22
Wo lang?«, sagte Chase ins Headset. Der gewundene Tunnel mündete auf eine weitere Kreuzung. »Nach links oder rechts?«
»Nach links«, antwortete Nina über Ohrhörer.
»Bist du dir sicher?«
»Würdest du bitte aufhören, ständig nachzufragen? Ja, ich bin mir sicher.«
»Ich wollte mich nur noch mal vergewissern.« Er tat einen Schritt in den linken Gang hinein und blickte sich um. Komosa beobachtete ihn aus sechs Meter Abstand, in der Rechten eine silberne Langschlitten-Browning mit Laserzielvorrichtung. Hinter ihm leuchteten die Taschenlampen der anderen.
Komosa forderte ihn mit einem Rucken der Waffe zum Weitergehen auf. Chase bedachte ihn mit einem bösen Blick, dann trat er in den Gang hinein.
Nichts geschah, und er ging vorsichtig weiter. Bald stieß er jedoch auf ein neuerliches Hindernis. »Okay, sieht aus wie eine weitere Aufgabe«, meldete er über Funk. »Was steht als Nächstes auf der Liste?«
Nach kurzer Pause antwortete Nina: »Die Äpfel der Hesperiden.«
Chase verdrehte die Augen. »Werde ich jetzt von Riesenäpfeln angegriffen, oder was?«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden, Eddie«, schaltete Sophia sich spöttisch ein. »Schau’s dir einfach an.«
Chase blickte sich zu dem schadenfroh grinsenden Komosa um, der mit der Waffe auf ihn zielte. Chase betrat die Kammer.
Im Unterschied zu den lang gestreckten Räumen, die sie bisher erkundet hatten, hatte dieser hier einen quadratischen Grundriss. Der Boden war im Schachbrettmuster gefliest, und jede Fliese hatte eine Seitenlänge von etwa anderthalb Metern. Insgesamt bestand der Kammerboden aus neun mal neun Feldern, mit jeweils einer hellen Fliese in jeder Ecke. Vier behauene Steinsäulen mit einem Metallkasten am oberen Ende stellten die Bäume dar und ragten zwischen der Mitte des Schachbrettmusters und den Ecken des Raums bis in Brusthöhe auf. An der anderen Seite der Kammer stand eine Figur, in der selbst Chase mit seinem dürftigen mythologischen Wissen Atlas erkannte, der auf seinen Schultern den Himmel trug. In diesem Fall war der Himmel als große Kugel aus Kupfer oder Bronze dargestellt. Von der Schultern der Statue führten zwei Schienen zum Boden hinunter.
»Eddie, was siehst du?«, fragte Nina.
Chase beschrieb ihr den Raum. »Aber Äpfel sehe ich keine«, sagte er ratlos. »Wie geht die Legende noch mal?«
»Atlas bewacht den Garten der Hesperiden. Herkules wollte einen Apfel auf einem der Bäume ernten, kam jedoch nicht an die Äste heran. Deshalb erbot er sich, das Gewicht des Himmels zu tragen, damit Atlas das Pflücken für ihn erledigen konnte. Als Atlas die Äpfel geerntet hatte, beschloss er, sie selbst zu überbringen und die Belohnung für sich einzuheimsen. Herkules konnte ihn dann aber überreden, erneut den Himmel zu übernehmen, indem er behauptete, er wolle sich das Gewand bequemer richten. Und als Atlas das Gewicht des Himmels wieder trug …«
»War Atlas der Angeschmierte.« Chase schaute sich in der Kammer um. »Die Kugel scheint beweglich gelagert zu sein. Ah, ich hab’s. Ich soll die Kugel von seinen Schultern befördern, damit Atlas die Äpfel pflücken kann, und anschließend die Kugel wieder hochrollen.«
»Ich bezweifle, dass die Statue zum Leben erwacht und die Äpfel einsammelt«, sagte Sophia. »Da steckt bestimmt noch mehr dahinter.«
»Ich arbeite noch am Text«, erklärte Nina. »Die Aufgabe gleicht dem Ausmisten des Augiasstalls – das ist ein Rätsel, eher ein Intelligenztest als eine Kraftprobe, deshalb ist es komplizierter als in den anderen Fällen. Ich brauche noch etwas Zeit, um den Text zu transkribieren und zu übersetzen.«
»Die Zeit ist knapp, Dr. Wilde«, sagte Corvus ungeduldig. »Chase, gehen Sie zu einer der Säulen und schauen Sie nach, ob da irgendwo Äpfel stecken.«
»Ich würde lieber warten«, erwiderte Chase gereizt. Er blickte sich zum Eingang um. Komosa schwenkte auffordernd seine Browning. »Aber ich schätze, das kommt nicht in Frage, wie? Na schön, dann pflücke ich halt ein paar Golden Delicious.«
Er näherte sich der ersten Säule von der linken Seite des Raums, trat auf eine dunkle Fliese …
»Eddie, keinen Schritt weiter!«, schrie Nina übers Headset, doch es war bereits zu spät.
