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Dienstag, 11. Dezember
Kurz vor der Morgendämmerung legte der Kutter der Struans von der Fregatte Pearl ab und hielt auf den Kai der Firma zu. Der Wind wehte in der Nähe der Küste kräftig, und die Wolken sahen aus, als würde es um die Mittagszeit regnen.
Das Fernglas des Bootsmanns war auf die Fenster des Struan-Buildings gerichtet, wo ein Licht brannte. Plötzlich stotterte der Motor und erstarb, und der Bootsmann hatte das Gefühl, ihm rutsche das Herz in die Hose. Alle auf dem Schiff hielten den Atem an. Nach ein paar Sekunden lief der Motor wieder, stotterte erneut.
»Allmächtiger Gott, Roper, gehen Sie nach unten«, schrie er dem Maschinisten zu. »Und ihr übrigen bringt die Ruder an Deck für den Fall, daß wir liegenbleiben… Mein Gott, McFay wird uns den Arsch aufreißen… Roper«, brüllte er, »was haben wir für ein Problem, um Himmels willen, Roper! Werfen Sie das Lot aus!« Wieder schaute er durch den Feldstecher nach den Fenstern. Niemand zu sehen.
Aber Malcolm stand am Fenster, sein Fernglas war auf den Kutter gerichtet, den er schon seit einiger Zeit beobachtete. Er fluchte, denn er konnte den Bootsmann jetzt deutlich erkennen; der Mann hätte wissen sollen, daß er beobachtet wurde, und hätte ihm leicht ein Signal geben können. »Nicht seine Schuld«, murmelte er vor sich hin. »Du hast vergessen, ein Signal zu vereinbaren. Idiot!« Macht nichts, das Wetter ist gut genug, keine Vorboten eines Sturms, und ein kleinerer würde der Pearl auch nichts ausmachen. Er konzentrierte sich auf das Flaggschiff, dessen Kutter vom Besuch der Pearl zurückkam, wo er wohl Befehle überbracht hatte.
Die Tür hinter ihm flog auf, und Chen betrat mit einer dampfenden Tasse Tee das Zimmer. »Morgen, Tai-Pan. Sie nicht schlafen, heya, guten Tee chop chop?«
»Ayeeyah! Wie oft muß ich dir noch sagen, du sollst dich zivilisiert ausdrücken und kein Pidgin reden? Sind deine Ohren gefüllt mit dem Dung deiner Vorfahren, und ist dein Gehirn geronnen?«
Chen behielt sein lächelndes Gesicht bei, stöhnte aber innerlich. Er hatte erwartet, sein Ausfall würde Struan zum Lachen bringen. »Ayeeyah, tut mir leid«, sagte er und fügte den traditionellen chinesischen Gruß hinzu: »Haben Sie heute Reis gegessen?«
»Danke.« Durch das Fernglas sah Malcolm einen Offizier den Kutter des Flaggschiffs verlassen und die Gangway hinaufgehen. Nichts, das irgendeinen Hinweis in die eine oder andere Richtung gab. Verdammt!
Er nahm die Tasse entgegen. »Danke.« Im Augenblick hatte er keine besonderen Schmerzen, nur die normalen, erträglichen Beschwerden, aber er hatte seine Morgendosis bereits eingenommen. In der letzten Woche war es ihm gelungen, die Menge zu verringern. Nun nahm er eine Dosis morgens, eine am Abend, und er hatte sich geschworen, nur noch einmal täglich davon einzunehmen, wenn der heutige Tag glatt verlief.
Der Tee war gut, mit echter Milch vermischt und stark gesüßt, und da es der erste des Tages war, war er mit einem kleinen Schuß Rum versetzt, eine Tradition, die Dirk Struan eingeführt hatte.
»Chen, leg meine warmen Kniehosen und einen Pullover heraus, und ich werde einen Überzieher tragen.«
Chen war verblüfft. »Ich hörte, die Fahrt ist abgesagt, Tai-Pan.«
»Im Namen aller Götter, wann hast du das gehört?«
»Gestern abend, Tai-Pan. Fünfter Cousin im Haus des Obersten Fremden Teufels hörte ihn mit Großes Schiff Zerquetschter Giftpilznase reden, der sagte keine Fahrt.«
Malcolm sank das Herz, und er tastete nach seinem Fernglas. Zu seinem Schrecken sah er, daß der Kutter zweihundert Meter vor der Küste schlingerte. Er begann heftig zu fluchen, doch dann sah er wieder Rauch aufsteigen und eine Bugwelle entstehen, als der Kutter Fahrt aufnahm. Mit dem Fernglas suchte er das Deck ab, aber er konnte nur den Bootsmann schreien sehen. Bei dieser Geschwindigkeit würde der Kutter in weniger als zehn Minuten an ihrer Pier sein.
Mit Chens Hilfe kleidete er sich an. Ein kurzer Blick. Der Kutter war fast am Ufer. Er öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus, als der Bootsmann auf den Landungssteg kletterte und zu laufen begann, so schnell es sein dicker Bauch erlaubte.
»He, Bootsmann!«
Der grauhaarige Mann keuchte, als er unter dem Fenster ankam. »Empfehlung von Captain Marlowe«, ächzte er, »Sie und die… und die Dame werden gebeten, an Bord zu kommen.«
Struan stieß einen Freudenschrei aus, schickte nach Ah Soh und befahl ihr, Angélique rasch zu wecken und ihr beim Ankleiden zu helfen. Dann wandte er sich mit leiser Stimme an Chen: »Hör zu, Chen, und unterbrich mich nicht, sonst werde ich wütend wie ein Knallfrosch.« Dann gab er ihm Anweisungen, was er einpacken sollte, was er Ah Soh einzupacken befehlen sollte und daß er die Koffer bei Sonnenuntergang an Bord der Prancing Cloud bringen sollte. »Missy und ich werden an Bord zu Abend essen, und ihr beide werdet auch an Bord bleiben und mit uns nach Hongkong zurückkehren…«
Chen strahlte. »Hongkong! Ayeeyah, Tai-Pa…«
»…und ihr beide werdet den Mund so fest geschlossen halten wie eine Fliege ihren After, sonst werde ich Noble House Chen bitten, eure Namen aus dem Familienbuch zu löschen.« Er sah, wie Chen bleich wurde. Diese Drohung hatte er nie zuvor angewandt. Das Familienbuch war die Verbindung jedes Chinesen mit der Unsterblichkeit, mit seinen Vorfahren in der mystischen Vergangenheit und mit seinen Abkömmlingen in entfernter Zukunft. Wo immer auf der Welt ein Chinese geboren wurde, wurde er in die Ahnenregister seines Dorfes eingetragen. Ohne das existierte er nicht.
»Ja, Master. Aber Ah Tok?«
»Ich werde mich um sie kümmern. Geh sie holen.«
Chen ging zur Tür, öffnete sie, und Ah Tok kam hereingeschlendert. Struan sagte ihr, er habe beschlossen, daß sie im nächsten Boot folgen sollte, und damit sei der Fall erledigt.
