5

Shanghai

Der verglaste Lift stieg an der Fassade des Ycom-Gebäudes empor, und je höher Chase und Sophia kamen, desto spektakulärer wurde die Aussicht. Mei hatte das Taxi in der Tiefgarage abgestellt und wartete dort auf sie.

Am Eingang der unterirdischen Lobby befand sich eine Sicherheitsschleuse, doch die beiden Dienst habenden Wachleute hatten ehrfurchtsvoll salutiert, als sie Sophia erkannten, und die beiden ohne Widerstand passieren lassen.

Sophia und Chase waren nicht allein im Lift. Ycom war ein Internetprovider, deshalb wurde hier rund um die Uhr gearbeitet. Ein streberischer junger Chinese mit Buffy-T-Shirt, der von einem Botenjungen mit Moped einen Beutel mit köstlich duftenden Speisen in Empfang genommen hatte, leistete ihnen Gesellschaft – nicht nur die Yuppies, auch die Computerfreaks glichen sich offenbar überall auf der Welt. Außerdem kannte er Sophia anscheinend, denn er lächelte schüchtern, wagte es aber nicht, sie direkt anzusehen. In der zwanzigsten Etage stieg er aus.

»Du hast hier wohl einen Fanclub«, meinte Chase, als die Tür sich schloss und der Aufzug seinen Weg bis ganz nach oben fortsetzte.

»Richard protzt gerne mit mir«, sagte Sophia. »Er hat mich ein paarmal im Gebäude herumgeführt.«

»Und ich wette, die Freaks konnten es gar nicht erwarten, sich anschließend einen runterzuholen.«

»Eddie!«, sagte Spohia tadelnd. »Du bist widerlich.«

Er grinste. »Du kennst mich doch.«

»Nur allzu gut, aber so vulgär warst du früher nicht.«

»Hey, das hier war alles nicht meine Idee«, sagte Chase und hob beschwichtigend die Hand, als wollte er den Lift anhalten. »Wenn du willst, fliege ich wieder heim.«

»Tut mir leid.« Sophia wandte sich ab und blickte auf die funkelnde Blade-Runner-Kulisse der Stadt hinunter. »Es ist nur … ich war überrascht von den Empfindungen, die unser Wiedersehen bei mir ausgelöst hat. Wie du dich auf Corvus’ Yacht verhalten hast … Soll ich ehrlich sein? Ich weiß immer noch nicht, woran ich bei dir bin.« Ein Seitenblick. »Und ich habe gemerkt, dass du immer noch ein paar Probleme hast. Eddie, ich …«

»Du hast mich um Hilfe gebeten, und jetzt helfe ich dir«, sagte Chase abschließend, denn er wollte das Thema nicht weiterverfolgen. »Zumal es die IBAK betrifft.«

Er schwieg einen Augenblick, dann schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, der ihn zusammenzucken ließ. »Woher wusstest du eigentlich, dass ich für die IBAK arbeite?«, fragte Chase und sah Sophia skeptisch an. »Du musst die Nachricht vor der Party geschrieben haben – was bedeutet, dass du gewusst hast, dass ich dort sein würde.«

»Richard hat eine Akte über dich angelegt«, sagte Sophia. »Und auch über deine … deine Freundin, Dr. Wilde.«

»Über Nina?«, rief Chase alarmiert.

»Ja. Ich weiß nicht, warum, aber die war bei den anderen Dateien gespeichert, von denen ich annehme, dass er sie der IBAK gestohlen hat.« Sie wandte sich zur Tür. »Wir sind da.«

Chase hatte noch mehr Fragen, behielt sie aber für sich, denn mit einem melodischen Läuten öffnete sich die Tür. Sophia trat auf den schwarzen Marmorboden des Empfangsbereichs hinaus, ihre Absätze erzeugten auf dem polierten Stein ein klickendes Geräusch. Chase folgte ihr.

Hinter einem großen, halbkreisförmigen Schreibtisch saß ein einzelner uniformierter Wachmann. Als er Sophia sah, reagierte er zunächst erfreut und überrascht, doch als er Chase bemerkte, wurde seine Miene wachsam. »Guten Abend, Lady Sophia«, sagte er mit starkem Akzent, stand auf und verbeugte sich.

