40

Yokohama

Am Nachmittag desselben Tages kam Jamie McFay wutschnaubend aus dem Büro des Yokohama Guardian gestürzt, die neueste Ausgabe der Zeitung unter den Arm geklemmt, und eilte die High Street entlang. Die Brise war salzig und kalt, auf dem Meer schäumten graue Brecher. Ich wünschte bei Gott, Malcolm hätte es mir erzählt, dachte er. Er ist verrückt. Das wird doch Ärger geben.

»Was ist los?« fragte Lunkchurch, der die zerknitterte Zeitung sah und den Jamies ungewöhnliche Hast neugierig machte. Er war auf dem Weg, sich vor seiner nachmittäglichen Siesta ebenfalls eine Zeitung zu kaufen, und hatte angehalten, um in die Gosse zu urinieren. »He, das Duell steht in der Zeitung, man berichtet darüber, was?«

»Welches Duell?« versetzte McFay barsch. Es gingen Gerüchte um, es könnte jetzt jeden Tag stattfinden, obwohl bisher noch niemand sein Wissen davon ausgeplaudert hatte, daß es übermorgen, am Mittwoch, so weit war. »Um Himmels willen, hören Sie auf, diesen Unsinn zu verbreiten!«

»Nichts für ungut, alter Junge.« Der dicke, rotgesichtige Mann knöpfte seine Hose zu und zog den Gürtel über seinen Bauch nach oben, obwohl der gleich wieder runterrutschte. »Na, was ist dann los?« Er tippte auf die Zeitung. »Was hat dieser Scheißnettlesmith denn geschrieben, das Sie so aus der Fassung bringt?«

»Nur Scheiße«, sagte McFay, der den wirklichen Grund nicht nennen wollte. »In seinem Leitartikel behauptet er, daß die Flotte so ziemlich auf der Höhe ist, die Armee ihre Bajonette schärft und zehntausend Sepoys aus Indien unterwegs sind, um uns zu helfen.«

»Lauter Unsinn!«

»Ja. Und dazu kommt noch, daß der verdammte Gouverneur wie üblich Hongkongs Wirtschaft ruiniert. Nettlesmith hat einen Leitartikel aus der Times nachgedruckt, in dem der Plan gepriesen wird, unsere bengalischen Opiumfelder abzufackeln und mit Tee zu bepflanzen, eine Sache, die in ganz Asien Herzanfälle auslösen wird! Diese dummen Bastarde werden uns und die britische Wirtschaft ruinieren. Ich muß gehen, ich sehe Sie später bei dem Treffen.«

»Scheißtreffen! Scheißzeitverschwendung!« sagte Lunkchurch. »Scheißregierung! Wir sollten auf die Scheißbarrikaden gehen wie die Scheißfranzosen. Und wir sollten Edo jetzt gleich knacken! Wee Willie hat nicht den Mumm dazu, und was den Scheißketterer betrifft…« Er fluchte noch weiter, als Jamie längst gegangen war.

Als Jamie anklopfte, blickte Malcolm Struan auf. Er sah die Zeitung sofort. »Gut. Ich wollte gerade fragen, ob sie schon da ist.«

»Ich habe ein Exemplar geholt. Ein Piepmatz hat mir geflüstert, daß ich das tun soll.«

»Aha.« Malcolm grinste. »Ist mein Brief drin?«

»Sie hätten es mir sagen können, damit ich mir etwas hätte ausdenken können, um die Wirkung abzuschwächen.«

»Beruhigen Sie sich, um Himmels willen«, sagte Malcolm gutmütig, nahm die Zeitung und schlug den Teil auf, in dem Leserbriefe abgedruckt waren. »Es schadet nichts, wenn man eine moralische Position bezieht. Opium ist unmoralisch, Waffenschmuggel auch, und ich habe Ihnen nichts gesagt, weil ich auch Sie überraschen wollte.«

»Das ist Ihnen allerdings gelungen! Das wird jeden Händler hier und in ganz Asien gegen uns aufbringen, und der Schuß wird nach hinten losgehen.«

»Warum denn? Ah!« Sein Brief war an prominenter Stelle abgedruckt und trug die Überschrift: NOBLE HOUSE NIMMT NOBLEN STANDPUNKT EIN. »Gute Schlagzeile. Gefällt mir.«

»Tut mir leid, mir nicht. Das muß nach hinten losgehen, weil jeder weiß, daß wir ohne diese Handelsgüter aufgeschmissen sind. Sie sind Tai-Pan, aber Sie können nicht…« Jamie hielt inne. Malcolm lächelte ihn ungerührt an. »Was ist mit den Choshu-Gewehren, um Himmels willen? Wir haben deren Geld akzeptiert, obwohl Sie eingewilligt haben, sie an den anderen Mann, Watanabe, weiterzugeben, für Herrn Irgendwen oder einen anderen – der Auftrag, den Sie auf fünftausend erhöht haben?«

»Alles zu seiner Zeit.« Malcolm hatte den Auftrag, den seine Mutter storniert hatte, prompt mit schnellstmöglicher Post erneut erteilt. Dumm von ihr, sie versteht nichts von Japan. Macht nichts, nur noch ein paar Tage, dann wird sie sich beugen. »Bis dahin, Jamie, schadet es nichts, wenn man öffentlich einen moralischen Standpunkt vertritt«, sagte er leichthin. »Wir müssen uns den Zeiten anpassen, finden Sie nicht?«

McFay blinzelte. »Sie meinen, es ist ein Trick? Um die Opposition zu verwirren? Greyforth?«

»Den Zeiten anpassen«, wiederholte Malcolm fröhlich. Sein Brief riet in aller Ausführlichkeit dazu, den Handel mit Opium und Waffen allmählich auslaufen zu lassen, genau wie der Admiral es wünschte, und stellte sich voll hinter die klare Position des Admirals und den von der Regierung vorgeschlagenen neuen Plan für Asien: E S müssen sofort Wege gefunden werden, unseren Handel auf eine einwandfreie Basis zu stellen, zum größeren Ruhme Ihrer Majestät der Königin, Gott segne Sie, und unseres Britischen Empire. Noble House ist stolz, hier voranzugehen… hatte er unter anderen blumigen Wendungen geschrieben, unterzeichnet mit Tai-Pan, Struan’s, wie sein Vater und Großvater es bei Briefen an die Presse ebenfalls getan hatten. »Ich fand, daß das ganz gut ausgedrückt ist. Finden Sie das nicht?«

»Aber wenn es nur ein…« McFay wollte ›Beschwichtigungsmittel‹ sagen, aber für wen und warum? »Aber wenn es nur ein Trick ist, wozu dann? Der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein. Man wird Sie bei dem Treffen sicherlich herausfordern.«

»Und wenn schon.«

»Alle werden denken, daß Sie verrückt geworden sind.«

»Sollen sie doch. In ein paar Wochen werden sie es vergessen haben, und wir werden ohnehin in Hongkong sein.« Malcolm strahlte gutgelaunt. »Keine Sorge, ich weiß genau, was ich tue. Tun Sie mir einen Gefallen, hinterlassen Sie dem Admiral eine Nachricht, ich würde gern vorbeikommen und ihn vor dem Dinner sehen, und Marlowe, wenn er an Land kommt. Sie essen beide um acht mit uns zu Abend, ja?«

»Ja, beide haben zugestimmt.« McFay seufzte. »Sie wollen mich also über den Grund im Ungewissen lassen?«

»Machen Sie sich keine Sorge. Viel wichtiger ist, daß wir uns heute über die Seidenbestellungen für die nächste Saison einigen müssen. Sorgen Sie dafür, daß Vargas die Bücher auf dem neuesten Stand hat. Ich möchte so bald wie möglich mit dem Bankier über Geld und Mittel sprechen – vergessen Sie nicht, daß Angel und ich morgen den ganzen Tag mit Marlowe an Bord der Pearl sein werden!« Er hätte einen Jig getanzt, wenn er gekonnt hätte, aber sein Magen schmerzte mehr als gewöhnlich. Macht nichts, dachte er, morgen ist der große Tag, ich bin fast am Ziel, und dann zur Hölle mit allen.

Jamie verstand die Welt nicht mehr. Jedes Schiff aus Hongkong brachte ihnen beiden einen neuen, noch böseren Brief von Tess Struan, und doch war Malcolm in der letzten Woche so vollkommen gelassen gewesen, so, wie er vor der Tokaidō gewesen war, gutgelaunt, klug, aufmerksam und ganz den Geschäften hingegeben, obwohl er noch immer sehr litt und so schlecht gehen konnte wie eh und je. Und dann war da noch die große Gefahr des auf übermorgen festgesetzten Duells.

Dreimal hatte McFay Kontakt mit Norbert Greyforth aufgenommen, um zu einer Vereinbarung zu kommen, hatte sich sogar von Gornt helfen lassen, aber der Mann war nicht umzustimmen: »Jamie, sagen Sie dem jungen Kerl, daß es an ihm liegt, bei Gott. Er hat diesen Mist angefangen. Wenn er sich entschuldigt, werde ich es akzeptieren – aber nur, wenn die Entschuldigung öffentlich ist, und zwar höchst öffentlich!«

McFay biß sich auf die Lippen. Als letzte Möglichkeit blieb ihm nur noch, Sir William Zeit und Ort zuzuflüstern, doch er haßte den Gedanken, seinen feierlichen Eid zu brechen. »Ich soll mich um sechs mit diesem Gornt treffen, um die letzten Einzelheiten festzulegen.«

»Gut. Schade, daß Sie ihn nicht mögen, er ist ein guter Kerl, Jamie. Wirklich. Ich habe ihn für heute abend eingeladen, zum Dinner«, sagte Malcolm, scherzhaft seinen starken schottischen Akzent nachahmend.

