Kapitel 10

Das Haus war nicht ganz das, was Ben erwartet hatte. Der Begriff «Labor» weckte in ihm Bilder von einem modernen, weitläufigen, funktionalen Gebäude, das Platz für umfangreiche wissenschaftliche Ausstattungen bot. Seine Überraschung war größer und größer geworden, während er der Wegbeschreibung folgte, die der Typ am Telefon ihm gegeben hatte. Jetzt stand er vor dem alten Wohnhaus mitten in Paris. Als er eintrat, musste er als Erstes feststellen, dass es keinen Aufzug gab. Die Treppe mit ihrem wackligen schmiedeeisernen Geländer führte drei Stockwerke hinauf zu einem schmalen Absatz mit einer Tür zu jeder Seite. Es roch nach Feuchtigkeit und Ammoniak.

Während er die Stufen hinaufstieg, musste er immer wieder an den Vorfall in der Kathedrale Notre-Dame und an seinen Beschatter denken. Die Geschichte verfolgte ihn. Er war vorsichtig gewesen auf dem Weg hierher. Immer wieder war er stehen geblieben, hatte in Schaufensterscheiben gesehen und sich die Menschen ringsum eingeprägt. Falls er jetzt immer noch beschattet wurde, dann von jemandem, der sein Handwerk verstand. Ben konnte beim besten Willen niemanden entdecken.

Er kontrollierte die Nummer an der Tür und betätigte den Summer. Einige Augenblicke später öffnete ein junger Mann mit dunklen, gelockten Haaren und blassem Teint die Tür. Die Räumlichkeiten, die Ben nun betrat, erwiesen sich als kleine, beengte Wohnung.

Eine Tür war mit Labor beschriftet. Er klopfte an, wartete eine Sekunde und trat ein.

Das Labor war nichts weiter als ein umfunktioniertes normales Zimmer. Arbeitsflächen bogen sich unter dem Gewicht von mindestens einem Dutzend Computern. Überall drohten gefährlich hohe Stapel von Büchern und Ordnern bei der kleinsten Berührung umzukippen. In einer Ecke gab es ein Spülbecken sowie eine Reihe von alten Instrumenten und Apparaten zur Durchführung von Experimenten. Reagenzgläser in einem Gestell, ein Mikroskop. Es gab kaum Platz für den Schreibtisch, an welchem eine junge Frau in einem weißen Laborkittel saß. Ben schätzte sie auf Anfang dreißig. Ihr dunkelrotes Haar war zu einem Knoten hochgesteckt und verlieh ihr eine Aura von Seriosität. Sie war attraktiv genug, um auf ein Make-up verzichten zu können. Ihr einziger Schmuck waren zwei einfache Perlenohrstecker.

Sie sah auf und lächelte, als Ben eintrat.

«Verzeihung», sagte er auf Französisch. «Ich suche Dr. Ryder?»

«Sie haben sie gefunden», antwortete sie auf Englisch. Sie sprach mit einem amerikanischen Akzent. «Bitte nennen Sie mich doch Roberta.»

Sie erhob sich und trat ihm entgegen. Die beiden schüttelten sich die Hand.

Roberta beobachtete ihn und wartete auf eine der Reaktionen, die ihr nur allzu bekannt waren: auf die unvermeidliche gehobene Augenbraue und die gespielte Überraschung, die in bestimmten Ausrufen – Oh, eine Frau! – oder in gewissen Sprüchen – Meine Güte, Wissenschaftlerinnen werden heutzutage immer attraktiver! – zum Ausdruck gebracht wurde. Nahezu jeder Mann, den sie traf, gab zu ihrer nicht geringen Verärgerung diese Art von Kommentaren ab. Es war beinahe ein Standardtest für sie geworden, mit dem sie die Männer einschätzte, denen sie begegnete. Genau die gleiche ärgerliche Art von Kommentaren bekam sie, wenn sie Männern von ihrem schwarzen Gürtel in Shotokan-Karate erzählte: Oh, dann passe ich wohl besser auf meine Finger auf. Bei solchen Sprüchen dachte sie immer nur eines: Alles Arschlöcher.

