122 KOTTO OKIAH

Unsicherheit war ein ungewöhnliches Gefühl für ihn. Die Möglichkeit, dass er sich irrte, dass seine Berechnungen falsch waren, ließ Kotto Okiah innerlich erstarren. Doch als sich die Roamer-Schiffe den großen Hydroger-Kugeln über Theroc näherten, begriff er, dass er nie eine bessere Chance bekommen würde. Gleich würde sich herausstellen, ob seine Konzepte auf korrekten Annahmen beruhten.

Sieben Roamer-Schiffe von Osquivel flogen wie Spatzen in einen Orkan, bereit zum direkten Kampf gegen die Hydroger. Der neben Kotto sitzende sommersprossige Pilot namens Jared Huff grinste wie ein Irrer. »Los geht’s, Kotto. Die Droger scheinen auf uns zu warten!« Huff hatte in den Werften von Osquivel mit Kotto zusammengearbeitet und die einfachen Apparate stapelweise hergestellt. »Ich hoffe, Ihre Türklingeln funktionieren.«

»Wir haben die Berechnungen überprüft«, sagte KR. »Es gibt keinen logischen Grund für die Annahme, dass sich irgendwo ein Fehler verbergen könnte.« Kotto hatte die beiden technischen Kompis nicht in den Ringen von Osquivel zurücklassen wollen und sie mitgenommen.

»Wir müssen das Konzept überprüfen, indem wie die Türklingeln unter realistischen Bedingungen testen«, fügte GU hinzu.

»Die realistischen Bedingungen könnten uns den Tod bescheren«, sagte Jared.

»Das werden wir gleich feststellen.« Das Ausmaß des Vertrauens, das die Roamer in ihn setzten, erstaunte Kotto. Sie glaubten an ihn. »Natürlich funktionieren die Apparate.« Er schloss die Augen, als Huff beschleunigte.

Er hatte immer und immer wieder nachgerechnet, aber bei innovativen Konzepten war ein gewisses Restrisiko nicht auszuschließen. Während seiner beruflichen Laufbahn hatte er genug Rückschläge erlebt, um zu wissen: Die Realität beugte sich nicht immer mathematischen Berechnungen.

Mehr als zehn Kugelschiffe der Hydroger flogen durch die oberen Schichten der Atmosphäre von Theroc, gingen tiefer und griffen den Weltwald mit Eiswellen und blauen Strahlblitzen an. Die Fremden waren ganz auf die Verdani konzentriert und schenkten den Roamern überhaupt keine Beachtung.

Kotto stellte eine Kom-Verbindung mit den anderen Schiffen her. »Ist alles bereit?«

Sie kamen den Kugelschiffen schnell näher; ihre Größe war schier unfassbar. Kotto schätzte, dass sie mehr als hundertmal so groß waren wie die kleine Kugel, die er untersucht hatte. Wenn es bei ihnen ganz andere Funktionsprinzipien gab, war sein Plan zum Scheitern verurteilt…

»Du scheinst wieder zu träumen, Kotto«, sagte GU.

»Wenn wir nicht bald Gebrauch von den Apparaten machen, kollidieren wir mit den Drogern, Kotto«, kam es aus dem Kom-Lautsprecher. »Das wäre peinlich und nicht sonderlich wirkungsvoll.«

»Na schön! Türklingeln einsetzen. Die Membranen ausschleusen.«

Die Hydroger schenkten den kleinen Schiffen noch immer keine Beachtung, als sich deren Frachträume öffneten.

Tausende von dünnen Matten quollen wie Konfetti hervor, jede von ihnen etwa zwei Quadratmeter groß. Die rechteckigen Matten verteilten sich in der Atmosphäre und fielen ihren Zielen entgegen. Nachdem die Roamer-Schiffe ihre Ladung freigesetzt hatten, sausten sie davon, während die Hydroger auf den Weltwald konzentriert blieben.

Wie moderne fliegende Teppiche mit Klebeflächen an der Rückseite breiteten sich die Membranen aus. Kotto hatte sie nur mit einem einfachen Antriebssystem ausgestattet, in der Annahme, dass es nicht schwer sein würde, die Außenhülle eines riesigen Kugelschiffs zu treffen. Die meisten von ihnen drifteten nutzlos davon, doch einige trafen Ziele und hafteten an drei Kugelschiffen fest.

»Ding-dong! Ist jemand zu Hause?« Kotto konnte seinen Blick nicht vom Bildschirm lösen. Er wagte nicht einmal zu blinzeln.

Die an den Rümpfen der Kugelschiffe klebenden Membranen schalteten in den akustischen Modus, veränderten Frequenz und Amplitude, summten und vibrierten. Eine der Resonanzmatten fand schließlich die richtige Vibrationsfrequenz eines Kugelschiffs, und Kotto beobachtete, wie sich eine quadratische Öffnung in der Außenhülle bildete.