Die Fliese gab unter seinem Gewicht nach. Sie war an der einen Seite mit Scharnieren befestigt und klappte nach unten. Darunter klaffte ein schwarzes Loch …
Chase streckte die Arme seitlich ab. Seine Taschenlampe verschwand in der Dunkelheit, doch er klammerte sich mit einer Hand am Rand der Bodenöffnung fest. Ein sengender Schmerz ging von seiner Rückenverletzung aus, und er pendelte einen Moment lang hilflos hin und her, bevor es ihm gelang, mit dem anderen Arm nachzufassen. Stöhnend klammerte er sich fest.
Nina rief immer wieder seinen Namen. »Ich bin okay, ich bin okay!«, krächzte er ins Headset. »Mehr oder weniger.«
»Was ist passiert?«, fragte Sophia mit professioneller Neugier; sonderlich besorgt klang sie nicht.
»Die Fliese ist mit einem Scharnier versehen und hat nachgegeben, als ich den Fuß daraufgesetzt habe.« Chase untersuchte den Bodenrand gegenüber dem Scharnier. Die Fliese war von Metallbändern gestützt worden, die unter seinem Gewicht nachgegeben hatten.
»Ich habe dir ja immer gepredigt, dass du ein paar Pfund abnehmen solltest, Eddie«, sagte Sophia.
»Echt lustig«, schnaubte Chase. »Hol mich hier raus.«
Ihr Tonfall wurde gönnerhaft. »Du enttäuschst mich, Eddie. Kannst du nicht mal mehr aus eigener Kraft rausklettern?«
»Das könnte ich schon, wenn mir nicht so ein Arschloch einen Bohrer in die Schulter gerammt hätte!« Chase wandte den Kopf und blickte Komosa an, der noch immer im Eingang stand. »He, Silbernippel! Reich mir mal die Hand, Herrgott noch mal.«
Komosa grinste, machte aber keine Anstalten, Chase zu helfen. Die anderen Expeditionsmitglieder trafen ein, angeführt von Nina. »Helfen Sie ihm endlich, machen Sie schon!«, rief sie.
Corvus leuchtete den über dem Abgrund baumelnden Chase an. »Weshalb sollten wir ihm helfen, wenn er sich so dämlich anstellt?«
Nina fixierte ihn mit eiskalter Entschlossenheit. »Wenn er stirbt, können Sie mich auch gleich umbringen, denn dann übersetze ich kein einziges Wort mehr.« Sie hielt die Pergamente hoch und rieb mit dem Daumen daran. Die erste Seite zerriss. »Ups.«
Sophia schwenkte ihre Waffe herum, doch Corvus hob beschwichtigend die Hände. »Na schön, Dr. Wilde.« Er nickte Komosa zu. »Holen Sie ihn raus.«
Verärgert trat Komosa in die Kammer und zog Chase aus dem Loch.
»Hallo, Kumpel«, sagte Chase sarkastisch, auf der hellen Fliese kniend, an der er sich festgehalten hatte. Dann spähte er in die Öffnung. Seine Taschenlampe lag in drei Meter Tiefe – umgeben von Metalldornen. »O Mann. Wer da drauf landet, dem ist mit einer Tetanusspritze nicht geholfen.«
»Wie kommen wir unbeschadet an die Bäume heran?«, fragte Sophia und warf einen Blick auf Ninas Notizbuch. »Handelt es sich bei den dunklen Fliesen um Falltüren? Was sagt der Text?«
»Ja, aber einige der hellen Fliesen sind ebenfalls Fallen«, antwortete Nina, das Notizbuch abwehrend von Sophia fernhaltend. »Mal schauen … verflixt, ist das kompliziert.« Stirnrunzelnd las sie den Text. »Okay, ich glaube, ich hab’s. Jede zweite helle Fliese in der ersten Reihe, dort an der linken Wand, ist eine Falle. In der zweiten Reihe ist jede dritte Fliese eine Falle. In der dritten Reihe sind alle hellen Fliesen sicher. Dann wiederholt sich das Muster – jede zweite Fliese, jede dritte Fliese. Die übrigen sollten eigentlich sicher sein.«
»Eigentlich?«, wiederholte Chase skeptisch.
Sophia zielte mit der Waffe auf ihn. »Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.«
Unterdrückt fluchend knallte Chase den Absatz auf eine helle Fliese in der nächsten Reihe. Sie bewegte sich nicht. Vorsichtig trat er darauf, dann hüpfte er mit etwas größerer Zuversicht diagonal zu der hellen Fliese, auf der die Säule stand. »Okay. Könnte ich vielleicht eine neue Taschenlampe bekommen?«
Komosa warf ihm eine zu. Chase fing sie auf und untersuchte den Metallkasten auf der Säule. »Ja, da ist tatsächlich ein Apfel drin.« Er zog am Kasten, doch der rührte sich nicht von der Stelle. »Vielleicht sollte ich erst mal die Kugel herunterrollen lassen. Bist du dir ganz sicher, welche Fliesen Fallen sind und welche nicht?«, fragte er Nina.
