13. Kapitel
Über das normale Konto von Hans Rost waren keinerlei Zahlungen an die Versicherung geflossen. Trotzdem hatte er pünktlich einbezahlt, wie Nadine von der Versicherung erfuhr. Die Einzahlungen wurden immer bar an einem Postschalter in der Kirschgartenstrasse getätigt, was ihre weiteren Recherchen ergaben.
«Post und Versicherung haben sich sehr kooperativ gezeigt.»
«Das erstaunt mich.»
«Tja, ich habe halt meinen ganzen weiblichen Charme spielen lassen. Der Versicherungsheini …»
«… will dich auch zum Essen einladen.»
«Und dies ohne mich zu kennen.»
«Übrigens, es geht mir wieder besser. Danke der Nachfrage.»
«Das wollte ich dich gerade fragen. Wirklich, Francesco. Bist du wieder ganz gesund? Ja?»
Nadine konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, was Ferrari Anlass genug war, sich theatralisch und leicht schmollend abzuwenden.
«Vielleicht ist Rost am Donnerstagabend einer Nebenbeschäftigung nachgegangen, um die Prämien zahlen zu können», kam Nadine geschickt auf das eigentliche Thema zurück.
«Wäre eine mögliche Theorie. Wir reden später darüber, ich muss los.»
Vergessen war die Theatralik.
Ferrari hatte sich für kurz vor Mittag beim Filialleiter der Poststelle Elisabethen an der Kirschgartenstrasse einen Termin geben lassen. Er bat ihn, die Angestellten zu informieren, dass er einige Auskünfte brauchte. Nach Schalterschluss standen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro des Chefs.
«Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Es geht mir darum, herauszufinden, ob jemand von Ihnen diesen Mann kennt.»
Der Kommissär hatte sich von Christina Rost ein Foto ihres Mannes geben lassen. Sie hatte nicht einmal danach gefragt, wofür er es verwenden wollte. Er legte es auf den Tisch des Filialleiters. Eine ältere Mitarbeiterin meldete sich sofort.
«Ich kenne den Mann. Er zahlte immer Ende Monat mit einem Lächeln an meinem Schalter den gleichen Betrag ein. Ich weiss aber nicht genau, wie hoch der Betrag war.»
«Wirklich jeden Monat?»
«Nein, sporadisch.»
«Weshalb haben Sie sich gerade ihn gemerkt? Sie bedienen doch im Laufe einer Woche bestimmt Hunderte von Kunden.»
«Es gibt einige, die haben bestimmte Marotten. Und das fällt auf. Er wollte unbedingt an meinem Schalter einzahlen. Früher war das bedeutend einfacher, als man sich in die Warteschlange vor dem jeweiligen Schalter stellen konnte. Mit dem heutigen Nummernsystem geht das natürlich nicht mehr. Es ist dem Zufall überlassen, wer wo dran kommt. Aber ihm ist es immer wieder gelungen an meinen Schalter zu kommen. Mit einem kleinen Trick. Er wartete nämlich, bis seine Nummer vorbei war, liess eine weitere aus und, wenn dann mein Schalter frei war, stand er mit trauriger Miene vor mir, erklärte, dass er leider seinen Einsatz verpasst hätte. Ein Sonderling, aber ein liebenswerter.»
Sachen gibt es, dachte der Kommissär. Zum Glück gehöre ich nicht zu diesen sonderbaren Menschen, deren Eigenheiten beinahe zur Karikatur verkommen.
«Ist Ihnen im Laufe der Zeit etwas Besonderes an ihm aufgefallen?»
«Er strahlte immer über das ganze Gesicht, wenn er einzahlte. Die meisten Leute fluchen ja, wenn sie Geld einbezahlen müssen. Er nicht, er freute sich.»
«Hob er das Geld von einem anderen Konto bei Ihnen ab?»
«Nein. Er bezahlte das Geld immer bar ein. Das Geld holte er bei der BRS.»
Ferrari blickte sie erstaunt an.
«Was bitte ist die BRS?»
«Banquiers Rohner & Söhne, eine Privatbank. Mein Ex-Mann hat dort gearbeitet», ergänzte sie leicht errötend. «Der Mann trug immer einen Umschlag von dieser Bank mit sich. Daraus zählte er fein säuberlich den Betrag ab.»
Ferrari bedankte sich für die Auskünfte. Dieses Gespräch war aufschlussreich gewesen. Sehr sogar.
