15


Es war viertel nach sieben, als Jake diesmal – für ihn ganz unüblich – an der Vordertür läutete. Normalerweise kam er immer durch die Hintertür ins Haus, weil sie näher an den Stallungen und an seinem Gästehaus war und er sich noch niemals die Mühe gemacht hatte, den Umweg ums Haus zu machen. Normalerweise aber stand auch nicht dreißig Minuten vor dem Spiegel, bevor er ins Haupthaus ging, und hatte seine Haare immer und immer wieder frisiert und mit Gel bearbeitet, Parfum aufgelegt und zweimal sein Hemd gewechselt. Er war aufgeregt wie ein kleiner Junge vor dem Weihnachtsbaum. Acht Jahre war er mit Amy zusammen gewesen, und seit ihrem Tod hatte er keine einzige Verabredung mehr gehabt. Um kurz nach fünf war er zu „Babettes Box of Flowers“ gefahren und hatte einen wunderschönen Sommerstrauß binden lassen.


„Nanu, bist du unter die Blumenliebhaber gegangen“, hatte Jimmy Brown ihn gefragt, als er mit seinem kleinen Sohn Jared und seiner Frau Alice den Bürgersteig entlang kam.

„Hey Jim…Alice“, grüßte Jake.

„Oh mein Gott, was für ein schöner Strauß“, schwärmte Alice bewundert.

„Hat jemand von den Cartwright-Frauen Geburtstag“, fragte Jim und seine Neugier war geweckt worden, obwohl er im Hinterkopf bereits wusste, für wen die Blumen waren.

„Nein, sie sind für Lorelai“, antwortete Jake gelassen.

Jim pfiff.

„Hey, Mann, der geht aber weit über ein kleines Röschen hinaus!“

„Lorelai ist jemand, der auch mehr als nur ein Röschen verdient hat“, erwiderte Jake.

Es war ihm unangenehm. Gerade in diesem Moment kroch ein Gefühl seine Magengegend hoch, das ihm sagte, dass es vielleicht doch nicht richtig war, mit einer anderen Frau auszugehen. Es so öffentlich zu machen. Er kam sich vor wie ein lustiger Witwer und war doch nie verheiratet gewesen.

Keiner der drei sagte etwas.

„Wie geht’s Lorelai“, brach Alice das Schweigen.

„Ich denke ganz gut“, antwortete Jake knapp.

„Lorelai ist eine tolle Frau, Jake“, sagte Jim, „ich hoffe das weißt du!“

„Das tue ich ganz gewiss“, antwortete Jake wieder genauso knapp. Dann wandte er sich von Alice und Jim ab, verabschiedete sich und ging auf seinen Wagen zu.


Als er zuhause angekommen war, stieg er unter die Dusche und stand dann in seinen Boxershorts vor seinem Kleiderschrank. Normalerweise legte er nicht unbedingt großen Wert auf seine Garderobe und eigentlich war es auch nicht schwer, Jeans und ein Hemd zu kombinieren. Doch an diesem Abend wirkte er ratlos. Lorelai war in New York bestimmt mit Typen ausgegangen, die best-dressed waren. Er hatte nur einen einzigen Anzug, und selbst den hatte er für neunundvierzig Dollar bei Woolworth gekauft. Er entschied sich für dunkelblaue Jeans und ein hellblaues Hemd, trug das Parfum, das er sich in der Stadt besorgt hatte – Jean Paul Gaultier – Le Male – auf und machte sich auf den Weg zu seiner ersten Verabredung seit neun Jahren.


„Ich komme schon“, rief Ellen und Jake hörte, wie sie durch das Wohnzimmer auf die Tür zu marschierte. Die Tür wurde geöffnet.

„Jake, seit wann klingelst du an der Vordertür? Und für wen sind die Blumen?“

Sie war kurz verwirrt.

„Ich möchte Lorelai abholen. Wir sind verabredet. Die Blumen sind für sie!“

Ellen schmunzelte, trat zur Seite und bat Jake ins Wohnzimmer.

