30
Als es dunkel wurde, konnte Hirad die Meerulme durch den Dunst unter den niedrigen Wolken sehen. Der Wind war etwas abgeflaut, die Dünung war etwas schwächer, und Jevin hatte dem Bootsmann befohlen, so viel Segel zu setzen, wie er es wagte. Er wusste, dass der Kapitän der Meerulme dagegen das Tempo so sehr drosseln würde, wie es eben möglich war.
Doch als es Nacht wurde, war deutlich, dass sie noch einen weiten Weg zu fahren hatten. Bei der augenblicklichen Geschwindigkeit würden sie mindestens noch einen weiteren Tag brauchen, um das Schiff einzuholen. Sobald sich das Meer etwas beruhigte, konnte die Meerulme dem breiteren Handelsschiff, auf dem der Rabe sich befand, davonfahren. Hirad wünschte, ein neuer Sturm möge losbrechen, und mitten in der Nacht wurden seine Gebete erhört, erheblich drastischer, als er es sich vorgestellt hatte.
Er ruhte sich mit Denser und Ilkar aus, um für den Angriff Kräfte zu sammeln. Plötzlich wurde er in schwärzester Finsternis emporgeworfen, als das Schiff Schwindel erregend rollte. Er wäre beinahe aus der Koje gestürzt. Ilkar, der am Rand seiner Koje lag, hatte weniger Glück und purzelte fluchend auf den Boden. Über ihnen trampelten Füße, und Befehle wurden gerufen.
»Das klingt aber nicht so gut«, sagte Hirad. Er konnte gerade eben Ilkars Umriss sehen und ließ sich neben ihm hinab, um ihm aufzuhelfen.
»Wie spät ist es?«
»Nach Mitternacht, würde ich sagen«, antwortete Hirad. »Wie geht es deinem Magen?«
»Es geht so«, sagte Ilkar. »Wir hätten doch früher geweckt werden müssen …«
Sie prallten gegeneinander, als eine weitere Welle das Schiff von der Seite traf. Figuren wurden aus dem Schrein geworfen, die Decken rutschten von den Kojen herunter.
»Lass uns nach oben gehen«, sagte Hirad. »Bring Denser mit, wir treffen uns auf dem Ruderdeck. Ich hoffe, die Meerulme ist inzwischen nahe genug für dich.«
»Das hoffe ich auch.«
Halb rannten und halb stolperten sie aus der Kabine. Hirad tastete sich zur Tür, die zum Hauptdeck führte, Ilkar ging nach nebenan, um Denser zu holen. Der Unbekannte und Thraun blieben einstweilen sich selbst überlassen. Sie waren durch Sprüche in Tiefschlaf versetzt worden, und Darrick war bei ihnen.
Das Deck glich einem Tollhaus. Jevin und der Bootsmann gaben der Mannschaft schreiend Befehle. Über ihnen am Hauptmast war ein Segel halb zerfetzt, die Überreste flatterten im Sturmwind. Ringsum bauten sich riesige Wellen auf, und Hirad konnte sehen, wie der Rudergänger kämpfte, um das Schiff gerade zu halten und der größten Wucht der Wellen zu entgehen. Der Regen hämmerte aufs Deck, oben in der Takelage waren die Elfen mit den Segeln beschäftigt und versuchten, genug Leinwand in den Wind zu bekommen, damit sie das Schiff wieder unter Kontrolle hatten.
Hirad rannte zum Ruderdeck, das er in der Dunkelheit gerade eben erkennen konnte. Nirgends an Deck brannte ein Licht. Sie wollten unbemerkt bleiben, und die Elfen brauchten ohnehin kein Licht. Als er halb die Leiter hinauf war, traf eine Welle die Backbordseite des Schiffs, und ein Wasserschwall ergoss sich über das Deck. Eine Hand wurde ihm weggeschlagen, mit der zweiten konnte Hirad sich gerade noch halten. Er prallte mit dem Rücken schwer gegen das Holz über der Achterluke.
Als sich das Schiff wieder aufrichtete, schwang er sich zurück auf die Leiter und kletterte die letzten paar Stufen hinauf.
»Was, zum Teufel, ist passiert?«, rief er, ohne die Reling auf dem Deck loszulassen. Wieder ruckte das Schiff und stürzte ins nächste Wellental hinunter.
»Es ist aus dem Nichts gekommen«, antwortete Jevin. »Seid Ihr bereit?«
»Wieso, wie nahe sind wir denn?« Der Regen verwandelte sich in Hagel, der aufs Deck trommelte und schmerzhaft auf ihre Köpfe prasselte. Hirad zog sich die Felle über den Kopf.
