10
Zum Glück saß ich in einem der Korbsessel, die Bonnie Blue in der Ecke des Verkaufsraumes für Begleitpersonen von Kunden platziert hat. Ich glitt daher nur zu Boden, als sich das Zimmer um mich herum drehte. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich völlig das Bewusstsein verlor, weil ich Miss Bessie »Patricia Anne?« sagen und dann »Mary Alice!« schreien hörte. Ich erinnere mich daran, wie Bonnie Blue meine Füße anhob und auf den Korbsessel legte, auf dem Miss Bessie gesessen hatte, und dass Schwesterherz mir mit einem kalten Waschlappen über das Gesicht fuhr.
»Ich rufe den Notarzt«, hörte ich Bonnie Blue sagen.
Das brachte mich wieder auf die Beine. »Nein«, sagte ich und versuchte, die Übelkeit bekämpfend, mich wieder aufzusetzen. »Es ist alles in Ordnung mit mir.«
»Was ist passiert?«, fragte Schwesterherz.
Miss Bessie antwortete. »Sie hat nur komisch dreingeschaut, sagte, ich solle Bo Mitchell anrufen, und fiel aus dem Sessel.«
»Bo Mitchell? Das ist eine Polizistin.« Bonnie Blue rieb meine Beine, als hätte ich Erfrierungen.
»Sie ist verwirrt«, sagte Schwesterherz. »Wir sollten besser die Ambulanz rufen. Vielleicht eine Reaktion auf das chinesische Essen.« Sie drückte mir den Waschlappen an den Hals. Die Kühle fühlte sich gut an. »Kannst du atmen, Maus? Du hast aber keinen Herzinfarkt, oder? Schmerzen in der Brust?«
»Schwesterherz«, sagte ich. »Ich brauche Bo.«
»Versuche bloß nicht, dich aufzusetzen«, sagte Bonnie Blue und hielt meine Füße auf dem Korbsessel fest.
»Aber hört zu, in meiner Tasche liegt ein Schnappmesser.«
Bonnie Blue hielt mich nun eher noch fester. »Und in meiner ist eine Pistole, aber deswegen lasse ich dich dennoch nicht aufsitzen.«
»Haben Sie sie dabei, Bonnie Blue?« Miss Bessie wirkte erfreut. »Ich hatte sie immer mit. Verdammt, war das ein Spaß.«
Spaß? Miss Bessie und eine Pistole, das war eigentlich nicht vorstellbar.
Schwesterherz beugte sich über mich. »Was meinst du damit, dass du ein Schnappmesser in deiner Tasche hast?«
»Da ist eins.«
Sie nahm meine Handtasche hoch und drehte sie um. Lippenstifte, Kämme, Portemonnaie und Kassenzettel kamen zum Vorschein. Und mit einem dumpfen Geräusch fiel ein Schnappmesser zu Boden. Fünfzehn Zentimeter lang, mit einem braunen, geriffelten Elfenbeingriff und einer kleinen goldenen Krone am Verschluss. Schwesterherz hob es auf, drückte auf den Verschluss, und die Klinge schnitt mir fast in den Arm.
»Verdammt!« Ich fuhr zurück und befreite mich mit zappelnden Füßen aus Bonnie Blues Zugriff. Dabei prallten meine Beine auf den Boden und erschütterten den ganzen Körper. »Sei vorsichtig mit dem Ding.«
»Du lieber Himmel«, sagte Schwesterherz mit einem ehrfurchtsvollen Blick auf das Messer. Bonnie Blue, Miss Bessie und ich sahen es uns ebenfalls an. »Es ist rostig«, stellte Schwesterherz fest.
Bonnie Blue streckte ihre Hand aus. »Lass mich das sehen.« Schwesterherz händigte ihr das Messer vorsichtig aus, und sie hielt es ans Fenster und betrachtete es aufmerksam. »Das ist so sicher wie nur etwas Blut. Kein Rost.«
Ich hatte, kaum dass ich das Messer gesehen hatte, gewusst, woher das Blut kam und wofür das Messer benutzt worden war. Aber wie zum Teufel war es in meine Tasche geraten? Das Zimmer drehte sich wieder um mich herum, aber ich schloss die Augen und zwang mich, ruhig zu bleiben.