»Guten Abend, Deng«, erwiderte Sophia freundlich. Sie trat um den Schreibtisch herum und bedeutete Chase, er solle zurückbleiben. »Wie geht es Ihnen?«

»Ausgezeichnet, Lady Sophia«, erwiderte Deng etwas außer Atem. Chase konnte nicht erkennen, ob er nervös oder sogar aufgeregt war.

Als Sophia dicht an ihn herantrat und etwas auf Mandarin flüsterte, wurde Chase die Reaktion des Mannes jedoch klarer: Deng riss die Augen auf, wie jemand, der seinem Glück nicht trauen will. Er stammelte eine Antwort.

Sophia beugte sich noch weiter vor, flüsterte ihm erneut ins Ohr und hauchte ihm dann einen Kuss auf die Wange, von dem ein kleiner Fleck glänzenden Lippenstifts zurückblieb.

Chase kniff die Augen zusammen.

Deng nestelte an seiner Krawatte, verneigte sich erneut und verschwand in der Toilette. »Was war das denn?«, fragte Chase.

»Deng und ich haben eine Verabredung«, antwortete Sophia.

»Ja, sieht ganz danach aus!«

Ihre dunklen Augen blitzten verärgert. »Nicht, wie du meinst. Obwohl er genau das jetzt denkt – ich habe ihm gesagt, er soll sich frisch machen und dass ich ihn im Büro erwarte. Ich war immer nett zu ihm und habe ihm ab und zu kleine Geschenke gemacht. Er revanchiert sich dafür, wo er kann: Zum Beispiel schaut er weg, wenn ich das Büro meines Mannes betrete, ohne dass es jemand merken darf.«

Chase blickte zur Tür. »Er macht sich frisch für dich, wie?«

»Eddie, dafür haben wir jetzt keine Zeit. Komm mit.« Sie wandte sich zu der Flügeltür hinter dem Schreibtisch um.

»Geh du ruhig schon mal rein«, sagte er. »Ich komme gleich nach.«

»Eddie!«

Ohne Sophia zu beachten, trat Chase vor die Toilettentür und klopfte. Dengs angeregte Stimme antwortete ihm. Langsam öffnete er die Tür.

Der Wachmann wandte ihm den Rücken zu und zog gerade das Hemd aus. Deng sagte etwas voll freudiger Erwartung und drehte sich um …

Da boxte Chase ihm bereits ins Gesicht.

Deng taumelte rückwärts, bis er gegen die Wand prallte, mit verdrehten Augen langsam zu Boden glitt und reglos liegen blieb.

»Nur in deinen Scheißträumen, Kumpel«, sagte Chase zu dem bewusstlosen Deng und drohte ihm mit dem Zeigefinger.

Als er in den Vorraum trat, erwartete ihn Sophia mit vor der Brust verschränkten Armen.

»Was ist?«, fragte er unschuldig. »Du hast doch nicht etwa geglaubt, ich würde das dem elenden Wicht durchgehen lassen?«

»Komm einfach mit!«, fauchte sie statt einer Antwort und öffnete die Tür zum Büro.

Dahinter lag eine noble Suite: Mehrere sanft ausgeleuchtete und teuer ausgestattete Räume reihten sich aneinander; im Flur hingen mehrere große kupferfarbene Metallplatten wie steife Segel von der Decke.

»Was zum Teufel ist denn das?«, fragte Chase. Das Metall wirkte verwittert und handbearbeitet, lange, unterschiedlich gefärbte Metallbänder wanden sich wahllos über die Oberfläche.

»Richards neueste Installation. Alle ein, zwei Monate lässt er sie austauschen«, erklärte Sophia und geleitete ihn zu dem Büro am anderen Ende der Suite. »Die ist von dem deutschen Künstler Klaus Klem. Um die acht Millionen Dollar wert.«

»Acht Millionen?«, rief Chase. »Ich würde nicht mal acht Pence dafür geben!«

Sophia seufzte. »Du hast einfach keinen Sinn für Kunst, hab ich recht? Wie auch immer: Hier sind wir.« Sie trat an die Wand und schob ein abstraktes Gemälde beiseite, das wahrscheinlich weitere acht Millionen Dollar wert war. Dahinter kam ein kleiner Safe zum Vorschein. Anstatt mit einer Wählscheibe war er mit einem elektronischen Tastenfeld ausgestattet.