»Oh ko, mein Sohn«, sagte sie mit honigsüßer Stimme. »Was du für deine alte Mutter beschließt, ist nicht das, was deine alte Mutter für sich und ihren Sohn gut findet. Wir werden nach Hause gehen. Wir werden ruhig sein. Keine stinkenden fremden Teufel werden es erfahren. Nimmst du deine Hure mit?« Sie hielt seinem Rüffel stand, als er ihr befahl, dieses Wort nie wieder zu benutzen, sonst…
»Ayeeyah«, murmelte sie, als sie ging, »deine alte Mutter wird diese Hure nicht wieder Hure nennen, aber alle Götter sind Zeugen, wie soll ich sie denn nennen, wenn nicht Hure? Hure ist die richtige Bezeichnung. Ist mein Sohn übergeschnappt…«
Als Malcolm Angélique sah, verflog seine Wut. »Donnerwetter!«
Sie trug Reitkleidung, Stiefel, einen langen, eng taillierten Rock, Weste, Krawatte, Mantel und Hut mit grüner Feder, Handschuhe, aber keine Reitgerte. »Ich dachte, so sei es am besten, chéri, für eine Schiffsreise«, sagte sie mit strahlendem Lächeln.
»Willkommen an Bord.« Marlowe, der am Ende der Gangway stand, sah in Uniform prächtig aus.
Ehe er an Deck trat, hielt sich Malcolm unbeholfen mit der linken Hand fest, während Angélique seine Krücken nahm, und lüftete förmlich den Zylinder. »Gestatten Sie, daß wir an Bord kommen?«
Marlowe salutierte und grinste. »Willkommen, Sie sind beide höchst willkommen an Bord. Darf ich?« Er nahm Angéliques Arm, ganz schwach von der Intensität ihres Lächelns und dem Schnitt ihrer Jacke, die ihre Figur betonte, und führte sie zur Brücke vor dem Schornstein. Dann wartete er, bis Malcolm in einem Deckstuhl untergebracht war. »Ablegen, Lieutenant Lloyd«, sagte er zu seinem Ersten Offizier. »Viertelkraft voraus, und dann immer weiter so. Sobald wir klar sind, machen wir schnellere Fahrt«, erklärte er an Malcolm gewandt. »Der Admiral hat uns angewiesen, Dampfversuche in Sichtweite des Flaggschiffs zu machen.«
Struans Glück verpuffte. »In seiner Sichtweite? Wir fahren nicht auf See hinaus, außer Sichtweite vom Land?«
Marlowe lachte. »Vermutlich hat er seine ›Kinder‹ gern an der kurzen Leine. Es wird Spaß machen, das verspreche ich Ihnen.«
Also sind wir an Bord, aber nicht aus dem richtigen Grund, dachte Struan. Der Bastard ist ein Sadist! Wäre der Admiral an Bord, würde ich ihn umbringen! Nun, nicht wirklich, aber ich möchte, daß sich jemand um den Kerl kümmert. Er wird sich noch wünschen, er hätte mir geholfen. Wenn ich wiederkomme, werde ich meine Anordnungen rückgängig machen, und zwar auf der Stelle. Aber was mache ich bis dahin?
Die Fregatte bahnte sich einen Weg durch die Flotte, und einige Matrosen und Offiziere auf den anderen Schiffen bemerkten Angélique, was sofort für Aufregung sorgte. An Bord des französischen Flaggschiffs, eines mit zwanzig Kanonen bestückten Schaufelraddampfers, an dem sie dicht vorbeifuhren, pfiffen und winkten die Matrosen, was die britischen Offiziere schockierte.
Guter Gott, dachte Marlowe, was für verdammt schlechte Manieren, und wie disziplinlos! Trotzdem beobachtete er wohlwollend, wie Angélique den Chor von Pfiffen und Rufen mit einem Winken beantwortete.
Um sie abzulenken, sagte Marlowe: »Wir werden Geschwindigkeitsversuche unternehmen, Miss Angélique, zuerst unter Dampf, dann unter Segel. Wir müssen den neuen Mast belasten, das Schiff testen, Sie werden sich nicht daran erinnern, aber im Sturm haben wir unseren Hauptmast verloren. Sehen Sie…« Er plauderte weiter, erklärte dies und das und beantwortete jede Frage, die zu stellen sie sich verpflichtet fühlte.
Um ihrer selbst willen heuchelte sie Interesse. Dabei wäre sie eigentlich am liebsten still gewesen, hätte gespürt, wie der Wind nun, da sie den Hut abgenommen hatte, ihr Haar zerzauste, und hätte sich in der neuen Freiheit gesonnt. Sie wünschte sich, daß der Wind den allgegenwärtigen Gestank von Yokohama wegblies. Sie wollte vorwärtsschauen und vom blauen Meer und von der schönen Küste der Heimat träumen, wollte nach Hause fahren. Wir Franzosen sehnen uns so sehr nach unserem Land, während die Engländer anscheinend fähig sind, sich überall zu Hause zu fühlen, und England eigentlich nicht brauchen, nicht so, wie wir Frankreich brauchen…
»Um zwölf werden wir beidrehen«, sagte Marlowe gerade, voll Stolz, Kapitän der Pearl zu sein, »ich habe ein Tiffin in meiner Kabine bestellt, und es gibt eine Koje, falls Sie Siesta halten möchten…«
Der Vormittag verlief angenehm. Alle halbe Stunde läutete die Schiffsglocke den Wachwechsel ein, und selbst Malcolm wurde aus seiner Verzweiflung gerissen, als das Schiff von einem Ende der Bucht zum anderen glitt, vorwärts und wieder zurück dampfte. »Gleich werden wir nicht mehr unter Dampf fahren, sondern die Segel setzen!« sagte Marlowe.
»Ich finde Segeln so viel angenehmer«, sagte Angélique. »Der Maschinenlärm ist wirklich sehr störend. Segeln ist viel schöner, findest du nicht auch, chéri?«
»Ja, in der Tat«, sagte Malcolm zufrieden. Er hatte einen Arm um ihre Taille gelegt, um sie auf dem schwankenden Deck zu stützen.
»Ich stimme ebenfalls zu«, meinte nun Marlowe, »wie fast jeder Mann in der britischen Navy. Natürlich müssen wir noch immer die meiste Zeit segeln – können nicht genug Treibstoff aufnehmen, und Kohle ist so schmutzig! Aber in einer scheußlichen Nacht, wenn der sichere Hafen ganz nah ist und Sturm herrscht, oder wenn der Feind doppelt so stark ist wie man selbst und doppelt so viele Kanonen hat, aber segelt, während man selbst unter Dampf steht, dann segnet man den alten Stephenson und die britischen Ingenieure, weil man gegen den Wind fahren kann. Ich würde Sie mit nach unten nehmen, aber wie ich schon sagte, überall ist Kohlenstaub und Lärm.«
»Ich würde es mir gern anschauen. Darf ich?«
»Natürlich. Malcolm?«
»Nein danke – gehen Sie beide nur«, sagte Malcolm, den Maschinen noch nie interessiert hatten.
Ehe er die Brücke verließ, überprüfte Marlowe die Position des Schiffes und den Wind. Sie waren eine Dreiviertelmeile von der Küste entfernt, weit weg von der Flotte und den Händlern. »Nummer Eins, Sie haben das Kommando. Wenn wir querab vom Flaggschiff sind, Maschinen aus und alle Segel setzen, Kurs Ost.«
»Aye aye, Sir.«
Malcolm sah zu, wie Marlowe Angélique zur Mittschiffgangway führte, und spürte einen Stich von Neid bei seinem leichten Schritt. Gleichzeitig amüsierte ihn die Aufmerksamkeit, mit der er sie überschüttete. Er entspannte sich in seinem Deckstuhl. Die Seeluft und der Wind hatten seinen Mißmut vertrieben. Es war gut, auf dem Wasser zu sein, wunderbar, Teil eines so gepflegten und stolzen Kampfschiffes zu sein, großartig, so bequem und sicher in einem Deckstuhl zu sitzen. Er hatte sich im voraus verschiedene Pläne zurechtgelegt, um mit morgen und den folgenden Tagen fertig zu werden.