Nina hielt den roten Plastikhefter über die Pergamente, machte mit der Taschenlampe die verborgenen Buchstaben sichtbar und übertrug sie in ihr Notizbuch. »So ziemlich.«
»Also, dann verlasse ich mich drauf. Wie muss ich also gehen?«
Es entstand eine kurze Pause, in der Nina das Muster ausarbeitete. »Okay, wenn ich richtigliege, ist das helle Quadrat diagonal rechts von dir eine Falle.«
Chase setzte behutsam den Absatz darauf. Die Bodenfliese gab nach. »Jau, du hast recht.«
»Geh nach links.«
Vorsichtig kam er der Aufforderung nach; diese Fliese hielt seinem Gewicht stand.
»Jetzt geh rechts, wieder rechts und dann nach links zur zweiten Säule, dann links und wieder rechts, dann hast du die Statue erreicht.«
Chase befolgte ihre Anweisungen mit angehobenen Armen, damit er sich notfalls festhalten konnte, falls sich wieder ein Loch unter ihm auftun sollte. Es geschah jedoch nichts dergleichen. Er erreichte die über zwei Meter hohe Atlasstatue und schaute zu der großen Kugel hoch. Darunter befand sich ein Mechanismus, der zwischen Atlas’ Schultern eingelassen war. »Ich stoße also die Kugel runter, und dann …«, murmelte er vor sich hin. »Ah, ja. Da sind Löcher in der Wand. Du darfst dreimal raten, welche Früchte da hineinpassen.«
»Du musst erst die Äpfel hineinlegen und dann die Kugel runterrollen lassen«, schlug Nina vor.
»Ja, denk ich auch. Das ist sozusagen die Psychoversion der Fernsehshow ›The Crystal Maze‹.« Chase wandte sich wieder zur Statue um und langte nach oben zur Kugel. Obwohl sie hohl war, musste er eine Menge Kraft aufwenden, um sie zu bewegen. »Mach schon, du blödes Ding!«
Rumpelnd geriet die Kugel in Bewegung und rollte die Schienen hinunter. Sie beschleunigte bis zum aufwärtsgebogenen Endstück. Ein paarmal rollte sie noch hin und her, bis sie schließlich zur Ruhe kam.
Chase ging über dieselben Fliesen wie beim Hinweg zurück zu den vier Säulen. Diesmal ließ sich der Metallkasten mühelos anheben. Er langte hinein und nahm behutsam den Bronzeapfel heraus. An der Unterseite befand sich ein Vorsprung, der genau in die Vertiefung in einem der Wandlöcher passte – ein primitiver Schlüssel.
Er ging wieder zurück zu der Statue, legte den Apfel in die Vertiefung und drehte ihn versuchsweise. Er beschrieb eine Vierteldrehung, dann rührte er sich nicht mehr. »Okay, es scheint zu funktionieren.«
»Hol jetzt die anderen drei Äpfel«, befahl Sophia.
Mit einem unwilligen Brummen wandte Chase sich zu dem Fallgitter um. Er stand vor der hellen Bodenfliese in der Mitte des Raums. »Okay, Nina, ist die hier sicher?«
Eine kurze Pause, dann: »Ja. Und dann nach rechts.«
Er setzte den Fuß vor – da schrie Nina auf.
»Nein, nein, warte!«, rief sie.
Chase warf sich nach hinten, während die Fliese polternd nach unten klappte.
»Herrgott noch mal!«, keuchte er. »Was soll das? Ich dachte, du hättest alles ausgeknobelt!«
»Tut mir leid! Wir schauen in entgegengesetzte Richtungen – rechts von mir hab ich gemeint. Von dir aus links.«
Chase lachte auf. »Du bist so intelligent, und dann kannst du links nicht von rechts unterscheiden?«
»Schon gut, tut mir echt leid«, sagte Nina geknickt. »Also, du musst nach links gehen und dann wieder nach links bis zur nächsten Säule.«
»Ganz sicher?«
»Ja.«
»Wie ich schon sagte, ich wollte mich nur noch einmal vergewissern.«
Dirigiert von Nina, ging er vorsichtig über das Schachbrettmuster zurück, nahm die verbliebenen drei Äpfel aus den Metallkäfigen und kehrte dann zur Atlasstatue und zu den Wandlöchern zurück. Als er den letzten Apfel einsetzte und drehte, klickte vernehmlich ein verborgener Mechanismus; ein Schloss wurde entriegelt.
Jetzt brauchte er nur noch die schwere Kugel über die Schienen auf Atlas’ Schultern hochzurollen. Dies erforderte weit mehr Kraft, als sie nach unten zu befördern, doch nach einer Weile ruhte die Kugel wieder auf den Schultern der Statue. Mit einem lauten Poltern klappte eine der hellen Fliesen an der Rückseite des Raums nach unten.