„Ihr seid verabredet“, lächelte sie.

Jake war für sie immer die Idealvorstellung eines „Schwiegerenkels“ gewesen.

„Ja, wir wollen in die Stadt. Was essen, vielleicht ins Kino“, versuchte er das ganze etwas zu verharmlosen, als er den hoffnungsvollen Blick in den Augen der alten Dame gesehen hatte.

„Lorelai, deine Verabredung ist hier“, rief Ellen lächelnd nach oben. Kurze Zeit später wurde oben eine Tür geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen. Dann kam Lorelai die Treppen herunter.


Jake verschlug es beinahe die Sprache, als er sie sah. Er wusste, dass die Frauen, mit denen er bislang ausgegangen war, nicht von der Schicki-Micki-Style-Sorte gewesen waren, doch als lorelai die Treppe herunterkam, klappte ihm die Kinnlade hinunter. Er wusste nicht, ob er jemals eine solche Schönheit gesehen hatte – schon gar nicht von Angesicht zu Angesicht. Sie trug ein champagnerfarbenes (er hätte die Farbbezeichnung nicht gekannt sondern es dunkelweiß genannt) Seidenkleid, mit großen Blüten darauf. Das Dekolleté war weit ausgeschnitten und bis zum Hüftknochen war das Kleid sehr eng geschnitten. Ab der Hüfte verlief es dann in einem seidig fallenden Rock bis zur Höhe ihrer Knie. Das Haar hatte Lorelai zu großen Locken gedreht, die ihr Gesicht kunstvoll umrahmten. Sie war kaum merklich geschminkt, wirkte dadurch aber wie eine Puppe. Ihre langen, schlanken Beine steckten in champagnerfarbenen High Heels.

„Hey, du bist ja früh dran“, lächelte Lorelai, als sie Jake sah.

„Wow“, brachte der nur heraus und kam sich wie ein verliebter Schuljunge vor, dem es die Sprache beim Anblick seiner Traumfrau verschlug. Er fragte sich, ob er jemals in seinem Leben eine so wunderschöne Frau gesehen hatte, konnte sich aber an keine erinnern.

Lorelai kam die Treppen herab und ging auf ihn zu.

„Die hier sind für dich!“ unbeholfen, wieder wie ein vierzehnjähriger Junge, reichte er ihr den Blumenstrauß.


Lorelai und Jake traten aus der Vordertür in die Abendluft. Sie waren kaum beim Auto angekommen, da nahm Jake ihre Hand.

Danke, dass du Zeit für mich hast“, sagte er und streichelte ihren Handrücken. Er führte sie um seinen Wagen herum und öffnete ihr die Tür.

„Ich freue mich, den Abend mit dir verbringen zu dürfen“, antwortete sie, während sie den Sicherheitsgurt anlegte.

In Jakes Bauch kribbelte es. Als er sie gesehen hatte, wie sie vorhin die Treppen heruntergekommen war, war ihm für kurze Zeit der Atem gestockt. Er hatte in seinem Leben noch keine Frau gesehen, die so wunderschön war, wie Lorelai. Immer und immer wieder musste er sie ansehen, als ihm plötzlich der Gedanke kam, für eine Frau wie sie gar nicht gut genug zu sein. Sie war mit Managern, Bankern und Geschäftsleuten ausgegangen und er war bloß ein einfacher Farmer, der den Namen „Jean Paul Gaultier“ auf seiner Parfumflasche noch nicht einmal richtig aussprechen konnte. Doch als Lorelai ihn zaghaft anlächelte, schob er all diese Gedanken zur Seite. Sie war keine oberflächliche Tussi, die nur auf Werte wie Geld und Ansehen reagierte. Sie mochte ihn, das spürte er.


