28
Atlantik
Noch ehe Chase die Augen aufschlug, erkannte er am rhythmischen Schaukeln, dass er sich an Bord eines Schiffes befand.
Außerdem merkte er, dass jemand bei ihm war. »Hallo, Sophia«, stöhnte er.
»Ich bin schon wieder beeindruckt«, sagte Sophia, als er, noch ganz benommen von den Nachwirkungen des Betäubungspfeils, die verklebten Augenlider öffnete. Sie stand einen Meter entfernt und sah auf ihn nieder. Er versuchte, sich aufzurichten, musste aber feststellen, dass seine Arme mit Handschellen an ein Rohr gefesselt waren. »Wie hast du mich bemerkt?«
»An deinem Parfüm. Chanel war schon immer deine Lieblingsmarke.«
»Hmm.« Sophia stampfte mit dem Stiefelabsatz aufs Deck. »Übrigens, willkommen an Bord der Ocean Emperor. Die habe ich von René geerbt. Schade, dass ich mich nicht lange werde daran erfreuen können, aber das Geschäft geht nun einmal vor.«
Chase gefiel ihr Tonfall nicht. »Wo ist die Bombe?«
»Ganz in der Nähe. Keine Sorge. Bald wirst du ihr sehr viel näher kommen.«
Das gefiel ihm noch weniger. »Worum geht es eigentlich, Sophia? Was hast du mit der Bombe vor? Wozu das alles?«
Sie zog ihre perfekt geformten Augenbrauen in die Höhe. »Eigentlich wollte ich die Fragen stellen. Wer hat dir geholfen, aus Algerien rauszukommen? Du kannst es mir ruhig sagen – selbst dir sollte inzwischen klar sein, dass mich niemand mehr aufhalten kann.«
Chase führte den rechten Arm um das Rohr herum und sah auf die Uhr. Es ging auf zwei Uhr morgens zu – also waren es noch knapp sieben Stunden bis zur geplanten Zündung der Bombe. »Doch, es ist noch massig Zeit.«
Sophia seufzte. »Der alte Dickkopf … bis zuletzt. Glaub mir, Eddie, Joe hat das Rohr gecheckt, bevor er dich daran gefesselt hat. Das sitzt felsenfest. Um dich loszumachen, müsstest du dir schon die eigene Hand abnagen. Also, wer hat dir geholfen?«
Statt zu antworten, packte er das Rohr und zerrte daran. Sophia hatte nicht gelogen, es ließ sich nicht bewegen und klapperte nicht einmal. Frustriert ließ Chase sich zu Boden sinken. »Der Tote, den ihr in dem Raum mit den Speeren zurückgelassen habt, hatte ein Funkgerät«, sagte er. »Ich habe den MI6 angefunkt.«
Sophia schaute verwirrt drein. »Aber die Reichweite des Funkgeräts war doch viel zu gering … Oh, ich verstehe. Einer von Macs kleinen Tricks, nehme ich an. Aber du hast offensichtlich keine Unterstützung von ganz oben bekommen, sonst wäre man bereits tätig geworden.«
»Das kann immer noch passieren.«
»Nein, dazu wird es nicht kommen.« Sie schritt langsam um ihn herum, auf den Lippen den Anflug eines Siegerlächelns. »Du hast etwas außer Acht gelassen, Eddie – ich kenne dich. Täuschung gehört nicht zu deinen Stärken.«
»Im Unterschied zu dir«, entgegnete Chase.