Doch als sie nun Ben Platz anbot, bemerkte sie nicht eine Spur von spöttischer Amüsiertheit in seinem Gesicht. Interessant. Er gehörte nicht zu der typischen Sorte von Engländern, die sie bisher kennengelernt hatte. Keine rosigen Wangen, kein Bierbauch, kein furchtbarer Geschmack in Bezug auf Kleidung und keine überkämmte Glatze am Hinterkopf. Der Mann ihr gegenüber war groß gewachsen – über eins achtzig –, schlank und durchtrainiert. Er trug legere Jeans und ein leichtes Jackett über einem schwarzen Polohemd. Sie schätzte, dass er etwa fünf oder sechs Jahre älter als sie war. Er besaß die tiefe Bräunung eines Menschen, der viel Zeit in einem heißen Land verbracht hatte, und das dichte blonde Haar war von der Sonne gebleicht. Mit einem Wort, er war genau die Sorte Mann, auf die sie stand – wäre da nicht eine ausgeprägte Härte in den Gesichtszügen gewesen und ein Ausdruck in den blauen Augen, der Kälte und Distanz vermittelte.

«Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, mich zu empfangen», begann er.

«Mein Assistent Michel sagt, Sie wären von der Sunday Times

«Das ist richtig. Ich arbeite an einem Artikel für unsere Magazinbeilage.»

«Aha? Und wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Hope?»

«Ben.»

«Okay, was kann ich für Sie tun, Ben? Ach, übrigens, das hier ist Michel Zardi, mein Freund und Helfer.» Sie deutete auf Zardi, der ins Labor gekommen war, um nach einer Akte zu suchen. «Hören Sie, ich wollte mir gerade einen Kaffee machen. Möchten Sie auch einen?»

«Kaffee wäre prima», antwortete Ben. «Schwarz, ohne Zucker. Ich müsste übrigens noch einen schnellen Anruf tätigen – haben Sie etwas dagegen?»

«Nein, nur zu.» Sie wandte sich zu Michel um. «Möchtest du auch einen Kaffee?», fragte sie ihn in perfektem Französisch.

«Non, merci. Ich gehe gleich raus, um Fisch für Lutin zu besorgen.»

Sie lachte. «Deine elende Katze isst besser als ich.»

Michel grinste und verließ das Zimmer. Roberta begann den Kaffee zuzubereiten, während Ben sein Mobiltelefon hervorholte. Er wählte die Nummer von Loriot, dem Verleger, den Jonathan Rose erwähnt hatte. Keine Antwort. Ben hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox zusammen mit seiner Nummer.

«Ihr Französisch ist ziemlich gut für einen englischen Journalisten», bemerkte Roberta und stellte zwei Tassen Kaffee auf den Tisch.

«Ich bin viel herumgekommen», erwiderte er. «Ihres ist auch sehr gut. Wie lange leben Sie schon in Frankreich?»

«Inzwischen sind es beinahe sechs Jahre.» Sie trank von ihrem heißen Kaffee. «Kommen wir zum Grund Ihres Besuchs, Ben. Sie möchten, dass ich Ihnen etwas über Alchemie erzähle. Wie haben Sie überhaupt von mir erfahren?»

«Professor Jonathan Rose von der Oxford University hat mir Ihren Namen genannt. Er hat von Ihren Arbeiten gehört und denkt, dass Sie vielleicht imstande wären, mir weiterzuhelfen. Selbstverständlich werde ich bei jeder von Ihnen stammenden Information, die ich in meinem Artikel verwende, Ihren Namen angeben.»

«Lassen Sie bloß meinen Namen da raus.» Sie lachte grimmig. «Wahrscheinlich ist es am besten, wenn Sie mich überhaupt nicht erwähnen. Ich gelte heutzutage in der wissenschaftlichen Welt als Unberührbare. Aber wenn ich Ihnen helfen kann – mit Vergnügen. Was möchten Sie wissen, Ben?»

Er beugte sich vor und sah sie an. «Ich möchte mehr über die Arbeit der Alchemisten herausfinden, beispielsweise über die von, sagen wir … Fulcanelli. Wer sie waren, was sie gemacht haben, was sie entdeckt haben könnten und dergleichen Dinge.»

«Ah. Fulcanelli.» Sie stockte und musterte ihn mit einem gelassenen Blick. «Was wissen Sie genau über die Alchemie, Ben?»