Joss. Ich werde mir über nichts Sorgen machen, nahm er sich selbst vor. Denk an deinen Eid und die neue Ära!
Nachdem Gornt wie ein Geschenk des Himmels in Yokohama aufgetaucht war, hatte Malcolm Gott für die Gnadenfrist gedankt und geschworen, wenn Gornts Informationen das sein würden, was er versprochen hatte, würde er versuchen, sein Bestes zu tun. Mit genügend Informationen, um Brock’s zu zerschmettern, würde seine Mutter ihm zur Seite stehen.
Vor ein paar Nächten hatte er plötzlich den Wunsch verspürt, in den Spiegel zu sehen. Es mußte sein. Irgendeine Macht zwang ihn, sich zum erstenmal seit Jahren wirklich anzusehen, sich gründlich zu betrachten, nicht nur sein Gesicht.
Schließlich hatte er gedacht: Das bist du. Du bist noch immer schwer verwundet. Du kannst dich nicht allzugut aufrichten. Deine Beine funktionieren nicht so, wie sie sollten, aber du kannst stehen, du kannst gehen, und du wirst Fortschritte machen. Der Rest deines Körpers funktioniert, und dein Gehirn auch. Akzeptiere ihn. Erinnere dich, was Vater und Mutter dir immer wieder gesagt haben, seit du ein Kind warst: »Akzeptiere dein Joss, pflegte Dirk immer zu sagen. Dirk hatte man einen halben Fuß abgeschossen, aber das hielt ihn nicht auf. Dirk hatte ein Dutzend Schuß- und Stichwunden, bei Trafalgar als Pulverjunge wurde er fast getötet, von Tyler Brock ein halbes Dutzend Male fast vernichtet. Akzeptiere dein Joss. Sei Chinese, lautete Dirks Rat. Tu dein Bestes, und rette sich wer kann!«
Sein Herz hatte zu hämmern begonnen. Dirk, Dirk, Dirk. Gottverdammter Dirk Struan! Du hast es gehaßt, daß er dir immer vorgehalten wurde, und du hast immer gefürchtet, dich nie mit ihm messen zu können. Gib es zu!
Das Spiegelbild hatte keine Antwort gegeben, aber er selbst hatte es getan.
»Ich bin von seinem Blut, ich habe sein Noble House zu leiten, ich bin Tai-Pan, ich tue mein Bestes, aber ich werde ihm nie gewachsen sein, ich gebe es zu, Gott verfluche ihn, das ist die Wahrheit! Das ist mein Joss.«
Gut, schien sein Spiegelbild zu sagen. Aber warum ihn hassen? Er haßt dich nicht. Warum ihn hassen, wie du ihn dein ganzes Leben lang gehaßt hast – du hast ihn dein Leben lang gehaßt. Oder?
»Das stimmt, ich hasse ihn und habe ihn immer gehaßt!«
Das laut auszusprechen, hatte ihn schockiert. Aber es stimmte – all die Liebe und der Respekt waren Heuchelei. Ja, er haßte ihn, aber plötzlich, da vor dem Spiegel, hat er es nicht mehr getan. Warum?
Ich weiß nicht. Vielleicht liegt es an Edward Gornt, vielleicht ist er der gute Geist, der mich von meiner Vergangenheit befreit hat, wie er durch mich von seiner befreit werden möchte. Hat Morgan nicht sein Leben vergiftet? Nicht, daß Dirk das meine vergiftet hätte, aber sein Gespenst trat zwischen Mutter und Vater und vergiftete sie – war das nicht ihr Joss, daß Vater ihn haßte, als er starb, und so sehr Mutter Dirk nach außen hin verehrt… in ihrem Herzen haßt sie ihn dafür, daß er sie nicht geheiratet hat.
Auf der Brücke der Fregatte erinnerte er sich nun an den kalten Schweiß vor dem Spiegel; später hatte er etwas Whisky getrunken, aber nichts von dem anderen Zeug, er hatte dort und in diesem Augenblick mit der Besessenheit gebrochen und eine andere Wahrheit erkannt: Er war süchtig.
Zu viele Wahrheiten erkannt. Nicht leicht, sich selbst gegenüberzustehen, die schwierigste Aufgabe, die ein Mann in seinem Leben erfüllen muß, um Frieden zu finden. Ich habe es getan, ob es mir gefällt oder nicht.
»Nummer Eins«, sagte der junge Signalgast zu Lieutenant Lloyd, das Glas auf seinen fernen Kollegen gerichtet. »Eine Botschaft vom Flaggschiff, Sir.«
Zwei Decks tiefer lag der Maschinenraum, ein Verlies aus Hitze, Lärm, Staub, Schwärze und Gestank, durchsetzt mit Vierecken glühender Kohlen, wenn halbnackte Heizer die Ofentüren unter den großen Kesseln öffneten, um weitere Kohle hineinzuschaufeln oder mit Rechen für neue und immer neue Kohle Platz zu schaffen.
Angélique und Marlowe standen auf einem der Eisengitter über ihren Köpfen; die aufgewirbelte Luft war erfüllt vom Geruch nach Kohle und Feuer, Schweiß und Dampf. Die Körper unter ihnen glänzten vor Schweiß, und Schaufeln fuhren kreischend über den Eisenboden in die Kohlenbunker, um gefüllt wieder herauszukommen. Ein sicherer und geschickter Schwung, und die Kohlen fielen in das Feuer, begannen zu brennen und wurden nachgefüllt.
Achtern glänzte die stampfende Maschine. Männer benutzten langnasige Kannen, um Öl in Gelenke zu gießen, andere putzten sie mit Baumwollfetzen, wieder andere warteten Skalen, Pumpen und Ventile, während die Maschine den Propellerschaft gegen die andringende See trieb. Dampfstrahlen aus Ventilen, weiteres Öl, weiteres Putzen, ständiges Achten auf Kolben, Hebel, Zahnräder und weitere Kohle. Angélique fand es überaus aufregend – die Männer unten bemerkten sie nicht.
Stolz erklärte Marlowe ihr in dem Lärm die Maschine, und sie antwortete von Zeit zu Zeit mit einem Nicken und einem Lächeln, hielt sich leicht an seinem Arm fest, hörte nichts und legte auch keinen Wert darauf, besessen von dem Maschinenraum, der ihr wie ein maskulines Walhall erschien, in dem Maschinen mit Männern verheiratet waren, jetzt Teil von ihnen, primitiv und doch futuristisch, Sklaven, die ihren Herren dienten und nicht umgekehrt.
Unbemerkt erschien der Signalgast hinter ihnen und salutierte. Da er nicht gehört wurde, trat er vor, salutierte erneut und reichte Marlowe die geschriebene Botschaft. Marlowe las sie rasch, nickte dann und rief dem Mann zu: »Bestätigung!« Er beugte sich zu Angélique: »Es tut mir leid, wir müssen jetzt gehen.«
In diesem Augenblick erklangen Signalglocken von der Brücke. Der leitende Ingenieur bestätigte den Befehl. Männer eilten, um Hähne zu schließen und andere zu öffnen, Hebel zu bedienen und Skalen abzulesen. Als die Dampfkraft auf den riesigen Antriebsschaft nachließ und die Maschine langsamer wurde, verringerte sich der Lärm, und die Heizer lehnten sich dankbar auf ihre Schaufeln, atmeten tief und wrangen die Handtücher aus, die sie um den Hals trugen. Ein Mann wandte sich dem Bunker zu und verfluchte ihn, was noch immer in dem Röhren unterging; dann öffnete er seine Hose und pißte auf die Kohlen, wo der Strahl unter dem Gelächter anderer Männer in Dampf aufging.