McFay lächelte, durch seine Freundlichkeit besänftigt. »Haben Sie…« Ein Klopfen unterbrach ihn.

»Herein.«

Dimitri stürmte wie ein böser Wind ins Zimmer und ließ die Tür hinter sich offen. »Sind Sie verrückt geworden, Male? Wie kann Struan’s in puncto Opium und Waffen diese Arschlöcher unterstützen?«

»Es schadet nichts, wenn man einen moralischen Standpunkt vertritt, Dimitri.«

»Doch, bei Gott, wenn er verrückt ist, schadet er schon. Wenn Struan’s diese Position vertritt, dann wird es für uns übrige ein mühsamer Kampf, und der verdammte Wee Willie wird das benutzen, um…« Er hielt inne, als Norbert Greyforth hereinkam, ohne anzuklopfen.

»Sind Sie vollkommen wahnsinnig geworden?« schnaubte Norbert, beugte sich über den Schreibtisch und wedelte mit der Zeitung vor Malcolms Gesicht herum. »Was ist mit unserer verdammten Vereinbarung, gemeinsam zu handeln, he?«

Malcolm starrte zu ihm auf, haßerfüllt. »Wenn Sie mich zu sprechen wünschen, melden Sie sich im Kontor an«, sagte er eisig, aber beherrscht. »Ich bin im Moment beschäftigt. Gehen Sie. Bitte!«

Norbert wurde rot, riß sich aber wegen Sir Williams Aufforderung, sich zu benehmen, zusammen. »Mittwoch früh, bei Gott! Verdammt, seien Sie bloß da!« Er machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon. Krachend warf er die Tür hinter sich ins Schloß.

»Ungehobelter Bastard«, sagte Malcolm milde.

Normalerweise hätte Dimitri gelacht, aber er war zu besorgt. »Wenn wir schon mal beim Thema sind, kann ich Ihnen gleich sagen, daß ich an dem ›Treffen‹ am Mittwoch nicht teilnehme.«

»Das ist kein Problem, Dimitri«, sagte Malcolm. Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. »Ich habe noch immer Ihr Ehrenwort, daß nichts durchsickert.«

»Gewiß.« Doch dann platzte Dimitri heraus: »Tun Sie’s nicht, Sie könnten ernstlich verletzt werden.«

»Ich bin bereits ernstlich verletzt, alter Freund. Bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Norbert unsere Verabredung einhält, dann ist er…« Dann ist er ein toter Mann, wollte Malcolm sagen; er war versucht, Dimitri Gornts Plan zu verraten – er hatte ihn bereits McFay erklärt, der ihn widerstrebend als machbar gebilligt hatte –, entschied sich aber dagegen. Statt dessen sagte er: »Ich habe Norbert bereits eine private Vereinbarung angeboten, aber er hat sie abgelehnt. Ich will verdammt sein, wenn ich öffentlich vor ihm krieche. Hören Sie, da Sie schon einmal hier sind, was ist mit Colt Armaments? Ich höre, daß Cooper-Tillman Anteile haben, die sie verkaufen möchten. Ich würde gern kaufen.«

»Ach, wie haben Sie davon erfahren?« Dimitri schaute McFay an, der ebenso erstaunt war, sich dies aber nicht anmerken ließ. »Wo haben Sie davon gehört?«

»Das hat mir ein Vögelchen gezwitschert.« Edward Gornt hatte ihm den Tip gegeben, unter anderen Insider-Tips über Brock’s und Cooper-Tillman, um seine Ehrlichkeit in bezug auf die wichtige Information über Brock’s zu beweisen. Er beobachtete Dimitri, und seine Erregung wuchs. Im Augenblick passierte so viel Gutes. »Was sagen Sie, alter Freund? Ist Jeff Cooper bereit zu verkaufen, und haben Sie die notwendige Vollmacht, um zu verhandeln?«

»Ja, ich habe seine Vollmacht, aber…«

»Aber nichts. Haben Sie die Vollmacht schriftlich?«

»Schriftlich, ja, und er verkauft vielleicht die Hälfte, aber zum richtigen Preis – 16,50 pro Anteil.«

»Unsinn, der Preis ist auch nicht annähernd richtig – 13,20 und keinen Cent mehr. Wir können eine Absichtserklärung aufsetzen, mit dem Datum von heute. Vierzigtausend Anteile.«

Dimitri starrte ihn verblüfft an. Vierzigtausend war genau die richtige Zahl. 13,20 war niedrig. Er hatte die Anteile Morgan Brock angeboten, der 12,80 geboten hatte, einen Schleuderpreis, Zahlung in einem Jahr, was das Angebot unannehmbar machte, obwohl es fast unmöglich war, für einen so großen Anteilsblock einen Käufer zu finden. Woher zum Teufel hatte Malcolm die Information? »13,20 ist bei weitem nicht genug.«

»13,20 heute, 13,10 morgen. Mittwoch ziehe ich das Gebot zurück.« Gornt hatte ihm gesagt, Cooper müsse schnell verkaufen, um in neue amerikanische Panzerschiffe zu investieren – für beide Navys. »Ich habe jede Menge Zeit, aber der alte Jeff nicht.«

»Was meinen Sie damit?«

»Nur, daß ich Zeit habe und Jeff nicht. Und auch nicht die Unions- oder sogar die konföderierte… Navy«, fügte er scherzhaft hinzu, »wo doch der Krieg für beide Seiten so schlecht läuft.«

»Ihre Scheißspione!« sagte Dimitri. »Nichts zu machen, 15,20.«

»Träumer. 13,20, Zahlung in Gold mit einem Sichtwechsel auf unsere Bank, sobald er in Boston eintrifft.«

Dimitri machte den Mund auf, aber Jamie McFay warf hastig ein: »Tai-Pan, es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn man…«

»…Hongkongs Zustimmung einholte«, beendete Malcolm den Satz für ihn. »Kommen Sie, Jamie, darüber haben wir schon gesprochen, und dieser Unsinn ist ein für allemal aus der Welt geschafft.« Seine Stimme war kühl und ließ keinen Widerspruch zu. »Richtig?«

»Ja, Verzeihung, Sie haben recht.«

Ruhig sagte Malcolm: »Also, Dimitri, ja oder nein?«

Dimitri starrte ihn mit plötzlichem Respekt an. Die sofortige Bezahlung hatte die Sache für ihn bereits perfekt gemacht. »Abgemacht.« Er streckte seine Hand aus, und Malcolm schüttelte sie.

McFay sagte: »Ich setze das Papier heute nachmittag auf und lasse es um siebzehn Uhr von Ihnen unterschreiben, einverstanden?«

»Gut. Danke, daß Sie gekommen sind, Dimitri, Sie sind immer willkommen. Das Dinner findet um halb neun statt.«

Nachdem Dimitri gegangen war, konnte McFay sich nicht länger beherrschen. »Das ist eine Menge Geld.«

»528.000 Dollar, um genau zu sein. Aber Colt hat einen neuen Auftrag über hunderttausend Gewehre allerneuester Bauart. Bis unser Kreditbrief fällig wird, wird sich der Wert der Anteile verdoppelt haben, also haben wir gerade eine halbe Million Dollar verdient.«

»Wie können Sie da so sicher sein?«

»Ich bin sicher.«

»Werden Sie den Sichtwechsel unterschreiben?«

»Ja. Wenn Sie mir sagen, ich könnte das nicht, weil ich keine Vollmacht habe wegen dem, was meine Mutter gesagt oder nicht gesagt hat, dann werde ich trotzdem unterschreiben.« Malcolm zündete sich eine Zigarre an und fuhr fort: »Wenn er nicht eingelöst wird, geht der Schuß nach hinten los und ruiniert Struan’s, aber ich bin Tai-Pan, ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, und zwar bis ich zurücktrete oder tot bin, was immer sie sagt.«

Beide sahen zu, wie ein Rauchring in die Luft stieg und sich auflöste, dann nickte McFay bedächtig; Malcolm strahlte eine seltsame Sicherheit und Autorität aus, die er, McFay, nie zuvor gespürt hatte. »Sie wissen, was Sie tun, nicht wahr?«

Malcolms Miene hellte sich auf. »Ich weiß jetzt viele Dinge, die ich nicht wußte, als ich hierherkam. Zum Beispiel, wenn Sie darauf bestehen zu gehen … Kommen Sie, Jamie, ich bin sicher, daß Sie sich innerlich schon entschieden haben, und warum sollten Sie auch nicht? Sie sind schäbig behandelt worden – ich weiß, ich war Ihnen keine Hilfe, aber das alles ist vorbei, und wenn ich Sie wäre, würde ich dasselbe tun. Sie haben sich entschieden, nicht wahr?«

McFay schluckte, entwaffnet. »Ja, aber erst, wenn Struan’s Geschäfte hier optimal laufen, in sechs Monaten oder so, es sei denn, sie feuert mich vorher. Himmel, ich will nicht gehen, aber ich muß.«

»Ich würde dasselbe tun«, sagte Malcolm, »und ich bin sicher, daß Sie großen Erfolg haben werden. Ich bin so sicher, daß ich hunderttausend von den Dollars, die ich soeben verdient habe – ich, Jamie, kein anderer – in McFay Trading investieren werde. Für einen…«, er wollte sagen, für einen Anteil von neunundvierzig Prozent, doch er hielt inne, damit McFay nicht das Gesicht verlor, und dachte dabei: Du verdienst das, mein Freund, ich werde nie die Post vergessen, für die du hättest hängen können – Sir William hätte uns erwischt, auch da bin ich sicher, »… einen Anteil von sechzig Prozent?«

Ohne auch nur nachzudenken, sagte McFay: »Fünfundfünfzig.«

»Neunundvierzig Prozent.«

»Gemacht, falls…«

Sie lachten beide, und Malcolm sprach aus, was McFay gedacht hatte: »Falls die Anteile sich verdoppeln.« Dann fügte er ernsthaft hinzu: »Und wenn sie das nicht tun, werde ich eine andere Möglichkeit finden.«

McFay sah ihn lange an. Ihm schwirrten viele Fragen durch den Kopf, Fragen, auf die er keine Antworten hatte. Warum hat Malcolm sich verändert? Einfach so? War es die Sache mit den Briefen? Das Duell? Sicher nicht. Warum will er den Admiral sehen? Warum mag er Gornt, der ein entsetzlich gerissener Fuchs ist?