»Na, wie war ich?«, rief Chase triumphierend, als der Rest der Gruppe in die Kammer trat.
»Eine Aufgabe hast du gelöst«, erwiderte Sophia unbeeindruckt. »Bleiben noch zwei. Also los, geh schon weiter.«
»So war sie auch schon, als wir noch verheiratet waren«, sagte Chase in sein Headset zu Nina, obwohl er genau wusste, dass auch Sophia zuhörte. »Mal abgesehen davon, dass sie damals noch keine kaltblütige Mörderin war.«
Nina hätte beinahe gelächelt.
»Wir sollten die dummen Kommentare auf ein Minimum beschränken, Eddie«, schnappte Sophia.
Chase zuckte nur mit den Schultern und stieg in die neu entstandene Öffnung. Komosa wartete, bis Chase den Weg freigemacht hatte, dann sprang er ihm nach.
Unter Ninas Führung drangen sie weiter in das Labyrinth vor. Schließlich stand Chase vor dem Eingang einer weiteren Kammer und leuchtete hinein. »Also, ich sehe jede Menge scharfe, spitze Sachen. Worum geht’s hier?«
Nina schloss gerade die nächste Übersetzung ab. »Das hier ist … der Gürtel der Hippolyte. Herkules musste den Zaubergürtel der Hippolyte, der Anführerin der Amazonen, in seinen Besitz bringen. Hätte er ihn ihr mit Gewalt geraubt, hätten die Amazonen ihn getötet. Deshalb ließ er sich etwas anderes einfallen. Also, was siehst du?«
Chase trat vorsichtig in die Kammer. »Also, ich befinde mich hier in einem Raum mit kreisrunder Grundfläche und etwa siebeneinhalb Meter Durchmesser. An der Wand entlang stehen Frauenstatuen mit Speeren und Bogen in der Hand.« Als er sich einer der Statuen näherte, bemerkte Chase, dass der Speer, den sie in der Hand hielt, in eine Wandöffnung hineinreichte. Er streckte den Zeigefinger vor. »Ich habe keine Ahnung, ob die noch funktionieren…«, setzte er an. Weiter kam er jedoch nicht: Kaum hatte Chase den Speer berührt, löste dieser sich auch schon aus der Hand der Statue, flog quer durch den Raum und prallte so heftig gegen die gegenüberliegende Wand, dass die scharfe Spitze zersplitterte.
Gleichzeitig entspannte sich an der anderen Seite schwirrend ein Bogen, und ein Pfeil sauste Chase entgegen.
Mit knapper Not wich er ihm aus, dennoch schlitzte das Geschoss ihm den Jackenärmel auf. »Mist! Ich muss mich korrigieren, die Waffen funktionieren noch«, sagte er und wich eilig zurück. Die Fallen waren miteinander gekoppelt, um zu verhindern, dass man sie nacheinander auslöste.
Er bemerkte, dass mehrere zerbrochene Pfeile und Speere auf dem Boden lagen; wahrscheinlich hatten sie sich im Laufe der Zeit selbsttätig ausgelöst. Eines war klar: Wenn alle verbliebenen Waffen gleichzeitig feuerten, würde er sich in ein Nadelkissen verwandeln.
Chase richtete seine Aufmerksamkeit auf die Statue, die einzeln für sich in der Mitte des Raumes stand.
»Also, wie ist Herkules an den Gürtel rangekommen?«, fragte er in das Mikrofon an seinem Headset. »Hier ist noch eine Statue; das muss Hippo Langbein sein. Sie trägt auch einen Gürtel, oder jedenfalls einen Teil davon.«
Die Frauenstatue war fast so groß wie die des Atlas. Die Füße hatte sie ein wenig auseinandergestellt und die Arme in die Hüften gestemmt, eine unverkennbar dominante Pose. Um die Hüfte trug sie ein Band aus Silber und Bronze. Ein Teil des Gürtels ließ sich offensichtlich von der Statue lösen.
Chase hatte aber nicht die Absicht, den Gürtel überstürzt zu lösen, sondern musterte wachsam die Waffen an der Wand. Er beschrieb Nina die Statue. »Also, was soll ich tun?«, fragte er dann ratlos.
»Es gibt verschiedene Versionen der Legende«, antwortete sie, »aber die bekannteste besagt, dass Herkules Hippolyte überredet hat, ihm den Gürtel freiwillig zu geben. Er hat ihr erklärt, weshalb er ihn brauchte, und sie willigte in seinen Vorschlag ein – entweder weil sie einen Kampf vermeiden wollte, der für beide Seiten von Nachteil gewesen wäre, oder weil sie sich in ihn verliebt hatte. Auch in diesem Punkt weichen die verschiedenen Versionen voneinander ab.« Nina überlegte einen Moment. »Hast du nicht gesagt, die Haltung der Statue wäre gebieterisch?«
»Ja, sie hat die Hände in die Hüften gestemmt. So wie du, wenn ich Fernsehen gucke und du möchtest, dass ich Möbel umstelle.«
»Reizend«, kommentierte Nina, ging aber nicht weiter auf den Vergleich ein. »Fällt dir auf dem Boden oder an ihren Füßen etwas auf?«, fragte sie.
