Kapitel 28

Das warme Wasser rann über ihren Kopf und plätscherte gegen den Rand der Badewanne, über die sie gebeugt war. Der Schaum, der in den Ausguss lief, war rot gefärbt vom Blut, das er ihr behutsam aus den Haaren wusch.

«Autsch!»

«Entschuldigung. Sie haben getrocknete Klumpen im Haar kleben.»

«Das will ich gar nicht so genau wissen!»

Er hängte den Duschkopf an der Wandbefestigung auf und drückte aus einer Flasche weiteres Shampoo in seine Hand, um es in ihre Haare zu massieren.

Sie hatte sich inzwischen ein wenig gefangen – die Übelkeit war verflogen, und ihre Hände zitterten nicht mehr unkontrolliert. Sie entspannte sich unter seiner Berührung und genoss sie sogar. Sie spürte die Wärme seines Körpers in ihrem Rücken, als er erneut den Schaum aus ihren Haaren spülte.

«Ich denke, jetzt ist alles weg.»

«Danke», murmelte sie und wickelte sich ein Handtuch um den Kopf.

Er gab ihr eins von seinen Hemden und ließ sie allein, damit sie sich säubern konnte. Während sie unter der Dusche stand, zerlegte er seinen Browning rasch, reinigte ihn und setzte ihn wieder zusammen. Während dieser Arbeit, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war und beinahe automatisch geschah, schweiften seine Gedanken in weite Ferne.

Sie kam aus dem Badezimmer, das Hemd um die Taille zusammengeknotet; die langen dunkelroten Haare waren immer noch feucht und glänzend. Er füllte ein Glas mit Wein und reichte es ihr. «Alles in Ordnung?»

«Ja … alles in Ordnung.»

«Roberta … ich war nicht ganz aufrichtig zu Ihnen. Es gibt ein paar Dinge, die Sie erfahren sollten.»

«Wegen der Pistole?»

Er nickte. «Unter anderem.»

Sie saß da, trank von ihrem Wein und starrte zu Boden, während er ihr alles erzählte. Von Fairfax, von seiner Suche, von dem sterbenden kleinen Mädchen. «Das war mehr oder weniger alles. Mehr steckt nicht dahinter. Jetzt wissen Sie Bescheid.» Er wartete auf ihre Reaktion.

Sie schwieg eine ganze Weile. Ihr Gesicht war nachdenklich und reglos. «Das ist also Ihre Arbeit, Ben? Sie retten Kinder?», fragte sie schließlich leise.

Er sah auf seine Uhr. «Es ist spät. Sie sollten versuchen, ein wenig zu schlafen.»

 

In dieser Nacht überließ er ihr sein Bett, während er im anderen Zimmer auf dem Boden schlief. Sie wurde im Morgengrauen geweckt, als sie ihn nebenan kramen hörte. Verschlafen ging sie in den anderen Raum und sah, wie Ben seinen grünen Seesack packte. «Was bedeutet das?»

«Ich verlasse Paris.»

«Sie verlassen Paris? Und was ist mit mir?»

«Wollen Sie immer noch mit mir kommen – nach gestern Abend?»

«Ja, das will ich. Wohin fahren wir?»

«Nach Süden», antwortete er, während er Fulcanellis Journal vorsichtig im Sack verstaute. Er bedauerte, nicht mehr Zeit zu haben, um es zu lesen. Er öffnete die Schublade seines Schreibtischs und nahm den Pass heraus, den er dort aufbewahrte. Er hatte ihn in London anfertigen lassen, und er war von einem echten nicht zu unterscheiden. Das Bild war seins, doch der Name im Pass lautete Paul Harris. Er schob ihn in die Innentasche seiner Jacke.

«Aber es gibt noch ein Problem, Ben», fiel ihr in diesem Augenblick ein. «Ich muss noch einmal zurück in meine Wohnung.»

Er schüttelte den Kopf. «Keine Chance. Tut mir leid.»

«Aber ich muss.»

«Wozu? Falls Sie Kleidung und andere Dinge brauchen, kein Problem – wir kaufen alles unterwegs.»

«Nein, es ist etwas anderes. Diese Leute, die hinter uns her sind – wenn sie noch einmal in meine Wohnung eindringen, finden sie vielleicht mein Adressbuch. Da steht alles drin: meine Freunde, meine Familie in den Staaten, alles. Was, wenn sie sich an meine Familie heranmachen, um mich in die Finger zu kriegen?»

 

Als Luc Simon in sein Büro zurückkehrte, fand er das gesamte Hauptquartier in wildem Aufruhr vor. Gerade war die Nachricht von einer Schießerei an der Seine eingetroffen. Gewaltverbrechen waren in Paris an der Tagesordnung. Sie gehörten quasi zum Leben dazu. Aber wenn es ein Blutbad gegeben hatte wie dieses, wenn zwei Beamte niedergeschossen worden waren und weitere Leichen das Ufer der Seine säumten und überall verschossene Patronenhülsen und Waffen herumlagen, dann bedeutete das für die Pariser Polizei Großalarm.

Auf seinem Schreibtisch lag ein brauner Briefumschlag. Er enthielt die Handschriftenanalyse. Der Abschiedsbrief von Zardi stimmte nicht mit den anderen Schriftproben überein, die sie in seiner Wohnung sichergestellt hatten – mit seinen Einkaufszetteln, den Memos und dem halbvollendeten Brief an seine Mutter. Die Schrift war sehr ähnlich, doch sie war definitiv gefälscht. Und falsche Abschiedsbriefe von vermeintlichen Selbstmördern deuteten immer nur in eine Richtung. Insbesondere, wenn man bereits wusste, dass das Opfer nicht selbst geschossen hatte.

