127 PATRICK FITZPATRICK III.
Als der Frachter im Hangar des alten Manta-Kreuzers seiner Großmutter landete, wurde Patrick wie ein Held empfangen. Viele Monate lang hatte die Hanse ihn und die anderen für tot gehalten.
Mit ernster Miene schob er sich an den jubelnden Wächtern und Hangartechnikern vorbei. Er musste sich um eine wichtige Angelegenheit kümmern. »Lassen Sie mich mit meiner Großmutter sprechen, bevor dies alles noch schlimmer wird.«
Auf der Brücke des Manta sprachen der alte Captain und Maureen Fitzpatrick mit einem müde aussehenden Del Kellum, der auf dem Hauptschirm zu sehen war. »Nein, danke«, sagte Kellum. »Inzwischen brauchen wir Ihre verdammte Hilfe nicht mehr. Alles ist hin! Sie haben Däumchen gedreht, während meine Leute gegen die Soldaten-Kompis kämpften. Wir haben unser Personal bereits in Sicherheit gebracht und die meisten der verrückten Kompis zerstört. Und jetzt wollen Sie hierher kommen und den Ruhm dafür ernten? Shizz, ich kann Ihre Arroganz kaum fassen.«
Maureen blieb unerschütterlich, und ihr Gesicht wirkte eisig. Fitzpatrick sah, warum sie den Spitznamen »Streitaxt« bekommen hatte. »Sie schätzen die Situation völlig falsch ein, Mr. Kellum. Wir sind nicht in einer Rettungsmission hier. Die Roamer sind zu Geächteten erklärt worden, deren Besitz sofort zu beschlagnahmen ist. Wir werden Ihre Leute gefangen nehmen und sie zu einem Arrestlager der Hanse bringen.«
»Den Teufel werden Sie tun. Wie war’s, wenn Sie das Tiwi-Motto in ›Zu spät gekommen‹ ändern? Oder wäre Ihnen ›Immer bereit, auf das falsche Ziel zu schießen, und es geht trotzdem daneben‹ lieber?« Der vom Bildschirm starrende Kellum sah, wie Fitzpatrick die Brücke betrat. »Wie ich sehe, haben Sie einen Ihrer Überlebenden zurück. Sie könnten uns nicht zufällig den Frachter schicken, den er geklaut hat?«
In Maureens Augen leuchtete es auf. »Patrick!« Nie zuvor hatte er so viel echte Freude im Gesicht seiner Großmutter gesehen, und er fragte sich, ob ihr tatsächlich etwas an ihm lag. Warum hatte sie es ihm in all den Jahren zuvor nie gezeigt?
Über die Schulter hinweg wies sie den Captain des Manta an: »Kümmern Sie sich um diese Sache.« Die alte Frau breitete die Arme für Patrick aus, und die anderen Familienangehörigen drängten näher, bestürmten ihn mit Fragen.
Fitzpatrick schob die Leute beiseite. »Nicht jetzt. Großmutter, ich muss mit dir reden. Sofort.«
»Ja, Patrick. Wir haben uns viel zu erzählen. Ich…«
»Jetzt sofort. Dort drin, hinter der geschlossenen Tür.« Patrick zeigte zum privaten Konferenzzimmer des Captains, das an die Brücke grenzte. An Bord seines eigenen Schiffes hatte er jenen Raum für Besprechungen mit den Offizieren verwendet. »Ich möchte dir wichtige Informationen geben, bevor du die Situation weiter außer Kontrolle geraten lässt.«
Maureen reagierte überrascht auf die Art und Weise, wie Patrick mit ihr sprach, aber sie war ihr Leben lang eine harte Geschäftsfrau gewesen und wusste, dass man unwiderrufliche Entscheidungen nur dann treffen durfte, wenn man alle Informationen hatte. Mit den Dingen, die ihr Enkel bei den Roamern in Erfahrung gebracht hatte, konnte er ihr vielleicht einen Vorteil verschaffen.
