73 SULLIVAN GOLD

Manche Leute hätten es Frieden und Produktivität genannt. Sullivan Gold wusste, dass es nur die Ruhe vor dem Sturm war.

Seine Arbeiter und er verbrachten jeden Tag an Bord der terranischen Wolkenmine voller Furcht. Die Schichtwachen waren verdoppelt worden, und sie führten eine Übung nach der anderen durch. Tabitha Huck schuf ein Netz aus fliegenden Sensoren in verschiedenen Bereichen der Atmosphäre von Qronha 3. Die von ihnen übermittelten Daten wiesen darauf hin, dass die Kugelschiffe in den Tiefen der Wolkenmeere nicht so tot waren, wie es den Anschein hatte.

Sullivan begriff, dass sie sich auch mit noch so guten Vorbereitungen nicht sicher wähnen durften. Irgendwann würde es zu einem Angriff kommen, daran zweifelte er nicht.

Als er während der letzten dunklen Stunden keine Ruhe fand, trat er aufs kalte Beobachtungsdeck und blickte in die Tiefe des Gasriesen. Die Luft, die das atmosphärische Verdichtungsfeld durchdrang, roch seltsam in dieser Nacht und steckte voller statischer Elektrizität, die dafür sorgte, dass sich die Härchen an Sullivans Armen aufrichteten. Der grüne Priester und er hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, die Stunde vor dem Sonnenaufgang gemeinsam zu verbringen und die fernen Lichter der ildiranischen Himmelsfabrik zu beobachten, die nach wasserstoffreichen Aufwinden suchte.

Kolker hielt seinen kostbaren Schössling in den Armen, und immer lag ein besorgtes Lächeln auf seinen Lippen, während er Gesprächen lauschte, die außer ihm niemand hören konnte. Sullivan bedauerte das keineswegs; er fühlte nicht das Bedürfnis, dauernd mit jemandem zu reden.

Die Himmelsmine hatte der Hanse eine weitere Ladung Ekti geschickt. Unter Sullivans Leitung ging die Produktivität der Anlage sogar noch über alle kühnsten Erwartungen hinaus. Er hatte lobende Botschaften von König Peter und dem Vorsitzenden Wenzeslas erhalten, und von seiner Frau Lydia wusste er, dass der Extrabonus allen Enkeln ein Studium erlaubte.

Die Dinge liefen gut.

In der Dunkelheit bemerkte Sullivan plötzlich einen Strudel in der bodenlosen Tiefe unter der Himmelsmine. Neben ihm blickte Kolker zu den wogenden Wolken hinab, als ein Blitz darin flackerte.

»Das gefällt mir gar nicht«, sagte Sullivan. Weitere Blitze gleißten in den Wolkenmassen zwischen der Hanse-Anlage und dem ildiranischen Fabrikkomplex.

Die Tür des Kontrolldecks öffnete sich mit einem Zischen, und Tabitha eilte herbei. »Sullivan! Die Sensoren zeigen starke Aktivität an…«

Direkt unter dem Beobachtungsdeck teilten sich die dichten Wolken. Tabitha blieb abrupt stehen, und alle drei starrten voller Ehrfurcht in die Tiefe. Der grüne Priester schien sich an seinem Schössling festzuklammern.

Elektrische Entladungen zuckten zwischen den Wolken, und von tief unten kam dumpfes Donnern. Dann, wie aufsteigende Leviathane, glitten sechs riesige Kugelschiffe nach oben. Blauweiße Energie tanzte über ihre Außenhüllen.

Tabithas Blick klebte an den gewaltigen Kugeln fest, die den Aufstieg fortsetzten und mit jeder verstreichenden Sekunde größer wurden. Sullivan ergriff ihren Arm. »Kommen Sie zu sich! Die Hydroger möchten uns bestimmt keinen Höflichkeitsbesuch abstatten. Wir müssen die Crew retten!«

Tabitha wirbelte herum, stob davon und kehrte ins Kontrollzentrum zurück. Alarmsirenen heulten auf den verschiedenen Decks der Himmelsmine. Männer und Frauen kamen halb angezogen aus ihren Kabinen und verloren keine Zeit. Sullivan hatte nie irgendwelche Überraschungsübungen veranstaltet; sie wussten, dass es sich um einen echten Notfall handelte.

Sullivan wandte sich vom grünen Priester ab, der einen hastigen Bericht für den Schössling sprach, und eilte ebenfalls ins Kontrollzentrum. Tabitha und drei Techniker standen bei den Bildschirmen und einem Sektionsdiagramm der Anlage. Noch immer heulten Sirenen.

Vom ersten Tag ihrer Inbetriebnahme an hatte Sullivan geahnt, dass die Himmelsmine kein gutes Ende nehmen würde. Mit einer gewissen Erleichterung stellte er fest, dass sich die Besatzungsmitglieder richtig verhielten und dem Evakuierungsplan folgten. Durch das breite Fenster beobachtete er, wie weitere Kugelschiffe aus den Tiefen des Gasriesen aufstiegen. Die Fremden hatten es nicht eilig.

»Wir sind erledigt«, sagte Tabitha.

Während der Übungen hatte die Evakuierung der Himmelsmine eine halbe Stunde gedauert, aber jetzt ging es tatsächlich um Leben und Tod – vielleicht schafften die Crewmitglieder es schneller. Sullivan hoffte, dass ihnen genug Zeit blieb, bevor die Kugelschiffe mit dem Angriff begannen.