104 RLINDA KETT

Stundenlang raste die Unersättliche Neugier durchs All, den TVF-Schiffen einen Schritt voraus. Rlinda änderte immer wieder den Kurs und hoffte, dass es ihr gelang, die Verfolger abzuschütteln. Angesichts der vielen Probleme, denen sich die Hanse gegenübersah, würde das Militär vermutlich keine große Mühe an einen kleinen Fisch vergeuden, erst recht nicht, wenn man BeBob für tot hielt.

Andererseits: Der sture General Lanyan steckte hinter dieser Sache.

»Das Leben mit dir ist nie langweilig, Rlinda«, sagte BeBob, der sich noch immer elend zu fühlen schien. »Ich hoffe, du machst dies nicht, um mich zu beeindrucken.«

Sie suchte nach der Kraft, ihn gutmütig zu verspotten. »Du stehst tief in meiner Schuld, BeBob. Und glaub nur nicht, ich würde darauf verzichten, die Schulden eines Tages einzutreiben.«

»Ich werde mir alle Mühe geben, Ma’am.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Danke… für alles.«

Schließlich erreichte die Neugier ein abgelegenes Sonnensystem, das in den alten ildiranischen Karten mit dem Namen Plumas verzeichnet war. Dort glaubten sie, eine Zeit lang sicher zu sein. »Wir müssen dem Triebwerk eine Ruhepause gönnen und einige Reparaturen vornehmen. Außerdem möchte ich feststellen, was genau wir aus dem Frachtraum geworfen haben. Ich bin sicher, dass ich dort drei Kisten mit Wein von New Portugal hatte, außerdem zehn Kilo der besten schwarzen Schokolade, die du dir vorstellen kannst. Verdammt! Das alles zusammen war vermutlich mehr wert als dein Schiff.«

»Für mich nicht, Rlinda. Mein Schiff…«

»Und Davlin.« Der Geheimagent war immer ruhig und zurückhaltend gewesen, nicht jemand, der bereit gewesen wäre, sein Leben für sie zu opfern.

Rlinda konnte sich nicht vorstellen, dass er wirklich gestorben war.

Sie hielt es für wahrscheinlicher, dass es sich um irgendeinen Trick handelte. Das wäre weitaus typischer für Davlin gewesen.

»Ich glaube, dass Davlin irgendwie entwischt ist.«

BeBob sah sie ungläubig an. »Wir haben die Explosion meines Schiffes gesehen.«

»Der Feuerzauber gehörte vermutlich zum Plan – und ich bezweifle sehr, dass einer von Davlins Plänen seinen Tod erfordert.« Rlinda zuckte mit den Schultern. »Es ist nur so ein Gedanke.« Sie stemmte sich aus dem großen Pilotensessel. »Komm, dieses Gerede deprimiert uns nur. Wenn wir schon deprimiert sein müssen, dann im Maschinenraum bei der Arbeit.«

Während die Energiezellen wieder aufgeladen wurden und die beiden Flüchtlinge eine sorgfältige Analyse der von den Remoras angerichteten Schäden vornahmen, vergingen die Stunden angenehm ereignislos. Genau dies hatte sich Rlinda gewünscht: reichlich Zeit mit BeBob allein. Es überraschte sie nur, wie schwer es zu arrangieren gewesen war. Nach einer aus zwei Küssen bestehenden Einleitung fragten sie sich gerade, wie es weitergehen sollte, als plötzlich ein Annäherungsalarm erklang.

»Was jetzt?« Sie streiften ihre Kleidung über und eilten zum Cockpit. Dort nahm Rlinda in ihrem Sessel Platz und ortete TVF-Remoras, die sich ihnen schnell näherten. Sie waren aus dem Hangar eines Manta-Kreuzers gekommen, der ihnen in dieses System gefolgt war. »Sie sind beharrlicher als die verdammten Hydroger.«

»Wie zum Teufel haben sie uns hier gefunden?« BeBob sank in den Kopilotensessel. »Wie lange stand die Neugier im Krater der Mondbasis, Rlinda?«

»Zwei Tage. Warum?«

Sie zündete das Triebwerk und startete. Im Plumas-System gab es nur wenige Planeten: einen Gasriesen mit einer Hand voll Monden und zwei heiße Felskugeln dicht bei der Sonne. Nicht viele Versteckmöglichkeiten.

BeBobs Finger huschten über die Kontrollen, als er mit einer vollen Systemanalyse begann. Anschließend nahm er einen mobilen Energiequellendetektor und stellte ihn auf bestimmte Signalfrequenzen ein. »Na bitte! Die TVF-Mistkerle haben einen Peilsender an Bord versteckt.«

»In meinem Schiff?« Rlinda fluchte hingebungsvoll, während sie gleichzeitig Ausweichmanöver flog. Sie sondierte mit den Sensoren, um eine Übersicht über alle Objekte im System zu bekommen. »Ich fliege zu dem Gasriesen und seinen Monden. Jener Bereich kommt einer Hindernisstrecke am nächsten. Den schnellen Remoras können wir nicht weglaufen – der Zustand meines Schiffes lässt noch immer zu wünschen übrig.«

Die Unersättliche Neugier raste durch das Sonnensystem, die Remoras dicht auf den Fersen. BeBob eilte über die Decks, bis er mithilfe des Detektors einen kleinen Tracer fand, mit einem Magneten hinter einer der Belüftungsplatten befestigt. Er löste ihn, ging zum Auswurfrohr und warf den verräterischen Peilsender über Bord.

Aber es war bereit zu spät. Die Remoras verfolgten die Neugier und kamen mit jeder verstreichenden Sekunde näher.