»Wir sollten besser Bo anrufen«, sagte Schwesterherz.
Einstein hatte recht mit seiner Relativität der Zeit. Ich verbürge mich für den alten Knaben. Die zwanzig Minuten, die wir auf Bo warteten, dauerten vier Stunden. Vicki Parker, Bonnie Blues Assistentin, war, kaum dass wir hereinspaziert waren, in die Mittagspause gegangen, weshalb Bonnie Blue einer Kundin helfen musste, die passende Garderobe für den Museumsball auszusuchen. Schwesterherz, Miss Bessie und ich saßen dicht zusammengedrängt im Empfangsraum, Schwesterherz und Miss Bessie in den Korbsesseln und ich halb ausgestreckt auf dem Zweiersofa. Ich fühlte mich besser. Mir war nicht mehr so, als würde ich gleich noch einmal in Ohnmacht fallen oder mich übergeben müssen, aber hin und wieder überlief es mich kalt. Das Messer befand sich wieder in meiner Tasche, die am Ende des Sofas lag. Es war mir sehr bewusst, dass es da drinlag.
»Nein, meine Liebe, das Beige ist nicht das Richtige«, sagte Bonnie Blue zu ihrer Kundin. »Alle werden dort Beige oder Schwarz tragen. Lassen Sie mich Ihnen das smaragdfarbene zeigen, das wir da hinten haben. Es ist bis zum Bauchnabel dekolletiert, aber Sie haben die Figur dafür.«
»Ich glaube, ich hatte mal ein tief dekolletiertes smaragdgrünes Kleid«, sagte Miss Bessie, während sie sich durch die Löcher in ihrem Hut mit einer Häkelnadel kratzte, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte. Ich wünschte, das wäre alles, was in meiner Tasche läge.
Schwesterherz stand auf und ging zu dem Spiegelglasfenster, von dem aus man die Twentieth Street überblicken konnte. »Ich hoffe, Bo beeilt sich«, sagte sie. Und dann zu mir: »Du weißt, dass wir hier voreilige Schlüsse ziehen.«
»Welche voreiligen Schlüsse ziehen wir?«, wollte Miss Bessie wissen.
»Dass dies das Messer ist, mit dem der russische Spion im Alabama Theatre neulich abends umgebracht wurde.« Sie drehte sich zurück zum Fenster.
»Ich habe nicht voreilig diesen Schluss gezogen«, sagte Miss Bessie. »Es dürfte Hunderttausende Schnappmesser in Birmingham geben. Und jedes davon hätte in Patricia Annes Handtasche landen können.«
Hunderttausende? Mein Gott. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu konzentrieren. Das Erste, was Bo mich fragen würde, wäre, wo ich meine Tasche hatte stehen lassen und jemandem die Gelegenheit gegeben hatte, etwas hineinfallen zu lassen. Im Hunan Hut? Dort hatte sie an meinem Stuhl gehangen. Aber die ganze Zeit über war mindestens eine von uns am Tisch gewesen. Bei der Engelseher-Gesellschaft? Die Tasche hatte zu meinen Füßen auf dem Boden gestanden, Schwesterherz hatte neben mir gesessen und auf der anderen Seite von mir eine Frau, die sich als Pastorin der Unitarischen Kirche vorgestellt hatte. Nicht wahrscheinlich. Gestern Abend bei Schwesterherz? Da hatte sie auf einem Stuhl an dem Spieltisch mit den Snacks gelegen. Völlig unbeobachtet. Ich hatte sie erst beim Gehen wieder an mich genommen und sie nicht mehr geöffnet, bis ich mich im Hunan Hut zum Zahlen bereit machte.
Ich fröstelte erneut. Sicher nicht. Vielleicht, ja vielleicht zog ich einfach, wie Schwesterherz sagte, voreilige Schlüsse.