Und warum bin ich damit herausgeplatzt, daß ich gehen werde, bevor ich mir selber darüber im klaren war, und habe die Entscheidung getroffen, über die ich monatelang nachgedacht habe: eine Chance zu ergreifen, ehe ich sterbe? Er sah, daß Malcolm ihn beobachtete, körperlich schwach, aber innerlich ruhig und stark. Er erwiderte das Lächeln. »Sie wissen, ich bin sicher, daß Sie das tun werden.«

Wie immer ruhte sich Angélique vor dem Dinner aus. Im Kamin brannte ein Kohlenfeuer, die Vorhänge waren zugezogen, und sie kuschelte sich unter Daunendecken und Seidenlaken, halb schlafend, eine Hand behaglich zwischen den Beinen, wie Colette es ihr im Konvent beigebracht hatte, als sie zueinander ins Bett geschlüpft waren, nachdem die Nonnen den Schlafsaal verlassen hatten und in ihren durch Vorhänge abgetrennten Zellen schnarchten. Unter den Decken hatten sie sich berührt und geküßt und miteinander geflüstert und gekichert, zwei junge Mädchen, die Geheimnisse, Träume und Wünsche miteinander teilten und so taten, als seien sie erwachsene Liebende – wie es in den romantischen, aber verbotenen Groschenromanen beschrieben wurde, die von den Zimmermädchen hereingeschmuggelt wurden und die unter den Schülerinnen von Hand zu Hand gingen – alles spielerisch und amüsant und harmlos.

Ihre Gedanken waren bei Paris und der wundervollen Zukunft, die vor ihr lag, Malcolm weich und zufrieden neben ihr oder bereits draußen im Kontor von Struan’s, dessen Hauptsitz sich jetzt in Paris befand, reich und groß, seine schlechte Gesundheit nur noch Erinnerung, ihr Übel nicht einmal mehr eine Erinnerung, ein kleiner Sohn im Kinderzimmer auf der anderen Seite des Flurs in ihrem Château, von eigenem Kinder- und Dienstmädchen versorgt, ihr Körper wieder stark und ebenso wohlgeformt wie jetzt nach einer leichten Geburt. Dann würde sie Struan’s märchenhaft erfolgreiche Seidenfabrik besuchen, die zu bauen sie ihn überredet hatte, nachdem sie so viel über das Ernten und Züchten der Seidenraupen gelernt hatte:

O Colette, hatte sie gerade geschrieben, diese kleinen Raupen sind außerordentlich, sie ernähren sich von Maulbeerblättern, und dann trocknet man die Kokons und wickelt die Seide ab… ich hätte nie gedacht, daß mich das so interessieren könnte. Vargas ist mein geheimer Informant, und er hat den Seidenverkäufer eingeschmuggelt, damit er mir etwas zeigt, aber ich muß so vorsichtig sein – ich habe angefangen, mit Malcolm und Jamie über meine Idee für eine Fabrik zu sprechen, aber sie haben gelacht. Malcolm hat gesagt, ich soll nicht albern sein, die Herstellung von Seide sei eine höchst komplizierte Angelegenheit (als ob ich das nicht wüßte), und ich soll mir meinen kleinen Kopf nicht über Geschäfte zerbrechen. Ich glaube, sie wollen, daß wir Kokons sind, die sie ganz nach Laune gebrauchen und mißbrauchen können, das ist alles. Colette, schick mir alle Bücher über Seide, die Du finden kannst…

Wie schön, ein eigenes Kontor und eigenes Geld zu haben, dachte sie. In Paris leben, Besuche in London, gelegentlich in Hongkong, Dîners und üppige Bälle für meinen Märchenprinzen und seine speziellen Freunde…

Sie schaute zu dem Brief an Colette, der auf dem Schreibtisch lag und den sie gerade versiegelt hatte. Sie hatte ihr noch weitere Geheimnisse anvertraut, zumindest teilweise:

Dieser Edward Gornt wird zu einem wirklichen Freund, so charmant und aufmerksam, ein echter Freund, nicht wie André. Ich bin sicher, liebe Colette, daß er ein Freund fürs Leben sein wird, weil mein liebster Malcolm seine Gesellschaft anscheinend auch genießt. Ist es nicht seltsam, wo Edward doch für diese schrecklichen Brocks arbeitet, von denen ich Dir erzählt habe, und Norbert Greyforth jeden Tag boshafter aussieht, dieser Teufel! Heute abend haben wir wieder eine große Gesellschaft. Jeder wird da sein, André spielt, und Edward ist ein Tänzer, leichtfüßig wie ein Schmetterling…

Sie hatte nicht geschrieben, daß er beim letztenmal, als sie miteinander getanzt hatten, ihre Hand anders gehalten hatte, auf eine gefährliche Weise, mit genügend Druck, um zu ihr zu sprechen, und einmal hatte er den kleinen Finger in der Handfläche gekrümmt: die Sprache der Liebenden, ich will dich im Bett, ja oder nein und wann – sag nicht nein!

Sie hatte ihre Hand kühl und fest bewegt. Er hatte nichts gesagt, seine Augen hatten gelächelt, und sie wußte, daß er wußte, daß sie nicht wirklich böse war, nur außer Reichweite, verlobt.

Sie war auch nicht böse auf André, nicht wirklich. Vor ein paar Tagen hatten sie sich zufällig in der französischen Gesandtschaft getroffen. »Sie sehen gut aus, Angélique, ich bin entzückt, Sie zu sehen. Kann ich unter vier Augen mit Ihnen sprechen?«

Natürlich hatte sie ja gesagt, und als sie allein waren, hatte er ihr gesagt, es gehe um das Geld, das er ihr geliehen hatte. »Ich bin ziemlich in der Klemme, könnten Sie es mir bitte zurückzahlen?«

»Aber ich dachte, die… die andere Transaktion hätte das erledigt.« Ihr Herz hatte einen Schlag ausgesetzt, als sie an ihre Kriegslist mit den verlorenen Ohrringen erinnert wurde.

»Nein, tut mir leid. Damit wurden nur der Rat der Mama-san und die Medizin bezahlt.«

Sie war plötzlich heftig errötet. »Wir hatten vereinbart, die… die Angelegenheit nie wieder zu erwähnen, erinnern Sie sich nicht?« hatte sie leise gesagt, obwohl sie ihn am liebsten angeschrien hätte, weil er gegen die feierliche Vereinbarung verstieß. »Es ist nie passiert, nie, das hatten wir vereinbart – es war nur ein böser Traum.«

»Ich stimme zu, es ist nie passiert, aber Sie haben die Transaktion erwähnt, Angélique, nicht ich, ich habe nur von dem Geld gesprochen. Tut mir leid, aber das mit dem Geld ist dringend.« Seine Miene hatte kalt ausgesehen.

Sie hatte ihren Zorn unterdrückt und ihn im stillen verflucht. Sie hatte sich selbst eingeredet, daß nichts passiert war – und bis auf den einzigen Mann, der das bestreiten konnte, war ja auch nichts passiert. »Was das Geld angeht, lieber Freund, so gebe ich es Ihnen zurück, sobald ich kann. Wie Sie wissen, gibt Malcolm mir kein Geld, er läßt mich nur Chits unterschreiben.«

»Dann sollten wir vielleicht noch einen ›Verlust‹ arrangieren.«

»Nein«, hatte sie mit honigsüßer Stimme gesagt und eine Hand auf seinen Arm gelegt, um den Anflug von Wut zu besänftigen. »Das ist keine gute Idee.« Obwohl sie die ganze Sache aus ihrem Kopf verbannt hatte, war ihr immer, wenn sie ihr wieder einfiel, bewußt, daß das ein furchtbarer Fehler gewesen war. »Vielleicht kann ich mir etwas anderes ausdenken.«

»Ich brauche es jetzt, spätestens am Mittwoch. Tut mir leid.«

»Ich werde es versuchen. Ich werde es wirklich versuchen.« Und das hatte sie getan. Gestern hatte sie Henri Seratard gesehen und tränenreich gebettelt und gefleht. Sie hatte gesagt, sie brauche Geld für eine Überraschung für Malcolm, sie werde immer in seiner Schuld stehen, und sie hatte ein weiteres Stück Papier unterschrieben und ihren Diamantring als Sicherheit verpfändet.

Klugerweise hatte sie doppelt soviel geliehen, wie sie schuldig war. Heute morgen hatte sie André sein Geld zurückgegeben. Er hatte ihr überschwenglich gedankt. Kein Grund, böse auf ihn zu sein. Er ist mein guter und zuverlässiger Freund, und ich hatte mir Geld von ihm geliehen. Wozu hat er es gebraucht? Geht mich nichts an. Sans faire rien ist eine Schuld beglichen.

Vom Rest hatte sie die Hälfte zu McFay gebracht. »Jamie, würden Sie das bitte für mich an meine liebe Tante in Paris schicken? Es geht ihr schlecht, und meinem lieben Onkel auch«, hatte sie zu ihm gesagt, glücklich, ihnen endlich helfen zu können, und noch glücklicher, weil McFay es wie gehofft Malcolm erzählt hatte. Sofort hatte er sie danach gefragt.

