38
Irgendwann in der Nacht hatte Lyanna sie gefunden und war zwischen sie gekrochen, ohne sie zu wecken. Als Erienne aufwachte, war sie da, die Arme zu beiden Seiten ausgebreitet und viel mehr Platz einnehmend, als es einem kleinen, fünfjährigen Mädchen zugestanden hätte. Denser hatte sich ganz auf die rechte Seite zurückgezogen und lief Gefahr, aus dem Bett zu fallen. Erienne hatte ihren Körper völlig verdreht, um dem kleinen Mädchen Platz zu machen.
Es war ein idyllischer Augenblick, und einen Moment lang liefen Erienne die Tränen übers Gesicht, ehe sie sich zusammennahm, ihr Gesicht trocknete und im Bett nach unten rutschte. Sie stützte den Kopf auf eine Hand und streichelte mit der anderen Lyannas Wange. Im Haus war Bewegung, obwohl es noch dunkel war. Erienne nahm an, dass sie bald aufstehen mussten.
Ihr Zimmer war das erste im Flügel der Gilde und, obwohl ein wenig feucht, durchaus bequem. Zwei Protektoren hatten vor der Tür Wache gehalten, und die Fenster waren mit Läden gesichert und verriegelt. Denser hatte zusätzlich einen Schutzspruch auf den Rahmen gesetzt. Sie waren nicht gestört worden.
Lyanna öffnete die Augen und starrte müde ihre Mutter an.
»Guten Morgen, meine Schöne«, flüsterte Erienne.
»Es ist noch dunkel, Mami.«
»Ich weiß, aber es wird heute sehr gefährlich, und deshalb möchte ich, dass du ein braves Mädchen bist.«
»Ich passe auf dich auf, Mami.«
»Oh, Liebling, ich weiß!« Erienne umarmte sie, und Lyanna klammerte sich an sie. Erienne spürte, dass ihr Kind aufgeregt war und sich Sorgen machte. Dies war nicht der richtige Ort für ein kleines Kind, und Erienne würde nie erfahren, welche Auswirkungen die kommenden Schrecken auf Lyanna haben würden. Im Augenblick wusste Lyanna nur, dass etwas nicht stimmte, dass alle Erwachsenen unter starker Spannung standen. Dadurch wurde auch das Kind unsicher und nervös.
Ein Klopfen an der Tür ließ Erienne auffahren und zerstörte den friedlichen Augenblick. Lyanna löste sich von ihr, und Erienne richtete sich auf und zog die Decke hoch, um ihre Brüste zu bedecken.
»Herein«, sagte sie.
Nerane trat ein und brachte ein Tablett mit zwei dampfenden Bechern.
»Es tut mir Leid, dass ich so früh stören muss«, sagte Nerane, »aber der Unbekannte Krieger lässt ausrichten, dass Ihr aufstehen sollt.«
Nerane lächelte, als sie die Familie sah. Inzwischen regte sich auch Denser, rollte sich herum und richtete sich grunzend auf.
»Es ist eine Schande, Euch zu stören«, sagte Nerane. »Ihr gebt ein so schönes Bild ab.«
Erienne blickte zum noch halb schlafenden Denser. Sie sah das wirre Haar, einen ungekämmten Bart und den halb geöffneten Mund. »Seid Ihr sicher?«
»Ihr wisst doch, was ich meine«, sagte Nerane. Sie stellte das Tablett neben dem Bett auf einem Tisch ab.
»Was hat der Unbekannte noch gesagt?«, wollte Erienne wissen.
»Die Dordovaner sind am Strand und dringen auf die Insel vor. Sie werden uns bald eingekreist haben. Der Schild der Al-Drechar steht, alle sind im Haus, und Ihr müsst bald hier heraus, weil der Zugang zu diesem Flügel versiegelt und blockiert werden muss.«
»Hat er Euch das alles mitgeteilt?«, fragte Denser. Jetzt erst bemerkte er seine Tochter. »Oh, hallo, du.«
»Hallo, Papi.«
»Wenigstens weiß ich jetzt, warum mein Rücken wehtut«, sagte Denser.
»Ich glaube, das hat aber nicht viel mit Lyanna zu tun«, meinte Erienne.