»Da kommen sie«, verkündete meine Schwester.
Die Glocke über der Tür ertönte fröhlich, als Bo und Joanie Salk hereinkamen. Joanie ist erst seit ein paar Monaten Bos Partnerin, und die beiden könnten sich nicht weniger ähneln. Joanie ist groß, blond und lässt Fünfe gerade sein, während Bo klein und schwarz ist und die Tendenz zum Perfektionismus hat. Bos Ehrgeiz ist es, eines Tages Polizeichefin zu sein, und die Chancen dafür stehen nicht schlecht.
Sie entdeckte uns und kam zu uns herüber. Joanie hatte einen Lolli im Mund, den sie jetzt herauszog, in sein Originalpapier einwickelte und in ihre Hosentasche steckte.
»Sie denkt, sie ist Kojak«, sagte Bo.
Joanie lächelte. »Ich bin abhängig von diesen Dum-Dum-Root-Beer-Lutschern.«
Miss Bessie schüttelte den Kopf. »Man darf nur nicht auf ihnen herumkauen. Alle meine Kinder haben Dum Dums gekaut. Waren dann beim Zahnarzt. Haben mich wahnsinnig gemacht.«
»Nein, Ma’am. Das mache ich nicht.«
»Eis genauso. Sie haben das Eis gekaut.«
»Sie haben angerufen?«, fragte Bo, während sie sich auf das Zweiersofa neben mich setzte. »Was ist los?«
Ich griff in meine Handtasche, zog das Schnappmesser heraus und drückte auf die Krone. Die Klinge fuhr heraus.
Bo fuhr erschrocken zurück.
»Uh, das ist eklig«, sagte Joanie. »Wo haben Sie das denn her, Mrs Hollowell?«
»Ich fand es in meiner Handtasche. Ich habe im Hunan Hut nach meiner Kreditkarte gesucht und dabei etwas Metallenes gefühlt. Als wir hier waren, habe ich nachgesehen, und das war es.«
»Sie ist in tiefe Ohnmacht gefallen«, fügte Schwesterherz hinzu und lehnte sich vor, um Joanie beobachten zu können, die sich vor mir hingekniet hatte, um das Messer in Augenschein zu nehmen. »Hat vielleicht nicht ihr Eisen genommen.«
Bonnie Blue verabschiedete sich von ihrer Kundin, die mit einem Kleidersack in der Hand davonging. Die Frau schaute neugierig zu uns herüber, als sie aus der Tür trat. Dann gesellte sich Bonnie Blue zu uns. »Da ist Blut dran.«
»Sie denken, es gehört einem russischen Spion«, sagte Miss Bessie.
Bo und Joanie blickten einander verdutzt an.
»Diesem russischen Spion, der neulich Abend im Alabama Theatre ermordet wurde«, erklärte Schwesterherz. »Wir saßen in der ersten Reihe. Ich denke, als er stürzte, hätte das Messer gut und gern in der Tasche von Maus landen können.«
Ich versuchte mir das Szenario vorzustellen: Der Mann fiel in den Orchestergraben mit einem Messer im Rücken, das sich dann irgendjemand gefischt und durch die Luft geschleudert hatte, damit es in meiner Tasche landete, die verschlossen auf dem Boden unter meinem Sitz stand.
»Dieser Mooncloth«, fragte Bo, »war ein russischer Spion?«
»Laut dem, was ich gehört habe«, sagte Schwesterherz.
Bo nahm mir vorsichtig das Messer ab und klappte die Klinge wieder ein. »Ich nehme an, ihr alle habt einen Blick auf das Ding geworfen und es herumgereicht.«
Wir nickten.
Bo reichte es Joanie. »Steck es trotzdem in einen Beutel.«
Joanie griff in die große schwarze Ledertasche, die an ihrer Schulter hing, zog einen Plastikbeutel heraus und ließ das Messer hineinfallen.
»Und es ist einfach so in Ihrer Tasche aufgetaucht, Patricia Anne?« Bo stand auf.
