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Jake war kein großer Redner. Er hatte Lorelais Friedensangebot zwar angenommen, sagte aber sonst nicht sehr viel. Seit Amys Tod hatte er seinen Humor und seine Redefreudigkeit sehr eingeschränkt.
„Meine Mum und meine Grandma halten große Stücke auf sie“, versuchte Lorelai ihn aus der Reserve zu locken. „Ich finde es großartig, dass sie ihnen helfen!“
„Sie haben ihre Meinung ja sehr schnell geändert“, sagte Jake, der sie immer noch keines Blickes gewürdigt hatte.
„Mr. McMahon. Jake. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Hören sie, es tut mir leid, dass ich ihnen unterstellt habe, kleine Kinder in ihr Haus locken zu wollen, das war wirklich unter der Gürtellinie. Und dass ich mich über sie lustig gemacht habe. Können sie mir denn keine Chance geben? Ich habe vor einer Woche meinen Verlobten mit einem kleinen Starlet bei uns im Bett erwischt. Und nein, er hat ihr nicht gezeigt, wie man die Laken richtig unter die Matratzen stopft. Mein gesamtes Weltbild hat sich von einer Sekunde zur nächsten gedreht. Es tut mir leid, dass ich so kratzbürstig war. Übrigens, ich werde eine Weile hier in Red Oak und auf der Farm bleiben. Sie sollten sich lieber mit mir arrangieren, als die beleidigte Leberwurst zu spielen!“
„Sie reden ziemlich viel, kleine Lady“, sagte Jake, sah sie an und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß – ein Talent von mir“, grinste Lorelai.
„Ihre Großmutter und ihre Mutter sind sehr stolz auf sie, wissen sie das? Jedes einzelne Foto, das sie den beiden geschickt haben, habe ich mindestens zweimal gesehen. Einmal hat es ihre Großmutter, einmal ihre Mutter mir gezeigt. Sie reden beide fast unentwegt von ihnen!“
„Ich weiß“, sagte Lorelai leise, „und ich habe mich acht Jahre nicht hier blicken lassen. Ich könnte mich selber dafür ohrfeigen, dass ich vergessen habe, wo meine Wurzeln sind. Ich bin noch nicht einmal einen Tag hier, und diese Leute“, sie blickte zu dem Tisch am Fenster, an dem sie bis vor kurzen noch gesessen hatte und an dem Bear und die anderen sich jetzt angeregt miteinander unterhielten, „die haben mich hier aufgenommen, als wäre ich niemals weggewesen. Ich habe sie alle vergessen, in New York. Ich habe Jimmy nie zum Geburtstag angerufen. Ich wusste nicht einmal, dass er verheiratet ist und ein Baby hat. Ich habe Bear nie eine Karte zu Weihnachten geschrieben oder mich auch nur nach dem Befinden von einem von ihnen hier erkundigt. In New York war ich mit Menschen unterwegs, die die Leute hier höchstens mit einem abfälligen Blick bedacht und etwas Hässliches über sie gesagt hätten. Und die tun so, als wäre ich niemals weg gewesen!“
Lorelai standen Tränen in den Augen, die sie mühsam versuchte, zurück zu halten.
„Wissen sie, manche Fehler müssen einfach gemacht werden“, sagte Jake und nahm einen Schluck Bier, „diese Menschen hier sind alles andere als oberflächlich. Es muss schon eine Menge passieren, dass sie einen nicht mehr gern haben. Jetzt sind sie ja hier, Lorelai. Und das zählt. Besser zu spät, als nie!“
Grant Zane tippte Lorelai auf die Schulter. Grant war ebenfalls ein langjähriger Freund, den sie während sie in New York war, „vergessen“ hatte.
„Hey, Lori“, sagte er, „wie kann es eigentlich sein, dass du mit den ganzen alten Kerlen da hinten getanzt hast, aber noch nicht mit mir?“ Er sah sie vorwurfsvoll an.
Die Coutry Cats setzten gerade zu einem neuen Song an, eine weitere Nummer der Dixie Chicks, „Once you’ve loved somebody“.
„Grant“, begann Lorelai, „ich verspreche dir, ich werde die nächsten beiden Songs mit dir tanzen. Diesen hier würde ich gerne mit…“ sie wandte sich an Jake „mit Mr. McMahon tanzen!“
„Mit mir?“ Jake schien überrascht und wusste im Moment nicht, was er sagten sollte.
„Ja, kommen sie schon!“ Sie zog ihn am linken Arm auf die Tanzfläche.
Es waren wenige Paare
auf dem Parkett, da es sich um eine langsamere Nummer
handelte.
„Können sie in diesen Schuhen überhaupt
tanzen“, fragte Jake und blickte skeptisch auf Lorelais
Blahniks.