Nerane errötete und zog sich wieder zurück. »Der Unbekannte sagte noch, beim nächsten Mal werde er Hirad schicken, um Euch zu wecken.«
»Das motiviert mich aber ungemein«, entgegnete Denser. »Vielen Dank, Nerane. Sage ihm, es wird nicht nötig sein.«
Die alte Elfenfrau ging und schloss hinter sich leise die Tür. Denser sah Erienne tief in die Augen, und sie verspürte ein Verlangen, das sie kaum hätte unterdrücken können, wäre nicht Lyanna zwischen ihnen gewesen. Er streichelte ihre Wange, und sie ergriff seine Hand.
»Das ist es dann wohl«, sagte er.
»Ja, so sieht es aus«, sagte Erienne.
Er nickte, seine Unterlippe bebte. »Vergiss nie, wie sehr ich dich liebe«, sagte er. Es war kaum mehr als ein Flüstern.
Lyanna wand sich zwischen ihnen. »Was ist denn los, Mami?«
»Nichts, meine Liebe, nichts.«
Hirad schob das letzte Bett der Al-Drechar in der Küche in die Nähe des Herdes, wo es warm war.
»Habt ihr ein paar Assassinen erwischt?«, fragte er.
»Drei«, entgegnete der Unbekannte.
»Nicht schlecht«, sagte Hirad. »Und es ist keiner eingedrungen?«
»Nicht, dass wir wüssten. Ren glaubt, sie habe einen Flieger gesehen. Wir müssen annehmen, dass sie den Obstgarten erkundet haben und die Größe des Hauses kennen. Die Al-Drechar meinen aber, es habe niemand den Schild berührt.«
Hirad setzte sich an den Tisch und zog seine Klinge, um die Schneide mit einem Wetzstein zu schärfen, den er von den Elfen der Gilde ausgeliehen hatte. Er fühlte sich lebendig. Ein Kampf stand bevor, und es sah nicht gut aus für sie, aber der Rabe war eine Größe, mit der man immer rechnen musste.
»Wie lange, bis sie angreifen?«
»Es kann jederzeit beginnen«, sagte der Unbekannte. »Sie haben die Truppe noch nicht zusammengezogen, aber es wird nicht mehr lange dauern. Wir sollten unsere Positionen einnehmen.«
Hirad überprüfte die Klinge, fand sie scharf genug, stand auf und steckte die Waffe in die Scheide. Automatisch überprüfte er auch die Dolche, die er ebenfalls in Scheiden trug. Die Tür zum Esszimmer schwang auf, und herein kamen die Al-Drechar, von den Elfen der Gilde gestützt.
»Alles in Ordnung, meine Damen?«, fragte Hirad.
Myriell warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ich dachte doch, meine Zeit in der Küche wäre ein für alle Mal vorbei«, beklagte sie sich.
»Tja, wir wollen es so kurz wie möglich gestalten«, sagte Hirad. »Und dann können wir über meine Drachen reden.«
Er lächelte und wartete, bis sie vorbei waren, bevor er durchs Esszimmer in den Ballsaal ging. Er war besorgt, denn er hatte versucht, mit Sha-Kaan zu sprechen, hatte dessen Geist aber verschlossen gefunden. Entweder das, oder er war tot. Er hoffte, die Ruhepause werde sich für die Drachen als Wohltat erweisen, doch er erinnerte sich an Sha-Kaans müden Geist beim letzten Kontakt und fürchtete das Schlimmste. Der Rabe musste an diesem Tag auf die Kraft der Drachen verzichten.
Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Der Unbekannte humpelte neben ihm, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Eingänge so gut wie möglich blockiert waren. Sie gingen durch den Ballsaal und dann den Flur hinunter. Vor ihnen wurde die Tür zum Gebäudeflügel der Gilde geöffnet, und Denser erschien, der gerade sein Schwert gürtete.
»Das wird aber auch Zeit«, sagte Hirad, als er vorbeikam.
»Sehr witzig«, sagte Denser.
»Ich werde die Dordovaner bitten, auf dich zu warten«, gab Hirad zurück.
»Wenn es dir nichts ausmacht.«
»Hirad«, ermahnte ihn der Unbekannte. »Jetzt komm schon.«
Sie liefen weiter den Gang hinunter. Die Protektoren waren bereits auf ihren Posten. Im Zwielicht konnte Hirad im Obstgarten einen Elf sehen, der sich unter einem abgebrochenen großen Ast, der an einer Wand lehnte und eine Art Dach bildete, versteckt hatte. Weiter den Flur hinunter begegneten sie Darrick, das Schwert noch in der Scheide, aber das Gesicht ein Ausdruck nervöser Konzentration.
