Kapitel 25

Montpellier,
Frankreich

 

Der Keller wollte dem Lehrling des Elektrikers nicht aus dem Kopf gehen. Immer wieder musste er an die merkwürdigen Dinge denken, die er dort gesehen hatte. Was ging dort vor? Der Keller war kein Lagerraum. Und es wurden definitiv keine Hunde dort gehalten. Es gab Gitterstäbe, wie die von Käfigen, und Ringe an den Wänden. Wenn er sich an diesen Anblick erinnerte, musste er sogleich an das denken, was er in seinem Buch über Burgen im Mittelalter gelesen hatte. Das moderne Gebäude mit der Glasfassade war keine Ritterburg – aber der Keller erinnerte ihn stark an eines jener unheimlichen Verliese.

Er hatte um halb sieben Feierabend gemacht und nun frei bis Montag. Gott sei Dank. Onkel Richard war ein netter Kerl – jedenfalls die meiste Zeit –, aber die Arbeit war ziemlich langweilig. Onkel Richard war langweilig. Marc wünschte sich ein aufregenderes Leben. Seine Mutter erzählte ihm immer, dass er eine überschäumende Phantasie hatte. Das wäre ja alles schön und gut, Schriftsteller werden zu wollen, aber Phantasie brächte kein Geld in die Kasse. Ein gutes Handwerk, wie beispielsweise das des Elektrikers: Das wäre der richtige Weg. Er wollte doch nicht etwa enden wie sein Vater? Ständig pleite, ein Spieler, ein zwielichtiger Kerl, der immer wieder im Gefängnis saß und der von seiner Familie weggelaufen war, weil er die Verantwortung nicht hatte tragen wollen. Ein Leben wie das von Onkel Richard: gesetzt, respektabel, alle paar Jahre ein neuer Wagen, eine Hypothek, eine Mitgliedschaft im örtlichen Golfclub, eine hingebungsvolle Frau und zwei Kinder – das war es, was seine Mutter für ihn wollte. Und mit nichts anderem würde sie sich zufriedengeben.

Doch Marc war nicht sicher, ob er so enden wollte wie einer ihrer Brüder. Er hatte seine eigenen Vorstellungen. Wenn er schon nicht Schriftsteller werden konnte, dann vielleicht Detektiv. Er war fasziniert von Geheimnissen, und er war ziemlich sicher, dass er eins entdeckt hatte.

Immer wieder ging er zu der Schublade in seinem Nachttisch, wo der Gegenstand versteckt war, den er in jenem Keller gefunden hatte. Er hatte keiner Menschenseele davon erzählt. Das Ding sah aus, als wäre es aus Gold. Machte ihn das zu einem Dieb, wie sein Vater einer war? Nein, er hatte es gefunden. Es war seins. Aber – was für ein Ding war das? Wozu diente es? Was für ein Ort war dieser Keller?

Er beendete sein Abendessen, stellte Teller und Besteck ordentlich in den Geschirrspüler und ging zur Haustür. Auf dem Weg dorthin nahm er seinen Sturzhelm von der Garderobe und steckte die Mopedschlüssel ein. Er holte seinen Rucksack, legte eine Taschenlampe hinein und warf ihn sich über die Schulter. Einen Augenblick später setzte er ihn dann noch einmal ab, um einen Schokoriegel einzupacken.

«Marc, wohin willst du?», rief ihm seine Mutter hinterher.

«Raus.»

«Wohin raus?»

«Einfach nur raus.»

«Komm nicht so spät nach Hause.»

Das Gebäude war ungefähr fünfzehn Kilometer von zu Hause entfernt und leicht mit dem Moped zu erreichen. Nachdem er sich ein paarmal verfahren hatte, fand Marc sich schließlich bei Einbruch der Abenddämmerung vor dem von Mauern umgebenen Anwesen wieder. Das schwarze, schmiedeeiserne Tor war geschlossen. Er spähte zwischen den Stäben hindurch und sah das hellerleuchtete Haus hinter den dunklen, rauschenden Bäumen. Er schaltete den surrenden Motor ab und fand eine Stelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo er seine leichte Maschine unter ein paar Büschen verstecken konnte.

Die Mauer zog sich in einem weiten Bogen um das Grundstück herum. Er kletterte eine Böschung hinauf und folgte ihrem Verlauf durch hohes Gras bis zu einer großen alten Eiche, deren Zweige über die Mauer reichten. Mit dem Rucksack über der Schulter kletterte er am Stamm hinauf und schob sich über einen der dicken unteren Äste nach vorn, bis er zuerst den einen, dann auch den anderen Fuß auf die Mauer setzen konnte. Er ließ die Beine auf der dem Haus zugewandten Seite herabbaumeln und sprang dann zwischen die Büsche, wo er sicher landete.

Für eine gute Weile blieb er unter ein paar Bäumen stehen und beobachtete das Haus, während er seinen Schokoladenriegel verzehrte. Die Fenster im Erdgeschoss waren erleuchtet. Er aß den Schokoriegel auf, wischte sich den Mund ab. Dann schlich er geduckt über den Rasen, wobei er darauf achtete, sich stets im Schatten zu halten.

Unbehelligt erreichte er das Gebäude. Die Erdgeschossfenster lagen zu hoch, um hineinzusehen. Eine Treppe führte hinauf zum Eingang im Hochparterre. Wenn er ein paar Stufen hinaufstieg, würde er durch die erleuchteten Fenster ins Innere spähen können.

Er war kaum ein paar Stufen weit gekommen, als am Ende der Auffahrt Scheinwerfer aufflammten. Das eiserne Tor surrte automatisch zur Seite, und zwei große schwarze Limousinen rollten auf das Gebäude zu. Sie glitten an ihm vorüber und verschwanden um eine Ecke. Marc rannte hinterher, immer im Schatten. Er sah, wie die Wagen eine Rampe hinunterfuhren. Offensichtlich gab es da unten eine Tiefgarage. Vorsichtig schlich er näher.

Er hörte Wagentüren und Stimmen. Auf Zehenspitzen huschte er tief geduckt die Rampe hinunter, bis er sehen konnte, wie die Männer ausstiegen und auf einen Lift zugingen.

Doch irgendetwas war nicht richtig. Einer der Männer schien nicht mit den anderen mitgehen zu wollen. Die anderen hielten ihn an den Armen und zerrten ihn weiter, während er sich wand und angstvoll schrie. Zu Marcs Entsetzen zog einer der anderen eine Pistole. Marc glaubte, er würde den verängstigten Mann erschießen, doch er schlug ihm nur damit über den Kopf. Marc sah Blut spritzen. Der Mann war halb bewusstlos und wehrte sich nicht mehr, als die anderen ihn mit sich schleiften.

Marc hatte genug gesehen. Er drehte sich um und rannte.

Direkt in die Arme eines großen, schwarzgekleideten Mannes.

Das Fulcanelli-Komplott
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