Chase senkte die Taschenlampe und stellte fest, dass Nina mit ihrer Vermutung recht hatte. »Es sieht so aus, als ließe sich ein Teil der Füße bewegen. Vielleicht wird dadurch ein Mechanismus ausgelöst.« Er warf einen besorgten Blick auf die Speere und Pfeile. »Moment, was ist, wenn die Waffen losgehen?«
»Das glaube ich nicht. Hier geht es um Unterwerfung; um das Gewünschte zu bekommen, musste Herkules Hippolyte umschmeicheln. Ich glaube, du solltest das ebenfalls tun.«
»Du meinst …«
»Auf die Knie, Eddie«, meldete Sophia sich mit unverhohlener Belustigung über Funk.
Der am Eingang wartende Komosa hätte beinahe aufgelacht, als er Sophias Anweisung mithörte.
»Dass ich das noch erleben darf«, höhnte Sophia, »Niederknien – das ist die angemessene Haltung für dich. Aber warte noch – das muss ich mit eigenen Augen sehen.«
»Freut mich, dass du deinen Spaß hast«, knurrte Chase, als Sophia durch den Eingang spähte. Als er niederkniete, stellte er fest, dass unter seinen Knien ein dritter Auslöser in den Boden eingelassen war – sich einfach nur auf die Füße der Statue zu stellen hätte nicht funktioniert.
Er beugte sich in eine peinlich unterwürfige Haltung vor und legte beide Hände auf die steinernen Füße. »Na schön«, seufzte er, auf die Füße der Statue drückend, »bringen wir’s hinter uns.«
»Ich glaube, du solltest sie Herrin nennen!«, rief Sophia vom Eingang aus, doch er überhörte ihre Empfehlung und schaute nach oben, als über seinem Kopf ein leises, metallisches Klicken ertönte. Der Gürtel hatte sich bewegt. Vorsichtig richtete er sich auf und berührte ihn sachte, innerlich darauf gefasst, jeden Moment von einer Speersalve durchbohrt zu werden …
Doch dazu kam es nicht. Allerdings vernahm Chase in der stillen Kammer ein leises, aber dennoch deutlich vernehmbares Knarren, als werde ein Bogen gespannt. Er schaute sich um. Von einer der Speerspitzen in der Nähe hatte sich durch eine schwache Vibration etwas Staub gelöst.
Die Falle war noch immer aktiv.
Chase betrachtete misstrauisch die zahlreichen auf ihn zielenden Speer- und Pfeilspitzen und stellte fest, dass er vor Aufregung einen trockenen Mund hatte. Er schluckte, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Gürtel, legte vorsichtig die Fingerspitzen beider Hände darauf und hielt den Atem an.
Kein Geräusch, keine Fluggeschosse, die ihn durchbohren wollten. Er verstärkte den Druck und zog das Metallband langsam auf sich zu. Metall rieb sich an Stein. An der Rückseite des Gürtels konnte Chase kleine Zapfen ausmachen, die in die Vertiefungen an der Statue zu passen schienen.
Ein lautes Knarren ertönte.
Chase erstarrte. Das Geräusch war von links gekommen. Mit angehaltenem Atem lockerte er den Griff um den Gürtel und wandte vorsichtig den Kopf. Von einer Pfeilspitze, die direkt auf sein Gesicht zielte, fiel weiterer Staub herab.
Er neigte sich aus der Schussbahn und biss die Zähne zusammen. Was auch immer geschah – er hatte getan, was von ihm erwartet wurde –, sollte die Falle trotzdem ausgelöst werden, konnte er es nicht verhindern. Ohne den Pfeil aus den Augen zu lassen, ergriff Chase abermals den Gürtel und zog daran.
Das gebogene Metallband kam frei; die Waffen wurden nicht ausgelöst. Chase atmete erleichtert aus und richtete sich auf.
Ihm war bereits eine Art Nische in der Tür auf der anderen Kammerseite aufgefallen, deshalb war er nicht überrascht, dass der Gürtel genau hineinpasste. Die Zapfen an der Rückseite des alten Bronzeteils passten genau in die Vertiefungen, und als er sie hineindrückte, klickte ein Schloss. Ein weiterer Druck, und die Tür schwang auf. Dahinter lag ein dunkler Gang.
Komosa trat in den Raum, gefolgt von Sophia. »Jetzt bleibt nur noch eine Aufgabe übrig, Eddie«, sagte sie. »Also, an die Arbeit.«
»Und was passiert dann?«, wollte Chase wissen. »Wirst du uns umbringen, sobald wir das Grab erreicht haben?«
Sophia gab keine Antwort, doch ihr Lächeln machte Chase stutzig. Ihm schwante, dass sie Nina und ihn nicht einfach töten würde. Sie hatte etwas anderes im Sinn. Allerdings bezweifelte er, dass ihm das gefallen würde. Was immer es war, Komosa wusste anscheinend Bescheid, denn auch in seiner Miene zeichnete sich sadistische Vorfreude ab.