»Oh, ich habe es von M’sieur Seratard geliehen, chéri. Ich wollte dich nicht um Geld bitten, und ich kann ihnen ja keinen Chit schicken. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, aber ich habe Schmuck verpfändet.«

Er hatte sie gescholten und gesagt, er würde sich um die Schulden bei Seratard kümmern, und Jamie würde ein laufendes Konto im Wert von hundert Guineas für sie führen, von dem sie abheben könne, was sie wolle, sie müsse ihm nur mitteilen, wofür sie es brauche.

Ganz einfach, wenn man sein Köpfchen benutzt. Ein Gefühl von Wärme durchströmte sie, als sie daran dachte, wie sie ihm für seine Freundlichkeit gedankt und ihn so zärtlich geküßt und wie er darauf reagiert hatte. Sie wäre gern weiter gegangen, viel weiter.

Ihre Finger lenkten sie ab. Sie schloß die Augen und versetzte sich zu Colette zurück, aber das dauerte nicht lange, denn wie immer schob er sich in den Vordergrund, lebhaft und fast lebendig, und mit ihm die Einzelheiten ihres letzten Mals, als sie absichtlich wollüstig gewesen war und alles getan hatte, was sie sich als möglich erträumt hatte – um ihr Leben zu retten, nicht wissend, daß sie alles ebenso genießen würde wie er.

Liebste Madonna, wir beide wissen, daß es nur geschah, um mein Leben zu retten – das stimmt doch. Und es stimmt auch, daß wir uns irgendwie von ihm und der Erinnerung an die beiden Nächte und die Ekstase freimachen müssen, ehe sie mich verrückt macht.

Raiko war gereizt. »Furansu-san, ich werde diese Teilzahlung akzeptieren, aber unsere Vereinbarung war sehr genau, es tut mir leid.«

»Ich weiß.« André haßte es, Schulden zu haben, bei ihr mehr als bei allen anderen, denn er wußte, daß sie seine Hinodeh vollkommen beherrschte und ihre Beziehung ohne Zögern beenden würde, wenn er seinen Verpflichtungen nicht nachkam. »Können bald große Zahlung geben. Ohrringe.«

»Ach, ja? Ausgezeichnet.« Sie lächelte. »Ausgezeichnet. Ich nehme an, Hinodeh gefällt Ihnen noch, erfreut Sie noch?«

Für einen glückseligen Augenblick fiel seine Sorge von ihm ab. »Sie… alles, wovon ich träumen. Mehr.«

Sie lächelte ihn seltsam an. »Es ist nicht weise, so offen zu sein.«

Ein Achselzucken. »Sie mir erfüllen Lebenswunsch. Kann nicht genug Dank sagen.«

Sie kniff die Augen in ihrem runden, vom Trinken aufgeschwemmten Gesicht zusammen. Ihr Make-up war gut und ihr Kimono teuer, der Abend kühl, aber ihre Zimmer waren warm und das Ganze einladend. »Ich höre, Ihre Gai-Jin-Prinzessin ist so gesund wie eh und je.«

»Ja.« Einen Augenblick lang dachte André an sie und ihre immer gegenwärtige Sexualität. »Glaube, sie würde gute Dame der Nacht abgeben.«

Raiko legte den Kopf schräg. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Bemerkung ernst zu nehmen. »Das wäre interessant für mich. Ich könnte ihr die besten Preise verschaffen – die besten. Viele in Edo würden einen Preis zahlen, um eine so üppige Person auszuprobieren. Ich kenne einen Reishändler, sehr reich, sehr alt, keine schwere Arbeit für sie, ihn zu befriedigen. Der würde viel Geld dafür bezahlen, als erster ein solches Jadetor zu untersuchen, und es wäre einfach, ihr zu zeigen, wie sie wieder Jungfrau wird, neh?«

Er lachte. »Ich ihr sagen, vielleicht eines Tages.«

»Gut. Der beste Preis, und geheim. Dieser Reishändler… Eeee, er würde bezahlen! Sie weist keine anderen Zeichen auf?«

»Zeichen? Was Zeichen?«

Raiko sagte: »Die Medizin wirkt unterschiedlich auf verschiedene Damen. Manchmal kann sie sie viel… viel leidenschaftlicher machen und schwer zu befriedigen. Manchmal erhöht sie ihre Chancen, schwanger zu werden, und manchmal vernichtet sie jede Chance dazu. Seltsam, neh?«

Nun war er nicht mehr amüsiert. »Das haben Sie nicht gesagt.«

»Hätte es irgendeinen Unterschied gemacht?«

Nach einem Augenblick schüttelte er den Kopf.

Sie trank einen großen Schluck. »Bitte verzeihen Sie, daß ich über Geld rede, aber ein Gold-Oban kauft nicht länger, was ein Gold-Oban kaufen sollte. Unsere Beamten haben unser Geld abgewertet und stinken wie acht alte Fische, vermischt mit frischem Hundekot!«

»Wahr«, sagte er. Er hatte nicht alle Worte verstanden, aber begriffen, daß es um Beamte und alte Fische ging, und war ebenso angewidert. Seratard hatte sich geweigert, ihm den Vorschuß auf sein Gehalt zu geben, den er erwartet hatte, und behauptet, die Mittel der Gesandtschaft seien erschöpft.

»Aber Henri, ich bitte Sie doch nur um das, was Sie mir im Laufe des Jahres geben müssen. Es sind nur ein paar Goldstücke, Henri. Bin ich nicht Ihr wertvollster Helfer hier?«

»Ja, natürlich sind Sie das, mein lieber André, aber aus einem leeren Faß können Sie sich keinen Wein holen – nur eine Migräne!«

Dann hatte er es anders versucht, ebenfalls ohne Erfolg. So blieben ihm nur noch zwei Möglichkeiten. Angélique oder diese Mama-san. »Raiko-san, Sie sind sehr schlau, denken. Muß Möglichkeit geben, wir beide mehr Geld einnehmen als normal, neh? Was können wir verkaufen?«

Sie schaute auf den Tisch nieder, damit er ihre Miene nicht sah. »Saké?« fragte sie und schenkte ein. Ihm zu Ehren war der Saké kalt. Ihre Augen waren Schlitze, und sie fragte sich, wie weit sie ihm trauen konnte. So weit, wie eine Katze einer in die Ecke getriebenen Maus traut. »Information hat einen Preis. Neh?«

Das klang sachlich. Er tat, als sei er überrascht, entzückt, daß sie den Köder so leicht geschluckt hatte. Zu leicht? Vermutlich nicht. Von den Bakufu oder seinen eigenen Herren erwischt zu werden lief auf dieselbe Strafe hinaus: einen qualvollen Tod.

Sir William würde für die richtige Information ordentlich zahlen – Henri überhaupt nicht. Gott schicke sie beide zur Hölle! »Raiko-san, was passiert in Edo?«

»Viel wichtiger ist, was hier passiert«, sagte sie prompt und begann mit den Verhandlungen. »Krieg, ja? Schrecklich! Jeden Tag feuern mehr Soldaten auf dem Schießplatz, üben mehr Kanonen, erschrecken meine Damen.«

»Es tut mir sehr leid, bitte sprechen langsamer, bitte.«

»Oh, es tut mir leid.« Raiko sprach langsamer, sagte, wie ängstlich man im Yoshiwara-Viertel sei, berichtete ihm damit aber nichts, was er nicht bereits wußte. Und er teilte ihr Dinge über die Flotte und die Armee mit, von denen er sicher war, daß sie sie ebenfalls wußte.

Sie tranken schweigend. Dann sagte sie leise: »Ich glaube, gewisse Beamte würden viel bezahlen, um zu erfahren, was die Gai-Jin-Führer planen und wann.«

Er nickte. »Ja. Ich auch denke, unser Führer viel zahlen zu wissen, welche Nippon-Streitkräfte wo, wer führt, über diesen taikō, der grobe Botschaften schickte.«

Sie strahlte und hob ihre winzige Schale. »Auf eine neue Partnerschaft. Viel Geld für ein kleines Gespräch.«

Er trank ihr zu und sagte vorsichtig: »Kleines Gespräch, ja, aber muß sein wichtiges kleines Gespräch, und wirklich klein für wirkliches Geld.«

»Eeee«, sagte sie und tat schockiert, »bin ich eine drittklassige Hure ohne Gehirn? Ohne Ehre? Ohne Verständnis? Ohne Beziehungen, ohne…« Aber sie konnte das nicht durchhalten und kicherte. »Wir verstehen einander vollständig. Kommen Sie morgen um Mittag zu mir. Jetzt gehen Sie, und besuchen Sie Ihre liebliche Hinodeh. Genießen Sie sie und das Leben, solange wir es noch haben.«

»Danke. Aber nicht jetzt. Bitte sagen, ich kommen später.« Er lächelte Raiko zu. »Und Sie, Raiko?«

»Ich habe keine Hinodeh, zu der ich gehen kann, von der ich träumen kann, der ich Gedichte schreiben kann und die mich mit Ekstase erfüllt. Einst war das anders, aber jetzt bin ich vernünftiger, ich genieße Saké und Geldverdienen und Saké. Und nun gehen Sie«, sagte sie mit hartem Lachen, »aber kommen Sie morgen wieder. Am Mittag.«

Als er fort war, befahl sie ihren Dienerinnen, mehr Saké zu bringen, diesmal heiß, und sie nicht zu stören. Nachdem sie solche Freundlichkeit in seinem Gesicht gesehen hatte, vermischt mit seiner Leidenschaft für Hinodeh, hatte sie gespürt, daß ihre Traurigkeit begann, und ihn daher entlassen.

Sie konnte Zeugen für ihre erbärmlichen Tränen, die sie nicht länger unterdrücken konnte, nicht ertragen. Gleichzeitig verachtete sie sich für ihre innere Schwäche, eine hektische Sehnsucht nach ihrer Jugend, nach dem Mädchen, das sie gewesen war und das nun verschwunden war, um nie wiederzukehren.