»Kennst du die Kombination?«, fragte Chase.

Sophia lächelte durchtrieben. »Ein bisschen Champagner, ein breites Bett, und ich erfahre alles, was ich wissen will.«

»Ja, darauf verstehst du dich.« Er wandte sich ab, ehe sie etwas erwidern konnte, und blickte aus dem deckenhohen Fenster hinter Yuens Schreibtisch. Dahinter schwang sich die Rückwand des Ycom-Gebäudes in die Tiefe. Am Fuße des Gebäudes lag ein Zierteich. Die Fontänen der Springbrunnen wurden von langsam pulsierenden bunten Unterwasserscheinwerfern beleuchtet.

Es piepte, und als Chase sich umdrehte, war der Safe bereits offen. Sophia schwenkte triumphierend einen kastanienbraunen britischen Pass, dann nahm sie nacheinander noch weitere Gegenstände aus dem Safe und trat zum Schreibtisch. Ein rascher Klick auf die in die Tischplatte eingelassene Tastatur, und aus Schlitzen im schwarzen Marmor kamen drei große Flachmonitore zum Vorschein. In einem Fenster des mittleren Monitors wurde eine Dateiliste angezeigt, sortiert nach Politikernamen, darunter auch Victor Dalton. Chase zog die Augenbrauen hoch und wollte einen Kommentar abgeben, als sein Blick auf den kleinen weißen Gegenstand in Sophias Hand fiel. »Was ist das?«

»Ein USB-Stick. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Dateien, die ich gesehen habe, darauf gespeichert sind, aber ich möchte es überprüfen.« Sie langte unter den Schreibtisch und steckte den Stick ein. »Das Passwort, mit dem ich Zugang zu den Daten auf dem Server bekomme, taugt nur zum Lesen – ich kann die Daten weder kopieren noch per E-Mail versenden.«

»Dann bekommst du also doch nicht immer alles, was du willst.«

Während der Rechner auf den USB-Speicher zugriff, bedachte Sophia Chase mit einem durchdringenden – aber auch flehentlichen – Blick. »Eddie, bitte, kannst du deine Probleme nicht mal für einen Moment zurückstellen? Ich weiß, es fällt dir schwer, deine sarkastischen Bemerkungen bleiben zu lassen, aber versuch es wenigstens. Das hier ist wirklich wichtig.«

»Okay, ich werd mir Mühe geben«, sagte Chase kleinlaut angesichts des peinlichen Dämpfers.

Auf dem Monitor öffnete sich ein neues Verzeichnisfenster.

»Hast du die gemeint?«, fragte er.

Sophia überflog die Dateiliste. »Ja, das sind die Dateien, die ich gesehen habe. Und das ist deine Akte.« Sie tippte mit ihrem glänzend rot lackierten Fingernagel auf die entsprechende Datei: CHASE, EDWARD J.

Die darunter angezeigte Datei bereitete Chase weit mehr Sorge: WILDE, NINA P. Dann aber fiel ihm etwas auf einem der anderen Monitore auf – der Live-Feed einer Überwachungskamera. Sie zeigte die Marmorlobby sowie vier Uniformierte, die vorsichtig aus einer Tür traten. Alle waren bewaffnet.»Oje.«

»Was ist?«

»Wir bekommen Gesellschaft. Los, komm, Zeit zu verschwinden.«

Sophia zog den Stick eilig aus dem Slot und verstaute ihn zusammen mit dem Pass in ihrer Handtasche.

Sie beobachteten, wie einer der Männer auf dem Monitor einen Blick in die Toilette warf und zurückzuckte, als er den bewusstlosen Deng sah.

»Also, ich schätze, einfach lässig nach draußen schlendern kommt jetzt nicht mehr in Frage. Gibt es hier noch andere Ausgänge?«, sagte Chase.

Sophia schüttelte den Kopf. »Nur den Lift und die Treppe. Wir könnten zum Helipad hochgehen und Richards Helikopter nehmen.«

»Kannst du das Ding fliegen?«

»Nein.«

»Ich auch nicht.«

Sie wirkte enttäuscht. »Ich dachte, du könntest das!«

»Ich lerne immer noch dazu!«, fauchte Chase, mittlerweile panisch.