Chase trat in dem Moment in den Tunnel, als Nina den runden Raum betrat. Sie wollte sich darin umschauen, doch Corvus drängte sie zum Weitergehen.
Nina aber verharrte stur in ihrer Position, sodass Corvus’ Eskorte sich hinter ihr staute. »Sie könnten mich die Kammer wenigstens einmal anschauen lassen«, schnauzte sie Corvus an. »Das ist eine unglaubliche archäologische Entdeckung.«
»Die Vergangenheit interessiert mich nicht«, entgegnete dieser hochnäsig. »Mir geht es allein um die Zukunft.« Und an seine Männer gewandt: »Fortfahren!«
Gehorsam marschierten sie um die Statue der Hippolyte herum.
Ninas Stimme triefte vor Verachtung, als sie Corvus antwortete: »Wissen Sie nicht, dass diejenigen, die nicht aus der Vergangenheit lernen wollen, dazu verdammt sind …«
Zack!
Nina und Chase schreckten zusammen, als sie eine verwischte Bewegung wahrnahmen, auf die ein gequältes Gurgeln folgte. Einer von Corvus’ Männern sank vor ihren Augen in die Knie. Im Vorbeigehen hatte er versehentlich einen Speer gestreift und den Abschussmechanismus ausgelöst. Er war gleich doppelt getroffen: Der erste Speer hatte sich tief in seinen Rücken gebohrt – und in seiner Brust steckte ein von der anderen Seite des Raums aus abgefeuerter. Der Mann tat seinen letzten Seufzer und kippte nach vorn, wodurch sich der Pfeil noch tiefer in seinen Körper bohrte.
Nina blickte Corvus an. »Meiner Rede Sinn. Eddie hat vor fünf Minuten gelernt, das zu unterlassen.«
Die anderen Männer wandten sich nervös zu Corvus um, einer bückte sich und nahm dem Toten Ausrüstung und Waffe ab. »Lasst ihn liegen«, befahl Corvus. Sorgfältig darauf achtend, den schlummernden Waffen nicht zu nahe zu kommen, rückte die Gruppe weiter vor.
Chase ging voran und wartete an jeder Kreuzung auf neue Anweisungen; Nina übersetzte den dechiffrierten Text im Gehen. Er hatte keine Ahnung, welche Gefahren in den Gängen verborgen waren, die er links liegen ließ, doch als er zum Eingang einer weiteren Kammer gelangte, musste er unwillkürlich daran denken.
Die letzte Aufgabe des Herkules: Zerberus besiegen, den Wächter der Unterwelt.
Sie war ähnlich wie die Aufgabe zu den Rössern des Diomedes, doch in diesem Fall erwartete Chase nur eine einzelne Statue: ein Koloss, so breit wie der Gang. Doch nicht die Statue erregte Chases ganze Aufmerksamkeit, auch nicht die beiden großen Pfoten, die vermutlich beweglich waren und jeden zerfleischen würden, der ihnen zu nahe kam – es waren die Köpfe der Statue: Zerberus glich einem besonders wilden Rottweiler, doch auf seinen breiten Schultern ruhten nicht weniger als drei Köpfe mit geifernden Mäulern, die jeweils einen Durchmesser von etwa sechzig Zentimetern hatten. Im Unterschied zu den Rössern des Diomedes blieben die Mäuler offenbar dauerhaft geöffnet.
»Verfluchte Hölle, das ist ja das reinste Kuscheltier«, sagte Chase ins Headset. »Also, wie geht man mit dreiköpfigen Riesenkötern um?«
»Herkules musste mit Zerberus ringen«, antwortete Nina. »Er musste den Hund aus der Unterwelt hinausschaffen, und das gelang ihm, indem er ihn buchstäblich in den Schwitzkasten nahm und ins Freie zerrte.«
»Ich glaube, der Köter hier ist ein bisschen zu groß, um ihn irgendwohin zu zerren, und Hagrid ist einfach nie da, wenn man ihn braucht. Dann soll ich hier also den Hulk Hogan geben, wie?«, witzelte Chase, sah sich aber bereits konzentriert die Konstruktion der Skulptur an: Wenn sich die Pfoten tatsächlich auf und ab bewegten, würde die Bewegung aufgrund ihrer Größe vermutlich wesentlich langsamer ausfallen als bei den Pferden, denen Bertillon zum Opfer gefallen war, nahm Chase an. Wenn es ihm gelänge, auf eine Pfote aufzuspringen, sollte er eigentlich den mittleren Kopf festhalten können, wenn sie sich wieder nach oben bewegte …
Chase holte Atem und hielt einen Moment inne. Dann nahm er wieder Haltung an und zwinkerte der Skulptur zu. »Okay, gehen wir Gassi.«
Er trat in den Gang hinein, bewegte sich schrittweise vor und wappnete sich für den Moment, da er die Statue »zum Leben« erwecken würde …
Klong.