Sie betraten das Konferenzzimmer, schlossen die Tür und nahmen einander gegenüber am kleinen Tisch des Captains Platz. Es war Patrick peinlich, dass er die absurd wirkende Arbeitskleidung der Roamer trug. Bestimmt würden ihm die Medien große Aufmerksamkeit schenken und ihn mit Fragen überhäufen. Doch derzeit hatte er die Streitaxt für sich allein. Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch, zu harten Verhandlungen mit seiner Großmutter bereit. »Zuerst einmal: Du wirst die Roamer in Ruhe lassen. Sie alle.«
Maureen sah ihn so an, als hätte er den Verstand verloren. »Mach dich nicht lächerlich. Wir haben sie am Schlawittchen.«
»Du hast gar nichts, Großmutter. Bei ihnen befinden sich noch immer dreißig gesunde TVF-Gefangene, und ich habe ihnen versprochen, alles mir Mögliche zu tun, um sie zu retten.«
»Kein Problem, Patrick. Das ist bereits eine der Bedingungen für die Kapitulation der Roamer.«
»Und wie willst du sie dazu zwingen, die Gefangenen freizulassen? Hast du eine Vorstellung davon, wie viele Anlagen der Roamer es in den Ringen des Gasriesen gibt? Dir steht eine große Überraschung bevor, wenn du dich auf eine Konfrontation mit ihnen einlässt. Sie werden die Gefangenen voneinander trennen und in den Ringen verteilen. Dann heißt es, die Stecknadel im Heuhaufen suchen.«
»Früher oder später finden wir sie. Uns stehen leistungsfähige Sensoren zur Verfügung.«
Patrick schüttelte den Kopf. »Die Roamer haben tausende von kleinen Depots und Lager inmitten von hunderttausenden von Felsen in den Ringen. Du würdest jahrelang suchen müssen.«
Maureen sah ihn an, ihr Blick so scharf wie ein Seziermesser. »Was haben sie mit dir angestellt, Patrick? Hat man dich gefoltert und einer Gehirnwäsche unterzogen? Steckt der Mann namens Kellum hinter diesem Gerede?«
Fitzpatrick lachte. »Oh, glaub mir, die Roamer wären von dem, was ich vorhabe, alles andere als begeistert. Wie dem auch sei: Ich versuche, eine Lösung zu finden.«
»Du bist jetzt wieder bei der TVF, junger Mann. Als Offizier und Held. Wenn wir alles richtig machen, könntest du als der große Sieger aus dieser Sache hervorgehen. Wenn ich an den richtigen Fäden ziehe, ist eine Beförderung für dich drin.«
»Ah, ja, die liebe TVF.« Ein Schatten fiel auf Patricks Gesicht. »Vergiss nicht, dass es die TVF war, die den Schwanz einzog und vom Schlachtfeld bei Osquivel floh. General Lanyan ordnete den Rückzug der Flotte an, und wir trieben hilflos mit unseren Rettungskapseln im All. Natürlich haben wir Notrufe gesendet, aber die TVF hat sie ignoriert Sie ließ ihre eigenen Leute im Stich, und dafür soll ich dankbar sein? Ohne die Hilfe der Roamer hätte niemand von uns überlebt. Das zählt zumindest etwas, meiner Meinung nach.«
»Aber sie kamen als Aasfresser und Grabräuber hierher«, sagte Maureen verärgert. »Sie fielen über die Wracks unserer Schiffe her und versuchten, einen Profit daraus zu schlagen.«
Patrick schlug mit der Faust auf den Tisch. »Diese Werften existieren seit Jahrzehnten. Sie waren schon lange vor der Schlacht von Osquivel hier. Die Roamer versteckten sich einfach, als die TVF-Flotte eintraf. Wir waren viel zu sehr mit den Hydrogern beschäftigt, um sie zu bemerken.«
Er begegnete dem Blick der alten Frau, und beide vermieden es zu blinzeln. Maureen selbst hatte ihn gelehrt, worauf es bei Verhandlungen ankam, und jetzt bewies er, ein guter Schüler gewesen zu sein. Sie würden diesen Raum erst verlassen, wenn sie sich einig geworden waren.
»An Bord dieses Schiffes befinden sich viele Verwandte der dreißig Gefangenen dort draußen. Willst du ihnen sagen, dass du mit dem Leben ihrer Söhne, Töchter, Ehepartner und Geschwister spielst? Dass du vorhast, dich auf eine jahrelange Jagd in den Ringen des Gasriesen einzulassen? Ich kenne dich besser, Großmutter.« Patrick beugte sich vor. »Ich kann mit Del Kellum verhandeln und ihn bitten, die Gefangenen zu einem sicheren Ort zu bringen, wo wir sie dann abholen. Aber die Roamer müssen frei bleiben. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Sachen zu packen und zu verschwinden. Wir werden sie nie Wiedersehen.«
»Das ist das Problem, Patrick«, sagte Maureen. »Du bist nicht mehr auf dem Laufenden. Der Vorsitzende der Hanse hat alle Roamer zu Geächteten erklärt. Kampfgruppen der TVF haben die größten Roamer-Basen unter Kontrolle gebracht oder zerstört, darunter auch ihren zentralen Regierungskomplex.«
»Und warum?«, fragte Fitzpatrick, der die Antwort bereits von Zhett kannte.