»Jedenfalls ist das eine nützliche Gabe. Keiner meiner Exgatten hat bemerkt, dass ich ihn nur für meine Zwecke benutzt habe. Das gilt übrigens auch für dich.«
»Und was bezweckst du? Ich habe dir gesagt, was du wissen wolltest, jetzt bist du an der Reihe – das bist du mir schuldig.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Ich schulde dir gar nichts.«
»Nur dein Leben.«
Obwohl sie es zu verbergen suchte, bekam Chase mit, dass er einen wunden Nerv getroffen hatte. Sophia vollendete ihren Kreisgang und machte Anstalten, den Frachtraum zu verlassen, dann wandte sie sich um. »Also gut, wenn du es wirklich wissen willst, dann sag ich’s dir. Das ist nur recht und billig, denn du bist schließlich mitverantwortlich.«
»Wofür zum Teufel soll ich mitverantwortlich sein?«
Sie ging in die Hocke und sah ihm in die Augen. Bosheit brannte in ihrem Blick. »Deinetwegen, Eddie, hat meine Familie alles verloren. Mir ist nur mein Adelstitel geblieben. Und das ist ganz allein deine Schuld.«
Chase versuchte zu verstehen, was sie meinte, doch es gelang ihm nicht. »Ich kann dir nicht ganz folgen, Soph. Würd’s dir was ausmachen, dich zu erklären?«
»Mein Vater war ganz und gar gegen unsere Heirat.«
»Ja, sicher, das ist mir auch bald klar geworden. Etwa fünf Sekunden nach unserer ersten Begegnung.«
»Nein«, zischte sie. »Du hast ja keine Ahnung. Er hat dich verachtet, in seinen Augen warst du Ungeziefer.«
Chase schnaubte. »Jetzt habe ich wenigstens kein schlechtes Gewissen mehr, weil ich ihm diese billigen Manschetten zu Weihnachten geschenkt habe.«
Sophia fuhr zusammen. »Das ist nicht komisch, Eddie!« Einen Moment lang meinte er, sie wolle ihn treten, doch obwohl er gefesselt war, war sie zu vorsichtig, um sich in die Reichweite seiner Hände oder Füße zu begeben. »Ich hab’s dir nie gesagt, aber in der Zeit unserer Ehe hat Vater mich praktisch verstoßen und mir finanziell den Geldhahn zugedreht. Du hast das nicht mal bemerkt, denn du warst so ans billige Leben gewöhnt, dass dir gar nicht der Gedanke gekommen ist, wie sehr mir das zugesetzt hat.«
»Also geht es darum?«, höhnte Chase. »Um das bedauernswerte reiche Mädchen, dem Papi die Kreditkarten gesperrt hat?«
Abermals sah es so aus, als wollte sie ihn im Zorn schlagen. »Du hast meine Familie und das, was wir getan haben, noch nie verstanden. Unser Geschäft, unser Reichtum, reicht mehrere Generationen in die Vergangenheit zurück und gründet auf Fleiß und unserem guten Ruf. Wir haben ihn uns verdient, wir hatten ein Recht darauf. Aber dann …« Sie verzog angewidert das Gesicht. »Die Welt hat sich gewandelt. Ein guter Ruf und ererbtes Recht zählten auf einmal nichts mehr. Es ging nur noch um Gier, um Geld, um Zahlen, die zwischen Computern ausgetauscht werden. Um der vierteljährlichen Gewinnmitteilung willen wurden ererbte Vermögen vernichtet.«
»Vermögen wie das deines Vaters, meinst du wohl.«
»Er war krank!«, rief Sophia. »Er konnte nicht mehr klar denken, deshalb hat er Fehler gemacht. Fehler, zu denen es niemals gekommen wäre, wenn ich ihm zur Seite gestanden hätte! Aber weil ich dich geheiratet hatte, war er zu stolz, mich um Hilfe zu bitten – und als die Schakale der City und der Wall Street auf seine Schwäche aufmerksam wurden, griffen sie erbarmungslos an und vernichteten ihn! Sie stürzten sich auf sein Geschäft, rissen es auseinander und verkauften es stückweise, damit die Banken, die Broker und die Rechtsanwälte es unter sich aufteilen konnten – ohne ihm auch nur einen Heller übrig zu lassen! Sie ließen mir nichts übrig!«
»Und das alles willst du mit der Zündung einer Atombombe wieder richten?«, fragte Chase. »Was zum Teufel willst du damit erreichen?«
»Das kann ich dir genau sagen«, antwortete sie; an die Stelle emotionaler Aufgewühltheit trat nun wieder der Ausdruck berechnender Kälte. »Der Reichtum der Menschen, die meinen Vater vernichtet haben, ist ein Schwindel, eine Illusion, die auf nichts weiter gründet als auf dem Glauben an das Funktionieren ihres Systems. Ich werde diese Illusion erschüttern und das System zu Fall bringen. Mein Ziel ist New York, Eddie.«
»Allmächtiger!«
Sie weidete sich an seiner Bestürzung, dann fuhr sie fort. »Speziell der Finanzdistrikt. Um Viertel vor neun, kurz bevor der Aktienhandel startet, wird die Ocean Emperor sich im East River am Ende der Wall Street befinden. Wenn die Bombe detoniert, wird sie diesen Teil Manhattans dem Erdboden gleichmachen und das Zentrum der globalen Finanzmärkte vernichten. Die Finanzkrise nach dem 9. September war ein Klacks, verglichen mit dem, was heute passieren wird. Der amerikanische Markt wird vollständig kollabieren und die übrigen Aktienmärkte mit nach unten ziehen. All die Menschen, deren Reichtum und Macht auf nichts weiter als auf gutem Glauben gründet, auf Papiere und Zahlen in irgendwelchen Rechnern, all diese Menschen werden alles verlieren. Genau wie mein Vater.«
»Während dir das Gold aus dem Grab des Herkules bleibt«, sagte Chase.
