23. Kapitel
Ein paar junge Männer bewunderten den Porsche, als sie ausstiegen. Ferrari fiel beinahe auf das Trottoir.
«Mann, geiler Schlitten!», hörte er den Kommentar. «Der alte Sack ist fast nicht rausgekommen.»
«Wie kommt der Tattergreis zu so einer geilen Mieze?»
«Das ist doch nie und nimmer seine Alte. Das ist wahrscheinlich seine Tochter.»
Der Kommissär stellte auf taub. Das war der Ärger nicht wert. Sollten die jungen Schnösel doch denken, was sie wollten. Und ihn schön beneiden.
Heinz Werner sass missmutig vor einem Bier.
«Ja, verdammt noch mal, Sie fehlen mir gerade noch! Und wen haben Sie da im Schlepptau?»
«Das ist meine Kollegin Nadine Kupfer.»
«Jetzt kommt ihr schon zu zweit. Habt wohl nichts zu tun? Verplempert nicht nur meine Steuergelder, sondern auch noch meine Zeit», fluchte Werner.
«Dürfen wir uns setzen?»
Werner trat so heftig gegen einen Stuhl, dass dieser krachend umfiel. Für einen kurzen Augenblick war es totenstill. Neugierig blickten die paar wenigen Gäste herüber, alles Stammgäste, wie Ferrari vermutete.
«Wenn es sein muss.»
«Es muss!», blieb der Kommissär hartnäckig. Er stellte den Stuhl auf, setzte sich neben Werner und forderte Nadine auf, ebenfalls Platz zu nehmen.
«Ich habe einige Fragen.»
«Fragen Sie!», brummte der Wirt.
«Stimmt es, dass Hans Rost die halbe Million zurückhaben wollte?»
«Ja!»
«Und zwar sofort.»
«Ja!»
«Hat er Ihnen gesagt, weshalb?»
«Nein!»
Werner leerte das Bier in einem Zug, stand auf und liess ein zweites aus dem Zapfhahn.
«Sehr gesprächig sind Sie heute aber nicht.»
«Nein!»
«So dauert unser Gespräch noch Stunden. Können Sie auch was anderes als Ja und Nein sagen?»
«Nein!»
Ferrari schüttelte den Kopf.
«Auch gut, dann laden wir Sie auf einen Besuch in den Waaghof ein. Ist Ihnen das lieber?»
«Nein!»
«Dann sollten Sie sich ein bisschen kooperativer zeigen», entgegnete der Kommissär, der langsam ungeduldig wurde.
«Was wollen Sie? Und was schreibt Ihre Tussi die ganze Zeit auf?»
«Erstens, Nadine Kupfer ist meine Kollegin, die versucht, unser Gespräch einigermassen festzuhalten, und zweitens, sie ist keine Tussi. Aber, wenn es Sie stört, können wir uns auch allein unterhalten. Aber dann auf dem Kommissariat.»
«Ist mir scheissegal, ob die dabei hockt.»
«Zurück zu meiner Frage. Weshalb wollte Hans Rost das Geld so plötzlich zurück?»
«Hat er nicht gesagt. Der gottverfluchte Idiot machte auf stur.»
«Und dann haben Sie ihn bedroht.»
«Unsinn. Ich habe ihn nicht bedroht. Verdammt noch mal.»
«Sie drohten sogar, dass Sie ihn umbringen würden. Ihn und seine Familie», ergänzte Nadine.
Heinz Werner leerte das zweite Bier erneut in einem Zug.
«Woher wisst ihr das überhaupt, ihr verdammten Bullen. Erbärmliche Schnüffler seid ihr!»
Er hatte sich beim letzten Satz an Nadine gewandt.
«Ich weiss nicht, wovon Sie reden.»
«Ach ja? Komisch! Sonst seid ihr doch immer auf Zack. Und jetzt weisst du auf einmal nicht, wovon ich rede.»
Der Kommissär blickte verwirrt zu Nadine. Das Gespräch nahm eine sehr eigenartige Wendung.
«Sie missverstehen hier etwas, Herr Werner. Nicht wir sind Ihnen eine Erklärung schuldig, sondern Sie uns. Wenn ich bitten darf», forderte ihn Ferrari auf. Sein Ton liess keine Widerrede zu.
Werner ging mit leichter Schlagseite zum Tresen und zapfte sich ein weiteres Bier. Wahrscheinlich war es nicht erst das dritte.