Lorelai fühlte sich glücklich. Die Zweifel, die sie am Vormittag noch gehabt hatte, waren zwar noch nicht komplett verschwunden, aber sie hatten sich merklich verkleinert. Jake war ein wunderbarer Mann und wenn es sich ergeben sollte, warum sollte sie nicht in Red Oak bleiben. Schließlich war es ihr Kindheitstraum gewesen, die Farm eines Tages zu leiten und einen Zuchtbetrieb zu eröffnen. Sie war hier zuhause und nicht in New York. Das wurde ihr immer klarer. Sie wagte kaum, den Gedanken zuzulassen und wurde sogar rot dabei, wenn sie sich vorstellte, dass sie und Jake als Paar, möglicherweise als Ehepaar die Farm ihrer Großeltern leiteten. Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen.


„Okay, wohin möchtest du“, fragte Jake. Er hatte den Wagen am Parkplatz neben dem Supermarkt abgestellt und schlenderte mit Lorelai die Straße entlang. Er hatte ihre Hand genommen, und es fühlte sich wahnsinnig gut an.

„Keinen Schimmer, ich war seit acht Jahren nicht mehr hier unterwegs. Was schlagen sie vor, Cowboy?“

Jake schlang seine Arme rücklings um Lorelei, küsste ihren Hals und sagte: „Und wenn wir die ganze Nacht hier stehen bleiben, wäre es für mich eine wunderbare Nacht! Aber wenn du etwas essen möchtest, ich meine, ich weiß ja nicht, was sie in New York essen, aber ich weiß, dass sie bei Barney die besten Steaks braten, die du dir vorstellen kannst!“

„Dann auf zu Barney“, sagte Lorelai, drehte sich in Jakes Armen um und küsste ihn.

Sie gingen den Bürgersteig entlang, der zu Barneys führte. Lorelai wartete darauf, dass Jake ihre Hand los ließ, immerhin war er jemand, der es langsam angehen wollte – das hatte er ihr am Morgen, am Rückweg vom See bereits erklärt und sie konnte es nur allzu gut nachvollziehen. Eigentlich fand sie es schon ziemlich bemerkenswert, dass er sie nicht losgelassen hatte, als sie aus dem Wagen gestiegen waren. Sie hatte festgestellt, dass er den anderen gegenüber etwas verschlossen war. Doch dieses Mal hielt er ihre Hand auch, als sie durch die Schwingtüre des Barneys gingen.


Das Barneys war noch nicht allzu voll, als Lorelai und Jake in den Gastraum kamen. An wenigen Tischen saßen entweder Familien mit Kindern oder Arbeiter aus Dallas, die sich ein Abendessen gönnten. Das Barneys war neben seinen Steaks auch für seine legendären Cheeseburger bekannt.


„Möchtest du am Fenster sitzen“, fragte Jake.

„Gerne“, antwortete Lorelai. Jake berührte sanft ihren Rücken und sie gingen auf denselben Tisch zu, an dem Lorelai an ihrem ersten Abend gesessen hatte.


„Nicht gerade DER perfekte Ort für das erste Date“, lächelte Jake entschuldigend. Während sie auf den Tisch zugesteuert waren, war ihm eingefallen, dass sie nach Dallas hätten fahren können, wo es eindeutig schickere Restaurants gegeben hätte, als Barneys. Aber es war lange her, dass er sich um einen perfekten Abend mit einer Frau bemüht hatte und seit Amy tot war, hatte er – bis auf die billigen Schnapsläden, die er kurz nach ihrem Tod konsultiert hatte – kein anderes Restaurant mehr von innen gesehen, als das Barneys.

„Ach, es ist doch okay. Ich bin froh, nicht in einem dieser Schicki-Micki-Restaurants sitzen zu müssen, in denen dir steife Kellner aus der Weinkarte vorlesen und dir das Tagesgericht herunterbeten. Ich finde es toll hier. Ich finde es toll, mit DIR hier zu sein!“

Sie strahlte ihn mit ihren hellblauen Augen an und ihre Blicke trafen sich für wenige Sekunden.