«Sehr wenig», gestand er wahrheitsgemäß.

Sie nickte. «Okay. Schön, dann lassen Sie mich als Erstes etwas klarstellen: Alchemie ist mehr als nur die Verwandlung von Blei in Gold, ja?»

«Haben Sie was dagegen, wenn ich mir Notizen mache?» Er zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche.

«Nur zu. Ich meine, theoretisch ist es nicht unmöglich, Gold zu erschaffen. Der Unterschied zwischen einem chemischen Element und einem anderen ist nur eine Frage der Manipulation winziger energetischer Partikel. Nehmen Sie hier ein Elektron weg und fügen Sie dort eins hinzu, und Sie können theoretisch jedes Molekül in ein anderes umwandeln. Doch das ist es nicht, worum es in der Alchemie geht. Jedenfalls nicht in meinen Augen. Ich sehe die Verwandlung von beliebigen Metallen in Gold als eine Art Metapher.»

«Eine Metapher? Wofür?»

«Überlegen Sie selbst, Ben. Gold ist das stabilste und beständigste aller Metalle. Es läuft niemals an und korrodiert nicht, auch nicht in tausend Jahren. Objekte aus purem Gold überdauern die Zeitalter. Vergleichen Sie das beispielsweise mit Eisen, das in kürzester Zeit wegrostet. Und jetzt stellen Sie sich eine Technologie vor, die imstande ist, unbeständige Materie zu stabilisieren und die Verwitterung aufzuhalten.»

«Wovon, beispielsweise?»

«Im Prinzip von allem. Alles in unserem Universum besteht im Grunde genommen aus dem gleichen Stoff. Ich glaube, dass die Alchemisten letztendlich nach einem universalen Element in der Natur gesucht haben, das man irgendwie isolieren oder extrahieren und dazu benutzen könnte, die Perfektion von Materie zu erhalten oder wiederherzustellen. Und zwar bei jeder Art von Materie, nicht nur bei Metallen.»

«Ich verstehe», sagte er und machte eine Notiz in seinem Büchlein.

«Ja? Nun, wenn es gelänge, eine solche Technologie zu finden und einsetzbar zu machen, wäre ihr Potenzial grenzenlos. Es wäre wie eine umgekehrte Atombombe: Man würde die Energie der Natur nutzen, um etwas zu erschaffen, anstatt etwas zu vernichten. Ich persönlich – als Biologin – interessiere mich für die potenziellen Auswirkungen auf lebende Organismen, insbesondere Menschen. Was, wenn es uns gelänge, das Altern von lebendem Gewebe zu verlangsamen? Vielleicht sogar krankes Gewebe wieder gesunden zu lassen?»

Er musste nicht lange darüber nachdenken. «Es wäre die ultimative medizinische Technologie.»

Sie nickte. «Allerdings. Es wäre ein unglaublicher Fortschritt.»

«Und Sie glauben, die Alchemisten waren auf der richtigen Fährte? Ich meine, ist es möglich, dass sie etwas in der Art erschaffen haben?»

Sie lächelte. «Ich weiß, was Sie denken. Es stimmt, die meisten Alchemisten waren vermutlich Irre. Durchgeknallte alte Kerle mit einer Menge verrückter Ideen über die Natur der Magie. Vielleicht war die Alchemie für manche von ihnen eine Art Hexerei – so wie übrigens auch das Telefon oder Internet für jemanden, der aus der fernen Vergangenheit in die Gegenwart teleportiert würde, wie dunkle Hexenkunst erscheinen müsste. Doch es gab auch andere Alchemisten. Ernsthafte Wissenschaftler.»

«Beispielsweise?»

«Isaac Newton. Der Vater der klassischen Physik war zugleich ein heimlicher Alchemist. Einige seiner größten Entdeckungen, die heutzutage von sämtlichen Wissenschaftlern genutzt werden, basieren möglicherweise auf seinen alchemistischen Arbeiten.»

«Das wusste ich nicht.»

«Aber es stimmt. Ein weiterer Mann, der sich intensiv mit Alchemie beschäftigt hat und dessen Name Ihnen bestimmt nicht unbekannt ist, war Leonardo da Vinci.»

