und sie haben mich alle angeschaut, als sei ich ein Riesenkäfer oder so, und dieser Elvis-Knabe sagte sogar: ›Du machst Witze. Ich halte das für keine gute Idee, Daddy.‹« Sie verdrehte das Küchenhandtuch, als wäre es ein Hühnerhals. »Dieser Pissaffe.«

»Was hat Virgil daraufhin gesagt?«

»Er sagte: ›Nun kommt mal alle rein. Wir reden darüber.‹ Er hat nicht gesagt: ›Leckt mich, das ist unsere Angelegenheit und nicht eure.‹« Sie haute so fest auf den Küchentresen, dass Bubba sich tatsächlich bewegte. »Himmel, ich wünschte, Mama hätte uns nicht beigebracht, so höflich zu sein. Und weißt du, was ich manchmal auch gern hätte?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Du wirst es nicht glauben, aber manchmal wünschte ich mir, wir wären Yankees, Maus. Ein richtiger Yankee hätte sie mit reinem Gewissen einfach aus dem Haus geworfen, und zwar mit Schmackes.«

»Hat Virgil sonst noch etwas zu ihnen gesagt? Dass er dich liebt zum Beispiel, und nicht nur, dass Gott möchte, dass ihr die Beziehung legalisiert?«

»Ich weiß nicht, was er gesagt hat. Ich bin in die Küche gegangen.« Sie lehnte sich gegen den Tresen. »Und diese Olivia Ludmiller mit ihren Lackschuhen – und das deutlich nach 17 Uhr. Hast du das bemerkt, Maus?«

Ich hatte.

»Dann kam Virgil hereingeschlichen und sagte, er wolle den Grill auf der Veranda anzünden, und ich sagte ›Prima‹ und reichte ihm die Streichhölzer. Ich machte keine Anstalten, ihm zu sagen, dass es hier drin einen wunderbaren Grill gibt. Lass ihn doch frieren.« Ein leichtes Lächeln trat auf das Gesicht von Schwesterherz. »Was läuft denn so im Wohnzimmer?«

»Debbie und Tiffany halten sich wacker. Und ich sage es dir ungern, aber ich habe Virgil und Fred gebeten, nach drinnen zu kommen. Ich glaube, es fallen sogar ein paar Flocken Schnee.«

»Das ist in Ordnung.« Schwesterherz straffte ihre Schultern. »Ich gehe jetzt da rein und spiele die korrekte Gastgeberin. Erinnerst du dich noch an Glenn Close in dieser Serie, in der sie, wie ich meine, eine Frau aus New England spielte?«

»Ich glaube nicht. Warum?«

»Das ist dieser Typus Yankee, von dem ich gesprochen habe. Sie hat sich keine Narrheiten gefallen lassen.« Schwesterherz machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sie hätte aber was mit ihren Haaren machen müssen. Sie sah gut aus in ›Eine verhängnisvolle Affäre‹, als es lockig war.«

Meine Gastgeberin schwebte aus dem Raum.

Die Dinnerparty verlief angesichts der Umstände besser, als ich erwartet hatte. Wir aßen am Tisch, aber Mary Alice gestaltete das Ganze ungezwungen. Sie hatte pfirsichfarbene Platzdeckchen und ihr Alltagsgeschirr gewählt.

»Ich habe die Tischdekoration in der Mitte gemacht«, flüsterte Tiffany, während sie eine in Folie gewickelte Kartoffel auf meinen Teller legte.

»Sie ist wundervoll«, sagte ich. Und das stimmte. Sie hatte einen Korb mit Gartenblumen gefüllt, Begonien und Fleißige Lieschen, die man jetzt in allen Supermärkten bekam und die von Optimisten gekauft wurden, die glaubten, der Winter sei vorbei.

»Ich pflanze sie in ein paar Wochen ein.« Sie ging hinüber zu Fred.

»Setzt euch, wohin ihr wollt«, hatte Schwesterherz gesagt, und wir hatten uns wie gegnerische Teams angeordnet. Larry, Tammy, Sue, Buddy und Olivia saßen auf der einen Seite, Henry, Debby, Fred und ich auf der anderen. Mary Alice setzte sich an den Kopf und Virgil ans Ende des Tisches. Henry, der gerade erst gekommen war, hatte als Einziger keine Ahnung von den Spannungen, die in der Luft lagen.

Ich hatte Henry auf der Highschool im Englisch-Leistungskurs unterrichtet, und um die Wahrheit zu sagen, er war mein Lieblingsschüler gewesen. Gescheit, ein begabter Schreiber, ein wunderbarer Koch – sein Eintritt in meine Familie hatte mich gefreut.

»Ich habe gehört, Haley und Philip kommen in ein paar Wochen zurück«, sagte er, während er mir die Butter reichte. »Debby meint, dass wir alle zum Flughafen fahren, um sie abzuholen.«

»Ich hoffe, sie wird nicht so dick wie ich mit Bruderherz«, sagte Debbie. »Und bei den Zwillingen erst, o mein Gott.«

Sauerrahm und Butter wurden herumgereicht. Larry und Buddy gaben beides auf ihre Kartoffeln. Tammy Sue entschied sich für die saure Sahne, und Olivia rümpfte über beides die Nase. Niemand hatte irgendetwas gesagt, seit wir uns gesetzt hatten.

»Buddy ist ein Elvis-Imitator, Henry«, erklärte Mary Alice.