„Was möchtest du essen“, fragte Jake, der ihrem Blick nicht länger standhielt und reichte ihr verschämt eine der dreifach zusammengefalteten, in Folie eingeschweißten Speisekarten, die bestimmt schon bessere Tage gesehen hatten und teilweise ziemlich abgegriffen waren.

Lorelai winkte ab.

„Jake…wir sind hier bei Barney. Ich stelle dir das perfekte Barneys-Menü zusammen – OHNE Speisekarte!“

Jake lächelte und steckte die Karte wieder zurück zum Ketchup, dem Salz und dem Pfeffer.

„Dann walten sie ihres Amtes, kleine Lady“, sagte er, während er der Kellnerin deutete, die Bestellung aufzunehmen.


„Hey, Jake…na, Geschäftsessen mit deinem neuen Boss?“

Es war Tracy, die Kellnerin, die Lorelai am ersten Abend so ruppig behandelt hatte.

„Nein, kein Geschäftsessen, Stacy“, antwortete Jake und nahm dmeonstrativ Lorelais linke Hand, die auf den Tisch ruhte in seine beiden Hände.

„Dieses Essen ist privater Natur!“

„Ouh“, machte Tracy und wirkte irgendwie abwertend. Dann stand sie einige Sekunden da, als hätte sie vergessen, was ihr Job bei Barneys war.

„Wollt ihr bestellen“, fragte sie schließlich und die Demotivation war ihr ins Gesicht geschrieben. So, wie es aussah war auch sie eine der Ladies gewesen, die gerne von Jake ausgeführt worden wären.

„Wir nehmen vier große Cheeseburger, zwei XL-Pommes-Portionen, eine XL-Portion Zwiebelringe, einen großen Eimer Chickenwings mit scharfer Sauce, einen großen Eimer Spareribs, zwei Portionen Cesar Salad und zwei große Stücke von eurem Schokoladenkuchen als Nachtisch – ach ja…und für den Anfang zwei große Becher Coke!“

Lorelai grinste.

„Sag mal – wie viele Kerle hast du eigentlich zu unserem Date eingeladen“, fragte Jake „du hast ja Essen für eine ganze Footballmannschaft bestellt!“

„Glaub mir“, sagte Lorelai und blitze ihn wieder mit ihren wunderbaren hellblauen Augen an, „ich esse wie eine ganze Footballmannschaft!“


Als der Abend voranschritt, füllte sich auch Barneys, so wie es jeden Abend der Fall war. Jake und Lorelai mussten die traute Zweisamkeit aufgeben, als sich zunächst Jimmy Brown und seine schwangere Alice, und später Grant Zane mit seiner Frau Mary gemeinsam mit Ted Lindwood und seiner Frau Sarah zu ihnen gesellten. Sie alle waren mit Lorelai zur High School gegangen, und die Frauen hatten die typische Red Oak-Karriere hinter sich. Ende zwanzig, fast zehn Jahre verheiratet und durchschnittlich drei Kinder.


Lorelai war etwas unwohl zumute, als die Männer ihre Frauen im Schlepptau hatten. Schon auf der High School war sie mit ihnen nicht wirklich klar gekommen, weil für sie eben schon immer feststand, dass sie etwas anders wollte, als Windeln wechseln und Babybrei kochen, kaum großen Wert auf Verabredungen mit Jungs und feste Freunde legte. Doch ihre Angst war unbegründet. Die Frauen waren mindestens genauso nett wie ihre Männer, mit denen Lorelai wunderbar zurecht kam.