«Ich konnte Hans nicht davon überzeugen, dass ich das Geld so auf die Schnelle unmöglich aufbringen konnte. Er bestand darauf und gab mir eine Woche Zeit.»
«Und, haben Sie das Geld aufgetrieben?», fragte Ferrari barsch.
Er nickte.
«Ja, verdammt noch mal. So ein verfluchter Halsabschneider hat mir das Geld in Aussicht gestellt.»
«Und dann ist Hans Rost eigenartigerweise ums Leben gekommen und Sie mussten die Schulden nicht mehr zurückzahlen», fuhr Nadine fort.
«Wie meinst du das?»
Heinz Werners Augen glänzten, ob vor Wut oder vom Alkohol liess sich nicht sagen. Vermutlich eine unheilvolle Mischung, der Nadine keine Achtung schenkte.
«Ganz einfach! Es ist doch arg komisch, dass Hans Rost Selbstmord macht, kurz nachdem Sie ihn bedroht haben und das Geld nicht zusammenkratzen konnten.»
«Das nimmst du sofort zurück, du verdammte Schlampe!»
Bevor Ferrari einschreiten konnte, griff Werner mit seiner linken Pranke nach Nadine, zog sie mit einem Ruck über den Tisch und ohrfeigte sie. Links und rechts. Nadine wehrte sich heftig, kam aber gegen den massigen Wirt nicht an.
«Lassen Sie sie endlich los, Werner!», schrie Ferrari und versuchte, Nadine zu befreien.
Der Wirt liess los und Nadine purzelte von der Tischkante auf den Boden. Im gleichen Moment sprang Werner hoch und packte Ferrari an der Brust.
«Ihr verfluchtes Dreckpack! Ihr verdammtes!»
«Nimm die Hand weg, Werner!», zischte der Kommissär.
Nichts geschah. Einundzwanzig, zweiundzwanzig … Ferrari liess ein paar Sekunden verstreichen. Dann schlug er zu. Ein sauberer Handkantenschlag. Heinz Werner torkelte. Ferrari setzte nach, ergriff den Arm des Wirts und, bevor dieser realisierte, wie ihm geschah, lag er am Boden, den Fuss des Kommissärs auf dem Hals.
«Ich warne Sie, Werner! Seien Sie vernünftig oder bei Gott, ich breche Ihnen das Genick. Was ist? Können wir uns wieder normal unterhalten?»
Werner versuchte zu nicken. Langsam zog Ferrari seinen Fuss zurück. Unsicher kam der Wirt hoch und griff sich an den Hals.
«Ja, verdammt noch mal, das hätte ich dir gar nicht zugetraut!»
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, kümmerte sich Ferrari inzwischen um Nadine. Sie zitterte, war blass und roch nach Bier.
«Bist du in Ordnung?»
«Einigermassen. Danke, Francesco.»
«Wollen wir kurz an die frische Luft?», fragte der Kommissär besorgt.
«Nicht nötig. Es geht schon», versicherte Nadine.
Heinz Werner gönnte sich ein weiteres Bier, kehrte abermals zum Tresen zurück und stellte zwei Flaschen Mineralwasser auf den Tisch.
«Es ist Ihnen hoffentlich klar, dass das noch ein Nachspiel haben wird», begann Ferrari.
«Ja, verdammt noch mal, tut mir leid», brummte Werner zerknirscht.
Die folgende Minute war kein Laut zu vernehmen. Fast schien es so, als hielten alle noch immer den Atem an. Erst nachdem sich Ferrari und Nadine zum Wirt gesetzt hatten, wurden die Gespräche an den Nebentischen nach und nach wieder aufgenommen.
«Stille Wasser gründen tief!», hörte Ferrari den Wirt sagen. «Das ist noch keinem gelungen. Heiliger Strohsack, du hast mich einfach umgehauen. Verdammt gut, Kommissarius, verdammt gut.»
«Können wir jetzt zum eigentlichen Diskussionspunkt zurückkehren?»
«Wenn es sein muss. Aber sie soll die Klappe halten. Sonst kriegt sie nochmals eine in die Fresse!»
Nadine rutschte mit ihrem Stuhl in sichere Entfernung.
«Und, verdammt noch mal, ein zweites Mal überraschst du mich nicht.»