Eine Steinplatte gab unter seinem Fuß eine Handbreit nach. Ein leises Scheppern drang aus dem Boden, der Beginn einer Reaktionskette, die – wenigstens geräuschtechnisch – in Richtung Statue wanderte und schließlich den Mechanismus entriegelte: Zerberus setzte sich ruckartig in Bewegung. Wie von Geisterhand wurden beide Pfoten anderthalb Meter angehoben; dann senkten sie sich urplötzlich und mit solcher Wucht wieder ab, dass die Bodenplatten barsten. Ein großes Gitter fiel hinter Chase herab und blockierte den Ausgang. Die Statue bewegte sich zwar langsamer als die Rösser des Diomedes, in weniger als einer Minute würde sie Chase aber an die Wand drücken und mit ihrem Gewicht zerquetschen.
Die Pfoten des Höllenhundes hatten gebogene Krallen, die an Krummsäbel erinnerten. Eine Sorge mehr …
Die Taschenlampe in der Linken, näherte Chase sich der Statue und wartete auf den passenden Moment zum Absprung.
Er sprang genau in dem Moment auf die linke Pfote, als sie auf dem Boden aufsetzte und eine dicke Staubwolke aufwirbelte. Nach einer Weile stieg sie mit ihrer Last wieder in die Höhe und hob Chase dabei unweigerlich den drei Hundeköpfen entgegen. Er machte sich bereit, den mittleren Kopf zu packen und herumzudrehen.
Wie sich herausstellte, ging das jedoch leichter vonstatten, als er erwartet hatte …
Die Gefahr war jedoch noch nicht gebannt: Über seinem Kopf ertönte ein neues Geräusch; es hörte sich an, als werde Geschirr zerschlagen.
Chase blickte erschreckt nach oben. Ein verschlossenes irdenes Gefäß von der Größe einer Pampelmuse fiel aus einer Öffnung im Hundemaul auf den Unterkiefer.
Chase sprang von der linken Pfote auf die rechte – jedoch leider zu spät: Das Gefäß zerschellte beim Aufprall, und die darin enthaltene Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen. Ein paar Tropfen landeten dabei auch auf dem Rücken seiner Lederjacke. Sofort stieg Chase ein beißender Geruch in die Nase.
Zischender Dampf kräuselte sich von dem staubbedeckten Stein und an seinem Rücken empor.
Eine Säure!
»Herrgott!« Chase leuchtete über seine Schulter nach hinten und stellte fest, dass die ätzende Flüssigkeit die oberste Lederschicht seiner Jacke bereits in ein hässliches Braun verwandelt hatte und sich so rasch weiterfraß, dass man zusehen konnte.
Weil Chases Gewicht jetzt auf der sich hebenden Pfote ruhte, klickte es oben, und ein weiteres Gefäß fiel aus dem rechten Kopf hervor.
»Was ist los, was geht da vor?«, tönte Ninas aufgeregte Stimme aus dem Headset.
»Das Vieh besprüht mich mit Scheißsäure!«, schrie Chase und sprang in dem Moment auf die linke Pfote, als das zweite Gefäß über ihm zerschellte. Schaum quoll aus dem Maul des Zerberus.
»Der Legende nach ist der Speichel des Höllenhunds giftig!«
»Das hättest du mir auch eher sagen können!«, rief Chase erbost und wich erschrocken zurück: Die rechte Pfote krachte mit solcher Wucht auf den Boden, dass Steinsplitter umherflogen. Nun begann sich auch die linke Pfote zu heben. Chase schaute nach oben. Mit seinem Zusatzgewicht löste er die Säurefalle aus, was bedeutete, dass jeden Moment ein weiteres Gefäß herabfallen würde.
Das Maul des Höllenhundes tropfte noch, und die Dämpfe brannten ihm in Augen und Nase. Er hustete. Die Statue hatte bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt …
Der mittlere Kopf des Zerberus blickte höhnisch auf ihn nieder. Im Unterschied zu den äußeren Köpfen war er vom Rest der Statue abgesetzt. Der Hals fügte sich in ein rundes Loch, aus dem ein weiterer irdener Topf glitt.
Chase warf sich mit einem Schrei auf den mittleren Kopf. Der Topf zerschellte, und Säure spritzte.
Sie benetzte ihn am Arm und an der Seite, als Chase die Statue packte. Einzelne Tropfen fraßen sich in seine linke Hand und in seine Schädelhaut, als er das Gesicht schützend an den steinernen Kopf presste, doch ihm war klar, dass dieser Schmerz nur ein Vorgeschmack war auf das, was ihn erwartete, wenn sich die ätzende Flüssigkeit durch das Leder fraß und direkt auf seine Haut traf.
Da er mit den Füßen keinen Halt mehr hatte, baumelte er hilflos in der Luft, beide Arme um den Hals des Zerberus geschlungen.