»Weil die Roamer die Handelsbeziehungen zur Hanse abbrachen und sich weigerten, wichtige Kriegsgüter zu liefern.«
»Wiederhol nicht einfach die Propaganda, Großmutter. Die Roamer sind Händler und Geschäftsleute. Frag dich selbst, warum sie die Handelsbeziehungen mit ihrem größten Kunden beendeten.«
»Sie haben absurde Geschichten über TVF-Schiffe erzählt, die ihre Frachter überfielen und zerstörten.«
Patrick spürte, wie sich in seiner Magengrube etwas zusammenkrampfte. »Es ist die Wahrheit. Das weiß ich genau.« Er schluckte und wollte weder seiner Großmutter noch sonst jemandem gegenüber zugeben, dass er selbst ein Frachtschiff der Roamer zerstört hatte. »Du bist Vorsitzende der Hanse gewesen. Du weißt, wie die Dinge laufen.«
Maureen blinzelte. »Trotzdem, wir können uns nicht einfach zurückziehen. Meine Hanse-Befugnisse sind beschränkt, aber ich weiß, dass der Vorsitzende Wenzeslas nicht alles wegen dreißig Gefangenen aufgeben wird, die bisher als tot galten. Das ist einfach nicht genug.«
»Natürlich nicht.« Patrick spielte seinen Trumpf aus. »Die Roamer haben etwas gefunden, das mehr wert ist als alles andere, das du in den Werften beschlagnahmen könntest. Ich bin imstande, dir den Weg dorthin zu zeigen. Wenn wir damit zur Erde zurückkehren, wird niemand fragen, wie viele Roamer entkommen sind.«
Maureen faltete die knotigen Hände. »Du hast nie zu Übertreibungen geneigt, Patrick, aber das ist eine ziemlich große Behauptung. Ich hoffe, es sind nicht nur leere Worte.«
»Nein, Großmutter.« Patrick zeigte ihr mit einem Blick, dass er ebenso stur sein konnte wie sie. »Nach der Schlacht von Osquivel fanden die Roamer ein intaktes Hydroger-Schiff. Es ist unbeschädigt, und ich glaube, an Bord gibt es sogar die eine oder andere Hydroger-Leiche. Zum ersten Mal haben wir nicht nur Zugang zu den Körpern der Fremden, sondern auch Gelegenheit, ihre Technik zu untersuchen, ihre Antriebs- und Waffensysteme. Es ist alles dort drin. Denk daran, was die TVF damit anfangen könnte.«
Maureen versuchte ohne Erfolg, ihre Überraschung zu verbergen. »Das ist nichts Neues, Patrick. Wir besitzen bereits Teile von zerstörten Kugelschiffen, die an dem Angriff auf Theroc teilnahmen.« Bevor er Fragen stellen konnte, ließ seine Großmutter die Schultern hängen. »Aber ich will dir nichts vormachen. Jene Wrackteile erwiesen sich als wertlos.«
»Mit diesem Schiff lässt sich etwas anfangen, Großmutter. Es ist der Stein von Rosette, die Gans, die goldene Eier legt, oder welche dumme Metapher du verwenden willst.«
»Was hindert uns daran, auf eigene Faust die Ringe zu durchsuchen, bis wir das Schiff finden?«
»Dabei ergibt sich das gleiche Problem wie zuvor. Du kannst es sofort haben oder Monate danach suchen. Aber um es zu bekommen, musst du die Roamer ziehen lassen.« Patrick verschränkte die Arme vor dem bestickten Arbeitshemd. »Das ist mein letztes Angebot. Nimm es an, damit wir diese Sache hinter uns bringen können.«
»Warum machst du das?«, fragte Maureen mit echter Sorge in ihrer Stimme.
Patrick dachte nach, bevor er antwortete. »Vielleicht möchte ich diesmal ein echter Held sein und nicht nur als solcher dastehen.«
Tief in seinem Innern wusste er, dass ihn weder TVF noch Roamer so sehen würden. Beide würden sich von ihm hintergangen fühlen. Er hatte, wenn auch auf einen Befehl hin, Raven Kamarows Schiff zerstört, wodurch das ganze Durcheinander zwischen der Hanse und den Clans entstanden war.