Der Staatsanwalt schien den Streit von letzter Woche vergessen oder verdrängt zu haben. Aber die Begeisterung, seine Beziehungen zur BRS spielen zu lassen, um einem allfälligen Konto von Rost auf die Spur zu kommen, hielt sich in Grenzen.
«Ihre Anhaltspunkte, von Beweisen kann ja keine Rede sein, reichen nie und nimmer aus, um offiziell anklopfen zu können. Das Bankgeheimnis lässt grüssen. Und ich auch!»
«Bestimmt haben Sie dort einen Parteifreund in leitender Position», säuselte Ferrari.
«Hm … Ernst Maurer vielleicht. Er schuldet mir noch was. Aber was sage ich da eigentlich?! Worauf lasse ich mich nur wieder ein? Sie bringen mich ständig an den Rand des Abgrunds. Irgendwann stürze ich ab, meine schöne Karriere gleich mit. Aus, futsch. Kommt überhaupt nicht in Frage, Ferrari. Haben wir nicht abgemacht, dass …»
«Ihre Karriere beginnt doch erst», unterbrach ihn der Kommissär. «Sie sind talentiert, ambitioniert und erfolgreich. Denken Sie nur an die ungeahnten Möglichkeiten, die Sie haben. Was Sie in dieser Stadt alles bewegen können, woran sich vielleicht noch Generationen erinnern werden. Olivia hat schon oft erwähnt, dass Sie ihre Unterstützung haben, falls Sie gross in die Politik einsteigen möchten.»
Was man nicht alles tut, um ein Ziel zu erreichen.
«Das sagt Frau Vischer?»
Der Staatsanwalt sah in Gedanken seinen steilen Aufstieg vor sich. Einen Quantensprung in seiner Laufbahn. Die Unterstützung der Familie Vischer wäre bestimmt hilfreich. Das sollte man nicht ablehnen. Das durfte man gar nicht. Und eine politische Karriere, die stand beim Staatsanwalt ganz oben auf der Wunschliste.
«Was schuldet Ihnen Ernst Maurer?», setzte der Kommissär nach.
«Da war mal was mit Alkohol am Steuer … he, Ferrari, lassen Sie das! Kommt nicht in die Tüte. Sie kriegen mich nicht rum.»
«Ich bin auch gerne zu Gegenleistungen bereit. Aber bitte, wenn Sie nicht wollen?!»
Der Staatsanwalt dachte angestrengt nach. Fast schien es, als würde man die grauen Zellen arbeiten sehen.
«Olivia Vischer veranstaltet in Riehen einen Wohltätigkeitsball. Ich möchte ins Organisationskomitee», brummte Borer schliesslich.
«Sie kennen sie doch sehr gut. Sie haben zusammen studiert. Rufen Sie Olivia doch einfach an.»
«Das will ich nicht. Sie soll mich anfragen.»
«Ein reines Ehrenamt. Was steckt dahinter, Herr Staatsanwalt?»
«Das gibt eine grosse Sache. Ganz Riehen steht dahinter. Das kann meinen politischen Ambitionen nicht schaden. Prestige, Ferrari.»
«Ich soll Sie also ins Gespräch bringen.»
«Nicht ins Gespräch, ins Komitee.»
«Gut, einverstanden. Eine Hand wäscht die andere. Sie besorgen mir einen Termin bei Ernst Maurer. Und sagen Sie ihm gleich, was ich von ihm will. Ich spreche mit Olivia.»
Borer rieb sich genüsslich die Hände.
«Wir sind ein ausgezeichnetes Team, Ferrari! Ganz ausgezeichnet.»
Unvermittelt kniff der Staatsanwalt die Augen zusammen und seine Stimme verlor jegliche Freundlichkeit.
«Aber lassen Sie Nadine Kupfer aus dem Spiel. Sie soll sich um die Akten kümmern. Mehr nicht. Ist das klar?»
Nach längerem Suchen fand der Kommissär den Sitz der Banquiers Rohner & Söhne in einem erst vor kurzem restaurierten, alten Fachwerkhaus im St. Alban-Tal. Alles war sehr unauffällig gehalten, nur die drei Buchstaben BRS zierten den Eingang. Ferrari meldete sich am Empfang an und wurde kurz darauf von Ernst Maurer abgeholt.
«Kommen Sie bitte mit in mein Büro», flüsterte er im Ton eines Verschwörers. «Das bleibt aber alles unter uns. Schön unter uns. Ich riskiere hier Kopf und Kragen.»
«Sie können sich voll auf mich verlassen, Herr Maurer.»
Er schob dem Kommissär ein Dossier über den Tisch.