Marlowe nahm hastig Angéliques Arm und führte sie fort, die Gangway hinauf. Ein Heizer bemerkte sie, dann noch einer, und ehe sie verschwand, starrten ihr alle schweigend nach. Als sie nicht mehr zu sehen war, machte einer der Männer eine obszöne Geste, und weiteres Gelächter ertönte, bevor sich ein plötzliches, trauriges Schweigen ausbreitete.
Auf Deck verursachten ihr das abrupte Abreißen des Lärms und das Einatmen der Meeresluft ein vorübergehendes Schwindelgefühl, und sie hielt sich an Marlowe fest. »Alles in Ordnung?«
»O ja«, sagte sie. »Ich danke Ihnen, John, das war, nun ja, außergewöhnlich.«
»Ach, wirklich?« sagte Marlowe zerstreut, da er auf die Matrosen in der Takelage und an Deck achtete, die Segel setzten und ausrichteten. »Das ist es wohl beim erstenmal. Bei Sturm wird es da unten ziemlich hart. Heizer und Maschinisten sind eine Sorte für sich.« Er führte sie zu Malcolm hinüber. »Verzeihung, ich muß sie für einen Augenblick verlassen.«
Er ging nach unten in seine Kabine. Der Schiffstresor lag unter seiner Koje. Nervös schloß er ihn auf. Die Botschaft des Admirals hatte gelautet: »Versiegelte Orders 1/A/16/12 aktivieren.« Im Safe befanden sich das Logbuch des Schiffes, Codes, Geld für die Heuer, Heuerbuch, Strafbuch, Handbücher, Schiffsmanifest, Quittungen, Marinevorschriften und mehrere versiegelte Umschläge, die man ihm heute morgen vom Flaggschiff aus überbracht hatte.
Seine Hand zitterte leicht, während er nach dem richtigen Umschlag suchte. War es die Rückkehr zur Flotte, die Vorbereitung auf den Krieg, den er erwartete? Er setzte sich an den Tisch und erbrach das Siegel.
»Es war sehr interessant da unten, Malcolm. In gewisser Weise unheimlich, all diese Männer da unten, erstaunlich – und wenn es auf einem kleinen Schiff wie diesem so ist, wie muß es dann erst auf einem großen Dampfer sein – etwa der Great Eastern?«
»Ich…«, sagte Malcolm und runzelte die Stirn, als er Marlowe an Deck kommen sah, denn der Kapitän machte ein ernstes Gesicht.
Der Bootsmann läutete acht Glasen. Mittag. »Ich übernehme wieder, Lieutenant Lloyd«, sagte Marlowe.
»Jawohl, Sir.«
»Warum führen Sie Miss Angélique nicht nach vorne, vielleicht möchte sie ein paar von unseren Deckskanonen aus der Nähe sehen.«
»Mit Vergnügen. Miss?«
Gehorsam folgte sie ihm die Gangway hinunter. Er war klein wie sie und sommersprossig. »Sind Sie Waliser, Mr. Lloyd?« fragte sie.
Er lachte mit singendem Ton. »So walisisch wie die Hügel von Llandrindod Wells, was meine Heimat ist.«
Sie lachte mit ihm, neigte sich gegen das schwankende Deck und flüsterte: »Warum werde ich weggeschickt wie ein Schulmädchen?«
»Weiß ich nicht, Missy. Wohl Männergespräche.« Seine Augen lächelten.
»Sie mögen ihn, nicht wahr?«
»Der Captain ist der Captain. Hier, die Kanone, Ma’am!«
Sie lachte trillernd, und den Matrosen in der Nähe wurde wärmer ums Herz. Auch Marlowe und Malcolm auf der Brücke hörten sie und wandten sich zu ihr um. »Sie gibt ein hübsches Bild ab, Malcolm.«
»Ja. Aber was bedrückt Sie? Haben wir Befehl zurückzukehren?«
»Nein.« Marlowe sah ihn an. »Ich habe heute morgen mehrere versiegelte Order bekommen, zusammen mit der schriftlichen Erlaubnis, Sie an Bord zu nehmen, aber unter allen Umständen bis Sonnenuntergang zurück zu sein. Vor ein paar Minuten wurde mir vom Flaggschiff aus Befehl gegeben, einen der Umschläge zu öffnen. Man hat mir nicht gesagt, daß ich Ihnen das erzählen soll, aber auch nicht, daß ich es Ihnen verschweigen soll. Vielleicht können Sie mir die Sache erklären. Die Botschaft lautet: ›Sollte Mr. Struan Sie um einen besonderen Gefallen bitten, können Sie ihn, falls Sie das wünschen, gewähren.‹«
Die Welt stand still. Er wußte nicht mehr, ob er lebendig oder tot war, und sein Kopf drehte sich.
»Allmächtiger Gott!« keuchte Marlowe. »Der Bootsmann soll gleich ein Glas Rum holen!«
Der Bootsmann nahm die Beine in die Hand, und Malcolm konnte hervorstoßen: »Nein, nein, alles in Ordnung… aber ein Rum wäre… wäre großartig.« Er sah, daß Marlowes Lippen sich bewegten, aber seine Ohren hörten nichts als das Pochen seines Herzens. Dann spürte er den Wind auf seinen Wangen, und das Geräusch des Meeres kam zurück.
»Hier, bitte, Sir«, sagte der Bootsmann und hielt ihm das Glas an die Lippen. Der Rum rann durch seine Kehle. Binnen Sekunden fühlte Malcolm sich besser. Er versuchte aufzustehen. »Vorsichtig, Sir«, sagte der Bootsmann verlegen. »Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen.«
»Keinen Geist, Bootsmann, aber ich habe einen Engel gesehen, nämlich Ihren Captain!« Marlowe starrte ihn verständnislos an. »Ich bin nicht verrückt«, sagte Malcolm stockend. »John, Verzeihung, Captain Marlowe, können wir irgendwo unter vier Augen sprechen?«
»Natürlich. Hier.« Unbehaglich winkte Marlowe den Bootsmann von der Brücke. Nur der Rudergänger und der Signalgast blieben zurück. »Signalgast, gehen Sie nach vorn. Rudergänger, verschließen Sie Ihre Ohren.«
Langsam sagte Struan: »Meine besondere Bitte ist die: Ich möchte, daß sie für einen Moment außer Sichtweite des Landes fahren und Angélique und mich trauen.«
»Wie bitte?« Jetzt war Marlowe verwirrt. Er hörte Malcolm wiederholen, was er gesagt hatte. »Sie sind wahnsinnig!« stieß er hervor. »Verrückt!«
»Nein, wirklich nicht.« Malcolm hatte sich jetzt unter Kontrolle, seine Zukunft lag in der Waagschale, und die Worte des Admirals, ›falls Sie es wünschen, dürfen Sie ihn gewähren‹, waren in sein Gehirn eingebrannt. »Lassen Sie mich erklären.«
Er begann. Ein paar Minuten später kam der Steward herauf und ging wieder, und ein wenig später kam er erneut und sagte: »Mit besten Empfehlungen des Kochs, Sir, das Mittagessen in Ihrer Kabine ist bereit.« Doch wieder winkte Marlowe ihn fort und hörte Malcolm konzentriert zu.