«Ein zweites Mal endet für Sie auf der Intensivstation. Haben wir uns verstanden, Werner? Also, wo waren wir stehen geblieben vor … vor diesem Zwischenfall.»
«Deine … die da will mir einen Mord anhängen.»
«An dem, was Nadine gesagt hat, ist schon etwas dran. Sagen wir mal, es ist ein komischer Zufall.»
«Hans war doch nicht ganz bei Trost! Zuerst gibt er mir den Kredit. Sagt, dass ich ihn in Raten zurückzahlen kann. Dann steht er plötzlich vor mir und will den ganzen Zaster sofort zurück. Das Hin und Her ging mir mächtig auf den Sack!»
«Und weshalb kam es zu diesem plötzlichen Meinungswechsel?»
«Was weiss ich. Gut, ich habe ihn dann bedroht. Schliesslich stand meine Existenz auf dem Spiel, verdammt noch mal.»
«Und das rechtfertigt nach Ihrer Ansicht eine Morddrohung?»
«Ach was, das waren doch nur Einschüchterungsversuche.»
«Und dann haben Sie das Geld aufgetrieben.»
Er lachte bitter.
«Zu welchem Preis! Mir war klar, dass ich die Zinsen nie und nimmer würde aufbringen können. Für den Anfang hätte ich zwei Angestellte entlassen und wäre vierundzwanzig Stunden im Lokal gestanden. Doch mittelfristig hätte mir der Kredithai alles weggenommen. Nur eine Frage der Zeit.»
«Und trotzdem liessen Sie sich auf den Deal ein.»
«Vogel friss oder stirb. Ja, verdammt noch mal, ich hatte gar keine Wahl und versuchte halt, Zeit zu schinden. Schauen Sie sich um, Ferrari. Hier steckt mein Herzblut drin. Das ist mein Leben. Ich konnte das doch nicht kampflos aufgeben.»
Der Kommissär nickte.
«Nach Rosts Tod mussten Sie das Darlehen beim Kredithai nicht mehr aufnehmen, richtig?»
«Ich werde mit Christina sprechen. Sie soll das Geld bekommen. In Raten, wie ich es mit Hans vereinbart hatte.»
«Hören Sie mir überhaupt zu, Werner? Ich sagte, nach Rosts Tod wurde das Darlehen beim Kredithai überflüssig», wiederholte Ferrari mit Nachdruck. «Und mit dem Tod von Hans Rost erlosch auch Ihre Schuld. Sie konnten davon ausgehen, dass niemand vom Darlehen wusste. Es gab ja keine schriftliche Vereinbarung. Nur einen Handschlag unter Männern.»
«Ja, verdammt noch mal, das gefällt mir gar nicht, Ferrari! Ganz und gar nicht, wie Sie denken!»
«Bleiben Sie sitzen, Werner. Wir wollen uns kein zweites Mal prügeln. Sie ziehen erneut den Kürzeren. Abgesehen davon, lasse ich Sie wegen Tätlichkeit einsperren. Und vorher schlage ich Ihnen noch einige Zähne raus.»
Heinz Werner sah den Kommissär mit offenem Mund an.
«Ja, verdammt noch mal, das ist dein Ernst! Du bist gar nicht so ein harmloses Bürschchen, wie ich dachte.»
«Ich bin sehr gutmütig und geduldig. Nur provozieren sollte man mich nicht.»
«Du könntest ein wenig mehr Verständnis für mich aufbringen, Ferrari.»
«Verständnis in Ehren! Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Sie sind schlicht und einfach der grösste Nutzniesser am Tod von Hans Rost.»
«Das macht mich alles ganz wirr. Ich muss jetzt zuerst einmal gründlich nachdenken.»
Er torkelte zum weiss wie vielten Mal zum Tresen und kam mit zwei Bier zurück.
«Da, sauf! Geht auf die Rechnung des Hauses. Du meinst also auch, dass ich den Hans umgebracht habe?»
«Grund genug hatten Sie.»
«Aber das stimmt doch nicht. Verdammt noch mal, zwischen uns war alles geklärt. Am Tag vor seinem Tod hat er doch das Ganze wieder rückgängig gemacht.»
«Keine Rätsel, Werner. Erklären Sie uns das im Detail.»
«Hans hatte länger gearbeitet und kam spätabends noch vorbei. Er war wie ausgewechselt und wirkte sehr zufrieden. Es sei alles nicht mehr so tragisch und ich könne das Darlehen ganz normal abstottern. Wie vorgesehen.»