«Ich habe einen Blick darauf geworfen, Herr Ferrari. Ehrlich gesagt, es ist mir bei der Sache nicht ganz geheuer. Gar nicht geheuer. Die Bank wird doch nicht in einen Skandal verwickelt werden?»
Er griff geistesabwesend nach einem Glas Wasser.
«Wie meinen Sie das?» Ferrari war neugierig geworden.
«Schauen Sie sich das Konto bitte an.»
Ferrari blätterte die Auszüge durch und konnte nicht glauben, was er sah.
«Ist das wirklich das Konto von Hans Rost?»
«Ohne Zweifel.»
Maurer wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiss von der Stirn.
«Ich sehe also richtig, Hans Rost verfügt über ein Vermögen von beinahe einer Million Franken?»
«Der jetzige Stand des Vermögens, ums genau zu sagen. Blättern Sie zurück. Ursprünglich belief sich die einbezahlte Summe auf zwei Millionen.»
Ferrari begann sich intensiv in die Kontoauszüge zu vertiefen.
«Die erste halbe Million wurde vor eineinhalb Jahren einbezahlt. Dann folgten weitere drei Tranchen in der Höhe von je einer halben Million Franken. Können Sie mir sagen, wer die Einzahlungen getätigt hat?»
«Diese Frage habe ich erwartet. Darum bin ich der Sache nachgegangen. Hans Rost bezahlte die Beträge bar ein.»
«Ist hier in der Bank niemand auf den Gedanken gekommen, dass da etwas nicht stimmen könnte?»
Maurer machte eine abwehrende Bewegung.
«Fragen Sie mich das lieber nicht! So genau will ich es auch gar nicht wissen.»
«Das zum Thema Geldwäscherei.»
«Bitte nicht so pauschal. Einer oder einige fallen immer wieder durch die Maschen. Ich bin nicht die Bank, Herr Ferrari. Meine weiteren Nachforschungen sind im Sand verlaufen, denn die Einzahlungen wurden alle von unserem ehemaligen Hauptkassier Heinrich Sommer verbucht.»
«Was bedeutet das? Kann ich ihn kurz aufsuchen und mit ihm sprechen?»
«Da müssen Sie nach Argentinien oder nein, warten Sie, nach Australien fliegen. Er ist vor drei Monaten ausgewandert.»
«Etwa zu dem Zeitpunkt, an dem die Einzahlungen aufhörten?»
«Nicht ungefähr, genau zu dem Zeitpunkt. Sonderbar. Wirklich sonderbar.»
«Können Sie mir das Personaldossier von Heinrich Sommer besorgen?»
Maurer zog es aus einer der unteren Schubladen hervor.
«Damit habe ich gerechnet.»
«Sie sind sehr kooperativ. Vielen Dank.»
Der Kommissär blätterte die Akte durch. Sommer hatte den gleichen Jahrgang wie Rost. Aufgewachsen im Kleinbasel, Ausbildung zum Bankkaufmann, geschieden, keine Kinder. Hobbys Wandern, Musizieren und … Kegeln! Das konnte kein Zufall sein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handelte es sich um ein weiteres Harmonie-Mitglied. Hans Rost, Heinz Werner und Heinrich Sommer. Ein Trio, das in die Jahre gekommen war. Was verband die drei? Vermutlich mehr als das Kegeln. Einmal Freunde, immer Freunde? Gingen sie zusammen durch dick und dünn? Einer für alle und alle für einen? Oder wagte einer von ihnen einen Alleingang? Mit tödlichem Ausgang? War die Vergangenheit der Schlüssel zu einem ungeahnten Geheimnis? Die Gedanken überschlugen sich in Ferraris Kopf.
«Sehr aufschlussreich, Herr Maurer. Ich nehme an, die beiden kannten sich gut. Wahrscheinlich gingen sie sogar zusammen zur Schule. Und sie frönten auch einem gemeinsamen Hobby, dem Kegeln.»
«Eine schreckliche Angewohnheit! Ich spiele lieber Golf.»
«Ich hätte zum Kontoauszug noch ein paar Fragen.»
«Die ich hoffentlich beantworten kann.»
«Im vergangenen Jahr kam es nur zu zwei grösseren Transaktionen. Hier im Frühjahr 2006 wurden 400 000 Franken und im Herbst eine halbe Million abgehoben beziehungsweise auf ein anderes Konto überwiesen. Können Sie mir darüber Aufschluss geben?»
Maurer strahlte.