Die Hydroger wussten nicht, wie ihnen geschah. Die Signale der Membran lösten einen automatischen Mechanismus aus, der eine Luke öffnete, genau wie bei dem viel kleineren Kugelschiff in den Ringen von Osquivel. Das gleiche Prinzip, aber in einem größeren Maßstab. Auf der anderen Seite der gleichen Kugel fand eine zweite Matte die richtige Frequenz, und eine weitere Öffnung bildete sich.

Ultradichte Atmosphäre entwich aus dem Innern des Kugelschiffs, wirkte wie der Strahl eines Düsentriebwerks. Die Kugel begann sich wie ein alter chinesischer Feuerwerkskörper zu drehen, angetrieben von entweichenden Gasen.

Die Roamer jubelten. »Wie ein Ballon, aus dem jemand die Luft entweichen lässt«, sagte Jared und lachte laut.

»Alles wie vorgesehen«, kommentierte KR.

Das erste Kugelschiff schrammte an einem anderen vorbei und raste ins All. Die Hydroger in seinem Innern starben vermutlich durch die explosive Dekompression. Und selbst wenn sie überlebten: Es gab keine Möglichkeit für sie, ihr Schiff wieder unter Kontrolle zu bringen.

Fast gleichzeitig bildeten sich Öffnungen in den Außenhüllen der beiden anderen von Membranen getroffenen Kugeln, die daraufhin ebenfalls mit einem wilden Tanz begannen. Andere Kugelschiffe stiegen in Therocs Atmosphäre auf und wandten sich den unerwarteten Angreifern zu.

Kotto sah sie kommen. »Oh, oh. Stehen uns genug Membranen zur Verfügung, Jared?«

»Unser Vorrat ist ziemlich groß – immerhin haben wir rund um die Uhr gearbeitet. Aber diese kleinen Matten sind langsam. Die Droger wissen jetzt Bescheid und können ihnen ausweichen.«

»Die Membranen sollen trotzdem über Bord geworfen werden. Genauso gut kann man versuchen, Regentropfen auszuweichen. Die Droger können ihnen nicht allen entgehen.«

Bei der ersten geöffneten Kugel war inzwischen die gesamte Atmosphäre entwichen, aber das große Schiff drehte sich noch immer.

Die Roamer setzten den Rest ihrer Türklingeln ein.

»Und jetzt sollten wir besser von hier verschwinden«, sagte Jared.

»Ganz meine Meinung.«

Die Clan-Schiffe sausten fort, aber die Kugelschiffe waren schneller. Ein Blitz gleißte und verdampfte eins der Roamer-Schiffe. Kotto gab einen erstickten Laut von sich. »Fliegen Sie weiter!«

Jared betätigte die Navigationskontrollen und flog Ausweichmanöver. »Wenigstens wissen wir, dass die Türklingel funktioniert. Und sie ist besser als eine Klikiss-Fackel, die einen ganzen Planeten vernichtet.«

»Sie können mir später auf die Schulter klopfen. Verwenden Sie derzeit beide Hände, um das Schiff zu fliegen.« Übelkeit erfasste Kotto, aber er wollte sich keinesfalls übergeben.

Trotzdem freute er sich darüber, dass seine Idee funktionierte. Die Resonanzmembranen ließen sich leicht herstellen, und das bedeutete: Endlich hatte die Menschheit eine Möglichkeit, sich gegen die Hydroger zur Wehr zu setzen. Kotto hoffte, dass er Gelegenheit bekam, das Ende des Krieges zu erleben. Ihm lag nichts daran, hier als Held zu sterben.

Eine der großen Kugeln, die die Roamer-Schiffe verfolgten, traf auf mehrere treibende Membranen, die sofort am Rumpf festhafteten. Wenige Sekunden später bildeten sich zwei Öffnungen in der Außenhülle. Vom entweichenden ultradichten Gas angetrieben, stieß das Kugelschiff gegen ein anderes und zerschmetterte dessen pyramidenförmige Vorwölbungen. Die Kugeln prallten voneinander ab, beide außer Gefecht gesetzt.

»Damit sind fünf erledigt!«, freute sich Jared.

Aber weitere Kugelschiffe nahmen die Verfolgung auf, und die Roamer-Schiffe konnten sich nicht schnell genug absetzen.

Kotto sah auf die statistischen Daten der Schirme. Keins der Schiffe hatte noch Resonanzmatten an Bord, die sie den Verfolgern in den Weg werfen konnten. »Das sieht nicht gut aus.«

Jared blickte verblüfft durchs Fenster ins All. »He, Kotto, was ist das? Ein Komet kann es nicht sein. Sehen Sie nur, wie sich das Objekt bewegt. Beim Leitstern, es ist schneller als…«

Eine Kugel aus Eis, weiß wie Schnee, raste auf sie zu und zog einen Dunstschweif hinter sich her.

Hinter Kotto und Jared eröffnete die erste Hydroger-Kugel das Feuer.