96 CESCA PERONI
Selbst im warmen Innern der Aquarius hörte Cesca nicht auf zu zittern. »Ich dachte schon, ich würde es nie wieder warm haben.«
Purcell wandte sich an Nikko. »Wir müssen von hier verschwinden, bevor die Roboter kommen.«
»Ich glaube, sie haben mein Schiff gesehen, als ich über sie hinweggeflogen bin«, sagte Nikko. »Und es gibt keine Waffen an Bord, mit denen wir uns verteidigen könnten.«
Cesca sah den erschöpften Verwalter an, richtete den Blick dann auf Nikko Chan Tylar und verabscheute die Worte, die sie aussprechen musste. Aber sie war die Sprecherin; ihre Pflicht bestand darin, die Clans zu schützen. »Wir können den Planetoiden nicht einfach so verlassen. Wir müssen verhindern, dass die Roboter mit ihren Schiffen starten. Sonst bekämen sie die Möglichkeit, andere Basen der Roamer anzugreifen und zu zerstören.«
»Was sollen wir gegen sie unternehmen?«, brachte Purcell hervor. »Sie wissen doch, was die Roboter mit dem Stützpunkt gemacht haben!«
»Wir müssen verhindern, dass sich so etwas wiederholt. Unsere Leute sind dort gestorben. Wenn die Roboter Jonah 12 verlassen, kann sie niemand mehr aufhalten.«
»Ich habe viele dumme und ehrgeizige Dinge angestellt, Sprecherin Peroni«, sagte Nikko nervös, »aber selbst ich würde es nicht mit tausend Klikiss-Robotern aufnehmen.«
Cesca fühlte sich noch immer kalt und leer. Sie dachte an die vielen Toten, die nicht umsonst gestorben sein durften – es galt, etwas zu tun, bevor es zu spät war.
»Ich weiß nicht, was die Roboter so gegen uns aufgebracht hat, aber ich habe meinen Leitstern nie deutlicher gesehen: Was auch immer sie beabsichtigen – wir dürfen nicht zulassen, dass sie erfolgreich sind. Wenn sie mit ihren Schiffen starten, droht früher oder später Unheil. Wir müssen die Sache im Keim ersticken, wir drei. Es hat keinen Sinn zu versuchen, Verstärkung zu holen. Bis zu unserer Rückkehr wären die Roboter längst fort.«
Purcell wandte sich halb ab und wirkte elend. »Ich behaupte nicht, Sie hätten Unrecht, Sprecherin. Ich sage nur: Es gefällt mir nicht. Wie sollen wir die Klikiss-Roboter aufhalten?«
Cesca lächelte kalt. »Wir hatten doch eine Idee, als die Roboter die Basis angriffen, Purcell. Sie erschien uns zu drastisch, und es gab nicht genug Zeit. Unter den gegebenen Umständen fällt mir nichts Besseres ein.«
Die schwarzen Maschinen widmeten sich weit entfernt ihren eigenen Plänen. Nikko überwachte sie mit den empfindlichsten Sensoren seines Schiffes. Keiner der Roboter näherte sich, was Cesca und ihren beiden Begleitern Zeit für die Vorbereitungen gab. Purcell beschrieb die Einzelheiten der Basis von Jonah 12 und fertigte Skizzen an, die zeigten, wo sich mögliche Ressourcen befanden. Er erklärte, worauf es ankam.
Als sie so weit waren, flog Nikko die Aquarius zum Stützpunkt, nur wenige Meter über dem Boden, um der Ortung zu entgehen. Er landete jenseits eines Kraterwalls, außer Sicht der Roboter. Eine Wolke aus Wasserstoff- und Methaneiskristallen stieg auf.
»Das könnten die Roboter gesehen haben«, warnte Purcell.
