45 BENETO

Die Stimmen des Waldes erklangen in der Nacht auf Theroc. Aufgrund seiner dualen Natur konnte sich Beneto zurückziehen und ganz er selbst sein oder sein Ich mit dem Bewusstsein des Weltwalds verschmelzen.

Der hölzerne Golem saß allein in einem Kreis aus fünf verbrannten Baumstümpfen, die wie eine Stätte der Andacht für den verletzten Wald wirkten. Lampenschein kam aus den Siedlungen, in denen theronische Überlebende wohnten. Die provisorischen Unterkünfte, bei deren Bau die Roamer geholfen hatten, waren voller Licht, Wärme und Annehmlichkeiten. Phosphoreszierende Nachtinsekten schwirrten mit einem bläulich-weißen Glühen umher und schienen miteinander zu tanzen.

Sarein näherte sich ihm leise. Beneto fühlte die Präsenz seiner älteren Schwester und stellte fest, dass sie alle ihre natürlichen Gefühle für den Weltwald verloren hatte. Sie trug keine Lampe, aber nicht deshalb, weil sie sich unbemerkt an ihren Bruder heranschleichen wollte – niemand sollte sie bei ihm sehen.

»Ich muss mit dir reden, Beneto. Ich möchte verstehen.«

»Ja, Sarein. Ich weiß.«

Tagelang war er von früheren Freunden und Neugierigen umringt gewesen. Nachdem er den Ruf des Weltwalds weitergegeben und die Theronen aufgefordert hatte, auf möglichst vielen geeigneten Welten Schösslinge zu pflanzen, arbeiteten die erschöpften Männer und Frauen noch härter als vorher. Grüne Priester schickten sich an, junge Weltenbäume zu den Kolonien der Hanse zu bringen, und alle anderen sahen besorgt zum Himmel hoch, fürchteten die Rückkehr der Hydroger.

Sarein hatte versprochen, Raumschiffe der Hanse zu holen – als Botschafterin kam diese Aufgabe ihr zu, und sie wusste, worauf es dabei ankam –, aber seltsamerweise war sie Beneto fern geblieben. Sie hatte das hölzerne Abbild ihre Bruders so betrachtet, als widerstrebe es ihr, seine fantastische Geschichte zu glauben. Vielleicht hatte sie zu viel Zeit auf der Erde verbracht, in der Gesellschaft von Geschäftsleuten und Wissenschaftlern: Sie stellte infrage, anstatt einfach zu akzeptieren.

Jetzt kam Sarein endlich, bereit dazu, Fragen zu stellen. Beneto spürte, dass sie sich zwischen zwei Welten hin- und hergerissen fühlte: Obwohl sie auf Theroc geboren war, sehnte sie sich nach der Erde, war aber zurückgekehrt, weil sie sich verpflichtet fühlte, ihrer in Not geratenen Heimat zu helfen.

Mit seinen hölzernen Augen sah er sie perfekt, trotz der Dunkelheit. Seit der letzten Begegnung kurz vor ihrer Abreise zur Erde war Sareins Gesicht schmaler geworden, ihre Züge ernster. Verantwortung und Stress hatten Spuren bei ihr hinterlassen. Beneto fragte sich, ob sie ihre mutige Entscheidung bereute, Theroc zu verlassen und ein ganz neues Leben zu beginnen. Vielleicht wusste sie gar nicht, dass sie einen Preis dafür bezahlt hatte.

Sie sah ihn jetzt an, mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Befangenheit. »Wer bist du? Wirklich, meine ich.«

»Was siehst du?«

»Ich sehe etwas, das Ähnlichkeit mit meinem Bruder hat, um dessen Tod wir getrauert haben. Auch Reynald starb. Warum bist du zurückgekehrt?«

Benetos Gliedmaßen knackten und knirschten, als er aufstand. »Ich bin ein Sohn Therocs. Der Weltwald, den ich während meines Lebens so geliebt habe, hat mich ausgewählt und neu erschaffen, als eine klare Stimme für die Verdani und, falls nötig, als General in unserem Krieg.« Beneto trat näher an seine Schwester heran. »Der Grund für meine Rückkehr ist schnell erklärt, Sarein. Bei dir sieht die Sache anders aus. Du bist nach Theroc zurückgekehrt, aber der Weltwald sieht deine Gefühle. Wir wissen, dass du tief in deinem Herzen nicht hier sein möchtest. Der Weltwald und ich spüren es in deiner Seele.«

Sarein war nervös und verwirrt. Sie hatte immer alles aus einem sehr sachlichen Blickwinkel gesehen, und für mystische Wiedergeburten gab es in ihrem Weltbild keinen Platz. Sie verschränkte die Arme. »Es schien mir richtig zu sein, nach Theroc zurückzukehren. Ich bin das älteste lebende Kind der herrschenden Familie. Ich trage Verantwortung.«

»Man hat dir gesagt, dass du auf diese Weise empfinden sollst. Du selbst glaubst nicht daran.«

Sarein wölbte die Brauen. »Ich verstehe. Beabsichtigst du, der nächste Herrscher zu werden?«

»Daran habe ich kein Interesse.« Beneto zögerte kurz, bevor er hinzufügte: »Und du auch nicht.«

Sarein gab sich empört, aber sie wussten beide, dass diese Reaktion gespielt war. »Wie meinst du das?«

»Du weißt, dass du nicht hierher gehörst. Du fühlst dich woanders zu Hause.«

»Ich habe mit dem Vorsitzenden Wenzeslas ausführlich über meine Verantwortung gesprochen.«

»Das Volk von Theroc verdient jemanden, dessen Wurzeln hier tief reichen. Doch du, Sarein, bist ein Blatt im Wind, kein verankerter Baum.«

Benetos Schwester wandte unsicher den Blick ab. »Aber… wie kann ich Theroc nicht helfen? Dies ist auch mein Volk.«

Beneto legte ihr eine hölzerne Hand auf den Arm. »Ich möchte dich mit meinen nächsten Worten nicht beleidigen, Sarein. Du bist unsere Botschafterin auf der Erde. Du erreichst mehr für Theroc, wenn du zur Hanse zurückkehrst und dort unsere Interessen vertrittst. Dies hier ist nichts für dich.«

Sarein atmete schneller, und Beneto spürte, dass sie den Tränen nahe war. »Aber… sieh nur, was die Hydroger auf Theroc angerichtet haben. Und die Faeros! Unser Volk braucht Schutz.«

»Die Hydroger werden zurückkehren, und du kannst nichts daran ändern. Aber du kannst uns dabei helfen, Schösslinge zu anderen Welten zu bringen. Die Kolonien der Hanse sind dabei der Anfang.« Beneto lächelte und zeigte dabei perfekte hölzerne Zähne. »Keine Sorge, Sarein. Vor mehr als einem Jahr, als die Hydroger den ersten Weltbaumhain auf Corvus Landing vernichteten, ging ein Ruf weit über den Spiralarm hinaus. Unsere Verstärkung war unterwegs, noch bevor die Hydroger Theroc fanden. Mit hoher Geschwindigkeit legt sie gewaltige Distanzen zurück.«

Beneto drehte den Kopf und sah seine Schwester an. »Wenn wir den Feind beim nächsten Mal lange genug abwehren können, braucht der Wald nicht mehr allein zu kämpfen. Verbündete sind unterwegs.«