»…das ist der Grund«, schloß Malcolm, »und würden sie mir nun bitte diese besondere Gunst gewähren?«
»Ich kann nicht.« Energisch schüttelte Marlowe den Kopf. »Tut mir leid, aber ich habe niemals jemanden getraut, und ich bezweifle, ob die Vorschriften das zulassen.«
»Der Admiral hat Ihnen die Erlaubnis gegeben, zu tun, was ich erbitte.«
»Er hat sich verdammt vorsichtig ausgedrückt: ›gewähren, falls ich es wünsche‹. Mein Gott, damit würde ich den Kopf in die Schlinge stecken, mein Lieber«, sagte Marlowe, der sich mit allen möglichen zukünftigen Komplikationen konfrontiert sah. »Sie kennen Ketterer nicht, wie ich ihn kenne, mein Gott, nein, und überhaupt jeder höhere Offizier! Wenn ich mich hier falsch entscheide, dreht er meine Eier durch die Wäschemangel, und meine Karriere ist im Eimer…« Er rang nach Atem, schüttelte den Kopf und murmelte weiter vor sich hin. »Das kann ich unmöglich tun, unm…«
»Warum nicht? Sind Sie etwa nicht damit einverstanden, daß wir heiraten?«
»Natürlich bin ich damit einverstanden, um Himmels willen, aber Ihre Mutter ist es nicht. Sir William sind ebenfalls die Hände gebunden, die Kirche will nicht, andere Kapitäne wollen nicht, und, verdammt, vor dem Gesetz sind Sie beide minderjährig, also wenn ich es täte, wäre es ungültig, und sie ist… verflucht, Sie sind minderjährig und das Mädchen auch… ich kann’s einfach nicht riskieren…« Plötzlich fiel ihm etwas ein, und er blickte in Richtung Küste. »Es sei denn, ich setze mich mit Ketterer in Verbindung. Ich werde ihn um Erlaubnis bitten.«
»Wenn Sie das tun, werden Sie bei ihm für immer das Gesicht verlieren. Wenn er wollte, daß Sie es machen, hätte er es klar und deutlich gesagt.«
Marlowe erwiderte Malcolms Blick. Dann las er noch einmal den genauen Wortlaut der Nachricht des Admirals und stöhnte. Struan hatte recht. Allmächtiger Gott, warum hab ich die beiden nur eingeladen, an Bord zu kommen? Er erinnerte sich, daß sein Vater ihm immer eingetrichtert hatte, in der Navy kommandiere man sein Schiff nach Regeln und Vorschriften, nach dem verdammten Buch, es sei denn, man wäre jemand wie dieser verfluchte Nelson! »Tut mir leid, alter Junge. Nein.«
»Sie sind unsere letzte Hoffnung. Und jetzt unsere einzige.«
»Bedaure, nein.«
Struan seufzte, bewegte vorsichtig die Schultern und spielte seinen Trumpf aus. »Angel!« rief er laut, und sofort kam sie mit Lieutenant Lloyd zurück. »Angel, wie würde es dir gefallen, heute zu heiraten, gleich jetzt?« sagte er. Er liebte sie so sehr. »John Marlowe kann die Trauung vornehmen, wenn er will. Wie wär’s damit?«
Sie konnte das Wunder kaum fassen. Sie hörte nicht, wie Marlowe zu erklären begann, es täte ihm so leid, aber er könne das nicht tun. Die Leidenschaft ihrer Umarmung und ihres Kusses ließ ihn innehalten, und dann umarmte und küßte sie Struan, danach wieder ihn. »O ja, o ja… John, wie wundervoll, Sie werden es tun, nicht wahr, o danke, danke, wie wundervoll, bitte, bitte, bitte…« Sie bat und flehte mit weiteren unwiderstehlichen Umarmungen, und er hörte sich sagen: »Ja, natürlich, warum nicht, würde mich freuen…« Er sprach die verhängnisvollen Worte, so unbeteiligt er konnte, obwohl er eigentlich noch immer nein sagen wollte.
Der Rudergänger besiegelte die Angelegenheit mit einem freudigen Ausruf: »Ein dreifaches Hoch auf Captain Marlowe, wir haben eine Trauung an Bord!«
Das Mittagessen war ein ausgelassenes Fest vor der Trauung; nur zwei oder drei Gläser Wein, um die seltene Qualität zu prüfen und zu kosten, nicht allzu viele Speisen – der Rest wurde für später beiseite gestellt, denn alle waren jetzt zu aufgeregt und zu begierig, endlich anzufangen. Nachdem Marlowe einmal seine Entscheidung getroffen hatte, ließ er das Schiff unter vollen Segeln aufs offene Meer hinausfahren, denn er wollte, daß die Zeremonie denkwürdig und perfekt ablief.
Ehe er jedoch am Ende der Mahlzeit einen Trinkspruch auf die Verlobten ausbrachte, sagte er sehr ernst: »Gott allein weiß, ob die Trauung wirklich vor dem Gesetz gültig sein wird, aber in den Vorschriften der Navy finde ich nichts, was dagegen spricht oder eine Trauung verbietet, nur, daß beide Partner vor Zeugen förmlich bekunden müssen, daß sie freiwillig einverstanden sind; außerdem müssen sie eine eidesstattliche Erklärung unterschreiben, die von mir ins Logbuch des Schiffes eingetragen wird. Wenn wir erst wieder an Land kommen, wird die Hölle los sein, oder alle werden Ihnen gratulieren, und Sie müssen und sollten vielleicht eine kirchliche Zeremonie durchführen lassen – jedenfalls werden beide Kirchen Zeter und Mordio schreien.«
Angélique hörte den Unterton. »Aber es ist doch in Ordnung, John, oder nicht? Malcolm hat mir von Widerständen erzählt, und was Pater Leo betrifft …« Ihre Nase kräuselte sich vor Abneigung. »Sie werden doch keine Schwierigkeiten bekommen, oder?«
»Gott bewahre, der Admiral hat seine Erlaubnis gegeben«, erwiderte Marlowe großartiger, als er sich wirklich fühlte. »Genug geredet. Ich trinke auf Ihre Gesundheit und auf zukünftige Generationen!«
Angélique wollte aufstehen, um zu trinken, doch Struan hinderte sie daran. »Tut mir leid, Liebling, es bringt Unglück, wenn man auf die eigene Gesundheit trinkt. Das ist ein alter Brauch.«
»Oh, Verzeihung.« Ihr Ärmel streifte ein Glas und ließ es gegen ein anderes stoßen, was einen glockenähnlichen Klang erzeugte. Sofort streckten Marlowe und Struan die Hände aus.
Malcolm sagte: »Entschuldigung, Liebling, ein weiterer Aberglaube unter Seefahrern. Wenn du das Klingen eines Glases von selbst ersterben läßt, ertrinkt irgendwo auf der Welt ein Seemann.«
»Oh.« Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Ich wünschte, ich hätte das gewußt, denn in der Vergangenheit habe ich so oft…«
»Keine Sorge«, sagte Marlowe rasch. »Wenn Sie es nicht wissen, gilt der Aberglaube nicht. Stimmt’s, Malcolm?«
»Ja, Sie haben wieder recht. Ich würde gern einen Toast auf John Marlowe ausbringen, Angélique, Captain der Royal Navy, Gentleman und der beste Freund, den wir haben!«
Lebhafte Gespräche und Lachen erfüllten die kleine Kajüte, und dann verkündete Lloyd, an Deck sei alles bereit. Ein letzter zärtlicher Kuß zwischen den beiden Verlobten, dann waren sie oben und standen Hand in Hand da.