Für einen kurzen Moment fragte Lorelai sich wieder einmal, ob es denn wirklich die richtige Entscheidung gewesen war, in die große weite Welt hinaus zu ziehen und in diesem Moment fühlte sie sich etwas wehmütig. Sowohl Alice als auch Mary und Sarah wirkten glücklicher, als alle Frauen, die sie in New York kennen gelernt hatte. Die sich darum sorgten, dass niemand dasselbe Outfit auf einer Party trug, sich den Mund darüber zerrissen, wer mit wem gesehen worden war und von denen wohl kaum jemand wahre Werte vermittelt bekommen hatte. Lorelais Angst, die Frauen könnten ihr gegenüber zickig sein, war vollkommen unbegründet. Sie erinnerte sich an ihre Freundinnen in New York, die jemandem grundsätzlich skeptisch und – ja, manchmal auch unhöflich – gegenübertraten, der neu war und den sie nicht kannten, und dass sie sich hin und wieder hatte auch dazu hinreißen lassen, eher die reservierte, unnahbare zu sein, als auf jemanden zuzugehen. Freundinnen, die wahrscheinlich nie richtige Freundinnen waren, denn sobald eine aus ihrer Clique in einem Restaurant den Tisch verlassen oder eine Party früher beendet hatte, als die anderen, war gerade diejenige die Zielscheibe sämtlicher Anfeindungen, diejenige, über die gelästert und über die hergezogen wurde. Und schon am nächsten Tag war sie wieder die beste Freundin, die liebste Kollegin und jemanden, den man nicht missen wollte. Sie hatte sich sehr verändert, in New York. Und manche dieser Veränderungen waren nicht positiver Natur.

„Du und Lorelai“, sagte Jimmy grinsend. Er hatte sich neben Jake auf die Bank gesetzt, seinen Bierkrug, von dem er eben einen Schluck getrunken hatte, in der linken Hand.

„Ja“, antwortete Jake knapp. Es war ihm unangenehm, auf seine Beziehung zu Lorelai angesprochen zu werden, auch wenn er dazu stand und wollte, dass auch die anderen davon wussten.

„Sie ist eine Wahnsinnsfrau“, sagte Jimmy, der bemerkt hatte, dass Jake das Gespräch unangenehm war. Jake war überhaupt kein Typ, der sein Herz auf der Zunge trug. Aber Jimmy hatte seinen Spaß daran, ihn auf diese Weise zu necken.

„Das weiß ich“, sagte Jake – wieder in demselben, knappen Tonfall wie zuvor.

„Seit wann“, fragte Jimmy und versuchte, in genau demselben knappen Ton zu kommunizieren wie Jake es tat. Bevor dieser aber antworten konnte, zog Alice Jimmy von seinem Sitz auf und holte ihn zum tanzen. Jake war froh darüber. Er hasste diese Art von Kreuzverhören und hatte irgendwie das Gefühl, die anderen würden ihm vorwerfen, mit Lorelai auszugehen, obwohl es Amy gegeben hatte. Sein Blick glitt über die Bar auf der Suche nach ihr.


Er entdeckte sie an einem Tisch mit ein paar älteren Farmern, die er alle vom sehen her kannte. Bevor Lorelai hierhergekommen war, zu der Zeit, als er auf der Cartwright-Farm zu arbeiten begonnen hatte, hatten ihn alle gefragt, ob er denn Lorelai schon kennen gelernt hatte, und was für ein wundervolles Mädchen sie doch war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass eine ganze Stadt in ein einziges Mädchen so – ja, so verliebt sein konnte. Doch seit er Lorelai kannte, verstand er, warum fast jeder Einwohner in Red Oak einen Narren an ihr gefressen hatte. Sie wirkte fast wie ein Engel. Er sah sie noch einige Sekunden lang an, wie sie am Tisch der Farmer saß und mit ihnen lachte. Menschen, die andere wohl eher am Rande wahrnehmen würden und niemals auf die Idee kommen würden, Zeit mit ihnen zu verbringen, weil sie alt waren und fast wie Relikte längst vergangener Zeiten wirkten, für deren Geschichten sich niemand interessierte. Dann stand er auf und ging auf den Tisch zu.