Sophia nickte. »Ich habe bereits ein Team vor Ort, das die Anlage freilegt. Nina hatte vollkommen recht – der Wert des realen Reichtums wird sich nach einem Finanzcrash vervielfachen. Ich werde zurückbekommen, was mir rechtmäßig gehört – den Reichtum meiner Familie und den gesellschaftlichen Status.«
»Und alle anderen sollen verrecken, wie?«, knurrte Chase. »Wenn die Bombe hochgeht, müssen nicht nur weiß Gott wie viele zehntausende von Menschen sterben, sondern Millionen andere werden alles verlieren. Nicht nur die dicken Fische, sondern ganz gewöhnliche Leute.«
»Weshalb sollte mich das scheren?«, sagte Sophia verächtlich. »Das sind kleine Leute. Mit denen habe ich nichts zu schaffen.«
»Und was ist mit mir? Habe ich dir nie mehr bedeutet?«
Sie gab keine Antwort, vermochte ihm aber nicht in die Augen zu sehen.
»Was ist nur mit dir geschehen, Sophia?«, sagte Chase verzweifelt. »Herrgott noch mal, du hast kaltblütig Menschen ermordet, und jetzt willst du eine Atombombe zünden! Wie zum Teufel konnte es so weit mit dir kommen?«
Jetzt endlich sah sie ihn an. »Das habe ich dir zu verdanken, Eddie«, sagte sie. »Und ich bin dir wirklich dankbar dafür. Wenn ich in der Zeit unserer Ehe eine Lektion gelernt habe, dann diese.«
»Welche Lektion? Was zum Henker redest du da?«
Sophia trat näher, jedoch nicht bis in Reichweite seiner Beine, dann ging sie in die Hocke. »Meine Familie war immer mächtig, Eddie, doch es war die Art Macht, die auf Reichtum und Einfluss gründet. Als ich dich kennenlernte, als du mich aus dem Terroristenlager befreit hast … da hast du mir die Augen für eine andere Art Macht geöffnet. Die Macht über Leben und Tod.«
Chase fehlten die Worte; er konnte nur entsetzt zuhören. »Als du die Terroristen des Goldenen Wegs getötet hast, habe ich begriffen, wie man wirklich Macht ausübt. Nämlich durch das entschlossene, unerbittliche Festhalten an einem einmal gesetzten Ziel. Wer diesem Ziel im Wege steht, muss vernichtet werden.«
»Du bist wahnsinnig«, krächzte Chase schließlich. »Ich habe dich gerettet. Ich habe lediglich Menschen getötet, die uns töten wollten.«
»Du kannst dich selbst besser täuschen als mich!«, fauchte Sophia. »Du hattest den Befehl, sie zu vernichten, Eddie. Du solltest sie nicht vertreiben oder gefangen nehmen, sondern auslöschen. Du warst ein Mörder, ein Killer. Du hast nichts dabei empfunden, als du sie erschossen, erstochen oder ihnen die Kehle durchgeschnitten hast. Ich habe dir zugesehen. Das werde ich nie vergessen – denn es hat mich gelehrt, zu werden wie du. Du hast ein Ziel verfolgt, hast Macht ausgeübt. Und genau das tue jetzt ich.«
»Ich habe an einem Militäreinsatz zur Befreiung britischer Bürger aus der Gewalt von Terroristen teilgenommen«, entgegnete Chase. »Was du vorhast, ist Massenmord, dein Motiv persönliches Gewinnstreben und … und kindische Rachegelüste!«
»Red du nur!«, kreischte Sophia wütend und richtete sich auf. »Du hast mich dazu gemacht! Du bist an allem schuld!« Sie fuhr herum und marschierte zur Tür. Ihre Absätze knallten auf dem Boden wie Schüsse. »Joe!«, rief sie. »Bringt sie herein!«
»Tu es nicht, Sophia!«, sagte Chase und richtete sich auf. Die Fesseln ließen ihm nur wenige Schritte Bewegungsfreiheit.