„Mit diesen Schuhen kann ich sogar einen Marathon laufen“, lachte Lorelai. „das hab ich sogar schon mal gemacht!“
„Ach kommen sie, sie nehmen mich auf den Arm“, erwiderte Jake. Er hatte seine rechte Hand um ihre Hüfte gelegt. Seine Linke ruhte in ihrer rechten und Lorelai fühlte ein Kribbeln, da wo seine Hände sie berührten. Langsam drehten sie sich zur Musik. Sie duftete wunderbar. Ihr schwarzes Haar fiel sanft über ihre Schultern und ihre haut fühlte sich weich und sanft wie die eines Babys an. Sie war wirklich ein hübsches Mädchen und jetzt kam sie der Beschreibung ihrer Eltern schon viel näher.
„Überhaupt nicht“, sagte Lorelai. „Oder wie würden sie einen ganzen Tag Shopping durch Manhattan sonst nennen!“
Jake warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Dann blickte er ihr tief in die Augen und drückte sie etwas dichter an sich und sie drehten sich weiter im Klang der Musik.
Sie tanzten noch einen weiteren Titel und hätten wahrscheinlich noch bis in die frühen Morgenstunden weitergetanzt, wenn nicht Earl Grayman Jake von der Tanzfläche geholt hatte. Earl war ein guter Bekannter der Cartwrights und scheinbar hatten er und Jake vor, in den nächsten Tagen gemeinsam Earls Stall zu renovieren. Lorelai ging zurück zum Tisch mit Bear und den anderen.
„Hey, was läuft da mit dir und Jake? Ich dachte, du kannst ihn nicht ausstehen“, fragte Jimmy, als sie sich auf den Stuhl fallen lies und um einiges glücklicher aussah, als vorher.
„Da läuft gar nichts. Ich war heut Nachmittag nicht ganz nett zu ihm und hab mich entschuldigt!“
„Hat so ausgesehen, als hätte er die Entschuldigung angenommen, oder?“ scherzte Jimmy und biss von dem Burger ab, den er sich bestellt hatte.
„Halt die Klappe, Brown“, rief Lorelai in derselben Manier, wie sie es zu Schulzeiten getan hatte. Doch Jimmy hatte nicht Unrecht. Zum ersten Mal, seit sie Rob mit dieser Alicia im Bett erwischt hatte, hatte sie nicht an ihn denken müssen. Es hatte sich gut angefühlt, mit Jake zu tanzen. Seine starken Arme auf ihrem Körper, die Wärme, die er ausstrahlte, seine grünen Augen, die einen in ihren Bann zogen.
Nach einer Weile beschloss Lorelai, nach Hause zu fahren. Es war bereits nach Mitternacht und der Abend war wunderschön gewesen. Sie verabschiedete sich von den Jungs und versprach, bald wieder zu kommen, dann stand sie und ging an der Tanzfläche vorbei, wo Jake immer noch mit Earl sprach. Sie sah ihn an, doch er würdigte sie keines Blickes, fast so, als hätte die vergangene halbe Stunde nie statt gefunden.
Verwirrt stieg sie in ihren Wagen und fuhr zurück zur Farm. Sie war sich nicht sicher, ob es gut war, irgendein Interesse an Jake zu haben. Er schien ziemlich verschroben zu sein und die Sache mit dem Tod seiner Verlobten machte die Sache auch nicht gerade einfacher. Allerdings war er ein Mann, der allein schon durch seine Ausstrahlung jemanden in seinen Bann ziehen konnte. Gerade weil er so verschlossen und raubeinig war, und weil Lorelai in der kurzen Zeit, in der sie miteinander getanzt hatten, eine ganz andere Seite an ihm kennen gelernt hatte, als die, die er ihr am Tag gezeigt hatte, ging er ihr nun nicht mehr aus dem Kopf.
Sie stellte den TT vor dem Haupthaus ab. Jakes Pick up war noch nicht wieder hier. Wie konnte er auch, immerhin war Jake vor fünfzehnzehn Minuten, als sie Barneys verlassen hatte, noch in ein Gespräch mit Earl vertieft gewesen. Er würde sicher erst viel später nach Hause kommen.
Es war ein sehr zwiegespaltenes Gefühl, als Lorelai in dieser Nacht in ihr Bett, das fast achteinhalb Jahre nicht benutzt worden war, stieg. Zum einen fühlte es sie richtig nach Zuhause an. Ein Gefühl, dass ihr in New York gänzlich gefehlt hatte. Sie fühlte sich wieder wie das kleine Mädchen, das sie vor zwanzig Jahren gewesen war. Deren ganzes Herz an den Pferden hing und die sich niemals vorstellen konnte, die Farm zu verlassen. Die niemals das Leben mit den Pferden und ihrer Familie gegen ein Appartement in Manhattan eingetauscht hätte. Ganz kurz kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht doch – in einer absurden, und womöglich weit entfernten Weise – vorbestimmt gewesen war, dass Rob sie betrogen hatte. Vielleicht war das alles ein kleines Mosaik von etwas Großem – und dann noch die Tatsache, dass Jake hier war, der ihr längst nicht mehr egal war, auch wenn sie im Moment noch versuchte, sich das einzureden. Kurz darauf schlief sie ein.