Es ist nicht fair, nicht fair, nicht fair, stöhnte sie und hob die Schale. Ich bin nicht die alte Hexe, die ich in meinem Spiegel sehe, ich bin ich, Raiko die Schöne, Kurtisane Zweiten Ranges.

»Ah, Otami-sama«, sagte der Shoya, »guten Abend, bitte, setzen Sie sich. Tee, Saké? Es tut mir leid, Sie wieder zu stören, aber ich habe soeben eine Botschaft von meinen Oberherren bekommen. Tee?«

Hiraga setzte sich auf das gegenüberliegende Kissen, zügelte seine Ungeduld, dankte ihm und nahm die obligatorische Schale entgegen. »Wie geht es Ihnen?« fragte er höflich, und sein Herz schlug schneller, als ihm lieb war.

»Ich habe Sorgen, Otami-sama. Es scheint, daß die Gai-Jin diesmal sehr entschlossen sind, zu viele Truppenbewegungen, zu viele Schiffe, die ihre Waffen reinigen, viele Gerüchte über weitere Schiffe, die kommen sollen. Haben Sie vielleicht von Ihrem Taira-Gai-Jin gehört?«

Hiraga dachte darüber nach. Tyrer und das gesamte Gesandtschaftspersonal waren in Aufruhr, seit das Ultimatum des taikō Anjo eingetroffen war. Sir William brüllte lauter als gewöhnlich, der Dolmetscher Johann schloß sich stundenlang mit Tyrer ein und schrieb immer neue Brief an die Bakufu, bei denen er ihn nur manchmal bat, einen Satz zu verfeinern. »Einfacher, wenn ich sehe Brief, Taira-sama«, pflegte er dann immer zu sagen, da er wissen wollte, was abgeschickt wurde.

»Ja, schon, aber für den Augenblick nur diesen Satz…«, pflegte Taira dann stets zu sagen, eindeutig verlegen. Es war jeden Tag dasselbe, und das hatte seine Unruhe gesteigert. Offensichtlich trauten sie ihm nicht mehr wie zuvor, und das, nachdem er Tag und Nacht gearbeitet hatte, um ihre Sprache zu lernen, und ihnen alle möglichen Informationen gegeben hatte. Verachtenswerte Gai-Jin-Hunde, hatte er gedacht und gefürchtet, Sir William könne ihn jeden Tag hinauswerfen – sein Plakat hing noch immer auffällig im Haus der Samurai-Wachen, und die Patrouillen untersuchten böswillig alle Japaner, die in der Niederlassung ein- und ausgingen.

Solche Patrouillen sollten nicht erlaubt sein. Die Gai-Jin sind so dumm – ich an ihrer Stelle würde ›feindliche Wachen‹ nicht zulassen! Idiotisch, daß Anjo sie mit so schlechten Manieren und seiner Arroganz aufbringt, solange ihre Flotte hier ist. Der Ältestenrat ist verrückt!

»Die Gai-Jin-Beamten sagen mir viele Dinge, Shoya«, erklärte er, als habe er nichts dagegen, belauscht zu werden. »Zum Glück bin ich in ihre innersten Geheimnisse eingeweiht. Es kann durchaus sein, daß ich Sie rechtzeitig warnen kann, wenn irgendeine Gefahr Sie bedroht. Inzwischen habe ich ihnen geraten, sich davor zu hüten, Sie und das Dorf aufzubringen.«

Der Shoya beugte sich über die Tatami, dankte ihm mehrmals und sagte dann: »Das sind schreckliche Zeiten, Krieg ist schrecklich, und die Steuern werden wieder erhöht.«

Gut, dachte Hiraga mit schmerzendem Kopf, du kannst es dir leisten, aber du oder irgend jemand in der Gyokoyama werden deswegen nicht weniger essen oder trinken, und eure Ehefrauen und Frauen werden sich nicht weniger teuer kleiden! Parasiten! Schon brecht ihr alte Gesetze, indem ihr euren Frauen erlaubt, verbotene Kleiderfarben wie Rot zu Hause als Unterkimonos zu tragen. Wenn wir an der Macht sind, wird es eine Abrechnung geben.

Komm schon, du alter Narr, komm zur Sache. Ich kann nicht den ganzen Abend vergeuden, und ich werde nicht das Gesicht verlieren, indem ich frage, ich habe heute nacht noch zu studieren und muß versuchen, ein weiteres Buch zu lesen. »Ich kann vielleicht Ihre Interessen wahren«, sagte er spitz.

Wieder dankte ihm der Shoya. »Die Botschaft, die ich erhielt, betraf das Mädchen, nach dem Sie fragten. Vor vier Tagen hat Herr Yoshi Kyōto heimlich verlassen, kurz vor der Morgendämmerung, mit einer kleinen Eskorte von Soldaten und als einer von ihnen verkleidet. Sie ging mit. Auch dabei war… geht es Ihnen gut, Otami-sama?«

»Ja, bitte, fahren Sie fort«, sagte Hiraga. »Fahren Sie fort, Shoya.«

»Gewiß. Mit dabei waren die Kurtisane Koiko und das Mädchen, das ihre neue maiko ist…«

»Ihre was?« keuchte Hiraga, in dessen Kopf der Name ›Koiko‹ samt allem, was er bedeutete, widerhallte.

»Bitte, darf ich Ihnen etwas Tee oder Saké anbieten?« fragte der Shoya, der sah, welchen Eindruck die Nachricht machte. »Oder ein heißes Tuch, oder darf ich et…«

»Nein, fahren Sie fort«, sagte Hiraga mit kehliger Stimme.

»Da ist nicht viel mehr. Wie Sie wissen, ist die Dame Koiko die berühmteste von Edos Kurtisanen und inzwischen Herrn Yoshis Gefährtin. Das Mädchen wurde zehn Tage zuvor zu ihr geschickt.«

»Von wem?«

»Das wissen wir noch nicht, Otami-sama«, sagte der Shoya, der diese Information für ein anderes Mal zurückbehielt. »Es scheint, daß die Dame Koiko das Mädchen als maiko akzeptierte, nachdem Herr Yoshi das gebilligt hatte. Sie ist die einzige andere Frau in der Gesellschaft. Ihr Name ist Sumomo Fuja-hito.«

Wirklich, hätte Hiraga am liebsten geschrien, das ist der Deckname, den Katsumata ihr gegeben hat – also hat er sie in dieses Hornissennest geschickt, aber warum? »Welchen Weg hat er genommen? Herr Yoshi?«

»Es sind vierzig Samurai, die ihn begleiten, alle beritten, aber ohne Banner, und Herr Yoshi selbst war, wie ich schon sagte, verkleidet. Sie schlichen kurz vor der Morgendämmerung aus Kyōto heraus, vor drei Tagen, und im Gewaltmarsch auf der Tokaidō entlang, meine Meister nehmen an in Richtung Edo.« Der Shoya verbarg sein Erstaunen über die Erregung im Gesicht des jungen Mannes.

»Gewaltmarsch, sagen Sie? Wann könnten sie Kanagawa erreichen?« Die letzte Herberge vor Edo. »In zehn weiteren Tagen?«

»Ah, ja, Sie haben vermutlich recht, allerdings mit zwei Frauen… meine Botschaft lautete, beide seien zu Pferde, und, ja, das habe ich vergessen, Herr Yoshi war als einfacher Ashigari verkleidet, ja, ich nehme an, daß es möglich ist, bis dahin Kanagawa zu erreichen.«

Benommen trank Hiraga mehr Saké, ohne ihn richtig zu schmecken, akzeptierte eine weitere Tasse, dankte für die Information und sagte, sie würden sich morgen treffen. Dann machte er sich auf den Weg zu der Dorfhütte, die er mit Akimoto teilte.

Die Dorfstraßen draußen waren ruhig, und Lichter hinter den Shoji ließen Hütten und Häuser einladend erscheinen. Müde und durcheinander wegen der Neuigkeiten nahm Hiraga seinen Zylinder ab, raufte sich das Haar und kratzte seinen Kopf. Noch immer war er nicht ganz daran gewöhnt, sein Haar auf europäische Art zu tragen, obwohl er in letzter Zeit die Unbequemlichkeit von Hosen und Weste kaum mehr merkte und wegen der Kälte froh darum war. Doch selbst heftiges Kratzen beseitigte die Verwirrung und den Schmerz in seinem Kopf nicht, und so setzte er sich auf eine nahe Bank – sich hinzuhocken, war in engen Hosen schwierig – und starrte in den Himmel.

Koiko! Er erinnerte sich an die beiden Male, die er mit ihr zusammengewesen war, einmal für einen Abend, einmal für die Nacht. Eeee, beides war teuer gewesen, sehr teuer, aber den Preis wert. Katsumata hatte ihm gesagt, er werde nie wieder eine solche Haut, so seidiges Haar und solchen Duft erleben oder ein so freundliches, sanftes Lachen in den Augen einer Frau, oder die letzte, explodierende Wärme erfahren, bei der man sterben wollte, weil man so große Freude empfand.

»Ach, Hiraga, dann sterben«, hatte Katsumata gesagt, »auf einem solchen Höhepunkt, um das mit ins Jenseits zu nehmen – falls es ein Jenseits gibt –, das wäre Vollkommenheit. Oder, wenn es kein Jenseits gibt, sicher zu sein, daß man beim Sprung ins Nichts das Beste erlebt hat, auf dem Zenit zu sterben, das wäre sicherlich die Vollendung des Lebens.«

»Sicher, aber eine solche Verschwendung! Warum sie für Yoshi ausbilden?«

»Weil sie ein wichtiger Schlüssel zu sonno-joi ist, dafür oder dagegen, weil sie die einzige ist, die ich je gekannt habe, die ihn vielleicht betören und so auf unsere Seite ziehen könnte oder die in der Lage wäre, ihn voranzutreiben. Vielleicht ist er der Schlüssel zu sonno-joi, dafür oder dagegen – das ist unser Geheimnis, Ihres und meines.«

Dann hat Katsumata Sumomo als Vollbringerin der Tat geschickt? Oder um Koiko vor Verrätern zu schützen, oder sogar, um Yoshi vor einem Verräter im Inneren zu bewahren?