»Guten Morgen, General«, sagte Hirad grinsend, als sie bei ihm stehen blieben.
»Ist der immer so?«, wollte Darrick wissen.
»Immer«, sagte der Unbekannte. »Man gewöhnt sich dran. So einigermaßen.«
»Alles bereit?«, fragte Hirad, der den Eindruck hatte, er müsse sich selbst zur Ordnung rufen. Er fühlte sich seltsam unbeschwert, und der Kitzel des bevorstehenden Kampfes belebte ihn geistig wie körperlich. Er konnte es sich freilich nicht erlauben, nachlässig zu werden.
»Wir müssen noch die Tür zum Gildeflügel versperren, dann haben wir es geschafft. Wir haben ein wenig Spielraum, um auszuweichen, sofern wir mit dem magischen Bombardement richtig liegen.«
»Sollen die Elfen draußen im Obstgarten bleiben?«, fragte Hirad.
»Der Schild deckt auch den vorderen Teil des Obstgartens mit ab. Das ist ein kalkuliertes Risiko, das wir eingehen müssen. Ich will nicht von dort aus überrascht werden, und die Dordovaner sollen nicht sehen, wo unsere Verteidiger versteckt sind.«
Hirad streckte eine Hand aus, die Darrick erfreut schüttelte. Ebenso hielt er es mit dem Unbekannten.
»Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst«, bot Hirad an.
»Ihr auch«, gab Darrick zurück.
Die beiden Rabenkrieger liefen so schnell, wie es dem Unbekannten möglich war, zur Eingangshalle, wo Ilkar schon mit Aeb und den Protektoren wartete.
»Alles bereit?«, fragte Hirad.
»Schilde sind oben«, sagte Ilkar. Seine Stimme verriet, wie stark er sich konzentrierte. »Ich decke die Tür.«
»Gut«, sagte Hirad. »Und wo, zum Teufel, sind Denser und Erienne?«
Lyanna saß am Kopfende des Küchentischs auf einem Stuhl und wirkte schrecklich klein und verängstigt. Erienne hockte neben ihr, streichelte ihr Haar und flüsterte mit ihr, um sie zu beruhigen. Lyanna hielt ihre Puppe fest, und auch wenn sie gelegentlich nickte, wanderten ihre Blicke immer wieder zu den Protektoren, die regungslos in der Küche standen. Denser konnte ihre Angst verstehen.
Von den freundlichen, aber leicht abwesenden Blicken der Al-Drechar verfolgt, gesellte er sich zu Lyanna und Erienne.
»Wie geht es ihr?«, fragte er.
»Geht so«, antwortete Erienne.
Denser beugte sich hinunter und küsste Lyanna auf die Wange. »Du bist hier sicher, verstehst du?«, sagte er.
»Aber ich will bei euch sein«, klagte Lyanna.
»Da draußen ist es gefährlich, meine Liebe«, widersprach Erienne. »Hier drinnen bei Ephy und Clerry und Myra bist du besser aufgehoben, meinst du nicht auch?«
Lyanna sah sich in der Küche um und runzelte die Stirn. »Ich mag die Männer nicht. Warum tragen die Masken? Und warum sagen sie nichts?«
Erienne wandte sich an Denser, der die Augenbrauen hochzog. Es war sicherlich nicht der richtige Augenblick, einer Fünfjährigen die Berufung der Protektoren zu erklären.
»Sie sind ganz besondere Soldaten und kommen von meinem Kolleg«, sagte Denser. »Mach dir keine Sorgen wegen der Masken, die tragen sie nur, damit sie besser kämpfen können. Sie sind hier, um auf dich aufzupassen.«
Lyanna nickte. »Alles klar.«
»Und jetzt hör genau zu, Liebes«, sagte Erienne. »Es wird hier sehr laut werden, und du wirst viele Schreie hören und Angst bekommen. Aber du darfst uns nicht suchen und zu uns kommen, weil das zu gefährlich für dich wäre. Wir kommen schon zurecht, macht dir unseretwegen keine Sorgen. Wirst du tapfer sein?«
»Ich versuche es«, versprach Lyanna.
»Braves Mädchen«, sagte Denser. »Und wenn du zu viel Angst bekommst, kannst du dich an eine der alten Frauen kuscheln. Sie lieben dich auch.«
Lyanna nickte.
Ein dumpfer Schlag hallte durchs ganze Haus.