Die Wachleute bewegten sich aus dem Erfassungsbereich der Kamera hinaus; er hörte, wie die Tür am anderen Ende der Suite geöffnet wurde.

»Du bist die Frau vom Boss. Auf dich werden sie nicht schießen.«

»Womöglich doch! Was ist, wenn sie wissen, dass ich dir geholfen habe, aus der Oper zu entkommen?«

»Glaub mir, wenn sie dich in diesem Aufzug sehen, geht ihnen alles Mögliche ab, aber bestimmt nicht die Waffe. Verschaff mir eine kleine Atempause. Los!« Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er geduckt in den angrenzenden Raum.

»Lady Sophia!«, rief jemand von draußen. »Wir wissen, dass Sie da drin sind. Bitte kommen Sie heraus – Mr. Yuen hat uns gebeten, Sie zu ihm zu bringen.«

Sophia trat auf den Flur, ging um eines der baumelnden Kunstwerke herum und sah die vier Wachleute mit gezückten Waffen. Wenigstens zielten sie nicht auf sie. Sophia näherte sich den Männern mit aufreizendem Gang, setzte einen Stöckelschuh vor den anderen und wackelte unter dem engen roten Seidenkleid mit den Hüften. Drei der Wachleute ließen sich dadurch ablenken.

Der vierte war professioneller und spähte misstrauisch in die anderen Räume. »Wo ist der Mann?«

»Welcher Mann?«

»Sie sind in Begleitung hergekommen. Wo steckt er?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Sophia mit Unschuldsmiene. Das entsprach sogar der Wahrheit; sie hatte Chase tatsächlich aus den Augen verloren.

Der Wachmann zwängte sich an der Installation vorbei und näherte sich ihr. Die anderen drei Männer folgten ihm in ein paar Schritten Abstand an der anderen Seite der von der Decke baumelnden Installation entlang. »Wir möchten Ihnen nicht wehtun, aber Mr. Yuen hat gesagt, wir sollen notfalls Gewalt anwenden, wenn Sie nicht freiwillig mitkommen. Wo ist also der …«

Ein Geräusch von der anderen Seite ließ sie herumfahren: Chase war von einem Tisch abgesprungen und schoss beinahe in Deckenhöhe aus einem Nebenraum hervor. Mit ausgestreckten Armen packte er den Halter, an dem das Kunstwerk befestigt war, und trat gegen eine Metallplatte.

Dröhnend wie ein Gong schwang diese mit voller Wucht nach oben und fegte zwei der Wachleute von den Beinen. Der eine prallte gegen eine weitere Metallplatte und riss sie aus der Befestigung. Sie krachte auf den Boden, kippte um und begrub ihn unter sich. Der andere Mann prallte mit solcher Wucht gegen die Wand, dass er beinahe hindurchgebrochen wäre; er blieb jedoch reglos in der Fasergipsplatte stecken, die unter der teuren Tapete verborgen war.

Chase ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich ab, um der zurückschwingenden Platte auszuweichen. Dadurch geriet er in die Nähe eines weiteren verdutzten Wachmanns und schlang ihm die Beine um die Knie. Japsend fiel der Mann auf den Rücken. Flink warf Chase sich auf ihn und rammte ihm die Faust wie einen Holzhammer ins Gesicht.

Der Mann erschlaffte auf der Stelle.

Sophia sah, wie der verbliebene Wachmann mit seiner Pistole auf Chase zielte. Darauf zog sie ihr Kleid an der Vorderseite auseinander und trat dem Mann zwischen die Beine. Der schwere Plateauzeh ihres Schuhs bohrte sich in seinen Schritt. Mit einem winselnden Laut und schmerzverzerrtem Gesicht brach er zusammen und nahm Embryonalhaltung ein.

»Wie ich sehe, kannst du noch immer gut auf dich selber aufpassen«, meinte Chase und kickte die Waffen der anderen Wachleute weg.

Sophia hob die Pistole des schluchzenden Mannes auf, der vor ihren Füßen lag. »Shanghai ist eine harte Stadt.«

»Komm.« Chase fasste sie bei der Hand und zog sie zum Lift. Sie folgte ihm, trotz der hohen Absätze in perfekter Haltung.