Das Schiff lag im Wind, die Segel und Spieren bebten. Die Mitglieder der Besatzung, die entbehrlich waren, hatten sich herausgeputzt und auf dem Achterdeck Aufstellung genommen, wo Angélique und Malcolm vor dem Kapitän standen, der rechts und links von einer Ehrengarde aus zwei Marines flankiert war. Marlowe öffnete das Buch mit den Vorschriften der Navy an der richtigen Stelle, winkte dem Navy-Hornisten, der einen Fanfarenstoß hören ließ, und dem Bootsmann, der in seine Pfeife blies. Alle nahmen Habacht-Stellung ein. »Wir sind hier versammelt als Zeugen der Trauung dieser beiden Personen im Angesicht Gottes…«
Sie achteten nicht auf den Wind, der aufgefrischt hatte. Am Horizont standen Nimbostratuswolken, noch nicht bedrohlich, aber potentiell gefährlich. Über ihnen war der Himmel noch klar, und Marlowe fragte sich kurz, ob das Wetter ein Omen sei. Noch kein Grund zur Beunruhigung, dachte er. Die Zeremonie war schnell vorüber, merkwürdig schnell für sie alle, für Struan fast enttäuschend schnell. Er hatte den Siegelring von seinem kleinen Finger als Trauring an ihren Finger gesteckt. Er war ihr zu groß, aber sie hielt ihn sicher fest und starrte ihn ungläubig an. »Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau.«
Als sie sich küßten, ließ man sie dreimal hochleben, und Marlowe rief laut: »Eine Extraration Rum austeilen!« Das war der Anlaß zu weiteren Jubelrufen.
»Mrs. Struan, darf ich Ihnen als erster gratulieren?«
Leidenschaftlich warf Angélique ihm die Arme um den Hals, während ihr Freudentränen über die Wangen liefen. »Danke, danke!«
»Keine Ursache«, sagte Marlowe verlegen und schüttelte Struan die Hand. »Glückwunsch, alter Junge. Warum gehen wir nicht…« Eine kurze Bö ließ die Segel knattern. »Warum gehen Sie beide nicht nach unten; ich komme in einem Augenblick nach«, sagte er, wandte sich ab und vergaß sie, da nun sein Schiff seine Aufmerksamkeit erforderte. »Vom Wind abfallen, Nummer Eins. Unter Segeln Kurs auf Yokohama, bis ich weitere Befehle gebe. Zum Festmachen fahren wir unter Dampf – es könnte Regen geben. Signalgast, geben Sie mir Ihr Nachrichtenblatt. Wir sind in Reichweite des Flaggschiffs; setzten Sie diese Meldung ab.«
Edward Gornt saß im Erkerfenster des Brock-Building, die Füße bequem auf einen Stuhl gelegt, und beobachtete müßig die Bucht. Die Wolkenränder hatten sich ausgebreitet und verhießen Sturm, obwohl sie um diese Jahreszeit auch schnell wieder verschwinden konnten. Hinter ihm saß Norbert Greyforth an seinem mit Papieren überladenen Schreibtisch. Sie hatten die Pearl unter Segeln am Horizont verschwinden sehen, dem aber keine besondere Bedeutung beigemessen. »Vermutlich gehört das zu ihrer Probefahrt«, hatte Gornt gemeint. »Kann mir noch immer nicht denken, was es an Bord so Wichtiges geben könnte.«
Norbert hatte genickt, insgeheim amüsiert, und sich wieder der Prüfung und Unterzeichnung von Dokumenten und Listen zugewandt. Ein Frachtschiff von Brock’s lag im Hafen und sollte in wenigen Tagen absegeln; der Rest seiner Ladung aus Japan mußte verbucht werden: zwanzig Pfund Seidenraupeneier für den französischen Markt – dreißig- bis fünfzigtausend Eier pro Unze –, Rohseidenballen, Seidenstoffe für den englischen Markt, Lackwaren, Fässer mit Saké, den sie auf dem englischen Markt einzuführen versuchten und der auch für die Japaner auf den Philippinen bestimmt war, billige Töpferwaren als Ballast, Kohle – alles, was einen Markt finden konnte, und dazu die Reste der für den Heimathafen bestimmten Fracht, die nicht hatten verkauft werden können und auf der Rückreise gehandelt würden. Ein paar Kanonen, in besonderen Fällen Opium.
»Zigarre?« fragte Gornt.
»Danke.«
»Ich habe mich mit McFay verabredet, um die letzten Vereinbarungen für morgen zu treffen, Sir.«
»Gut.« Norbert blies eine Rauchwolke aus und unterschrieb die letzten Dokumente. Er läutete. Sofort trat sein Shroff ein. »Das ist die Liste, Pereira.«
»Jawohl, Senhor.« Der kleine, hellhäutige Mann mit leicht orientalischen Augen war – wie bei den meisten Firmen – ein Eurasier aus Macao. »Was ist mit der Sonderladung, Senhor?«
»Die steht nicht in den Verzeichnissen und ist dem Kapitän anvertraut.«
»Man munkelt, die Navy wolle willkürliche Stichproben machen und die Fracht an Bord der Schiffe überprüfen.«
»Soll sie doch. Nichts an unserer Ladung ist illegal, bei Gott.« Norbert entließ den Mann und wandte sich dann Gornt zu. Etwas hatte ihn argwöhnisch gemacht. »Edward, vielleicht sollte ich das Duell absagen und Struan heute abend mitteilen, daß ich einen Kompromiß akzeptiere. Die Falle mit dem Köder steht doch bereit, nicht? Ich lasse ihn nach Hongkong fahren und sich tiefer in die Scheiße reiten, während er denkt, er hätte gewonnen. Nun?«
»Das könnten Sie tun. Aber warum sollten Sie ihm eine angstvolle Nacht ersparen? Er muß Angst haben – warum sollten Sie ihn beruhigen? Würde er Sie beruhigen?«
Norbert blickte Gornt an und sah, wie dessen dünne Oberlippe sich in boshafter Freude leicht verzog. Insgeheim schmunzelte er, als er daran dachte, wie besonders die heutige Nacht für Struan hätte sein können, wenn Ketterer ein anderer Mensch wäre. »Ich hätte nicht gedacht, daß sie so zu Brock’s passen würden. Ist Rache auch für Sie so süß?«
»Für mich, Sir?« Gornt zog die Augenbrauen hoch. »Ich hatte an Sie gedacht – ich stehe doch in Ihren Diensten, Sir, das war doch die Absicht, nicht wahr?«
»Ja, ja.« Norbert ließ sich nichts anmerken. »Also morgen, aber jetzt werden wir…« Seine scharfen Augen erspähten durch das Fenster Rauchwölkchen am Horizont. »Ist das die Pearl?« Er stand auf, ging zum Fenster und stellte sein Fernglas ein. Tatsächlich, die Fregatte.
»Stetig auf Kurs«, sagte Norbert leise, und Gornt fragte sich, was er meinte. Die Pearl war dabei, die Segel einzuholen. Hinter ihr standen schwarze Wolken am Himmel. »Der Wind da draußen hat aufgefrischt«, sagte Gornt und stellte sein eigenes Fernglas ein. Der Rauch trieb im rechten Winkel zu ihrem Kurs dahin.