»Es geht los«, sagte Denser. Er kniete sich hin und umarmte seine Tochter. »Bis bald.«
»Mach’s gut, Papi«, sagte Lyanna.
Auch Erienne umarmte sie. »Sei ein braves Mädchen und mach, was die maskierten Männer dir sagen, ja?«
Mit einem letzten Blick zu ihrer Tochter verließen sie die Küche und eilten zum Raben.
»Auf meinen Befehl, aber nicht vorher!«, brüllte Vuldaroq, als eine einsame Feuerkugel aufstieg und gegen einen Schild prallte. Er wandte sich an Gorstan, der in Arlen die Magier angeführt hatte. »Ich brauche konzentrierte Sprüche. Zerstört das Haus so weit wie möglich, aber hört auf, ehe Ihr erschöpft seid, wenn Ihr nichts erreicht. Der gerade geschossen hat, war vielleicht ein Idiot, aber es war aufschlussreich, nicht wahr? Das war kein Schild von irgendeinem Kolleg.«
»Ja, mein Lord.«
»Nun gut, Feuer frei. Aber vergesst nicht, mich zu unterrichten, bevor die Kräfte ganz erschöpft sind. Ich habe noch einen Angriff zu befehligen.«
»War es das schon?«, fragte Hirad. »Ich …«
»Mann«, sagte Ilkar, der sich leicht wiegte. Er hatte beachtliche Bewegungen im Mana gespürt. »Jetzt geht es los.«
Einen Moment herrschte Schweigen, dann brachen die Sprüche über sie herein. Als galoppierte eine Herde riesiger Pferde übers Dach, schlugen die Feuerkugeln in den Schild der Al-Drechar. Überall blitzte es orange, gelb und weiß durch die Spalten in den Barrikaden und im Obstgarten hinter ihnen. Der Schild zischte, als er den Angriff ablenkte, und Hirad zuckte unwillkürlich zusammen. Der Lärm schmerzte in den Ohren, obwohl er die Hände darübergelegt hatte. Der Boden bebte unter seinen Füßen, vor ihm klapperten die Türen, über ihm schepperte der Schiefer auf dem Dach.
Hinter ihm krachten die Feuerkugeln in den ungeschützten Obstgarten, Flammen tanzten über die nassen Bäume, verkochten das Wasser und fanden knisternd und flackernd Nahrung. Hirad trabte zur verbarrikadierten Tür, sah hinaus, konnte keine weiteren Probleme entdecken und kam eilig zurück. Die wortlose Frage des Unbekannten beantwortete er mit hochgerecktem Daumen.
Wieder ein Licht und ein Krachen, als eine einzelne Feuerkugel die Barriere durchdrang und ins Dach schlug. Sie schauten alle besorgt nach oben, doch der Schild hielt, und der Lärm über ihnen ließ nach, als das magische Sperrfeuer schließlich eingestellt wurde. Jetzt war rechts von ihnen ein dumpfes Grollen zu hören.
»Erdhammer«, sagte Denser. »Sie greifen die Gebäudeflügel an.«
Hirads Ohren klingelten noch vom letzten Angriff. Hinter ihm brannte der Obstgarten auf einer Breite von zwanzig Schritt lichterloh, und über sich hörten sie die Feuerkugel, die Holz und Dachschiefer fraß.
In den Gebäudeflügeln nahm der Lärm noch zu. Die Schwingungen pflanzten sich unter ihren Füßen fort, und durch die Halle dröhnten die Detonationen von Feuerkugeln, die in engen Räumen explodierten. Im ersten Morgenlicht waren die magischen Blitze grell und erschreckend und vertrieben die Schatten, die sich noch im Haus gehalten hatten.
»Aeb, alarmiere deine Brüder und Darrick. Sie werden glauben, es habe einen Durchbruch gegeben«, sagte der Unbekannte.
»Ja«, bestätigte Aeb.
Wieder prasselten Sprüche auf den Schild über ihren Köpfen, dann wurde es für einige Augenblicke völlig still.
»Der Rabe, macht euch bereit«, sagte der Unbekannte. Er zog seine Elfenklinge und tippte mit ihr einhändig auf die Steinplatte vor seinen Füßen.
Sofort nahmen sie Aufstellung. Im Zentrum stand der Rabe in seiner bevorzugten Kampfposition als Fünfstern und bewachte den Haupteingang. Hirad stand rechts neben dem Unbekannten, Aeb zu seiner Linken. Je drei Protektoren deckten die Flanken, hinter ihnen knieten die Magier.