»Vielleicht halten sie überhaupt nicht Ausschau«, erwiderte Nikko. »Als ich über sie hinweggeflogen bin, schien ihre Aufmerksamkeit ganz den Schiffen zu gelten.«
»Wir interessieren sie nicht«, sagte Cesca. »Sie wussten, wo unser Schürfer stehen geblieben war, aber sie schenkten uns keine Beachtung.«
Zwar war die Heizung des Schutzanzugs auf Maximum eingestellt, aber Cesca fror trotzdem, als sie neben den beiden Männern ging. Sie kletterten über den Kraterwall und näherten sich der Basis. An diesem Ort hatte Cesca vor nicht langer Zeit beobachtet, wie Jhy Okiahs Leiche von einem Katapult ins All geschleudert worden war, auf dass sie für immer zwischen den Sternen reiste. Jetzt waren auch alle anderen Roamer tot.
Sie beobachteten das Konstruktionsgelände und versuchten festzustellen, womit die Roboter beschäftigt waren. Cesca verwendete einen gebündelten Kommunikationsstrahl, damit die schwarzen Maschinen keine Signale empfingen. »Ich hätte nicht gedacht, dass die Veränderungen so weit gehen. Von der alten Basis ist praktisch nichts mehr übrig.«
»Die Klikiss-Roboter verwenden unser Metall«, sagte Purcell. »Sie haben unsere Aggregate und Anlagen auseinander genommen, und diese Teile setzen sie neu zusammen.«
»Die Schiffe scheinen fast fertig zu sein«, bemerkte Cesca.
Purcell blickte zum Reaktor. Das kleine, abgeschirmte Kraftwerk war ein Standardmodell, das die Roamer seit Jahrhunderten verwendeten und das seine Zuverlässigkeit bewiesen hatte. »Sie haben den Reaktor erweitert, damit er mehr Energie liefert, aber einer solchen Belastung kann er nicht lange standhalten. Kotto würde einen Anfall bekommen, wenn er dies sähe. Nun, es macht unsere Aufgabe einfacher. Das Ding ist schon jetzt halb instabil.«
Durch das Helmvisier sah Cesca die Sorge in Purcells Gesicht, doch sie lächelte. »Sorgen wir dafür, dass aus der halben Instabilität eine ganze wird. Glauben Sie noch immer, dass Sie bei dem Reaktor eine Kernschmelze auslösen können?«
»Shizz, Sprecherin Peroni, so wie das Ding manipuliert ist, können wir froh sein, wenn es dabei bleibt. Er könnte auch superkritisch werden.«
»Meinetwegen, solange wir rechtzeitig zur Aquarius zurückkehren können«, meinte Nikko. »Sollen wir hier sitzen bleiben und langsam erfrieren, oder gehen wir die Sache an?«
Das Trio schlich über die dunkle, unebene Landschaft. Cesca hätte Nikko lieber an Bord des Schiffes zurückgelassen, um einen schnellen Start zu ermöglichen, aber Purcells Plan konnten sie nur zu dritt durchführen.
Wo sich einst die Kuppeln der Basis erhoben hatten, bauten die Klikiss-Roboter nun ihre Schiffe. Lange Kabel gingen von Generatoren aus. Die mit dem Reaktor verbundenen energetischen Transferleitungen bildeten hier und dort Knäuel. An Ordnung und Finesse schien den schwarzen Maschinen nicht gelegen zu sein. Ihnen ging es nur um die Fertigstellung der Schiffe; alles andere war nebensächlich.
Als sie sich dem erweiterten Reaktor näherten, spürte Cesca Vibrationen durch den Schutzanzug. Helles Scheinwerferlicht erwartete sie am Rand der Anlage, und es war deutlich zu erkennen, dass die metallene Abschirmung des Reaktors glühte. Die von ihr ausgehende Hitze hatte das Wasserstoff- und Methaneis in der Nähe schmelzen und verdampfen lassen.
Die Roboter blieben auf ihre Arbeit konzentriert.