Henry kicherte. »Dachte ich’s doch, dass du mir bekannt vorkommst.«

Buddy kräuselte verächtlich die Lippen.

»Hey, das ist gut.« Henry nahm ein Stück von dem Knoblauchbrot und reichte den Korb weiter. »Warst du neulich abends im Alabama Theatre, als dieser Russe umgebracht wurde?«

»Ich stand direkt neben ihm.« Buddy deutete auf Larry. »Er stand auf der anderen Seite.«

»Wir hatten keine Ahnung, was mit ihm los war«, fügte Larry hinzu. »Er wurde nur immer schwerer und schwerer.«

»Da wette ich drauf.« Henry wandte sich an Debbie. »Iss deinen Salat, Liebling. Du hast ihn nötig.«

Ich blickte hinüber zu Tammy Sue. Sie trug heute ein rosafarbenes Outfit: Flanellhosen mit passendem Pullover. Sie sah sehr hübsch aus, aber das Sprühende, das sie am ersten Abend unserer Begegnung an sich gehabt hatte, war verflogen. Sie wirkte traurig, gedämpft. Und im Theater hatte sie noch gesagt, dass ihr Vater jemanden brauche. Warum nahm sie es so schwer? Mary Alice war ein verdammt guter Fang. Er hätte sich eine Frau in Tiffanys Alter angeln können.

Was Fred wahrscheinlich tun würde. Ich drehte mich zu ihm hin. Er war gerade dabei, sich ein Stück Steak in den Mund zu schaufeln. Ich versetzte ihm einen Tritt gegen das Schienbein, und seine Augen weiteten sich.

»Was?«, fragte er mich mit vollem Mund.

»Benimm dich einfach.«

Er nickte.

»Woher hatte er deiner Meinung nach die Elvis-Kluft?«, fragte Henry.

»Das ist das Einzige, was ich beantworten kann«, sagte Larry. »Wir lassen unsere Sachen alle im selben Geschäft in Southside reinigen. Die Dame dort gewährt uns Rabatt, damit sie die Dinger ins Fenster hängen kann. Sie sagt, das zöge eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Jedenfalls, als Bud McCracken anrief und sagte, er fühle sich nicht gut, antwortete ich ihm, dass ich seinen Anzug abholen würde und er direkt ins Alabama kommen könne. Es war der von Bud.«

»Der ist jetzt hinüber«, sagte Olivia und ließ uns mit dieser Bemerkung zusammenzucken, ihre erste, seit wir im Esszimmer waren. »Absolut hinüber.« Sie schlürfte mit dünnem Lächeln ihren Wein. Ich blickte von ihr zu Buddy Stuckey. Okay, er sah seltsam aus mit seinem Elvis-Look und seiner verächtlich geschürzten Lippe, aber ich hatte den Eindruck, dass er Spaß daran hatte. Olivia war auf ungute Weise seltsam. Waren sie wirklich ein Paar?

»Lasst uns das Thema wechseln«, sagte Virgil. »Mary Alice soll erzählen, welche Pläne wir für unsere Hochzeitsreise haben.«

»Wir mieten uns ein Wohnmobil und fahren durch den Westen«, sagte Mary Alice.

Die Nachricht stieß auf Schweigen. Virgil blickte seine Kinder ängstlich an. Schließlich fragte Tammy Sue: »Fahrt ihr durch Biloxi? Eine Freundin von mir hat dort neulich Abend 1300 Dollar im Casino gewonnen.«

»Womit?«, wollte Mary Alice wissen.

»An einem Münzautomaten. Sie sagte, es seien keine Klingeln losgegangen, aber die Lichter hätten geblinkt.«

Der Bann war gebrochen. Wir entspannten uns und begannen unser Essen zu genießen. Buddy überraschte diejenigen, die ihn nicht gut kannten, mit witzigen Anekdoten aus seinem Leben als Elvis-Imitator. Am absonderlichsten war, so erzählte er, dass er einmal gebeten worden sei, die Beisetzung für einen begeisterten Elvis-Fan zu übernehmen.

»Er hat es nicht gemacht«, kicherte Tammy Sue. »Er hat dem Mann mitgeteilt, dass das illegal sei.«

Wir alle lachten, mit Ausnahme von Olivia, die nur ein vages Lächeln andeutete.

Das Telefon läutete, und Tiffany nahm in der Küche den Hörer ab.

Sie steckte den Kopf durch die Tür und rief: »Es ist für Sie, Sheriff.«

»Verdammt.« Virgil stand auf, kam aber unverzüglich wieder. »Ich muss weg. Wir haben eine Geiselnahme in Springville. Irgendein Typ mit seiner Exfrau und deren neuem Freund.« Er kam um den Tisch herum und küsste Mary Alice auf die Wange. »Sorry, Süße, aber ich bin nach wie vor Sheriff.«

»Ich weiß. Sei vorsichtig.«

»Sei vorsichtig, Daddy«, wiederholte Tammy Sue.

Er gab ihr ebenfalls einen Kuss. »Sei brav.«

»Werde ich sein.«

Mary Alice schob ihren Stuhl nach hinten. »Ich geh mit dir zur Tür.«

Alles schwieg, als sie draußen waren. Dann sagte Henry, der Gute: »Wir haben zwei Desserts: Schokoladenkuchen und Himbeertörtchen. Wer möchte was?«

»Ich möchte beides.« Der gute alte Fred.