«Der Künstler?»

«Der Künstler, der auch ein brillanter Erfinder, Ingenieur und Konstrukteur war», antwortete sie. «Dann gab es noch den Philosophen Giordano Bruno – das heißt, bis die Inquisition der katholischen Kirche ihn im Jahr 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat.» Sie verzog das Gesicht. «Das sind die Alchemisten, für die ich mich interessiere. Persönlichkeiten, die das Fundament für eine ganz neue Wissenschaft gelegt haben, die alles verändern wird. Das ist es, was ich glaube, und das ist im Grunde genommen das, worum es bei meiner Forschung geht.» Sie zögerte. «Ich sage Ihnen was. Warum zeige ich Ihnen nicht einfach ein paar Dinge, anstatt ununterbrochen auf Sie einzureden? Haben Sie Angst vor Fliegen?»

«Fliegen?»

«Stubenfliegen. Manche Leute haben Angst vor ihnen.»

«Ich nicht.»

Roberta öffnete eine Doppeltür, hinter der sich ein Raum befand, der früher eine Garderobe oder ein begehbarer Kleiderschrank gewesen sein musste. Die Einrichtung war einem neuen Verwendungszweck angepasst worden: Rechts und links von der Tür befanden sich Holzregale, auf denen zwei riesige Glasbehälter standen. Doch es waren keine Fische darin, sondern Tausende und Abertausende von Stubenfliegen. Schwarze, haarige Schwärme von Stubenfliegen, die hinter dem Glas wimmelten.

«Jesses …!», murmelte er und zuckte zurück.

«Ziemlich eklig, nicht wahr?», sagte Roberta vergnügt. «Willkommen bei meinem Experiment.»

Die beiden Tanks waren beschriftet mit A und B. «Tank B ist die Kontrollgruppe», erklärte Roberta. «Die Fliegen darin sind ganz gewöhnliche Fliegen, gut versorgt, doch ohne jede weitere Behandlung. Tank A enthält die experimentelle Gruppe.»

«Okay … Und was passiert mit dieser Gruppe?», fragte er misstrauisch.

«Sie wird behandelt. Mit etwas, das nach einer ganz bestimmten Formel hergestellt wird.»

«Was für einer Formel?»

«Ich habe keinen Namen für sie. Ich habe sie entdeckt – aus alten alchemistischen Werken abgeschrieben, sollte ich lieber sagen. Im Grunde genommen ist es nur Wasser, das einigen speziellen Prozessen unterworfen wurde.»

«Prozessen? Was für Prozessen?»

Sie lächelte schlau. «Speziellen Prozessen.»

«Und was geschieht mit den Fliegen, die auf der Grundlage dieser Formel behandelt werden?»

«Das ist der interessante Teil. Die Lebensspanne einer normalen erwachsenen Stubenfliege beträgt sechs Wochen bei guter Ernährung. Das ist mehr oder weniger auch die Zeit, die meine Fliegen in Tank B überleben. Die Fliegen in Tank A hingegen erhalten in ihrer Nahrung winzige Mengen von dem Wasser, das gemäß der Formel hergestellt wird … Und sie haben durch die Bank hindurch eine um dreißig bis fünfunddreißig Prozent längere Lebensspanne. Ungefähr acht Wochen.»

Ben kniff die Augen zusammen. «Sind Sie sich da absolut sicher?»

Sie nickte. «Wir sind bei der dritten Generation angekommen. Die Resultate sind konstant.»

«Dann ist das ein ganz neuer wissenschaftlicher Durchbruch?»

«Ja. Wir stehen immer noch am Anfang. Ich weiß nicht, warum es funktioniert oder wie ich den Effekt erklären soll. Ich weiß, dass ich meine Resultate noch verbessern kann, und das werde ich auch … Und wenn es so weit ist, mache ich der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft damit Feuer unter dem Hintern.»

Er wollte antworten, doch in dem Moment summte sein Mobiltelefon. «Mist. Bitte entschuldigen Sie.» Er hatte vergessen, es während des Interviews abzuschalten. Er nahm sein Handy zögernd aus der Tasche.

«Und? Wollen Sie nicht antworten?», fragte sie und hob eine Augenbraue.