Purcell beobachtete den Reaktor. »Bitte denken Sie daran, dass ich nie ein genialer Techniker gewesen bin«, teilte er seinen Begleitern durch den gebündelten Kommunikationsstrahl mit. »Ich habe immer nur Kottos Anweisungen befolgt.« Sie erreichten die Schattenseite der Anlage, und er warf einen Blick auf die externen Kontrollen. »Ich bin kein großer Innovator. Ich kann nicht einfach so eine Lösung herbeizaubern…«
Cesca unterbrach ihn. »Wir bitten Sie nicht um eine Lösung, Purcell. Wir möchten, dass Sie den Reaktor irgendwie hochgehen lassen.«
Er lachte nervös. »Dazu sollte ich eigentlich imstande sein.«
Cesca und Nikko folgten Purcells knappen Hinweisen und zogen Flussregler aus dem Kühlsystem. An einer anderen Stelle löste der Verwalter eine Platte und zog darunter die Stäbe von Neutronenblockern aus ihren Einfassungen. Fast sofort wurde der Reaktor noch heißer.
Metallfragmente von den zerfetzten Kuppeln lagen auf dem Boden. Nikko rammte eins ins Kühlsystem, benutzte es als Hebel, um die Rohre zu beschädigen. Heißes Kühlmittel spritzte auf den Boden und gefror.
Purcell und Cesca beeilten sich, als sie die letzten Blockerstäbe herauszogen und in der niedrigen Schwerkraft weit wegwarfen. Die Roboter würden sie nicht alle rechtzeitig zurückholen können. »Das wär’s!«, rief Purcell. »Das Ding geht bald hoch. Ich schlage vor, wir verschwinden von hier.«
Nikko sah eine Gruppe der käferartigen Roboter, die sich dem Reaktor näherte. »Ich glaube, die Roboter haben uns bemerkt.«
»Hier sind wir fertig – los!«
In der niedrigen Schwerkraft eilten sie mit langen Sprüngen um den Reaktor herum. Das Schiff, von diesem Ort aus nicht zu sehen, wartete jenseits des Kraterwalls auf sie.
Als sie um die Ecke der Abschirmung bogen, ragten plötzlich zwei Roboter vor Purcell auf. »Wie konnten sie so schnell hierher kommen?« Er geriet auf dem glatten Boden ins Rutschen.
Einer der beiden Roboter streckte einen Greifarm aus, und die Klaue am Ende berührte Purcell am Rücken. Es war kein sehr fester Griff, und dem Verwalter gelang es, sich loszureißen und den beiden anderen Roamern zu folgen. Sie eilten fort, jeder Schritt ein weiter Satz. »Bleibt in Bewegung! Zur Aquarius!« Purcell atmete schwer, und sein Kommunikator übertrug ein lautes Pfeifen.
Hinter ihnen wurde der Reaktor immer heißer – das Metall seiner Abschirmung glühte heller. Zwei Klikiss-Roboter folgten den drei Saboteuren, und andere schwarze Maschinen näherten sich dem Reaktor aus allen Richtungen.
»Sie können eine Explosion nicht mehr verhindern«, sagte Nikko. »Stimmt’s, Purcell?« Er drehte sich um.
Der Verwalter taumelte und blieb stehen. »Ich glaube… sie…« Er brach zusammen und blieb auf dem Boden liegen.
Cesca hastete zu ihm zurück. »Auf die Beine, Purcell. Wir müssen das Schiff erreichen, bevor…« Sie rollte ihn herum und stellte fest, dass sich Raureif an der Innenseite des Helmvisiers gebildet hatte. Luft entwich aus einem Loch an der Rückseite des Schutzanzugs – die Klaue des Roboters hatte dort den isolierenden Stoff aufgerissen. Purcells Gesicht war grau und ohne Leben.
»Er ist tot.« Cesca biss zornig die Zähne zusammen, nahm Nikkos Arm und zog ihn mit sich. »Wir trauern später um ihn. Zuerst müssen wir weg von Jonah 12!«
Hinter ihnen kamen weitere käferartige Roboter und näherten sich. Cesca fluchte und begriff, dass sie Purcells Leiche zurücklassen mussten, wie auch die der anderen Roamer. Zusammen mit Nikko eilte sie zum Schiff und hoffte, dass sie es erreichten, bevor die Roboter heran waren – und bevor der Reaktor explodierte.