»Harter Schild steht«, sagte Denser.
»Eiswind bereit«, meldete Erienne.
Die Tür bebte unter einem heftigen Aufprall.
»Ein Spruch?«, fragte Hirad.
»Nein«, sagte Ilkar.
Noch ein Schlag. Die Türen krachten gefährlich. Hirad stellte sich anders auf und brachte sein Schwert in eine etwas andere Position. Draußen hörte er Rufe und eilige Schritte, als die dordovanischen Soldaten zusammengezogen wurden. Dann sollen sie kommen, dachte er und lauschte auf das gleichmäßige Tippen der Klinge des Unbekannten. Es schenkte ihm Kraft wie immer.
»Dieses Mal brechen sie durch«, sagte der Unbekannte.
Beim dritten Mal krachte der als Rammbock dienende Baumstamm mitten durch die Türen, und die Splitter prallten von Densers hartem Schild ab. Draußen war ein Brüllen zu hören, der Baumstamm wurde weggezogen, und in der Dämmerung konnte Hirad eine große Menge gerüsteter Kämpfer sehen, die auf ihn zugestürmt kamen.
Durch den Spalt flogen Pfeile und Armbrustbolzen herein, die vom harten Schild abprallten. Direkt dahinter zischten Feuerkugeln durch den zerstörten Eingang, die ebenfalls an Ilkars magischem Schild abprallten, aber das Holz in der Umgebung in Brand setzten.
»Wir halten die Stellung«, sagte der Unbekannte, der mit keiner Wimper gezuckt hatte, als die Sprüche und Geschosse geflogen kamen. »Jetzt kommen die Schwerter.«
Und wirklich, nachdem zwei weitere Feuerkugeln abgeschossen worden waren, drangen die Schwertkämpfer durch die Tür ein und gingen schreiend auf die unbeeindruckte Linie der Rabenkrieger los.
»Erienne, Feuer frei«, sagte der Unbekannte.
Erienne stand hinter ihnen auf. »Duckt euch«, sagte sie.
Die Krieger tauchten ab, und der Eiswind fauchte über ihre Köpfe hinweg und traf die vorderste Reihe der Dordovaner. Ihre Schreie brachen ab, als sie stolperten und stürzten, die Gesichter voller Angst erstarrt. Ihre Finger und Waffen zersprangen, als sie auf den Boden prallten. Der Angriff geriet ins Stocken, und die Rabenkrieger standen immer noch.
»Kommt schon!«, brüllte Hirad. »Wir warten auf euch.«
Und sie kamen. Die Klinge des Unbekannten tippte auf den Boden, den Dolch hielt er in der linken Hand. Dann hörte das Tippen auf, und der Unbekannte hob die Klinge, führte sie von links nach rechts, durchschlug die Abwehr des ersten Kämpfers und traf ihn im oberen Brustbereich. Die Klinge schnitt den Oberkörper des Mannes bis hinauf zum Unterkiefer auf. Er blieb wie angewurzelt stehen und taumelte dann zurück, das Blut spritzte in alle Richtungen.
Hirad blockte mühelos einen Schwertstreich ab und schlug mit der Faust zu. Der Angreifer wurde zurückgeworfen und stolperte, ging aber gleich noch einmal auf den Barbaren los, täuschte links an und schlug rechts zu. Hirad blockte wieder ab, zog dem Gegner aber dieses Mal die Klinge über die Brust und durchschnitt Tuch und Lederrüstung. Der Gegner keuchte und taumelte nach rechts. Eine Protektorenaxt spaltete ihm den Schädel.
Der Raum vor ihnen füllte sich mit dordovanischen Soldaten. Links und rechts kämpften die Protektoren, weit genug voneinander aufgestellt und jeder mit zwei Waffen ausgerüstet, ihren schrecklichen schweigenden Kampf. Aeb, der mit dem Schwert die Dordovaner auf der linken Seite des Unbekannten abhielt, erledigte die Gegner mit der Axt und schlug mit der flachen Klinge zu, oder auch über Kopf und seitlich. Doch so viele Gegner auch fielen, der Druck nahm zu, und der Rabe musste langsam zurückweichen.