In der Bucht lagen der Rest der Rotte und die Kauffahrer vor Anker. Ein paar Schaumkronen auf den Wellen. Norbert richtete sein Glas auf die Prancing Cloud. Keine Schwierigkeiten dort. Dann auf das Flaggschiff. Nichts. Zurück zur Fregatte. Sie warteten. Die Pearl näherte sich ziemlich schnell und mit mächtiger Bugwelle. Wieder das Flaggschiff. Nichts. Die Fregatte. Norbert konnte nur Angélique ausmachen, die neben einem Mann stand. Das mußte Struan sein.
»Sehen Sie!« sagte Gornt, und seine Stimme klang erregter. »Da. Können Sie den Signalgast sehen?«
»Wo? Ach, ja.«
»Er gibt dem Flaggschiff Zeichen. Die ersten Flaggen sind die Standardeinleitung«, sagte Gornt schnell. »Captain der H.M.S. Pearl an Admiral. Die Botschaft lautet… die Botschaft lautet: ›B-I-T-T-E E-R-F-Ü-L-L-T.‹« Verblüfft starrte er Norbert an. »Was bedeutet das?«
»Sehen Sie, ob das Flaggschiff eine Antwort gibt!« Gornt gehorchte. »Wo zum Teufel haben Sie gelernt, die Flaggenzeichen der Navy zu lesen?«
»In Norfolk, Virginia, Sir. Als ich klein war, habe ich immer die Schiffe beobachtet, unsere und die britischen. Wurde eine Art Hobby. Dann kaufte mein Pa Bücher, ein amerikanisches und ein britisches, in denen die meisten Standardzeichen und ein paar von ihren Codes aufgezählt waren.«
»Können Sie alle Flaggen lesen? Alle Codes?« fragte Norbert rasch und überlegte, ob er Gornts Kenntnisse nutzen könnte. »Könnten Sie die Flaggen von Struan’s lesen, von Schiff zu Schiff oder von Schiff zu Küste?«
»Wenn sie die internationalen Standardcodes benutzen, ja. Aber vermutlich haben sie wie Brock’s besondere… Moment, eine Botschaft vom Flaggschiff. Standardeinleitung: ›Von Admiral Ketterer an den Captain der Pearl.‹ Wieder ein Standardcode: ›Sofort an Liegeplatz zurückkehren.‹ Dann: ›Wenn angelegt und sicher verankert, sofort auf Flaggschiff Bericht erstatten.‹ Jetzt kommen die Buchstaben ›M-I-T I-H-M.‹ Letztes Standardzeichen: ›Zur Kenntnis genommen.‹« Rasch schaute Gornt sich um. »›Mit ihm‹, Mr. Greyforth? Könnte damit Struan gemeint sein?«
»Sie treffen ins Schwarze.«
»Standardbestätigung.« Gornt setzte das Glas ab und rieb sich die Augen. »Ins Schwarze? Sie wissen, was das alles bedeutet?«
»Was ist an Bord der Pearl denn so wichtig? Der verdammte Captain der Royal Navy, Marlowe!« Norbert brauchte nur einen Augenblick, um Gornt alles zu erklären.
»Verheiratet?« platzte Gornt heraus.
»Hätte nie gedacht, daß Ketterer zustimmen würde, aber anscheinend hat er’s doch getan. Warum? Er gewinnt dadurch nichts.« Norbert wirkte verwirrt; dann lächelte er boshaft. »Es sei denn… es sei denn, er hätte Struan und Marlowe an Bord befohlen, um Marlowe aufs Kreuz zu legen und die Sache gleich wieder rückgängig zu machen – um Struan das Messer tiefer in den Leib zu bohren und ihn noch ein bißchen mehr zu quälen.«
»Kann er das denn?«
»Der Kerl kann machen, was er will, wenn die Wahrheit herauskommt«, sagte Norbert, spie in den Spucknapf und warf den Stummel seiner Zigarre hinterher. »Die gesamte Besatzung an Bord der Flotte ist verpflichtet, ihm zu gehorchen, und das tut sie!«
»Sie meinen, er könnte Befehle erteilen, die gegen das Gesetz sind?«
»Drücken wir es so aus: Sie müssen auf der Stelle gehorchen oder die Folgen tragen – und die reichen von der neunschwänzigen Katze über das Kielholen bis zum Hängen.«
»Wie konnten Sie sich ihm dann so… so offen widersetzen, Mr. Greyforth?«
»Weil Ketterer gesetzestreu ist – die Royal Navy züchtet solche Leute speziell dafür, daß sie den Befehlen ihrer Vorgesetzten gehorchen –, vor allem aber, weil wir Wee Willie haben, der steht über ihm. Er ist unser eigentlicher Schutz vor Ketterer, dem General, den Japsen und jedem anderen verdammten Feind – aber das wird den jungen Struan nicht vor Ketterers Bösartigkeit schützen.«
»Also, Captain Marlowe, Mr. Struans besondere Bitte war also, außer Sichtweite des Landes zu segeln – und ihn mit Miss Angélique Richaud zu trauen?«
»Jawohl, Sir.« Marlowe stand stramm. Ketterer saß in der großen Kabine am Tisch. Neben ihm stand der Captain des Flaggschiffs. Dahinter stand sein Adjutant, der Flaggleutnant, ebenfalls wie erstarrt.
»Und Sie haben das getan, obwohl Sie wußten, daß beide minderjährig sind?«
»Jawohl, Sir.«
»Bitte schreiben Sie mir bis Sonnenuntergang einen Bericht, in dem Sie genau Ihre Gründe dafür schildern und auch den genauen Ablauf der Ereignisse. Wegtreten.« Marlowe salutierte und wollte gehen, als Ketterer sich dem Captain des Flaggschiffs zuwandte, einem wettergegerbten Mann, der für seine rigide Disziplin und seine Ehrfurcht vor den Navy-Vorschriften bekannt war. »Captain Donovan, vielleicht würden Sie die Rechtslage feststellen, ja?«
»Jawohl, Sir.« Die blauen Augen schauten gnadenlos.
»Gut, das wäre dann alles – für den Augenblick.« Das war das letzte, was Marlowe hörte, ehe er die Tür hinter sich schloß und das Gefühl hatte, sein Herz beginne wieder zu schlagen.
Struan wartete draußen im Vorraum. Zwei Marines standen argwöhnisch Wache. »Himmel, sind Sie zusammengestaucht worden?«
»Nein, überhaupt nicht.« Marlowe bemühte sich, ruhig zu klingen. »Der Admiral wünscht, wie es korrekt ist, einen schriftlichen Bericht, das ist alles. Ich kehre auf mein Schiff zurück. Bis später.« Ehe er sich davonmachen konnte, öffnete sich die Kajütentür, und Captain Donovan stürmte an ihnen vorbei. An der Tür sagte der Flaggleutnant: »Mr. Struan, der Admiral bittet Sie zu sich, wenn Sie so freundlich sein wollen.«
Struan humpelte in die Kajüte. Der Leutnant folgte ihm nicht, sondern schloß die Tür und wartete in Rufweite.
Ketterer bedeutete Struan, sich zu setzen. »Einerseits möchte ich Ihnen gratulieren«, sagte er mit grimmiger Förmlichkeit und streckte die Hand aus.