So viele Fragen, so vieles, auf das ich keine Antwort weiß.

Er stand auf und ging weiter. Sein Kopf schmerzte schlimmer denn je. Morgen würde Akimoto mit Taira an Bord eines Kriegsschiffes gehen. Hiraga hatte gefragt, ob er auch mitgehen könne, doch das war abgelehnt worden. »Bedaure sehr«, hatte Tyrer zu ihm gesagt, »Sir William sagte, dieser Freund von Ihnen, Mr. Saito, könne gehen, aber nur er. Natürlich keine Waffen. Wie ich höre, ist er der größte Schiffbauer in Shimonoseki, ja?«

»Ja, Taira-sama. Die Familie seines Vaters.«

»Aber Samurai dürfen doch keine Geschäfte machen.«

»Das richtig, Taira-sama«, hatte er schnell gesagt. Der Mann war ein zu gewitzter Schüler. Die Lüge mußte glaubwürdig klingen. »Aber viele Samurai-Familien treffen Vereinbarung mit Geldverleihern und Schiffbauern, für Arbeit, neh? Dieser Mann wichtige Seefahrerfamilie.«

Eine Woche zuvor hatte er das Thema Akimoto aufgebracht, bei einer seiner endlosen Zusammenkünfte mit Sir William, bei denen er Fragen beantwortete und im Gegenzug allerhand erfuhr. »Sein Name ist Saito, Sir William, Familie reich, er hier besuchen, wünschen zu sehen große britische Navy-Schiffe, hören große Geschichten über große britische Navy. Vielleicht Sie und er können machen zusammen, können große Schiffsfabrik machen.«

Das war nicht ganz gelogen. Seit Generationen hatten Akimotos Vorfahren in einem Fischerdorf gelebt, eine von drei dortigen Ashigari-Familien, die als eine Art Polizei für Hiragas Vater gewirkt hatten, das Oberhaupt der nahen Familie im Hirazamurai-Rang. Akimoto selbst hatte sich immer für die See und für Kriegsschiffe interessiert. Hiragas Vater hatte dafür gesorgt, daß Akimoto die Choshu-Samurai-Schule besuchte, und ihm befohlen, alles, was er konnte, von dem holländischen Seemann zu lernen, der der Sensei war, denn bald würde Daimyo Ogama Offiziere als Kapitäne von Choshu-Schiffen und zur Leitung ihrer Marine brauchen.

»Eeee, Vetter«, hatte Akimoto vorgestern gesagt, »ich kann nicht glauben, daß du sie überredet hast, mich in ihre Kriegsgeheimnisse einzuweihen.«

Hiraga seufzte. Er hatte bemerkt, daß alles, was mit ›Geschäften‹ zu tun hatte, bei den Gai-Jin sofort Aufmerksamkeit erregte. Poesie überhaupt nicht, Kalligraphie auch nicht, Schwertschmieden ein wenig, Politik, ja, aber nur, soweit sie den Handel beeinflußte; aber eine Gelegenheit, etwas herzustellen, das man mit Gewinn verkaufen konnte, erbrachte sofortige Resultate. Sie sind schlimmer als reiche Händler! Ihre Nahrung ist Geld.

Letzte Nacht war Akimoto angetrunken gewesen, was bei ihm selten war, und hatte angefangen, über Geld und die Gai-Jin zu reden. »Du hast recht, Hiraga, das ist eines ihrer Geheimnisse: die Anbetung des Geldes. Geld! Wie schlau du warst, das so schnell zu riechen! Sieh dir diesen Hund von einem Shoya an! Sieh, wie er ganz Ohr ist, wenn du anfängst, ihm zu erzählen, was Taira oder dieser andere Gai-Jin-Hund fröhlich über ihre schmutzigen Geschäftsmethoden erzählen und wie sie aus anderen Geld herauspressen, wo sie nur können, und das Profit nennen, als wäre Profit ein sauberes Wort; sie ernähren sich voneinander wie Läuse. Wenn du von Geld redest, holt dann nicht dieser alte Fischkopf von Shoya seinen besten Saké hervor, um dich zu ermutigen, mehr und mehr zu erzählen? Natürlich tut er das. Der ist genau wie sie, er verehrt das Geld, er treibt es von uns Samurai ein und bringt uns jedes Jahr tiefer in Schulden, und dabei produziert er nichts, gar nichts! Wir sollten ihn töten und tun, was Ori sagte, nämlich diese stinkende Jauchegrube verbrennen…«

»Beruhige dich! Was ist denn los?«

»Ich will mich jetzt nicht beruhigen, ich will, daß etwas geschieht, ein Kampf, ein Angriff! Ich bin es müde, herumzusitzen und zu warten.« Akimoto war rot angelaufen, er hatte heftig geatmet, und seine Augen waren nicht nur vom Alkohol blutunterlaufen gewesen. Seine große Faust hatte auf die Tatami geschlagen. »Und ich bin es leid, daß du die ganze Nacht studierst, den Kopf in einem Buch. Wenn du nicht aufpaßt, wirst du dir die Augen und deinen Schwertarm ruinieren, und dann wirst du tot sein. Angriff, dazu sind wir hier – ich will sonno-joi jetzt, nicht später!«

»Ohne Wissen und Geduld… Wie oft muß ich dir das noch sagen? Du wirst allmählich wie Ori oder dieser Narr Shorin; warum hast du’s so eilig, deinen Kopf in die Schlinge zu stecken?«

»Das habe ich nicht, und… Eeee, Hiraga, du hast recht, bitte verzeih mir, aber…« Dann war er verstummt und hatte noch mehr Saké getrunken.

»Was beunruhigt dich denn wirklich? Sag die Wahrheit!«

Akimoto hatte gezögert. »Ich habe von meinem Vater gehört.« Er hatte stockend begonnen, doch bald waren die Worte hervorgeströmt. »Ein Brief kam durch die Mama-san in Kanagawa… dort herrscht Hungersnot im Dorf, in der ganzen Gegend, auch deine Familie leidet, so sehr ich es bedaure, dir das sagen zu müssen. Zwei meiner kleinen Vettern sind gestorben. Drei von meinen Onkeln haben die Samurai-Würde und ihre Schwerter abgegeben – sie haben sie verkauft als Teilzahlung für Schulden beim Geldverleiher, Schwerter, die in Sekigahara benutzt wurden –, um Fischer zu werden, zumindest arbeiten sie für Bootseigner mit den Netzen, von früh bis spät, um ein wenig Bargeld zu bekommen! Tomiko, sie ist die verwitwete Tochter einer Tante, die bei uns lebte, mußte ihr kleines Mädchen an einen Kinderhändler verkaufen. Sie bekam genug, um den Rest ihrer Familie ein halbes Jahr zu ernähren – ihre beiden Söhne und ihren invaliden Vater. Eine Woche später hinterließ sie das Geld in einer Teekanne, wo meine Mutter es finden mußte, und stürzte sich von der Klippe. Ihre Nachricht besagte, ihr Herz sei gebrochen, weil sie ihr eigenes Kind verkaufen mußte, aber das Geld könne der Familie helfen und solle nicht für einen weiteren nutzlosen Esser vergeudet werden …«

Tränen waren ihm über die Wangen gelaufen, aber in seiner Stimme hatte kein Weinen mitgeklungen, nur Zorn. »Ein so nettes Mädchen, eine so gute Frau für meinen Freund Murai – erinnerst du dich an ihn, einer unserer Choshu-Ronins, der bei dem Angriff auf taikō Ii starb? Ich sage dir, Vetter, es ist schrecklich, Samurai zu sein, wenn du kein Gesicht hast, kein Gehalt, keinen Platz, an den du gehen kannst, und Ronin zu sein ist noch schlimmer. Aber trotzdem, ich… du hast wieder einmal recht… ich denke, ich werde die stinkenden Gai-Jin nachahmen müssen, wenn wir Kriegsschiffe wollen, sogar ich weiß, daß sie nicht auf Reisfeldern wachsen, und wir müssen Wege finden, stinkendes Geld zu verdienen, und wie stinkende, mit Reis handelnde Geldverleiher sein. Stinkendes Geld, stinkende Gai-Jin, sti…«

»Hör auf«, hatte er scharf gesagt und ihm eine weitere Flasche gereicht. »Du bist am Leben, du arbeitest für sonno-joi, morgen kannst du auf ein Kriegsschiff gehen, um zu lernen. Das ist genug.«

Akimoto hatte den Kopf geschüttelt und sich die Tränen abgewischt.

»Gab es irgendwelche anderen Nachrichten? Von meinem Vater, meiner Familie?«

»Nun… lies selbst.«

Falls Hiraga bei Dir ist, sag ihm, seiner Familie gehe es schlecht, seine Mutter ist krank, sie haben kein Geld und keinen Kredit mehr. Wenn er die Möglichkeit hat, Geld zu schicken oder irgendeinen Kredit zu arrangieren, so wird er uns das Leben retten – natürlich wird sein Vater niemals darum bitten. Sag ihm auch, daß seine zukünftige Frau noch nicht eingetroffen ist und daß sein Vater um ihre Sicherheit fürchtet.

Ich kann nichts für sie tun, dachte Hiraga, während er sich ihrem dörflichen Versteck näherte, und fühlte sich wieder elend. Ich kann nichts tun. Stinkendes Geld! Akimoto hat recht. Wir sollten Oris Plan durchführen. Eine Nacht wie diese wäre ideal. Zwei oder drei Hütten anzünden, und die Flammen würden von Haus zu Haus übergreifen und eine Feuersbrunst auslösen. Warum nicht heute nacht? Dann müßten die stinkenden Gai-Jin an Bord ihrer Schiffe zurückkehren und davonsegeln. Würden sie das tun? Oder täusche ich mich, und es ist unser Karma, von ihnen gefressen zu werden?