Ich nickte. »Ich habe es schon im Hunan Hut ertastet, wusste aber nicht, was es war.«
»Nun, wir sehen mal, was wir herausfinden. Gehen Sie jetzt nach Hause und ruhen Sie sich aus.«
»Und nehmen Sie Ihr Eisen, Mrs Hollowell.« Joanie langte in ihrer Hosentasche nach dem Lolli.
Die Glocke ertönte, als sie rausgingen.
»Na, das hat aber nicht lange gedauert«, sagte Bonnie Blue. »Ich denke, das war es jetzt auch«, fügte Miss Bessie hinzu.
Natürlich wussten wir es alle besser.
Auf dem Heimweg fragte mich Schwesterherz, ob ich nicht beim Arzt vorbeischauen wolle. »Du siehst immer noch spitz aus im Gesicht«, sagte sie.
Ich sagte Nein, ich hätte nur Kopfschmerzen. Was stimmte. Dazu kamen die Halsschmerzen, mit denen ich seit ein paar Tagen kämpfte.
Wir fuhren ein paar Minuten lang stumm die von Bäumen gesäumten Straßen entlang. Das Grün der frischen Blätter hob sich von den dunkleren Magnolien und Pinien ab. Etliche Leute arbeiteten in ihren Gärten; ein Mann verpasste seinem Gras den ersten Schnitt in diesem Jahr. Und vergangene Nacht waren ein paar Schneeflocken gefallen. Frühling.
»Tut mir leid wegen Marilyn.«
»Das ist okay. Sie hat mir erzählt, dass sie dich gebeten hat, mir nichts von ihrer Anwesenheit zu erzählen.«
Ich warf einen Blick hinüber zu Schwesterherz. Sie war sehr verständnisvoll. Ich musste aussehen wie eine wandelnde Leiche auf Urlaub.
»Hat sie dir von Charles Boudreau erzählt?«
Ich nickte. »Sie hat erzählt, dass sie auf keinen Fall mit ihm zusammenleben könnte.«
»Ich denke, zusammenzuleben war nicht das, was er im Sinn hatte.« Schwesterherz wich einem Schlagloch aus und fuhr dabei fast in einen Pick-up. »Aus dem Weg, du Idiot!«, brüllte sie den unglückseligen Fahrer an. »Hast du das gesehen? Er hätte uns fast gerammt.«
Ich schloss die Augen und versuchte mich auf mein Mantra zu besinnen.
»Er stammt aus einem einwandfreien Genpool. Sein Großvater oder Urgroßvater, ich weiß nicht mehr, welcher, war Gouverneur von Louisiana.«
»Hmmm.«
»Marilyn macht vielleicht wirklich einen Fehler. Besser den Spatz in der Hand.«
»Als die Taube auf dem Dach in der Uniklinik?« Mein Herz stockte. Ich konnte mein Haus sehen.
»Du weißt, was ich meine. Mach dir keine Gedanken wegen des Abendessens heute«, fuhr sie fort. »Ich bringe um halb sieben was rüber. Dann kommt doch ›Glücksrad‹, oder?«
Ich klappte die Sonnenblende herunter, sah mich im Spiegel an und kniff mir in die Wangen. Keine Kandidatin für Miss America, aber ich sah auch nicht aus, als würde ich gleich durch die Himmelpforte treten.
Schwesterherz bog in meine Auffahrt und hielt an. »Ich weiß, dass du ganz aufgelöst bist wegen der Mordwaffe, die in deiner Tasche gefunden wurde, Maus, aber wir besorgen dir die besten Anwälte von Birmingham. Debbie wird wissen, welche das sind.«
»Was?«
»Kein Grund zur Sorge. Jetzt aber, wie sieht es mit ein paar netten Lachskroketten zum Abendessen aus? Möchtest du Dillsauce dazu?« Sie drückte einen Knopf, um die Tür zu öffnen.
»Was?«, fragte ich noch einmal dümmlich. Wie waren wir von Charles Boudreaus Genpool auf meine drohende Verhaftung wegen Mordes gekommen?