«Auch diese Frage habe ich erwartet. Die 400 000 wurden an einen Hansruedi Pfirter und die halbe Million einem gewissen Heinz Werner überwiesen. Kennen Sie die beiden Herren?»
Ferrari sass mit offenem Mund da, für einen kleinen Augenblick sprachlos.
«Ganz bestimmt?», hörte sich der Kommissär wie von Ferne fragen.
«Unsere Bank irrt sich nie. Absolut nie, Herr Ferrari!»
Maurer begleitete ihn bis zum Ausgang. Unsere Bank irrt sich nie, echote es in Ferrari. Und wenn doch, dann darf es nicht an die Öffentlichkeit dringen. Vielleicht ist das auch gut so. Oder zumindest für den eigenen Seelenfrieden besser. Auch einfacher, bequemer. Die Schweiz ist reich, reich an Möglichkeiten, bequem zugrunde zu gehen. Dieser Satz hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt und drang immer dann in sein Bewusstsein, wenn er Gefahr lief, sich für den einfacheren Weg zu entscheiden. Der Versuchungen waren viele. Sich selbst treu zu bleiben, oftmals schwierig. Treue, Ehrlichkeit, Vertrauen, Transparenz. Alles grosse Worte. Zu gross. Wie steht es um unsere Finanzwelt? Wer weiss, was sich hinter den verschlossenen Türen abspielt? Wer welche unsauberen Geschäfte tätigt? Selbstverständlich fein säuberlich in Krawatte und Nadelstreifenanzug gekleidet. Und wenn jemand versucht, ein bisschen am Bankgeheimnis zu kratzen, wird er abserviert. Ein Nestbeschmutzer. Unvorstellbar, sollte das Bankgeheimnis in der Schweiz je fallen. Interessant war, dass sogar die Europäische Union bei den bilateralen Verhandlungen darauf verzichtet hatte, das Bankgeheimnis in der Schweiz zu kippen. Es wurde zwar ein Anlauf genommen, im Grunde genommen eher ein harmloser Vorstoss der EU, um sich gegenüber den Mitgliedern rechtfertigen zu können, fand Ferrari. Niemand scheint ernsthaftes Interesse zu haben, unser Finanzgefüge ins Wanken zu bringen. Zu viele profitieren davon. Im In- und Ausland. So einfach war das. Unglaublich, aber wahr.
Der Kommissär verliess schmunzelnd die Bank, nachdem er Ernst Maurer nochmals zugesichert hatte, das Gespräch als streng vertraulich zu betrachten. Ganz streng vertraulich. In welchem Wespennest stochere ich da eigentlich rum? Womöglich stellte sich am Ende heraus, dass Rost mit dem Leben nicht mehr fertig geworden war, weil er sich in dubiose Geschäfte verstrickt hatte. Durch meine Ermittlungen ziehe ich das Ansehen eines ehrbaren Mannes in den Dreck und erreiche genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich will. Ferrari versuchte seine Gedanken zu ordnen. Wo war der rote Faden? Zuerst springt ein Biedermann vom Dach des Zollgebäudes. Ein offensichtlicher Selbstmord. Nach seinem Tod entpuppt er sich als Mann mit zwei Gesichtern. Der brave, psychisch angeknackste Ehemann und Vater, der sich um seine Familie sorgt, und der Millionär, der grosszügig mit Geldern um sich wirft. Verworren das Ganze. Widersprüchlich und seltsam. Ferraris Blick verlor sich in der Weite. Die Geschichte war soeben zum Fall geworden.
Die Sonne kämpfte sich durch dicke Wolken und lockte mit angenehmen Temperaturen die Menschen ins Freie. Der Kommissär schlenderte über die Wettsteinbrücke und genoss den schönen Blick auf die Altstadt. Die alten Häuser, die engen Gassen und der Rhein. Er liebte diese Stadt, ewiglich. Am Rheinbord setzte sich Ferrari auf eine Bank und schaute einem Fischer zu, der bedächtig seine Angel einzog, um sie erneut auszuwerfen. Mit elegantem Schwung. Der Fischer schüttelte den Kopf und zog die Leine wieder ein.
«Kein Erfolg?,» rief der Kommissär ihm zu.
«Nein, heute beissen sie nicht. Dabei habe ich einen ganz speziellen Köder genommen», antwortete der Mann und hielt zum Beweis den Köder in die Luft.
Ferrari ging zu ihm hinunter. Etwas Ablenkung tat ihm gut.
«Der Köder ist das A und O!»
«Vielleicht durchschauen die Fische Ihr Vorhaben?»