Der Unbekannte fing einen Schwerthieb mit dem Dolch ab und drückte die Klinge nach links. Die Brust seines Gegners lag ungeschützt vor ihm, und er brauchte keine zweite Einladung. Der große Mann stieß sein Schwert durch das Kettenhemd, und der Mann fiel zurück. Mit einem Ruck zog er das Schwert wieder heraus, seine steife Hüfte behinderte ihn jedoch, er verlor einen Moment das Gleichgewicht und stolperte nach vorn und schrie, als die unerwarteten Schmerzen durch sein Bein schossen.
Ein Gegner, der eine Chance witterte, ließ auf der linken Seite einen Schlag los. Der Unbekannte, der nicht richtig stand, um den Hieb abzuwehren, konnte nur noch hilflos den Dolch heben, doch dann schaltete Aeb sich ein. Der riesige Protektor schlug nach oben und traf den Mann knapp über dem Schulterblatt. Die Axt drang bis zur Wirbelsäule durch, und der Gegner wurde in die feindlichen Linien zurückgeworfen. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, riss Aeb den Unbekannten zurück, und ihre Reihe stand wie zuvor.
Hirad hatte gerade einen halbherzigen Schlag abgewehrt und schnaufte erleichtert. Mit der freien Hand zog er den Gegner an sich, versetzte ihm einen Kopfstoß auf die Nase, stieß den betäubten Soldaten weg und jagte ihm die Klinge durch den Unterbauch. Der Dordovaner ging schreiend zu Boden.
Er drehte sich etwas und wollte sich gerade den nächsten Gegner vornehmen, als hinter ihm die Türen zum Obstgarten explodierten.
Ren suchte den Himmel ab. Ihr Bogen war noch nicht gespannt, aber der Pfeil war eingelegt, und sie war bereit. Über ihnen waren Schatten vorbeigezogen, zu schnell, als dass sie oder ihre Leute etwas hätten tun können. Zweifellos wollten sie Ärger machen und innerhalb des Hauses landen, während ihre Fußtruppen den Raben und die Protektoren beschäftigten. Sie hörte die Kampfgeräusche an der Vordertür, und hinter ihr verrieten dumpfe Schläge, dass auch die Gebäudeflügel angegriffen wurden.
Links von ihr ertönte ein Pfiff, und sie schaute hinüber. Der Elf von der Gilde deutete nach rechts oben. Ren sah in die Richtung. Acht Magier, die schnell herunterkamen. Die Warnung wurde im Obstgarten weitergegeben, die Bogen wurden gespannt, aber die Schützen warteten noch.
Ren atmete tief und gleichmäßig und beobachtete ihr Ziel, als es sich durch die Luft bewegte und sich drehte. Der Himmel wurde langsam hell, doch die Wolken sammelten sich, und der Wind kam auf. Böen peitschten die Laubhaufen im Garten hoch und fachten die Flammen rechts neben der Tür zur Eingangshalle an.
Sie kamen herunter. Warten, warten. Ren spannte die Bogensehne noch ein wenig weiter. Und los. Ihr Pfeil jagte durch den Himmel und traf den Hals eines Magiers, der geräuschlos abstürzte. Gleich darauf zischten drei weitere Pfeile durch den Obstgarten, und zwei weitere Magier stürzten ab. Somit blieben noch fünf.
Ren legte einen neuen Pfeil ein und sah nach links. Noch mehr Gestalten. Weitere Magier kamen. Ein Dutzend.
»Feuer frei, und schießt schnell«, rief sie. »Sie kommen von links.«
Sie ließ einen weiteren Pfeil fliegen, der einen Magier am Arm traf. Seine Flügel flackerten, stabilisierten sich wieder und verschwanden ganz. Mit einem gedehnten »Nein« stürzte er ab und schlug im zerstörten Dach des Westflügels ein.
Wieder flogen die Pfeile. Zwei verfehlten ihre Ziele, aber inzwischen waren ein halbes Dutzend Magier gelandet. Sie warfen ihre Flügel ab, rückten schnell vor und bereiteten unterwegs ihre Sprüche vor. Ren spürte, wie die Gildeelfen von Panik ergriffen wurden. Sie feuerte noch einmal und traf einen weiteren Magier ins Auge.
»Schießt weiter, schießt«, drängte sie.
Doch die Magier wollten sie nicht angreifen. Sie bewegten sich zu den Türen auf der rechten Seite. Feuerkugeln flogen, und die Türen barsten nach innen. Immer neue Kugeln flogen, und der Obstgarten war voller Flammen.