»Also Dill. Hüpf raus, damit ich noch ein paar Anrufe tätigen kann.«
Die Mordwaffe? Die besten Anwälte in der Stadt? Wie war das mit den voreiligen Schlüssen?
Ich hüpfte nicht aus dem Auto, sondern wankte eher. Mitzi winkte mir aus ihrem Garten zu, und ich strebte auf sie zu, als sei sie ein Leuchtfeuer des gesunden Menschenverstandes.
»Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe«, sagte Mitzi. »Zunächst einmal weiß niemand, ob es sich um das Messer handelt, das diesen Mooncloth getötet hat. Und selbst wenn es das ist – du hast in der ersten Reihe des Theaters gesessen mit hundert Leuten um dich herum, die schwören können, dass du da warst. Mary Alice sollte dir nicht solche Angst einflößen.«
Ich saß auf dem Sofa, ein Thermometer im Mund. »Und?«, fragte ich.
Mitzi blickte auf ihre Uhr. »Okay.«
Ich nahm das Thermometer heraus. 38,3˚. Verdammt. Ich war wirklich krank, und ich hatte die Symptome meiner Aufregung über Marilyn und dem Mord an Griffin Mooncloth zugeschrieben. Für die Ohnmacht hatte ich das Schnappmesser verantwortlich gemacht.
Mitzi nahm das Thermometer und warf einen Blick darauf. »Okay. Wir rufen den Arzt, Mädchen. Ich wusste, als ich deinen Arm hielt, dass du Fieber hast.«
»Ich nehme einfach ein Aspirin. Dann geht’s mir schon besser.«
Mitzi schüttelte den Kopf. »Du hast mir vorgestern schon erzählt, dass du dich nicht gut fühlst. Du hast mich deine Augen inspizieren lassen.«
Ich rieb die Beule an meinem Kopf, die fast gänzlich verschwunden war.
»Das ist nicht das Problem«, sagte Mitzi, meine Geste bemerkend. »Und du solltest besser danach schauen lassen. Du willst nur niemanden bloßstellen.«
Als hätte ich nicht schon hundert Menschen oder so bloßgestellt. Ich griff nach dem Telefon, um den Arzt anzurufen.
»Ich fahre dich«, bot Mitzi sich an.
»Ich habe es nur mit der Nebenhöhle«, sagte ich.
Was natürlich stimmte. Aufgrund der hohen Pollendichte und dazu noch der Feuchtigkeit und des Temperaturwechsels schnieft sich die halbe Bevölkerung von Birmingham jedes Jahr durch den Frühling. Für uns ist das keine Sinusitis, es ist ganz einfach die Nebenhöhle. Haleys Mann, Philip, ist HNO-Arzt, ein Grund dafür, dass Fred in höchstem Maße begeistert über die Heirat war. Kostenlose Behandlung, wenn man es mit der Nebenhöhle hatte. Man stelle sich das vor.
Aber die kostenlose Behandlung war noch ein paar Wochen entfernt, weshalb es unsere Hausärztin war, die mich nach einem schnellen Streptokokkentest, der negativ war, darüber informierte, dass ich Nasennebenhöhlenkatarrh hatte.
»Ich werde nicht lange ansteckend sein, oder?«
»Wahrscheinlich sind Sie noch gar nicht ansteckend.« Sie reichte mir ein paar Arznei-Musterpackungen und ein Rezept. »Damit sind Sie auf der sicheren Seite.«
»Alles, worüber ich mir jetzt noch Sorgen machen muss, ist, wegen Mordes angeklagt zu werden«, sagte ich zu Mitzi auf der Heimfahrt.
»Erzähl mir die ganze Geschichte noch mal«, sagte Mitzi, was ich dann auch tat.
Ich fing an mit Dusk Armstrong und endete mit der Dinnerparty am Abend zuvor mit Virgils Familie.
