7. Kapitel

Dreihundertzehn.

Mit ölverschmierten Händen hockte Stefan vornüber gebeugt hinter dem Lenkrad des Käfers und philosophierte über den Sinn des Lebens. Immer wieder blickte er auf die Armbanduhr. Dreihundertelf.

Die Zeit schien nicht zu vergehen. Stefan überlegte, ob er die Strecke zum Loh nicht besser zu Fuß zurücklegen sollte, entschied sich aber dagegen. Heike war sicherlich längst dort und fragte den Leuten Löcher in den Bauch. Das konnte sie gut, und immerhin war das ihr Job. Wenn er jetzt aufkreuzte, würde sie denken, er wolle ihr die Butter vom Brot stehlen.

Inzwischen glaubte der Reporter, einen feinen Brandruch in der Nase zu spüren, den der Wind herüberfegte. Wieder ein Blick auf die Armbanduhr. Der Mann vom ADAC ließ sich verdammt viel Zeit.

Mit einem Stöhnen auf den Lippen schaltete er das Autoradio ein. Wenigstens das funktionierte noch. Es war halb: Zeit für die Lokalnachrichten.

»... dass der Schwebebahnverkehr ruht«, klang Jordans sachliche Stimme aus den Lautsprechern. »Vor Ort befindet sich meine Kollegin Heike Göbel. Heike, wie ist die derzeitige Lage?«

»Hier am Loh bietet sich den Passanten ein chaotisches Bild«, hörte Stefan ihre durch das Telefon verzerrte Stimme. »Die Straße ist wegen der Löschfahrzeuge gesperrt, doch die Feuerwehrleute haben den Brand bereits unter Kontrolle. Es gab nach Auskunft des Einsatzleiters, Brandmeister Hartmut Schulze, zwei leicht Verletzte, die mit Rauchvergiftungen ins Klinikum Barmen gebracht werden mussten. Die Station Loh wird wahrscheinlich für einige Zeit nicht angefahren werden können, da die Aufräum- und Reparaturarbeiten mehrere Tage in Anspruch nehmen werden. Die Polizei schließt Brandstiftung nicht aus. Das war Heike Göbel live vom Loh für Lokal im Tal.«

»Wir werden Sie natürlich unterrichten, sobald die Loher Straße wieder passierbar ist und die Schwebebahn den Dienst aufnehmen wird«, schloss der Nachrichtensprecher. »Der Verkehrsausschuss unserer Stadt wird sich heute zu einer Sitzung im Barmer Rathaus ...«

Stefan schaltete das Radio ab, er hatte genug gehört. ›Die Polizei schließt Brandstiftung nicht aus‹, hallte es in ihm nach. Es wurde Zeit, dass der Mann vom ADAC auftauchte!

*

Heike zuckte zusammen, als hinter ihr Reifen quietschten. Das Motorengeräusch kam ihr bekannt vor. Unverwechselbar handelte es sich um einen Käfer. Stefan war ihr also nachgekommen. Wann begriff er endlich, dass sie selbstständig arbeiten konnte? Einmal mehr verfluchte sie den Beschützerinstinkt, den offensichtlich alle Männer mit sich herumtrugen.

Mit einem beherzten Sprung auf den Bürgersteig brachte sie sich in Sicherheit. Hinter ihrem roten Twingo fand sie Deckung. Sie fuhr auf dem Absatz herum und hob den Finger, um ihrem Kollegen einen Vogel zu zeigen und ihn für seinen rüpelhaften Fahrstil zu rügen. Sie setzte zu einer Schimpfkanonade an, als sie bemerkte, dass es sich gar nicht um Stefan Seilers Käfer handelte, der da angerauscht kam. Verwundert ließ sie die bereits erhobene Hand sinken.

Der Kamikazefahrer stieg aus seinem Käfer aus und blickte verwirrt zur Schwebebahnstation Loher Brücke hinüber. Die Feuerwehrleute hatten ihre Gerätschaften bereits in den Fahrzeugen verstaut. Der Brand war gelöscht, und nur eine Brandwache würde in den nächsten Stunden Zurückbleiben, um mögliche Schwelbrände sofort zu bekämpfen. Schon jetzt tummelten sich Sachverständige, Bedienstete der Stadtwerke und Polizisten am Schauplatz. Heike hatte kurz mit Brandmeister Schulze gesprochen, doch dieser konnte nicht mehr sagen als vor einer guten Stunde. Brandstiftung wurde nicht ausgeschlossen. Alles andere würden die Ermittlungen ergeben. Für eine Reporterin gab es hier nichts mehr zu tun, und so hatte sie in die Redaktion der Wupperwelle zurückfahren wollen, als sie um ein Haar von diesem wahnsinnigen Käferpiloten überrollt worden war. Es war ihr ein Rätsel, wie er die Sperrung der Polizei überwunden haben mochte. Noch immer stand ein Polizist an der großen Kreuzung zur Wartburgstraße und regelte den Verkehr.

»Was ist denn hier los?« Ein Bär von Mann mit einem dichten Vollbart stieg aus dem Käfer und gestikulierte wild herum.

Heike bedachte den Fahrer mit einem vernichtenden Blick.

»Nur ein Brand, guter Mann, nur ein kleines Feuer. Wenn ich nicht eine hervorragende Reaktion gehabt hätte, wäre noch ein Verkehrsunfall wegen rowdyhafter Fahrweise hinzugekommen. Ich könnte jetzt unter ihrer Karre liegen, Mann!« Heikes Stimme überschlug sich.

»Nix für ungut, liebe Frau«, entschuldigte der Bär sich. »Ich bin etwas in Eile, muss zur Arbeit. Und da sehe ich die ganzen Feuerwehrwagen auf der Straße querstehen.« Er grinste unter seinem Vollbart. »Zwischen dem ganzen Tohuwabohu habe ich Sie wohl übersehen. Können Sie mir noch mal verzeihen?« Er umrundete seinen Käfer und näherte sich Heike.

Ihr erster Zorn war verflogen, und auch ihr Herzschlag normalisierte sich. »Dann haben Sie wohl auch die Straßensperre übersehen, was?«

Er blickte sich um und runzelte die hohe Stirn. »Tatsächlich. Shit happens. Soll Vorkommen.«

»Blödmann«, murmelte Heike, während sie in ihren Twingo stieg und den Motor startete.