«Stimmt das auch?», fragte Ferrari überrascht.
Heinz Werner schlug mit der Faust derart heftig auf den Tisch, dass die Gäste an den anderen Tischen erneut verstummten und verstohlen herüberschielten.
«Ja, verdammt noch mal, ich bin doch kein Lügner!»
«Und dann haben Sie beim Kreditinstitut den Kredit rückgängig gemacht.»
«Das war der glücklichste Tag in meinem Leben. Ich habe Hans umarmt und ihm gesagt, dass er das niemals bereuen würde.»
Er wischte sich mit der Hand über die Augen.
«Jetzt ist er tot. Ich kann das alles gar nicht mehr gutmachen. Aber ich schwöre dir», Tränen rannen über seine Wangen, «ich zahle nicht nur das ganze Geld zurück, ich passe auch auf Christina auf. Ganz bestimmt. Ja, verdammt noch mal, und eines sage ich dir, Ferrari, wenn jemand der Christina etwas zuleide tut, dann bringe ich ihn um! Mit diesen Händen erwürge ich ihn! So wahr ich hier sitze.»
Der Kommissär nippte nachdenklich an seinem Bier.
«Wo waren Sie am Morgen des 16. Mai?»
«Wo warst du?», kam die Gegenfrage.
«Lassen Sie mich überlegen … genau, auf dem Weg ins Kommissariat. Da erhielt ich den Anruf, dass Rost vom Dach gesprungen ist.»
«Und ich war hier wie jeden Morgen seit mehr als zwanzig Jahren. Ich habe mich zur Feier des Tages volllaufen lassen. Meine Beiz und ich waren gerettet. Ein guter Grund zum Feiern.»
«Gibt es Zeugen?»
«Nein. Ja verdammt noch mal, du glaubst mir immer noch nicht!»
«Sie machen es mir auch nicht gerade einfach, Werner!»
«Aber es ist die Wahrheit. Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit», lallte er vor sich hin. «Und Christina werde ich beschützen. Sie ist eine gute Frau. Genauso wie meine Hermine. Gott sei ihr gnädig.»
«Wir gehen jetzt. Aber wir kommen wieder.»
«Na wenn schon. Dann kommt halt wieder. Du und die da!»
«Noch eine Frage. Was haben Sie gegen Frau Kupfer?»
«Nichts … Es ist nur das, was sie verkörpert. So geschniegelt. Wie die andere, verdammt noch mal. Die sind doch alle gleich.»
«Welche andere?», wollte Ferrari wissen.
«Die vom Fernsehen. Sieht auch gut aus, wie die da. Aber sie ist kalt, unnahbar und wühlt immer im Dreck der anderen.»
«Aber als es darum ging, bei der Dokumentarsendung über Hans Rost mitzumachen, haben Sie das Geld auch nicht abgelehnt, oder?», entfuhr es Nadine.
Heinz Werner zog die Augenbrauen gefährlich in die Höhe.
«Ist doch so. Diese Scheinheiligkeit stinkt bis zum Himmel. Von Moral reden, aber wenn sich Geld verdienen lässt, ist plötzlich alles anders. Sicher gehören Sie auch zu jenen, die am Abend vor der Glotze sitzen und sich am Elend der anderen aufgeilen. Sie sind doch nichts weiter als eine männliche …»
Weiter kam sie nicht. Ferrari hielt ihr den Mund zu.
«Sei bitte still, Nadine.»
«Mm…», sie versuchte, sich loszureissen. «Lass mich los, Francesco!»
«Nur, wenn du ihn nicht weiter provozierst», flüsterte er ihr ins Ohr.
«Aber es stimmt doch! Dieses fette Arschloch ohrfeigt mich und mimt den Moralapostel. Dabei weiss er nicht einmal, was das Wort Anstand bedeutet! Kassiert bei …»
Heinz Werner sprang auf und fixierte sie mit wild funkelnden Augen.
«Einschüchtern lasse ich mich von dir schon gar nicht, du fette Sau.»
Breitbeinig und kampfbereit stand Nadine vor dem Wirt und hielt seinem Blick stand. Die beiden boten ein skurriles Bild. Der plumpe, gewaltig wirkende, aber vom Alkohol schwankende Koloss und die attraktive, zierliche Polizistin.