Es war offensichtlich ein Mordfall, und er hatte es vermasselt. Er hatte dieser Roberta Ryder nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, mit seinen Eheproblemen und der drohenden Scheidung. Eine gescheiterte Ehe zu kitten und gleichzeitig die Bewohner von Paris daran zu hindern, sich gegenseitig umzubringen: Das waren zwei Dinge, die sich nicht unter einen Hut bringen ließen.

Keine Ausreden, verdammt. Tatsache war, er hatte Mist gebaut. Roberta Ryder war keine dahergelaufene Irre. Sie war tatsächlich in irgendetwas verwickelt. Was es war und welche Rolle sie spielte, das würde er herausfinden müssen.

Bis jetzt hatte er nur Fragen und keine einzige Antwort. Wer war der Kerl, der sie begleitet hatte, als sie in der Nacht von Zardis Tod in dessen Wohnung aufgetaucht war? Irgendetwas war merkwürdig gewesen an seinem Verhalten. Als wollte er verhindern, dass sie zu viel redete. Hatte er nicht behauptet, ihr Verlobter zu sein? Sie hatten nicht den Eindruck gemacht, als wären sie ein Paar. Und hatte Roberta Ryder ihm nicht selbst erst wenige Stunden vorher erzählt, dass sie alleinstehend war?

Der Kerl war wichtig, so viel stand fest. Wie war noch gleich sein Name? Falls Simon sich richtig erinnerte, dann hatte er ziemlich herumgedruckst und nicht erfreut dreingeblickt, als diese Ryder ihn schließlich für ihn genannt hatte.

Simon klappte die vor ihm auf seinem Schreibtisch liegende Akte auf. Ben Hope, ja, das war der Name. Ein Brite, trotz seiner nahezu akzentfreien Aussprache. Er musste ihn überprüfen. Und die Wohnung dieser Dr. Ryder noch einmal durchsuchen. Nach den jüngsten Ereignissen war es bestimmt nicht schwer, einen Durchsuchungsbefehl zu erhalten.

Auf dem Weg nach draußen rannte er in einen seiner Kollegen. Es war Détective Bonnard. Beide eilten anschließend den geschäftigen Korridor hinunter.

Bonnard sah sehr ernst, grau und hager aus. «Ich habe gerade die neuesten Informationen wegen der Schießerei an der Seine», sagte er.

«Lassen Sie hören.»

«Wir haben einen Zeugen. Ein Autofahrer hat gesehen, wie zwei Personen zum fraglichen Zeitpunkt vom Tatort weggerannt sind. Ein Mann und eine Frau. Weiße. Die Frau war vermutlich rothaarig und schätzungsweise Anfang dreißig. Der Mann ein wenig älter, größer, blond. Die Frau schien vor ihm davonzulaufen. Der Zeuge sagt, sie wäre von oben bis unten voller Blut gewesen.»

«Ein blonder Mann und eine rothaarige Frau?», wiederholte Simon. «War die Frau verletzt?»

«Es sah nicht so aus. Wir glauben, es ist die gleiche Frau, die unsere Kollegen aufgesammelt haben, bevor sie erschossen wurden. Sie hat Blutspuren auf den Rücksitzen des Streifenwagens hinterlassen. Aber das Blut stammt von einer der Leichen, die wir unter der Brücke gefunden haben, und zwar von dem Kerl, dem mit einem Gewehr der halbe Kopf weggeschossen wurde.»

«Wohin ist die Frau verschwunden?»

Bonnard machte eine hilflose Handbewegung. «Keine Ahnung. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden. Entweder ist sie zu Fuß geflüchtet, oder jemand hat sie verdammt schnell in Sicherheit gebracht, bevor unsere Verstärkung am Tatort eintraf.»

«Großartig. Was haben wir sonst noch?»

Bonnard schüttelte den Kopf. «Es ist eine üble Sauerei. Wir haben das Gewehr gefunden. Eine Militärwaffe, keine Fingerabdrücke und nicht registriert. Das Gleiche gilt für die Pistolen, die wir gefunden haben. Zwei der Opfer sind alte Bekannte. Vorbestraft wegen bewaffneter Überfälle und dergleichen. Niemand weint diesen Kerlen eine Träne nach. Aber wir haben nicht den Hauch einer Idee, worum es bei der Geschichte geht. Vielleicht sind Drogen im Spiel.»

«Das glaube ich nicht», erwiderte Simon.

«Was wir wissen, ist, dass mindestens ein Schütze davongekommen ist. Wir fanden 9-mm-Projektile in drei der Leichen. Sie stammen alle aus der gleichen Waffe, und der Forensiker meint, es wäre eine Browning-Pistole. Die einzige Waffe, die wir nicht finden konnten.»

«Ah.» Simon war in tiefe Gedanken versunken.

«Da ist noch etwas …», fuhr Bonnard fort. «Basierend auf dem, was wir bisher wissen, gehört unser geheimnisvoller 9-mm-Schütze nicht zum üblichen Abschaum. Wer auch immer dieser Kerl ist, er kann in der Dunkelheit fünfundzwanzig Meter entfernte, sich bewegende Ziele mit Doppelsalven treffen, und die Treffer liegen alle dicht beieinander. Schaffen Sie das? Ich nicht … Und ich kenne auch niemanden, der das kann. Wir haben es hier mit einem absoluten Profi zu tun.»

Das Fulcanelli-Komplott
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