Was soll ich tun?

Katsumata sagte immer: Wenn du im Zweifel bist, handle!

Sumomo? Auf dem Weg nach Edo? Sein Herz schlug rascher, doch selbst der Gedanke an sie nahm ihm das Reuegefühl gegenüber seiner Familie nicht. Wir sollten jetzt heiraten, hier heiraten, solange noch Zeit ist. Unmöglich, nach Hause zu gehen, die Reise würde Monate dauern, und es ist lebenswichtig, hier zu sein, Vater wird das verstehen.

Wird er das? Ist es lebenswichtig, oder mache ich mir nur selbst etwas vor? Und warum hat Katsumata Sumomo zu Yoshi geschickt? Er würde sie nicht für nichts aufs Spiel setzen.

Nichts! Ich bin nichts. Aus dem Nichts ins Nichts, wieder Hungersnot und kein Geld, kein Kredit und keine Möglichkeit zu helfen. Ohne sonno-joi können wir gar nichts tun…

Plötzlich war es, als werde ein Schleier weggezogen, der sich über einen Teil seines Gehirns gelegt hatte, und er erinnerte sich, wie Jamie einige Aspekte der Gai-Jin-Geschäfte erklärt hatte, die ihn schockiert hatten. Gleich darauf klopfte er erneut an die Tür des Shoya und setzte sich ihm gegenüber.

»Shoya, ich dachte, ich sollte es erwähnen, damit Sie sich vorbereiten können. Ich glaube, ich habe den Fachmann der Gai-Jin für Geschäfte überredet, Sie in seinem großen Haus zu treffen, übermorgen am Vormittag, um Fragen zu beantworten. Ich werde für Sie dolmetschen.« Der Shoya dankte ihm und verneigte sich, um sein Strahlen zu verbergen.

Hiraga fuhr freundlich fort: »Jami Makfey sagte mir, es sei Gai-Jin-Brauch, daß dafür eine Gebühr bezahlt wird, für diese und alle anderen Informationen, die er Ihnen bereits gegeben hat. Den Gegenwert von zehn Koku.« Er nannte die ungeheure Summe, als handle es sich um ein Almosen, und sah, wie der Shoya blaß wurde, aber nicht explodierte, wie er bei dieser Lüge erwartet hatte.

»Unmöglich«, entgegnete der Shoya mit erstickter Stimme.

»Das habe ich ihm gesagt, aber er meinte, als Geschäftsmann und Bankier würden Sie verstehen, wie wertvoll seine Information ist, und er würde sogar erwägen…« Wieder mußte Hiraga sich beherrschen. »Er würde dem Shoya sogar helfen, ein Geschäft zu beginnen, das erste seiner Art, um auf Gai-Jin-Weise mit anderen Ländern zu handeln.«

Auch das war nicht ganz gelogen. McFay hatte ihm gesagt, er wäre daran interessiert, einen japanischen Bankier zu treffen und zu sprechen – Hiraga hatte die Bedeutung und Stellung des Shoya in der Gyokoyama übertrieben –, und dazu sei ihm mehr oder weniger jeder Tag recht, wenn er einen Tag zuvor davon erfahre, und es gäbe viele Gelegenheiten zur Zusammenarbeit.

Amüsiert beobachtete er den Shoya, der sichtlich verlockt war von potentiellen Chancen, Makfeys Kenntnisse zu seinem Vorteil zu nutzen und der erste in einem solchen Geschäft zu sein. »Sehr wichtig, der erste zu sein«, hatte Makfey erklärt, »Ihr japanischer Freund wird das verstehen, wenn er ein Geschäftsmann ist. Leicht für mich, unsere geschäftlichen Fertigkeiten einzubringen, leicht für Ihren japanischen Freund, dasselbe mit seinen Fertigkeiten und Kenntnissen zu tun.« Hiraga hatte sich unsäglich anstrengen müssen, um zu verstehen, wovon der Mann redete.

Er riß den Shoya aus seinen Träumereien. »Obwohl ich von geschäftlichen Angelegenheiten nichts verstehe, wäre ich vielleicht in der Lage, diesen Preis herunterzuhandeln.«

»Oh, wenn Sie das tun könnten, Otami-sama, dann würden Sie einem armen alten Mann einen Gefallen tun.«

»Vielleicht kann ich den Preis auf drei Koku runterhandeln.«

»Ein halber Koku wäre vielleicht möglich.«

Hiraga verfluchte sich selbst. Er hatte Makfeys Goldene Regel Nummer Eins vergessen: »Bei Verhandlungen geduldig sein. Runtergehen können Sie immer, aber niemals wieder herauf; zögern Sie nie, zu lachen, zu weinen, zu schreien oder so zu tun, als wollten Sie gehen.«

»Da er zehn verlangt, bezweifle ich, ob Makfey auf unter drei runtergehen würde.«

»Schon ein halber Koku ist sehr viel.«

Wenn er ein Schwert gehabt hätte, hätte er es am Heft gepackt und geschrien: »Drei, oder ich nehme mir Ihren schmutzigen Kopf.« So aber nickte er nur traurig. »Ja, Sie haben recht.« Er schickte sich an aufzustehen.

»Vielleicht würden meine Herren einem zustimmen.«

Jetzt war er fast an der Tür. »Ich bedaure sehr, Shoya, ich würde mein Gesicht verlieren, wenn ich versuchte, einen so billigen Handel…«

»Drei.« Der Shoya war rot geworden.

Hiraga setzte sich wieder hin und sagte: »Ich werde versuchen, ihn auf drei herunterzuhandeln. Es sind harte Zeiten. Ich habe gerade gehört, daß in meinem Dorf in Choshu Hungersnot herrscht. Schrecklich, neh?«

Er sah, wie sich die Augen des Shoya verengten. »Ja, Otami-sama. Bald wird überall Hungersnot herrschen, sogar hier.«

Hiraga nickte. »Ja«, sagte er, wartete und ließ das Schweigen lasten. Makfey hatte den Wert des Schweigens bei Verhandlungen erklärt; ein geschlossener Mund zur rechten Zeit raubt dem Gegner die Nerven und verführt ihn zu Zugeständnissen, die zu verlangen man sich nie gewagt hätte.

Der Shoya wußte, daß er in der Falle saß, hatte aber noch nicht über das Ausmaß der Falle entschieden und auch nicht über den Preis, den er bezahlen würde. Bislang war die Information, die er erhalten hatte, den Betrag zehnmal wert gewesen. Aber sei vorsichtig… dieser Mann ist gefährlich, dieser Hiraga Otami-sama lernt zu schnell, vielleicht sagt er die Wahrheit, vielleicht auch nicht, vielleicht ist er ein Lügner, vielleicht auch nicht. Trotzdem, es ist besser, einen gerissenen Samurai für sich als gegen sich zu haben. »In schlechten Zeiten sollten Freunde sich gegenseitig helfen. Es könnte sein, daß die Gyokoyama einen kleinen Kredit arrangieren könnten, um zu helfen. Wie ich zuvor schon erwähnte, Otami-sama, sind Ihr Vater und Ihre Familie respektierte und geschätzte Kunden.«

Hiraga unterdrückte die zornigen Worte, die er ob der Gönnerhaftigkeit normalerweise ausgespien hätte. »Das wäre zuviel erwartet«, sagte er und tastete sich dabei auf seinem Weg in dieser neuen Welt von Gewinn und Verlust langsam vorwärts – der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen, hatte Makfey ihm viele Male erklärt. »Alles, was die großen Gyokoyama tun könnten, wäre willkommen. Aber Schnelligkeit ist sehr wichtig.«

»Ich werde sofort dafür sorgen.«

»Danke, und vielleicht könnten sie neben einem Kredit auch einen direkten Zuschuß in Erwägung ziehen, eine Gebühr, sagen wir von einem Koku…«, er sah die Augen seines Gegenübers vor Wut funkeln und fragte sich, ob er zu weit gegangen war, »… für von der Familie erwiesene Dienste.«

Ein weiteres Schweigen. Dann sagte der Shoya: »In der Vergangenheit… und in der Zukunft.«

Hiragas Augen wurden ebenso kalt wie die des Shoya, obwohl er genauso lächelte wie dieser. Und da er sich noch immer in der neuen Welt befand, zog er auch nicht den kleinen Revolver, den er jetzt immer bei sich trug, um dem Mann wegen seiner Grobheit ein Loch in den Leib zu schießen. »Natürlich.« Dann fügte er liebenswürdig hinzu: »Bis übermorgen, neh?«

Der Shoya nickte und verneigte sich. »Bis dann, Otami-sama.«

Nachdem er wieder draußen und im Schutz der Nacht war, ließ Hiraga seinem Triumphgefühl freien Lauf. Ein ganzer Koku und Kredite! Und wie waren nun die drei Koku, die der Gai-Jin Makfey weder verlangt hatte noch brauchte, in wirklichen Reis oder wirkliches Geld zu verwandeln, das er ebenfalls seinem Vater schicken konnte?

So viel für so wenig, dachte er glücklich. Gleichzeitig fühlte er sich beschmutzt, und ihn verlangte nach einem Bad.

»Ah, Admiral«, sagte Malcolm Struan, »ein Wort unter vier Augen?«

»Gewiß, Sir.« Admiral Ketterer stand auf. Er war einer der zwanzig Gäste, die noch um den Tisch im großen Raum der Struans beim Portwein saßen, bei dem Angélique sie zurückgelassen hatte. Ketterer war in Galauniform – Kniehose, weiße Seidenstrümpfe und Schuhe mit Silberschnallen –, und seine Gesichtsfarbe war nach dem reichlichen Essen röter als gewöhnlich. »Ich könnte ein bißchen frische Luft vertragen«, sagte Ketterer.