Als er ins Cockpit zurückkehrte, steuerte Rlinda das Schiff bereits durch die Umlaufbahnen der äußeren Monde von Plumas. Sie richtete einen ernsten Blick auf ihn. »Wie sehr möchtest du entkommen, BeBob?«

Sie sah, wie er schluckte, als er über die Frage nachdachte. »Das Urteil über mich steht bereits fest, und unser jüngstes Verhalten bringt mir bestimmt keine mildernden Umstände ein. Ich müsste mit der Hinrichtung rechnen. Alles ist besser als das.«

»Das wollte ich hören.« Rlinda atmete tief durch. »Hoffen wir, dass die Neugier dies aushält.«

Sie leitete neues Ekti in die Reaktoren, und das Schiff sprang nach vorn, mit einer zusätzlichen Beschleunigung, die Rlinda und BeBob in die Sitze presste. Wie eine Kanonenkugel raste die Neugier dem Gasriesen entgegen.

»Ich möchte entkommen, Rlinda«, brachte BeBob hervor. »An Selbstmord liegt mir nichts.«

»Ich beabsichtige auch keinen Selbstmord, jedenfalls nicht wissentlich. Da der Tracer nicht mehr unsere Position verrät, können wir uns vielleicht verstecken. Aber wir müssen es verdammt geschickt anstellen – die Piloten der Remoras sind alles andere als dumm.« Rlinda legte sich Worte zurecht und ging dann auf Sendung. »Meine Herren… Nachdem wir erlebt haben, wie die TVF ihre Gefangenen behandelt, möchten wir uns nicht von Ihnen fassen lassen. Lieber verbrennen wir.«

Die Neugier stürzte in die dichter werdenden Wolken. Die Remoras folgten ihr noch immer, wurden aber langsamer. Zweifellos holten sie beim Kommandanten des Manta-Kreuzers neue Befehle ein.

Als ihr Schiff tief genug war, um nicht mehr von Sondierungssignalen erfasst werden zu können, änderte Rlinda abrupt den Kurs und zwang die Neugier in einen tiefen Orbit in Äquatorhöhe. Durch die Reibungshitze stieg die Temperatur der Außenhülle, aber Rlinda reduzierte die Geschwindigkeit nicht.

»Dies ist dein Plan?«, fragte BeBob besorgt.

»Wir sind direkt hineingeflogen.« Rlinda konzentrierte sich auf den Flug. »Hoffentlich gehen die Remora-Piloten davon aus, dass wir in der Atmosphäre verglüht sind. Und vielleicht fürchten sie, dass wir Hydroger aufscheuchen.«

BeBobs Augen wurden noch etwas größer. »Das befürchte ich ebenfalls, Rlinda.«

»He, in der gegenwärtigen Situation wären sie eine Art Kavallerie. Aus einem gewissen Blickwinkel gesehen.«

»Wenn das unsere beste Hoffnung ist, steht es wirklich schlecht um uns.«

Turbulenzen schüttelten die Neugier so heftig, dass Rlindas Zähne klapperten. Funken stoben aus einer Konsole. Wenn sich die Remora-Piloten Zeit genug nahmen, die verschiedenen Atmosphäreschichten zu scannen, würden sie zweifellos die Ionenspur der Neugier entdecken. Rlinda hoffte, dass sie sich dann bereits auf der anderen Seite des Gasriesen befanden.

Einer der Stabilisatoren fiel aus, und das Schiff drohte außer Kontrolle zu geraten. Rlinda betätigte die Navigationskontrollen und stabilisierte es wieder. Mit roher Gewalt lenkte sie ihren geliebten Frachter durch die Wolkenmeere, wie einen Eisbrecher durch die raue arktische See. An Bord hielten Nieten und Schweißnähte gerade so stand.

Auf der anderen Seite des Planeten stieg die Neugier auf wie der Korken einer Sektflasche.

Rlinda deaktivierte alle Systeme und ließ das Schiff treiben. Viele Anzeigen präsentierten kritische Werte oder waren ausgefallen; das genaue Ausmaß der Schäden ließ sich derzeit nicht feststellen.

»Das Schiff ist noch intakt, immerhin etwas«, kommentierte BeBob. Rlinda und er umarmten sich spontan.

Selbst wenn die TVF-Schiffe ihnen folgten und jemand clever genug war, den Plan zu durchschauen – sie hatten einen Vorsprung von einigen Stunden gewonnen. Wenn Rlinda ein Versteck fand und die energetische Signatur ihres Schiffes verbarg, blieben sie vielleicht unentdeckt. Während die arg mitgenommene Neugier durchs All driftete, sondierte Rlinda die Monde, und dabei fiel ihr einer mit einer dicken Eiskruste auf.

Aus dem Nichts erschienen plötzlich zwei seltsame Schiffe. Ihre Konfigurationen konnte Rlinda nicht identifizieren. Eins der beiden Schiffe gab einen Warnschuss vor den Bug ab, und das zweite feuerte aufs Triebwerk der Neugier, richtete damit weitaus mehr Schaden an.

»He, was soll das?«, rief Rlinda ins Kom-System. »Wir haben schon genug Schwierigkeiten.«

»Ergeben Sie sich«, erklang eine Stimme. »Zeit für Revanche. Sie haben es mit der gemeinsten Gruppe Roamer-Piraten im ganzen Spiralarm zu tun.«

Rlinda stöhnte und erinnerte sich an Rand Sorengaard. »Das haben wir schon einmal durchgemacht.«

Die Piloten der beiden Schiffe zeigten sich auf den Kom-Schirmen: Männer in mittleren Jahren, gekleidet in extravagante Roamer-Sachen mit Clansymbolen. Der gepflegter aussehende Mann sagte: »Hiermit nehmen wir Sie gefangen.«