Er drückte die grüne Taste. «Hallo?»

«Loriot hier», meldete sich der Anrufer. «Ich habe Ihre Nachricht erhalten.»

«Danke, dass Sie zurückrufen, Monsieur Loriot», sagte Ben mit einem entschuldigenden Blick zu Roberta Ryder. Er hob einen Finger, als wollte er andeuten, dass das Gespräch nur eine Minute dauern würde. Sie zuckte die Schultern und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Dann griff sie nach einem Bericht auf ihrem Schreibtisch und begann darin zu lesen.

«Ich würde Sie gerne treffen», erklärte Loriot. «Hätten Sie Lust, heute Abend auf einen Drink und eine Unterhaltung zu mir zu kommen?»

«Das wäre großartig. Wo wohnen Sie, Monsieur Loriot?»

Roberta warf den Bericht auf den Schreibtisch zurück, seufzte und warf demonstrativ einen Blick auf ihre Armbanduhr.

«Ich wohne in der Villa Margaux, in der Nähe der Ortschaft Brignancourt, auf der anderen Seite von Pontoise. Nicht weit von Paris.»

Ben notierte die Adresse. «Brignancourt», wiederholte er hastig in dem Bemühen, die Unterhaltung kurz zu machen, ohne Loriot gegenüber unhöflich zu erscheinen. Möglich, dass sich der Mann als wichtiger Kontakt erwies. Aber wenn du dich schon als Journalist ausgibst, dann bemüh dich wenigstens um ein wenig Professionalität!, dachte er ärgerlich über sich selbst.

«Ich schicke meinen Wagen vorbei, um Sie abzuholen», sagte Loriot.

«Okay …» Ben notierte eifrig die Details, während Loriot weitersprach. «Zwanzig Uhr fünfundvierzig heute Abend … Ja … Ich freue mich auf unser Treffen … Danke nochmals für Ihren Rückruf, Monsieur Loriot … Auf Wiederhören.» Er schaltete das Mobiltelefon aus und ließ es in seine Tasche gleiten. Dann wandte er sich wieder Roberta zu. «Bitte entschuldigen Sie. Ich habe das Handy nun ausgeschaltet. Jetzt stört uns niemand mehr.»

«Oh, machen Sie sich deswegen keine Sorgen.» Sie sprach in einem sarkastischen Tonfall. «Es ist schließlich nicht so, als hätte ich etwas zu tun, nicht wahr?»

Er räusperte sich. «Wie dem auch sei, diese Formel, die Sie gefunden haben …»

«Ja?»

«Haben Sie sie schon an anderen Lebewesen ausprobiert? Was ist mit Menschen?»

Sie schüttelte den Kopf. «Noch nicht. Das wäre wirklich eine Sensation, meinen Sie nicht? Wenn die Resultate die gleichen wären wie bei meinem Fliegen-Experiment, dann würde die Lebenserwartung eines Menschen von ungefähr achtzig auf fast hundertzehn Jahre steigen. Und ich glaube, wir können es noch verbessern.»

«Wenn eine Ihrer Fliegen krank wäre – würde diese Formel die Krankheit heilen können?», fragte er vorsichtig. «Ganz egal, um was für eine Krankheit es sich handelt?»

«Sie meinen, ob sie heilende Eigenschaften besitzt?», erwiderte Roberta und schnalzte mit der Zunge. «Ich wünschte, ich könnte Ihre Frage mit Ja beantworten», gestand sie seufzend. «Wir haben versucht, sterbende Fliegen aus Gruppe B damit zu behandeln, um zu sehen, was passiert, aber sie starben trotzdem. Bis jetzt scheint die Formel lediglich präventiv zu funktionieren.» Sie zuckte die Schultern. «Aber wer weiß? Wir haben gerade erst angefangen mit unseren Experimenten. Mit der Zeit sind wir vielleicht imstande, etwas zu entwickeln, das nicht nur bei gesunden Exemplaren lebensverlängernd wirkt, sondern auch kranke Exemplare heilt … vielleicht sogar den Tod auf unbestimmte Zeit hinausschiebt … Und vielleicht können wir irgendwann diese Wirkung auch bei Menschen erzielen …»

«Klingt, als hätten Sie eine Art Lebenselixier entdeckt?»