„Oh Mann, jetzt bekommen wir Ärger. Jetzt kommt ihr Kavalier“, lachte der alte Sal Stenton, als Jake bei dem Tisch der alten Farmer angekommen war.

„Da bist du ja!“ Lorelai sprang auf, fiel Jake um den Hals und küsste ihn. Überrascht drückte er sie an sich. Für ihn war es gleich doppelt ungewohnt. Zum einen, weil er soviel Nähe von Lorelais Seite spürte, die er nicht kannte, und zum anderen, weil alle in der Bar sehen konnten, dass er, Jake, der immer so unnahbar und kalt wirkte, von dem man meinte, er habe eine Mauer um sich aufgebaut, die niemand durchbrechen konnte, plötzlich einen auf verliebter Gockel machte.

„Hey“, sagte Jake und hielt Lorelai im Arm.

„Bei soviel Konkurrenz hab ich ja kaum noch eine Chance!“

Die alten Farmer lachten und prosteten Jake mit ihren Bierkrügen zu, ehe sie ihn einluden, Platz zu nehmen.


„Danke“, sagte Jake. Es war kurz nach Mitternacht und sie waren wieder zurück auf der Farm gefahren. Es war eine warme Nacht. Die Grillen zirpten und ein laues Lüftchen wehte. Das Mondlicht tauchte Lorelai in wunderschönes, kühles Licht. Ihre Haut schien hell, umrahmt von ihrem schwarzen Haar. Ihre blauen Augen funkelten wie zwei Saphire.

„Wofür denn“, fragte sie und blickte ihn an.

„Dafür, dass du mich ins Leben zurückgeholt hast“, sagte Jake. Seine Antwort kam, wie aus der Pistole geschossen. Seit er Amy verloren hatte, hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt, wie an diesem Abend. Er hatte längst vergessen, wie gern er früher unter Menschen gewesen war, wie sehr er sein Leben immer geschätzt hatte. Der Abend mit Lorelai hatte ihm neue Lebenskraft geschenkt.

Lorelai schmiegte sich an Jake.
„Ich muss mich bedanken“, sagte sie dann.

„Wofür musst du dich bedanken“, fragte Jake und strich über ihre Oberarme, die sich leicht kühl anfühlten.

„Dafür, dass du so wunderbar bist“, sagte sie und funkelte ihn wieder mit ihren Augen an. Dann versanken sie in einen tiefen Kuss.


Lorelai war sich sicher, dass ihr Leben ihren Mittelpunkt in Red Oak finden sollte. Auch wenn sie immer der Ansicht gewesen war, New York wäre ihr zu Hause, so war Red Oak das Zuhause ihres Herzens. Sie hatte sich schnell in ihr neues Landleben eingefügt. Morgens fütterte sie frühmorgens die Pferde und ging zum laufen, während sie fraßen. Anschließend brachte die Pferde auf die Koppeln und machte sie die Boxen sauber. Dann ging sie zurück ins Haupthaus, nahm eine Dusche und arbeitete etwas in ihrem Homeoffice, während sie sich ein kleines Frühstück genehmigte. Das arbeiten mit ihrem Online-Arbeitsplatz funktionierte besser, als sie sich hätte träumen lassen. Beinahe alle Agenden konnte sie via Mail oder Telefon erledigen und mittlerweile hatte sie sich sogar an die Telefonkonferenzen, die ihr in New York immer mehr als zuwider waren, gewöhnt, sodass David Park bislang kaum für sie hatte einspringen müssen. Sie aß gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter und Jake zu Mittag und half ihm dann bei den Arbeiten auf der Farm. Die Abende verbrachte sie oft mit Jake gemeinsam. Entweder bei einem Ausritt, einem Essen oder einem Abend vor dem Fernseher.


Es war ein unspektakuläres Leben, dass sie in Red Oak führte, ein Leben, dass ihre Freunde in New York wahrscheinlich müde belächelt hätten. Aber es war ein Leben, das sie glücklich machte und das sie behalten wollte. Für länger. Für immer.