Kaum hatten sie die Lobby betreten, als eine Alarmglocke gellte und rote Warnlampen aufblitzten. Auf dem Aufzugdisplay blinkten chinesische Schriftzeichen.

»Der Lift ist gesperrt!«, keuchte Sophia.

»Die kommen bestimmt schon die Treppe hoch«, sagte Chase grimmig und sah sich um.

Der Weg zum Ausgang war ihnen versperrt, und die einzige Fluchtroute führte zu einem Hubschrauber, den er nicht fliegen konnte …

Er machte kehrt und eilte in die Bürosuite zurück. »Da können wir nicht raus!«, protestierte Sophia.

»Selbst ist der Mann.« Er blieb vor einer der herabgefallenen Metallplatten stehen. Das eine Ende hatte sich beim Aufprall auf dem Boden verbogen. Chase blickte durch den Flur in Yuens Büro und fixierte die geschwungenen Fenster mit skeptischem Blick …

»Gib mir deine Hand!«, sagte er nach kurzer Überlegung, packte die Metallplatte an einer Ecke und schleifte sie über den Boden. Sophia gehorchte verwirrt.

Der Wachmann, den sie getreten hatte, zeigte erste Anzeichen der Erholung. Sophia rammte ihm erneut ihren Absatz zwischen die Beine. Daraufhin krümmte er sich noch stärker zusammen, Tränen strömten ihm übers Gesicht.

»Hör auf, dich zu vergnügen«, sagte Chase und bedeutete ihr, die Platte mit ins Büro ziehen zu helfen. »Und zieh die verdammten Schuhe aus!«

»Was hast du vor?«, fragte Sophia, löste jedoch gehorsam die Riemchen und kickte die Stöckelschuhe weg. »Hier gibt es keinen Ausgang!«

Chase nahm ihr die Waffe ab und feuerte mehrere Schüsse auf das Fenster ab, dessen Scheibe barst. »Jetzt schon!«

»Was hast du …« Sie begriff. Fassungslosigkeit spiegelte sich in ihrer Miene wieder, gefolgt von kreatürlicher Angst. »O mein Gott! Bist du wahnsinnig

»So wird allgemein behauptet.« Er zerrte die Metallplatte zum Fenster. Ein kalter Wind wehte durch die schartige Höhlung. Sophia rührte sich nicht von der Stelle.

»Wir – wir können zum Helipad hochgehen! Du könntest so tun, als hättest du mich als Geisel genommen, und einen Piloten verlangen …«

»Sie wissen, dass ich dich retten und nicht kidnappen will!« Chase lehnte sich aus dem Fenster und blickte in die Tiefe. Die Neigung der Fassade betrug hier oben mindestens siebzig Grad, doch die Gebäudefront wurde allmählich flacher und ging am Boden fast in die Horizontale über …

Sophia starrte ihn entgeistert an. »Eddie, wir werden dabei sterben

Er ließ die Platte so fallen, dass die gebogene Vorderseite über den Rand des Fensters hinausragte, dann streckte er die Hand aus. »Habe ich dich jemals sterben lassen?«

»Nein, aber …«

»Und das hab ich auch jetzt nicht vor.« Er reichte ihr erneut die Hand, fordernder diesmal. »Vertrau mir.«

Nach kurzem Zögern ergriff Sophia seine Hand.

Chase zog sie an sich. »Okay, halt dich einfach an mir fest und lass auf keinen Fall los, egal, was passiert.« Über die knirschenden Glasscherben hinweg schob er die Platte noch etwas weiter vor.

Die Tür zum Vorraum wurde aufgerissen. Noch mehr Wachleute.

Chase trat auf die Metallplatte und kniete nieder. Widerstrebend tat Sophia es ihm nach und klammerte sich an ihm fest. Entschlossen packte Chase die verbogenen Ecken des Kunstwerks, beförderte die Platte mit kleinen Ruckbewegungen zentimeterweise nach vorn und wandte den Kopf zu Sophia herum. Ihre Wangen berührten sich. »Bereit für den Ritt auf dem fliegenden Teppich?«

Sie nickte.

Die Wachleute stürmten ins Büro. »Keine Bewegung!«, brüllte jemand.

Ein letzter Ruck – und die beiden kippten über den Fensterrand und glitten in die Tiefe.