»Meine Entwicklung hat in dem Moment begonnen, als wir uns begegnet sind«, sagte Sophia boshaft. »Da ist es doch nur logisch, dass du auch am Ende zugegen bist.« Komosa und der Nukleartechniker traten hinter ihr mit der Bombe in den Frachtraum. Sophia zeigte zur Seite. »Da drüben.«
Behutsam setzten die beiden Männer die schwere Bombe ab. Komosa hatte etwas geschultert; zunächst glaubte Chase, es sei eine Waffe, dann sah er, dass es sich um ein Bolzenschussgerät handelte. Aus dem offenen Magazin ragten fünfzehn Zentimeter lange Bolzen hervor. Am Fuß der Bombe waren drei Bohrungen angebracht. Komosa setzte das Bolzenschussgerät am ersten Loch an und drückte ab. Mit einem scharfen Knall wurde ein Bolzen in den Decksboden getrieben. Es knallte noch zweimal, dann war die Bombe unverrückbar verankert. Komosa legte das Bolzenschussgerät daneben ab.
Sophia ging zur Bombe und zog den Aktivierungsschlüssel aus der Tasche. Sie steckte ihn ein, dann drehte sie ihn mit einem geringschätzigen Blick auf Chase herum. Das Display leuchtete auf und zeigte den vorprogrammierten Zeitpunkt der Zündung an: 0845. Es fehlte nur noch ein letzter Knopfdruck, dann wurde der Countdown gestartet.
Sieben Stunden, zwei Minuten, siebzehn Sekunden.
Sechzehn Sekunden.
Fünfzehn …
Sophia zog den Schlüssel heraus, doch das Display blieb hell. Die Sekunden rasten vorbei. »Ich glaube, ich geh mal an Deck und schmeiße das Ding ins Meer«, spöttelte sie und hielt den Schlüssel hoch, als sie zur Tür ging. Die beiden Männer folgten ihr. »Übrigens, Eddie, der Timer ist manipulationsgesichert. Falls sich jemand ohne den Schlüssel daran zu schaffen macht, geht die Bombe hoch. Das wollte ich dir nur sagen.«
»Adieu, Chase«, sagte Komosa und ließ sein Diamantlächeln aufblitzen. »Freuen Sie sich aufs nächste Leben.«
Ein letztes Mal fiel die Tür mit einem Rums hinter ihnen ins Schloss.
Chase zerrte am Rohr und trat dagegen, allerdings ohne etwas ausrichten zu können. Als Nächstes zog er die Arme an, sodass die Kette der Handschellen am Rohr anlag, und zog mit aller Kraft. Die Handschellen saßen so eng, dass er die Hände nicht einfach hindurchziehen konnte, und mit jedem Versuch, sich zu befreien, schnitten sie schmerzhaft in sein Fleisch. Blut sickerte darunter hervor.
Doch er gab nicht auf. Er musste es weiter versuchen.
»Wir sind fast da«, übertönte Trulli das unablässige Schrillen des Antriebs. »Glaube ich zumindest.«
Nina hatte zwei Stunden lang verkeilt auf dem Boden gelegen und fühlte sich entsprechend steif und wund. Sie richtete sich ein wenig auf und sah zu Trulli hoch. »Was soll das heißen, du glaubst es?«
»Das Trägheitsnavigationssystem ist nicht so genau wie GPS. Zumal die Fahrt so holperig ist – das führt zu Fehlern. Im schlimmsten Fall könnten wir zehn Kilometer von der berechneten Position entfernt sein.«
Nina berührte ihren Anhänger. »Dann wollen wir auf den günstigsten Fall hoffen. Wie geht es jetzt weiter?«
Trulli las die Instrumente ab. »Also, erst mal muss ich die Superkavitation beenden, ohne dass wir wie eine Kröte von einem Laster zerquetscht werden!«
Nina riss die Augen auf. »Moment mal, sagtest du zerquetscht? Davon war bisher nicht die Rede!«
»Ich bin noch nie so schnell gefahren!«, erklärte Trulli. »Ich kann den Antrieb nicht einfach ausschalten, denn wenn die Schockwelle plötzlich kollabieren würde, wäre das so, als wenn wir gegen eine Wand fahren würden. Ich muss langsam auf eine ungefährliche Geschwindigkeit heruntergehen, bevor ich den Dampf abschalte.« Er nahm verschiedene Einstellungen vor, dann packte er den Gasgriff. »Okay. Ganz sachte …«
Trulli zog den Gashebel zunächst ganz leicht zurück. Nina hatte nicht den Eindruck, dass der Antrieb leiser geworden wäre, doch die Vibration der Wobblebug veränderte sich, und es baute sich eine langsame Seitwärtsbewegung auf.