«Nun ja, ich will noch keine Korken knallen lassen, dazu ist es zu früh», sagte sie kichernd. «Aber ja, ich denke, ich habe da etwas. Das Problem ist der Mangel an Mitteln. Um echte Forschung zu betreiben und die Ergebnisse zu verifizieren, müsste ich eine Reihe größerer klinischer Tests durchführen, und das kann Jahre dauern.»

«Warum erhalten Sie keine Förderung von den Pharmakonzernen?»

Sie lachte auf. «Meine Güte, Sie sind vielleicht naiv! Wir reden hier von Alchemie! Hexerei, Voodoo, Hokuspokus. Was glauben Sie, warum ich meine Experimente in einer gewöhnlichen Wohnung durchführe? Niemand nimmt mich noch ernst, seit ich über diese Dinge geschrieben habe.»

«Ich habe gehört, dass Sie deswegen Schwierigkeiten gehabt haben.»

«Schwierigkeiten?» Sie schnaubte. «So kann man es auch nennen, schätze ich. Zuerst hat man mich auf dem Titelbild von Scientific American abgebildet – irgendein Mistkerl von Herausgeber hat mir einen Hexenhut aufgesetzt und mir ein Schild um den Hals gehängt mit der Aufschrift Unscientific American. Als Nächstes haben mich die Arschlöcher an der Universität auf die Straße gesetzt, was meiner Karriere nicht gerade geholfen hat. Sie haben sich nicht mal geschämt, den armen Michel mitzufeuern, meinen Labortechniker. Angeblich hat er Zeit und Mittel verschwendet bei meinem Hokuspokus-Projekt. Er ist der Einzige, der die ganze Zeit auf meiner Seite gestanden hat. Ich zahle ihm, was ich kann, aber es sind schwierige Zeiten für uns beide.» Sie schüttelte den Kopf und seufzte. «Bastarde. Aber ich werde es ihnen zeigen.»

«Haben Sie etwas von dem speziellen Wasser hier, das Sie mit Ihrer Formel erzeugt haben?», fragte Ben. «Ich würde gerne einen Blick darauf werfen.»

«Nein, habe ich nicht», antwortete sie entschieden. «Wir haben den letzten Rest verbraucht und müssen erst neues herstellen.»

Er suchte in ihren Augen nach Zeichen von Unwahrheit. Es erwies sich als ziemlich schwierig. Er zögerte kurz, bevor er weitersprach. «Besteht vielleicht die Chance, dass Sie mir eine Kopie Ihrer Forschungsunterlagen überlassen?», fragte er in der Hoffnung, nicht allzu unverschämt zu erscheinen. Er spielte mit dem Gedanken, ihr Geld anzubieten, doch das hätte augenblicklich ihr Misstrauen erweckt.

Sie wackelte drohend mit dem Zeigefinger. «Haha. Ganz bestimmt nicht, mein Freund. Abgesehen davon, halten Sie mich für dumm genug, dass ich meine Formel schriftlich festgehalten habe?» Sie tippte sich an die Schläfe. «Nein. Es ist alles hier drin. Das ist mein Baby, und niemand bekommt es in die Finger, bevor ich nicht fertig bin.»

Er grinste kläglich. «Okay. Vergessen Sie einfach, dass ich gefragt habe.»

Einige Sekunden schwiegen beide. Roberta sah ihn erwartungsvoll an, dann legte sie die Hände flach auf die Oberschenkel, als wollte sie damit das Ende des Interviews signalisieren. «Sonst noch etwas, womit ich Ihnen helfen könnte, Ben?»

«Nein, nein, ich habe schon genug von Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen», erwiderte er voll Sorge, dass er zu weit gegangen war mit seiner Frage nach ihren Aufzeichnungen. «Aber würden Sie mich anrufen, wenn Sie neue Erkenntnisse haben?» Er reichte ihr eine Visitenkarte.

Sie nahm die Karte und lächelte ihn an. «Wenn Sie wollen. Aber erwarten Sie nicht zu viel. Es ist ein langwieriger Prozess. Rufen Sie mich in, sagen wir … drei Jahren wieder an.»

«Abgemacht.»

Das Fulcanelli-Komplott
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