»Danke, Sir.« Struan nahm die Hand. Der Griff des Admirals war fest, aber seine Handfläche weich. »Und andererseits?«
»Andererseits sieht es so aus, als würden Sie Ihre Arbeit einschränken müssen, um Ihre Versprechungen halten zu können.«
»Sir?«
»Anscheinend haben Sie unter Ihren Kollegen viel Staub aufgewirbelt. Sir William wird mit Klagen überschüttet.«
»Wie ich schon sagte, werde ich mein Bestes tun.«
»Sie müssen mehr als das tun, Mr. Struan.«
»Verzeihung, aber was bedeutet das, Admiral?«
»Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger als das, was Sie bereits versprochen haben.«
In der kurzen Stille beschloß Struan, nicht die Nerven zu verlieren und nicht zu vergessen, daß dieser Mann seine Ehe ermöglicht hatte – nein, nicht ermöglicht, berichtigte er sich, er hatte ›gestattet‹, daß sie ermöglicht wurde. John Marlowe hatte den Mut besessen, die Initiative zu ergreifen. »Captain Marlowe wird doch keine Schwierigkeiten bekommen, oder?«
»Captain Marlowe untersteht den Vorschriften der Navy.«
»Ja, natürlich, aber ich glaube, daß er nicht gegen die Vorschriften der Navy verstieß, indem er uns traute, Sir. Ich habe den entsprechenden Paragraphen vorher genau gelesen, und er enthielt keine Altersbeschränkung oder Erwähnung des Alters.«
»Die Vorschriften besagen aber auch, daß jede derartige Trauung, falls möglich, einer sofortigen Prüfung zu unterziehen ist. In diesem Fall ist das möglich.«
»Ich bin also verheiratet und auch wieder nicht. Ist es das, was Sie sagen wollen?«
»Ich weise nur darauf hin, Mr. Struan, daß bei der Navy alle ungewöhnlichen Geschehnisse einer Überprüfung zu unterziehen sind.«
Struan zwang sich zu einem Lächeln. »Mit Recht. Meine…« Er hätte beinahe ›Auffassung‹ gesagt, benutzte dann aber mit Bedacht ein anderes Wort. »… Ich habe den Befehl so verstanden, Sir, daß Sie ihm die Erlaubnis gaben.«
Ketterer zog eine Augenbraue hoch. »Captain Marlowe hat Ihnen einen versiegelten Befehl von mir gezeigt?«
»Wie ich es verstanden habe, Sir, gab der Befehl ihm eine bedingte Erlaubnis, Sir – ich gestehe, daß ich mir große Mühe gegeben habe, den genauen Wortlaut zu erfahren und ihn davon zu überzeugen, daß es sich um eine bedingte Erlaubnis handelte.«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte der Admiral trocken.
»Es war also eine bedingte Erlaubnis?«
»Mein Befehl war deutlich formuliert: Sollten Sie um eine besondere Gunst bitten, durfte er sie gewähren, falls er das wünschte. Haben Sie nicht gestern abend erwähnt, Sie wollten außer Sichtweite des Landes segeln? Ihre besondere Bitte hätte ja auch nur das betreffen können – er hatte nämlich Befehl, seine Versuche in Sichtweite des Flaggschiffs durchzuführen.«
Struan gab sich große Mühe, Ruhe zu bewahren. Er spürte das nahende Verhängnis. »Ja, Sir. Ja, vielleicht haben Sie das gedacht. Falls es ein Mißverständnis gegeben haben sollte, dann lag das an mir und nicht an Captain Marlowe.«
»Ich nehme das zur Kenntnis, Mr. Struan.«
Malcolm hatte den älteren Mann genau beobachtet, denn er wollte herausfinden, wohin der Admiral steuerte; er fürchtete nun, dies sei eine Fortsetzung des Katz-und-Maus-Spiels. Hat er mich schon wieder in den Krallen – werde ich mich nie daraus befreien?
»Darf ich fragen, Admiral, warum Sie Captain Marlowe nur eine bedingte Genehmigung erteilt haben?« Malcolm versuchte, gelassen zu bleiben, sagte sich immer wieder, daß er verheiratet war, bis die Trauung für ungesetzlich erklärt wurde. »Gestern abend hätte ich nicht gedacht, daß Sie das tun würden.«
In der Nacht hatte Ketterer der Gedanke an Consuela nicht losgelassen. »Gib dem jungen Senhor eine Chance, Charles«, hatte sie mit ihrem liebreizenden Akzent gesagt, und in seiner Erinnerung war sie so sinnlich gewesen wie in Wirklichkeit. »Wir bekamen nie eine Chance, warum also nicht ihm eine geben – erinnere dich, du warst nicht viel älter als er. Durch ihn bist du ein riesiges Stück vorwärtsgekommen, er wird sein Versprechen sicher halten. Warum nicht großzügig sein – so großzügig, wie unsere Eltern und deine feige Admiralität nicht waren? Er ist so verliebt, Charles, wie du es warst, aber anders als du ist dieser junge Senhor schon von der grausamen Hand Gottes getroffen worden…«
Er war aufgewacht, und ihre Worte hatten ihm noch immer in den Ohren geklungen, und die Erinnerung an die Art, wie sie seinen Namen aussprach, griff ihm nach all den Jahren noch ans Herz. Aber es ist nicht dasselbe, hatte er gedacht, und sein Herz hatte sich verhärtet. Die Struans sind Opiumschmuggler und Waffenhändler – ich werde meine toten Matrosen nicht vergessen. Tut mir leid, meine längst verlorene Liebste, aber die Heirat wird sofort für ungesetzlich erklärt werden – ich lasse Struan nicht vom Haken. Pflicht ist Pflicht.
Während er Struan jetzt betrachtete und daran denken mußte, wie er hereingehumpelt war, entschlossen, stark zu erscheinen, während Hoag und Babcott beide vertraulich bestätigt hatten, der Junge leide ständig unter Schmerzen und werde wohl kaum je wieder beschwerdefrei gehen oder reiten können, fielen ihm wieder Consuelas Worte ›die grausame Hand Gottes‹ ein.
Er seufzte. »Eine plötzliche Laune, Mr. Struan«, sagte er und entschloß sich, nachsichtig zu sein, »gepaart mit der Überzeugung, daß Sie Ihr Versprechen halten werden.« Er stand auf, glaubte Consuelas Lächeln zu spüren, und während er zum Buffet ging, fühlte er sich merkwürdig jung. »Sherry?«
»Danke.« Struan wollte aufstehen und schwankte vor Erleichterung über Ketterers Eingeständnis.
»Was wollen Sie? Tio Pepe? Gut. Zum Wohle!« Ihre Gläser berührten sich. Ketterer trank einen großen Schluck.
»Hören Sie, junger Mann«, sagte er mit ungewöhnlich leiser und freundlicher Stimme. »Ich werde natürlich Sir William konsultieren und ihn überreden, die Vorschriften der Navy zu lesen. Höchstwahrscheinlich wird Captain Marlowes Bericht nach angemessener Überlegung akzeptiert werden – wir müssen dafür sorgen, daß unsere Offiziere sich der Folgen unabhängigen Handelns immer bewußt bleiben, aber er wird keine ›Schwierigkeiten‹ bekommen. Dies muß ein weiteres Geheimnis zwischen uns bleiben. Einverstanden?«
»Ja, Sir. Danke. Ich werde tun, was ich versprochen habe.« Struan atmete tief ein. »Dann ist meine Ehe also legal?«
»Das hängt von der Sichtweise ab. Was mich betrifft, was die Navy betrifft, so glaube ich das, und deshalb sollte sie auch nach dem allgemeinen Gesetz gültig sein. Was nun Ihre Mutter und die beiden Kirchen betrifft, so schlage ich vor, daß Sie beide die Luken dicht und sich auf das Schlimmste gefaßt machen. Noch einmal, mein Glückwunsch, einerseits. Und meine besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin – vertraulich natürlich.«