«Es ist manchmal zum Verzweifeln. Gestern konnte ich mich vor Fischen nicht retten. Ich hätte einen Laden aufmachen können. Und heute ist überhaupt nichts los.»
«Dann liegt es an der Stelle», vermutete der Kommissär.
«Das hier ist der beste Platz. Ich komme seit Jahren hierher. Nirgendwo beissen sie besser an.»
«Sind die Fische überhaupt geniessbar?»
Ferrari traute der Sache nicht ganz.
«Na klar. Seit diesem dummen Chemieunfall glauben alle, der Rhein sei eine einzige Kloake. Falsch, ganz falsch. Die Wasserqualität ist gut. Das beweist allein der wachsende Fischbestand. Wollen Sie mal versuchen?»
Ferrari holte vorsichtig mit der Angel aus und schwang sie unbeholfen über dem Kopf.
«Doch nicht so. Warten Sie, ich helfe Ihnen.»
Der Köder verschwand in zehn Meter Entfernung im Rhein.
«Und jetzt?»
«Jetzt müssen wir warten. Bis einer anbeisst oder eben nicht. Wollen Sie ein Bier?»
«Ja, gern.»
Ferrari blickte rheinabwärts und lauschte der Lebensgeschichte des Fischers. Fünf Geschwister, der Vater ein Alkoholiker. Bescheidene Verhältnisse. Früh von zu Hause abgehauen. Hilfsjobs, mal hier, mal dort. Nie lange an einem Ort geblieben. Eine Frau? Nein, die gab es nicht. Auch keine Kinder. Und immer wieder zog es ihn an den Rhein. Hier hatte er keine Sorgen. Hier war er zu Hause. Ferrari nickte. Auf einmal begann die Angel zu zucken.
«Mann, Sie bringen mir Glück. Holen Sie ihn raus.»
Ferrari spulte die Leine auf. Der Fischer stand mit einem Netz bereit, den Fang ins Trockene zu bringen. Ferrari zog die Angel mit einem Ruck zur Seite.
«Mist! Was ist denn das?», schrie der Fischer.
Am Köder hatte sich eine kleine Holzkiste verheddert. Der Kommissär lachte.
«Der Fang gefällt mir. Ich hatte schon Angst, dass ich einen Fisch erschlagen muss.»
«Was die Leute so alles in den Rhein werfen. Eine Schande ist das. Was soll ich mit dem Zeug?»
«Ich nehme die Schachtel mit und entsorge sie. Viel Glück noch.»
Ferrari wandte sich zum Gehen, als sein Handy vibrierte.
«Ferrari.»
«Denise Grieder von TV1. Wir hatten noch nicht das Vergnügen.»
Die Stimme klang angenehm. Ob es ein Vergnügen wird, wird sich zeigen, dachte der Kommissär.
«Wie sind Sie an meine Handynummer gekommen?»
«Mein Geheimnis! Können wir uns treffen? Ich möchte mich mit Ihnen über Hans Rost unterhalten.»
Ferrari hielt für einen Augenblick den Atem an.
«Wann und wo?»
«Sagen wir um 16.30 Uhr. Bei Ihnen oder bei mir?»
«Bei Ihnen. Wo finde ich Sie?»
«Kennen Sie das Peter Merian Haus?»
«Am Bahnhof? Stalder sagte doch, dass Sie im Gundeli wären.»
«Sind wir auch. Aber wir verlegen momentan den Standort zum Bahnhof. Sie finden uns im letzten Teil der Anlage.»
«Bei Straumann?»
«Daneben, im nächsten Trakt. Sie können mit Ihrem Wagen in die Tiefgarage fahren. TV1 ist angeschrieben.»
«Danke, aber ich komme mit dem Tram.»
«Umso besser. Die Haltestelle befindet sich unmittelbar vor dem Gebäude. Also, bis später. Ich freue mich. Tschüss!»
Der Kommissär hörte noch den Summton.
«Tschüss!», flötete er in die piepsende Muschel.
Ferrari rief Nadine an, erzählte ihr kurz, was er in der Bank erfahren hatte, und gab ihr Ort und Zeit des Treffpunkts durch. Nein, mit Denise Grieder wollte er nicht allein sein. Da tat weibliche Unterstützung Not.
Mit sicherem Griff zog der Fischer seine Angel ein, um sie wieder auszuwerfen. Unermüdlich und beständig.
«Das wird heute wohl nichts mit dem Abendessen. Vielleicht morgen.»
«Ist nicht so wichtig. Manchmal werfe ich die Fische sowieso wieder rein. Angeln beruhigt.»