Malcolm ging als erster zu den Fenstertüren; das gute Essen und der Wein hatten seine Schmerzen betäubt. Draußen war es kühl, nach der schlechten Luft drinnen jedoch erfrischend. »Zigarre?«

»Danke.«

Chen, der Boy Nummer Eins, wartete im Hintergrund mit der Schachtel. Nachdem die Zigarren angezündet waren, verschwand er im Rauch.

»Haben Sie meinen Brief im heutigen Guardian gelesen, Sir?«

»Ja, ja, habe ich, und ich fand ihn recht gut«, sagte Ketterer.

Malcolm lächelte. »Wenn die Proteste bei dem Treffen heute nachmittag irgend etwas besagen, dann soviel, daß der Brief Ihren Standpunkt ziemlich deutlich gemacht hat.«

»Meinen Standpunkt? Verdammt, ich hoffe, es ist auch der Ihre.«

»Ja, natürlich, natürlich. Morgen…«

Ketterer unterbrach ihn scharf: »Da Sie eine so korrekte und moralische Einstellung teilen, hatte ich eigentlich gehofft, ein Mann von Ihrer unanfechtbaren Macht und Ihrem Einfluß würde wenigstens offiziell vorgehen und alles Schmuggelgut auf allen Struan-Schiffen verbieten, und damit basta.«

»Schmuggelware ist bereits verboten, Admiral«, sagte Malcolm. »Wir müssen uns in Geduld fassen. In ein oder zwei Monaten werden wir in der Mehrheit sein.«

Der Admiral zog die buschigen Augenbrauen hoch, paffte seine Zigarre und wandte seine Aufmerksamkeit dem Meer zu. Die Flotte sah unter den Ankerlichtern großartig aus. »Macht den Eindruck, als könnte es heute nacht oder morgen einen Sturm geben. Nicht das richtige Wetter für eine Vergnügungsfahrt mit einer Dame, würde ich meinen.«

Besorgt sah Malcolm zum Himmel auf und schnupperte in die Luft. Keine Gefahrenzeichen. Da das morgige Wetter überaus wichtig war, hatte er sich große Mühe gegeben, sich zu vergewissern. Zu seiner Freude wurden wie in den letzten paar Tagen ruhige See und leichte Winde vorhergesagt. Marlowe hatte das vor dem Dinner bestätigt, und obwohl er noch nicht die endgültige Erlaubnis hatte, zu segeln – und auch den wirklichen Grund für Malcolms Bedürfnis, mit Angélique an Bord zu sein, nicht kannte –, stand der Fahrt von seiner Seite aus nichts im Wege.

»Ist das Ihre Vorhersage, Admiral?« fragte Malcolm.

»Die meines Wetterexperten, Mr. Struan. Er riet, für morgen alle Probefahrten abzusagen. Besser, die Zeit damit zu verbringen, sich auf den Angriff auf Edo vorzubereiten, was?« fügte Ketterer mit dünner Jovialität hinzu.

»Ich bin dagegen, Edo dem Erdboden gleichzumachen«, sagte Malcolm zerstreut, da er an sein neues Problem dachte – die Weigerung des Admirals, seinen Brief zu akzeptieren, von dem er zuversichtlich angenommen hatte, er werde mehr als ausreichend sein.

Alles ist perfekt bis auf diesen Kerl, dachte er, unterdrückte seine Wut und versuchte, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden. Die Prancing Cloud war pünktlich eingetroffen und wurde entladen, Kapitän Strongbow war bereits von den neuen geheimen Befehlen für die geänderte Auslaufzeit am Mittwoch unterrichtet, und Edward Gornt war ebenfalls darauf vorbereitet, die Information über Brock’s zu geben, sobald das Duell vorüber war.

»Ich bin auch dagegen«, sagte der Admiral gerade. »Wir haben keinen formellen Befehl, Krieg zu führen. Ich bin neugierig, welches Ihre Gründe sind.«

»Einen Hammer zu benutzen, um eine Hornisse zu töten, ist nicht nur dumm, sondern kann einem auch Hämorrhoiden einbringen.«

Ketterer lachte. »Verdammt, das ist gut, Struan. Hämorrhoiden, ja? Auch wieder etwas von Ihrer chinesischen Philosophie, he?«

»Nein, Sir. Dickens.« Und nach einer Pause fuhr er fort: »Es würde mir und Angélique Freude machen, Sir, morgen mit Kapitän Marlowe an Bord der Pearl zu sein und für eine kurze Zeit kein Land mehr zu sehen.« Da die Heirat von Malcolms Eltern zwischen Macao und Hongkong und außer Sichtweite von Land stattgefunden hatte und sie diese als Präzedenzfall benutzten, hatte Skye ihm geraten, zur Sicherheit dasselbe zu tun. »Mit Ihrem Segen, natürlich.«

»Und ich würde mich freuen, wenn das Noble House die Führung in Japan übernehmen würde. Wie es scheint, bleibt Ihnen nicht genug Zeit dafür. Ich denke, daß zehn Tage für die notwendigen Maßnahmen ausreichen sollten. Die Pearl und Marlowe werden morgen, soviel ich weiß, für Angelegenheiten der Flotte benötigt.« Ketterer wandte sich zum Gehen.

»Warten Sie«, sagte Malcolm, in dem Panik aufstieg. »Nehmen wir an, ich mache jetzt gleich vor allen Anwesenden eine Ankündigung, daß wir… daß wir alle Waffentransporte nach Japan von jetzt an stoppen – würde Ihnen das genügen?«

»Die Frage ist, ob es Ihnen genügen würde?« sagte der Admiral, der es genoß, den Mann, der alles repräsentierte, was er verachtete, am Haken zappeln zu sehen.

»Was… was kann ich tun oder sagen, Sir?«

»Es ist nicht meine Sache, Ihre ›Geschäfte‹ zu führen.« Die Art, wie Ketterer das Wort benutzte, nämlich verächtlich, machte es zu einem schmutzigen Wort. »Mir scheint, was gut für Japan ist, ist auch gut für China. Wenn Sie Kanonen hier ächten, warum tun Sie dann nicht dasselbe in China – und mit Opium?«

»Das kann ich nicht«, sagte Malcolm. »Es würde uns aus dem Geschäft werfen. Opium ist nicht gegen das Gesetz, und beides ist legal…«

»Interessant.« Wieder klang das Wort sarkastisch. »Ich muß Ihnen wirklich für ein wunderbares Dinner danken, Mr. Struan. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich habe morgen sehr viel zu tun.«

»Warten Sie!« sagte Malcolm zittrig. »Bitte helfen Sie mir, morgen ist schrecklich wichtig für mich, ich schwöre, ich werde Sie in allem unterstützten, aber bitte, helfen Sie mir für morgen. Bitte.«

Admiral Ketterer schürzte die Lippen, bereit, diese sinnlose Konversation zu beenden. Denn das ist sie, obwohl ich zweifellos Unterstützung brauchen könnte, wenn auch nur ein Zehntel von den Verleumdungen, die über das verdammte Treffen gerüchteweise umgegangen sein sollen, zutrifft. Vermutlich ist der Mann hier gar nicht so übel – verglichen mit den anderen, verglichen mit diesem Ungeheuer Greyforth. »Wann ist Ihr Duell?«

Malcolm wollte schon wahrheitsgemäß antworten, besann sich aber im letzten Moment. »Ich erinnere mich, Sir, was Sie über Duelle gesagt haben, und Angelegenheiten der Ehre werden in meiner Familie seit mindestens zwei Generationen sehr ernst genommen. Eine Tradition, so wie die Navy, nehme ich an. Ein großer Teil des Zaubers der Royal Navy hat mit Tradition und Ehre zu tun, nicht wahr?«

»Ohne das wäre die Royal Navy nicht die Royal Navy.« Ketterer tat einen weiteren tiefen Zug an seiner Zigarre. Wenigstens etwas hat der junge Bursche kapiert, bei Gott. Aber die Wahrheit ist, daß die Mutter dieses armen Dummkopfes ganz recht hat, die Heirat zu mißbilligen – das Mädchen ist zwar hübsch, aber wohl kaum die richtige Wahl, schlechte Herkunft, typisch französisch. Ich tue ihm einen Gefallen.

Wirklich?

Erinnere dich an Consuela di Mardos Perez aus Cádiz!

Er hatte sie kennengelernt, als er Leutnant zur See auf der Royal Sovereign bei einem Höflichkeitsbesuch im Hafen gewesen war. Am Ende hatte die Admiralität ihm die Erlaubnis zur Heirat verweigert, sein Vater war ebenso dagegen gewesen, und als er endlich beide umgestimmt hatte und zurückgeeilt war, um sie zu heiraten, war sie bereits verlobt gewesen. Sie war auch katholisch, dachte er traurig, denn nach all dieser Zeit liebte er sie noch immer.

Katholisch, das macht alle verrückt, Struans Mutter auch, darauf wette ich. Als ob das eine Rolle spielte. Obwohl Consuela aus einer guten Familie kam und dieses Mädchen nicht. Ja, ich liebe sie noch immer. Nach ihr keine mehr. Wollte nie heiraten, nicht, nachdem ich sie verloren hatte, konnte es irgendwie nicht. Aber deshalb habe ich schließlich alles auf die Navy gesetzt, und so war das Leben wenigstens nicht ganz verloren.

Oder?

»Ich werde noch ein Glas Portwein trinken«, sagte er. »Das wird zehn bis fünfzehn Minuten dauern. Was können Sie in zehn oder fünfzehn Minuten tun, um mich zu überzeugen, hm?«