Patrick glaubte fest daran, dass er jetzt richtig handelte, zum Wohle beider Seiten. Aber General Lanyan und vor allem Zhett Kellum würden ihn vermutlich nie vergessen lassen, was er getan hatte. Vergebung kam für ihn sicher nicht infrage.
Die Roamer begegneten dem Angebot natürlich mit Argwohn, aber ihnen blieb keine Wahl. Die meisten verrückt gewordenen Soldaten-Kompis waren zerstört oder deaktiviert worden, doch ihre Sabotage hatte die Werften ruiniert.
Del Kellum wies darauf hin, dass sieben seiner Leute ums Leben gekommen waren, aber unter den TVF-Gefangenen gab es nur einige Leichtverletzte.
Maureen Fitzpatricks alter Manta und die ihn begleitenden diplomatischen Schiffe bedrohten die Roamer nicht mehr. Es war ein unsicheres Remis, aber schließlich glaubten die Werftarbeiter, dass die Tiwis sie nicht angreifen würden – zumindest nicht sofort.
Fitzpatrick stand neben seiner Großmutter auf der Brücke und trug keine Roamer-Kleidung mehr, sondern eine TVF-Uniform.
Unten in den Ringen des Gasriesen sausten die kleinen Raumschiffe der Roamer wie eine Schar Mäuse davon, die in irgendwelchen Schlupflöchern Zuflucht suchten. Fitzpatrick hatte seiner Großmutter nichts von den Kometen-Anlagen am Rand des Sonnensystems erzählt. Wenn die TVF-Flotte weg war, würden größere Schiffe kommen und die Roamer fortbringen, unter ihnen auch Zhett.
Wahrscheinlich sprach sie nie wieder mit ihm.
Die dreißig TVF-Gefangenen wurden zu einem unbekannten Ort gebracht, wo sie in Sicherheit warteten, bis die Roamer davon überzeugt waren, dass Maureen Fitzpatrick kein doppeltes Spiel trieb. Patricks Großmutter hatte sich über die Bedingungen der Vereinbarung geärgert, aber selbst sie musste zugeben, dass es keine bessere Möglichkeit gab.
»Na schön, Patrick – du hattest deinen Willen.« Maureen sah auf die majestätischen Ringe und den Gasplaneten. »Bring uns jetzt zum Hydroger-Schiff. Ich hoffe sehr, dass es die Mühe wert ist.«
»Du wirst nicht enttäuscht sein, Großmutter.«
Der große Kreuzer entfernte sich von den Werften, flog um die Ringe herum und stieg über ihre Ebene auf, bis er die abgelegene Stelle erreichte, an der Kotto Okiah das fremde Schiff zurückgelassen hatte. Die kleine Kugel leuchtete wie ein Stern im reflektierten Licht des Gasriesen.
Maureen schickte Remoras los, deren Besatzungen Schutzanzüge trugen und das Hydroger-Schiff in Besitz nehmen sollten. Fitzpatrick bemerkte den triumphierenden Gesichtsausdruck seiner Großmutter und sagte: »Siehst du? Wir werden jede Menge Applaus bekommen, wenn wir heimkehren.«
Del Kellum sendete die Koordinaten des Ortes, an dem sich die TVF-Gefangenen befanden. Der Manta-Kreuzer nahm die kleine Hydroger-Kugel in seinen Hangar auf und flog dann dorthin, wo die Roamer das TVF-Personal zurückgelassen hatten. Familienangehörige freuten sich auf ein Wiedersehen mit ihren Söhnen und Töchtern. Inzwischen gab es eine Liste mit den Namen aller Überlebenden – viele Passagiere hatten sie mit Freude und Erleichterung zur Kenntnis genommen, andere mit Enttäuschung und Schmerz.
Zwar freute sich Patrick über das Erreichte, aber sein Herz blieb schwer. Für seine Flucht hatte er Zhetts Gefühle ausgenutzt, und das verzieh ihm die wunderschöne junge Frau bestimmt nicht. Er fragte sich, ob er sie jemals Wiedersehen würde.
Er beobachtete die Ringe und stellte fest, dass die Roamer-Schiffe ausgeschwärmt waren und kleine Stützpunkte in dem Chaos aus Fels- und Eisbrocken erreicht hatten. Del Kellum würde erst glauben, dass seine Leute und er frei blieben, wenn das letzte TVF-Schiff verschwunden war.
Maureen wies den Captain des Manta an, das Osquivel-System zu verlassen und Patrick Fitzpatrick nach Hause zu bringen.