«Na, was ist? Schlag du doch zu! Dann hast du wieder einmal deine Männlichkeit beweisen können!»
Werner liess sich nicht zweimal bitten und holte mit seiner Rechten aus. Seine Bewegung war langsam und unkoordiniert. Zeit genug für Ferrari, um sich zwischen die Streithähne zu stellen.
«Fertig jetzt! Wenn ihr euch austoben wollt, dann bitte nicht in meiner Anwesenheit. Komm, Nadine, das reicht», entschied der Kommissär und bugsierte sie zum Ausgang.
«Ich bin mit dem Trottel noch nicht fertig, Francesco.»
«Doch das bist du. Du bleibst jetzt hier stehen, damit das klar ist. Ich will noch wissen, was er über Denise Grieder sagen wollte.»
Trotzig folgte sie ihm zurück.
«Was genau bringt Sie bei Denise Grieder so auf die Palme, Werner?»
«Die stochert in allem herum und sucht gierig nach Schwachstellen. Macht am Anfang auf gut Freund, aber nur so lange, bis sie alle Informationen hat. Dann bist du Luft für die feine Dame. Dieser Stalder ist auch nicht besser. Als er alles wusste, ist er schnurstracks zu dir gerannt und hat alles brühwarm berichtet. Elender Verräter.»
«Zu mir? Und was soll er mir erzählt haben?»
«Ja, verdammt noch mal, das mit dem Darlehen natürlich. Und dass Hans die Kohle dann plötzlich sofort zurück wollte. Der Fernsehheini hat mich nicht mal ausgehorcht. Er wusste es bereits und ich Idiot habe es ihm auch noch bestätigt. Weiss der Teufel, was mich da geritten hat. Ich war wohl nicht mehr ganz nüchtern, denn wir haben nach Abschluss der Dreharbeiten die ganze Nacht durchgezecht.»
Anselm Stalder. Immer wieder taucht seine Person unverhofft auf. Ich habe ihn schon einmal unterschätzt, grübelte Ferrari und griff nach Nadines Arm.
«Wir gehen jetzt, Nadine.»
Am Ausgang drehte sie sich um und zeigte Werner zum Abschied den Mittelfinger.
«War das nötig? Das macht eine Dame nicht.»
«Ach, was weisst du schon davon, was eine Dame in einer Männerwelt machen darf und was nicht. Wäre ich ein Mann, dann hätte ich das Arschloch spitalreif geschlagen.»
«Können wir mit diesem Niveau der Konversation aufhören?»
«He! Du hast mich vor dem gefährlichen Monster gerettet und ich habe mich noch gar nicht richtig bedankt.»
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ferrari spürte, wie ihm wohlig warm wurde.
«Du bringst mich in Verlegenheit», entgegnete er.
«Oh, du wirst tatsächlich rot, Francesco. Wie süss.»
«Ach, hör schon auf! Du hättest Heinz Werner nicht so provozieren dürfen.»
«Wo steht das geschrieben? In der Bibel? Im Alten oder im Neuen Testament?»
«Nein, im Buch der Vernunft. Lege dich nie mit jemandem an, der dir kräftemässig überlegen ist.»
«Nun, du warst ihm ganz offensichtlich überlegen. Hätte er nicht klein beigegeben, müssten wir ihn jetzt im Spital besuchen.»
«Das traust du mir zu?»
«Ich habe deine Augen gesehen, Francesco. Und Heinz Werner auch. Das war unmissverständlich.»
Ferrari nickte nachdenklich. Nur zu gut wusste er, dass es Momente in seinem Leben gab, in denen sein Hirn für einen Bruchteil einer Sekunde aussetzte und er unberechenbar war. Keine gute Vorraussetzung für einen Polizisten. Ganz und gar nicht. Immer hatten diese Situationen mit Gewalt von Männern an Frauen zu tun. Zum Glück war bisher keine eskaliert und das würde hoffentlich auch so bleiben. Sonst wäre er für alle Ewigkeiten Kommissär gewesen.
«Seine Wut galt eigentlich gar nicht dir, sondern Denise Grieder und Anselm Stalder», setzte Ferrari das Gespräch fort.
«Stimmt. Aber ich musste als Blitzableiter herhalten. Woher weiss Stalder eigentlich, dass Werner das Darlehen sofort zurückzahlen musste?»
«Eine gute Frage. Und die kann uns nur Anselm Stalder beantworten.»