»Einer davon muss das Messer in deine Tasche getan haben, richtig?«
»Das liegt nahe. Sie stand die ganze Zeit auf dem Spieltisch.« Ich dachte einen Moment lang nach. »Ich vermute, es war Larry Ludmiller. Der stand direkt neben diesem Mooncloth in der Reihe der Tänzer.«
Mitzi hielt an einer Ampel an. »Aber was für ein Motiv sollte er gehabt haben?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich denke, es ist Sache der Polizei, das herauszufinden.«
»Aber es ist doch interessant, oder, dass dieser Russe einen Termin mit Debbie hatte. Warum von allen Anwälten in Birmingham ausgerechnet Debbie?«
»Vielleicht hatte er ihren Namen aus dem Telefonbuch?«
»Wie wahrscheinlich ist das denn, Patricia Anne?«
»Das ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen.«
»Also lass uns besser sagen, jemand hat sie empfohlen. Wer ist das wohl gewesen?«
»Allen in Virgils Familie sind ihr Name und die Tatsache, dass sie Anwältin ist, geläufig.« Ich dachte einen Moment lang nach. »Mit Ausnahme von Larrys Schwester. Sie weiß es wahrscheinlich nicht.« Ich seufzte. »Mir ist der Gedanke aber zuwider, dass jemand aus Virgils Familie etwas damit zu tun haben könnte.«
»Mary Alice geht es sicher genauso.«
Ich pflichtete ihr bei. »Virgil scheint der netteste Mann auf der ganzen Welt zu sein, aber sie kennt ihn erst seit ein paar Monaten. Sicher wird ihr allmählich klar, dass es vieles gibt, was sie von ihm nicht weiß.«
Wir blickten einander an und grinsten. Ich fragte mich, wie viel Virgil wohl von Schwesterherzens Hochzeitsplänen wusste.
Mitzi bog in ihre Auffahrt ab. »Warum schlüpfst du nicht in dein Nachthemd und kriechst ins Bett? Ich geh für dich mit Woofer spazieren.«
Das war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Ich nahm, wie verordnet, zwei von den Tabletten, die mir die Ärztin gegeben hatte, machte mir eine Tasse heißen Tee und zog mein Nachthemd und einen Morgenrock an. Ich hatte mich gerade auf dem Sofa niedergelassen, als das Telefon läutete.
»Tante Pat?« Es war die Stimme von Marilyn. »Ist alles in Ordnung?«
»Ich habe es mit der Nebenhöhle. Bin gerade zurück von der Ärztin.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Aber falls du wissen willst, ob deine Mutter mit mir spricht, ja.«
»Gut. Wann kommen Haley und Philip nach Hause?«
»Am 1. April.«
»Da komme ich dann auch.«
»Sie werden unter Jetlag leiden.«
»Ich möchte sie nur sehen.«
»Okay, mein Schatz. Ich denke, das ist eine großartige Idee.«
»Schau, dass es dir besser geht, Tante Pat, und danke, dass du mich ertragen hast.«
»Das mache ich, Süße, und du bist jederzeit herzlich willkommen. Das weißt du.«
»Ja. Bye, Tante Pat.«
Ich legte den Hörer auf und dachte über meine drei Kinder und die drei von Schwesterherz nach, die alle in den mittleren bis späten Dreißigern waren. Mit Ausnahme von meinem Alan hatten sie das Heiraten und Kinderkriegen bis vor Kurzem vor sich hergeschoben. Als ich in Marilyns Alter war, hatte ich bereits einen Sohn, der auf dem College war, dicht gefolgt von zwei Geschwistern im Teenager-Alter.
Ich zog eine Wolldecke über mich und kraulte Muffin zwischen den Ohren, während ich mich daran erinnerte, wie alt ich mich damals gefühlt hatte. An meinem vierzigsten Geburtstag wusste ich, dass Schluss war mit Kindern. Und meine Nichten und meine Tochter begannen jetzt erst mit der Familienplanung. Welcher Weg war der bessere?
»Ich behalte dich«, flüsterte ich Muffin zu.
Und dann schlief ich.