»Hat das etwas Schlimmes zu bedeuten?«, fragte Nina.
»Ich hoffe nicht!« Trulli bewegte erneut den Gashebel. Diesmal nahm die Tonhöhe des Kreischens ein wenig ab. Die Vibration aber hielt an, die seitliche Schaukelbewegung wurde stärker. »Geschwindigkeit unter dreihundert Knoten. Es funktioniert!«
»Was hat das Schaukeln zu bedeuten?« Nina wurde allmählich seekrank, doch das war eher eine ihrer kleineren Sorgen.
»Keine Ahnung – wir können nur hoffen, dass es von selbst aufhört!« Ein weiterer Zug am Hebel. »Zwei-achtzig, zwei-siebzig … Scheiße, nun komm schon! Zwei-fünfzig …«
Plötzlich ruckte das Heck und brach seitlich aus, als hätte es einen Tritt bekommen. Allerdings wurde es gleich wieder zurückgeschleudert.
Ein weiterer Ruck, und noch einer …
Nina klammerte sich verzweifelt an den Sitz, während sie umhergeschleudert wurde. Trulli kämpfte mit der Steuerung, das Heck schlingerte so heftig wie der Klöppel einer schlagenden Glocke. »Der Schwanz pendelt!«, brüllte er.
»Was?«
»Das Hinterende des U-Boots prallt von der Innenseite der Schockwelle ab! Wenn ich das nicht in den Griff bekomme, bricht die Welle zusammen!«
Trulli bemühte sich, die Wobblebug zu stabilisieren, allerdings zunächst ohne Erfolg: Das U-Boot schlingerte so sehr, dass einem unweigerlich schlecht wurde, und prallte noch ein paarmal gegen den Rand des Dampfwirbels. Erst dann ließ die Bewegung nach.
Trulli nahm noch mehr Gas weg. »Ich glaube, das sollte …«
Zeng!
Etwas löste sich vom Bug und schrammte am Rumpf entlang, bevor es hinter ihnen zurückblieb.
»Was zum Teufel war das?«, schrie Nina.
»Wir haben eine Steuerflosse verloren!« Der Steuerknüppel ruckte in Trullis Händen. »Ich muss es riskieren, dass die Rückströmung zusammenbricht – was auch passiert, halt dich fest!«
Nina hatte keine Ahnung, was Trulli meinte, doch seinem Tonfall nach war der Zusammenbruch der Schockwelle gefährlich. Sie klammerte sich an den Sitz, und Trulli betätigte einen Hebel …
Die Einlassöffnungen am Bug schlossen sich.
Das Kreischen des Antriebs erstarb, als der Wasserzufluss zu den glühend heißen Heizelementen unterbunden wurde. Der letzte superheiße Dampf wurde ausgestoßen – und als der Innendruck jäh abfiel, wurde ein Schwall schäumender Blasen aus dem Inneren der Schockwelle in die Ausströmöffnungen gesaugt.
Da die überschüssige Wärme nicht mehr abgeleitet wurde, war die Temperatur der Heizelemente bereits nach oben geschossen. Der Schaum traf auf das sengend heiße Metall und verwandelte sich augenblicklich in supererhitzten Dampf.
Trulli betätigte erneut den Hebel …
Die Einlassöffnungen sprangen auf, und der sich ausdehnende überhitzte Wasserdampf schoss hindurch, mit der Kraft zweier Dampfjets, welche die vom stumpfen Bug des U-Boots erzeugte Superkavitationswelle durchstießen. Die gestörte Schockwelle brach augenblicklich zusammen, doch die Wobblebug durchstieß die dahinter befindliche Turbulenz, eine Pufferzone, die das Boot abbremste, anstatt es abrupt zum Stehen zu bringen.