Er wand sich und stemmte die Beine gegen die Brust der Statue, sodass er sich hochziehen konnte. Schließlich bekam er die Ohren des Zerberus zu fassen und verlagerte sein Gewicht darauf.
»Scheiße!«, schrie Chase. Sein Jackenärmel qualmte, und die Dämpfe waren hier oben so stark, dass er kaum mehr Luft bekam.
Bis zur rückwärtigen Wand waren es noch drei Meter, zweieinhalb …
Er holte erneut mit den Beinen aus, schwang sich in eine neue Position, fasste mit der Linken die Oberseite des Kopfes und versuchte, ihn gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Als er den Arm hob, tropfte Säure auf seine Wange.
Er schloss die Finger um das andere steinerne Ohr. Die Wand war nur noch zwei Meter entfernt.
Ein letzter Versuch …
Unter lautem Gebrüll zog Chase am Kopf, während er mit den Füßen an der Brust des Hundes verzweifelt nach dem kleinsten Halt suchte.
Noch anderthalb Meter, ein Meter …
Der Kopf bewegte sich. Und dann geschah es: Beide Riesenpfoten krachten mit großer Wucht auf den Boden, wobei eine der gebogenen Krallen abbrach und gegen das Fallgitter prallte – Zerberus kam ruckartig zum Stehen.
Chase ließ sich fallen, riss sich die Jacke vom Leib und warf sie auf den Boden. Rauch kräuselte sich davon empor, der linke Ärmel und der Rücken waren durchlöchert. Hektisch wischte er mit dem T-Shirt die ätzenden Säuretropfen vom Kopf und den Händen ab. »Scheiße! Verflucht noch mal, brennt das!«
Komosa und ein zweiter Mann hoben das Fallgitter an. Darunter lag der mittlere Hundekopf. Eine Steinplatte bewegte sich leicht. Komosa zwängte sich an Chase vorbei und öffnete die Bodenklappe mit einem Fußtritt. Darunter kam der Ausgang der Kammer zum Vorschein. »Wir sind durch«, sagte er, als Sophia und Corvus dazukamen.
Chase blickte betrübt auf die kokelnde Lederjacke zu seinen Füßen nieder. »Jacke weg, Waffe weg«, klagte er. »Das war keine gute Woche.« Als er hinter Sophia Nina entdeckte, hellte sich seine Miene allerdings ein wenig auf. »Alles habe ich jedenfalls noch nicht verloren«, sagte er in ihre Richtung.
Sie lächelte zwar nicht, doch die Erleichterung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Corvus wandte sich Nina zu. »War’s das? War das hier das letzte Hindernis?«
»Ich muss noch eine Seite übersetzen. Aber ja, das war die letzte Aufgabe. Das Grab des Herkules liegt dort drüben.« Sie zeigte auf die Öffnung, die sich aufgetan hatte.
Corvus wollte bereits ungeduldig hindurchschreiten, doch Sophia hielt ihn am Arm fest. »Ich glaube, wir sollten unseren Yorkshire Jones vorschicken«, sagte sie. »Für alle Fälle.«
Komosa nickte und stieß Chase mit seiner Waffe an.
Erschöpft schlurfte Chase zu der Öffnung.
»Moment«, mischte sich Nina ein und trat vor. »Lass mich zuerst reingehen.«
Sophia schnaubte spöttisch. »Das halte ich nicht für angebracht.«
Nina wandte sich an Corvus. »Das ist meine Entdeckung. Ohne mich wären Sie nicht hier. Sie wüssten nicht einmal, dass dieser Ort überhaupt existiert. Gönnen Sie mir wenigstens den ersten Blick aufs Grab.«
Nach kurzem Zögern nickte Corvus. Sophia warf ihm einen warnenden Blick zu. »René …«
»Wenn sie Dummheiten macht, erschießen Sie Chase«, sagte Corvus zu Komosa. Damit war der Fall für ihn erledigt.
Der Nigerianer grinste erwartungsvoll, als er Nina seine Taschenlampe reichte.
»Viel Glück«, sagte Chase, als Nina sich bückte und durch das Loch kletterte.
Der niedrige Gang führte unter dem Weg der Statue her und mündete dann in die dahinterliegende Kammer mit den Zahnrädern, Ketten und Gegengewichten, die den inzwischen reglos dastehenden Zerberus angetrieben hatten. Ohne sich darum zu kümmern, richtete Nina die Taschenlampe auf einen weiteren Torbogen an der anderen Seite.
Dieser Durchgang war wesentlich größer als die anderen, außerdem verschwenderisch mit Silber, Gold und Edelsteinen geschmückt.
Nina näherte sich ihm und leuchtete durch die Öffnung. Weitere Schätze funkelten ihr entgegen.
»Ich glaube, wir sind am Ziel!«, rief sie, als sie die Öffnung erreicht hatte – dann trat sie hindurch.
Somit war Nina die erste Person seit tausenden Jahren, die das Grab des Herkules erblickte.