Diese Zone allerdings hatte das Boot in weniger als einer Sekunde durchstoßen …
Obwohl er angeschnallt war, wurde Trulli gegen den Steuerknüppel geschleudert, als das U-Boot auf dichtes Meereswasser traf. Hätte Nina sich nicht bis zum Zerreißen der Sehnen festgeklammert, wäre sie mit dem Kopf gegen das vordere Schott geschleudert worden. Etwas löste sich von der Kabinenwand und prallte gegen das Armaturenbrett. Die Anzeigen flackerten, ein Metallteil krachte gegen den Rumpf …
Das U-Boot wurde langsamer.
Trulli keuchte auf vor Schmerz, als er den Steuerknüppel ergreifen wollte. »O Scheiße!«, japste er. »Nina, hilf mir mal, schnell!«
Mit schmerzenden Armen zog Nina sich hoch. »Was ist los?«
Das Gesicht des Australiers war schmerzverzerrt. »Ich glaube, ich habe mir eine Rippe gebrochen! Ich komme nicht an den Steuerknüppel ran – zieh ihn zurück, damit die Heizelemente deaktiviert werden!«
Nina tat eilig wie geheißen. Das Zischen des Dampfes erstarb, die Vibrationen legten sich. Es wurde still in der Wobblebug.
»Danke!«, keuchte Trulli. »Also, wir sind zum Stillstand gekommen, und wir sind mehr oder weniger heil geblieben. Das ist doch schon mal was.« Mit schmerzgequältem Blick checkte er die beschädigten Instrumente. »Aber ich glaube, das Boot wird nicht viel weiter fahren können. Beide Einlässe sind kaputt, und wir haben fast keinen Strom mehr.«
»Wie schlimm ist deine Verletzung?«, fragte Nina.
Trulli verzog das Gesicht. »Ich werd eine Zeitlang nicht mehr Tennis spielen können. Im Moment halte ich es aber noch aus. Jetzt muss ich zuallererst herausfinden, wo wir sind. Ich nehme eine GPS-Peilung vor. Siehst du den Hebel da oben?« Er zeigte an die Kabinendecke. Nina nickte. »Zieh ihn runter. Dann werden die Ballasttanks abgeblasen, und wir tauchen auf.«
Nina machte sich auf das Schlimmste gefasst, dann zog sie am Hebel. Das U-Boot erbebte, als das Wasser von komprimierter Luft aus den Tanks gepresst wurde. Kurz darauf machte sich eine neue Schaukelbewegung bemerkbar – die Dünung des Atlantiks.
Die starken Schmerzen in seiner Brust lähmten einen Arm, und so hackte Trulli einhändig und unbeholfen auf die Tastatur ein. »Okay, das GPS-Signal kommt rein … ich hab’s. Wow, wir sind gar nicht so weit weg.«
Auf dem Monitor wurde eine Karte angezeigt. »Wo genau sind wir?«, fragte Nina.
»Vor der Küste von Maryland. Etwa zweihundertneunzig Kilometer von New York entfernt.«
»Und wo befindet sich die Ocean Emperor?«
»Mal sehen, ob ich eine Satellitenverbindung kriege. Wir haben hier nämlich keinen WLAN-Zugang …«
Nina wartete ungeduldig darauf, dass der Rechner Verbindung zu Corvus’ Netzwerk aufnahm und Trulli sich einloggte. Im Vergleich zu seinem Bürocomputer war die Satellitenverbindung quälend langsam.
»Geschafft!«, sagte Trulli schließlich. Auf dem Monitor wurde die Position der Ocean Emperor von einem gelben Dreieck angezeigt. »Die Yacht befindet sich etwa vier Kilometer hinter uns, etwas weiter von der Küste entfernt. Sie hat noch immer den gleichen Kurs und macht unverändert dreiundzwanzig Knoten.«
»Können wir sie erreichen?«
»Wenn die Jetpumpen nicht völlig im Arsch sind, dann ja. Wenn wir uns beeilen.« Er deutete auf eine bestimmte Anzeige. »Die Batterien sind fast leer. Der Saft reicht vielleicht noch zehn Minuten. Aber du musst mir helfen, das Boot zu steuern. Einhändig schaffe ich das nicht.«
Nina starrte das Dreieck auf der Karte an, das der Markierung, welche die Position des U-Bootes markierte, so nah war. Eddie …
Sie biss entschlossen die Zähne zusammen. »Was soll ich tun?«