»Auf See ist es immer noch mehr als ein Tag. Für Euch mit Schattenschwingen kann ich es nicht genau sagen. Wir werden heute Nacht aber nicht näher herankommen. Wenn die Leute auf der Meerulme halbwegs bei Verstand sind, dann werden sie beidrehen und versuchen, den Sturm abzureiten. Ich nehme jetzt alles bis aufs Toppsegel weg. Wenn wir das nicht tun, gehen wir unter.«
Hirad nickte. »Danke für Eure Bemühungen«, sagte er.
»Vielleicht gibt es ja eine Sonderprämie.«
»Darauf könnt Ihr wetten«, versprach Hirad.
Ilkar und Denser kamen die Leiter herauf. Ilkar war bleich, sah aber besser aus als am ersten Tag. Das Lemiir verschaffte ihm eine Atempause, um etwas auszuruhen und etwas zu essen, das anschließend auch im Magen blieb. Densers Blick war wild und verriet eine Entschlossenheit, die an den Mut der Verzweiflung grenzte. Hirad hatte diesen Blick schon einmal gesehen. So war Denser stark, aber auch unbeständig.
»Das wäre es dann«, sagte Hirad. Er musste schreien, um sich verständlich zu machen. »Jevin sagt, wir kommen heute nicht näher heran, und der Unbekannte hat nicht mehr viel Zeit.«
»Kannst du die Meerulme sehen?«, wollte Denser von Ilkar wissen. Der Julatsaner hielt Ausschau. Der Hagel kam wie ein Vorhang vor ihnen herunter. Hirad konnte kaum noch den Bug des Schiffs erkennen. Dahinter war nichts als tobende Finsternis. Der Wind heulte über das offene Meer.
»Nein. Wir müssen einfach losfliegen und das Beste hoffen.«
»Na, prima.«
»Bleib in meiner Nähe«, sagte Ilkar. »Ich muss dir meine Augen leihen.«
Denser winkte sie nahe an sich heran und legte ihnen die Arme auf die Schultern.
»Wir brauchen Schattenschwingen, die auf Tempo und nicht auf Masse ausgelegt sind. Ich werde also instabil sein, wenn Hirad an mir hängt. Nimm ja nicht zu lange den Blick von mir, denn wenn er fällt, dann musst du ihn schnappen. Und vergiss nicht, Ren sagte, Eriennes Kabine sei hinten. Wir müssen unterstellen, dass sie nicht verlegt worden ist.«
»Wenn sie in einer anderen Kabine ist, dann wird es eine lange Nacht«, sagte Hirad.
Sie lösten sich voneinander. Hirad hob das Stück Seil, das er sich schon am Abend um die Hüfte gebunden hatte. Ilkar band sich ein Ende ums linke Handgelenk, dann legte Hirad sich flach aufs Deck, während der Elf das andere Ende an Densers linkem Fußgelenk befestigte. Hirad durfte auf keinen Fall Densers Schwingen stören.
»Kommt ihr nur wohlbehalten drüben an«, sagte Ilkar.
»Sag das ihm, er ist der Kutscher«, entgegnete Hirad. »Habt ihr zwei genügend Waffen dabei? Ich denke, es könnte eine Nacht für Messer sein.«
»Wir sind gerüstet. Alles klar?«
»Niemals.«
Ilkar klopfte ihm auf den Rücken. »Also los.«
Hirad machte sich bereit. Denser stellte sich breitbeinig hin, Hirad schob den Kopf durch seine Beine und hielt sich an Densers Unterschenkeln fest. »Ich kann nicht glauben, dass ich das mache«, murmelte er.
Der Hagel wurde heftiger. Er hörte einen Ruf von Denser, und einen Moment später flogen sie, und er brüllte dem Sturm seine Furcht entgegen.
»Dann tötet mich meinetwegen!«, tobte der Kapitän. »Tötet, wen Ihr wollt. Denn wenn wir noch mehr Segel setzen, dann sind wir sowieso alle tot.« Er stieß Selik fort. Der Anführer der Schwarzen Schwingen fing sich rasch ab und kam wieder näher, er hatte immer noch den Dolch erhoben.
»Und was, zum Teufel, soll dieses Schnupftuch nützen, das Ihr da oben flattern habt?« Wieder packte er den Kapitän an der Kehle. Drei seiner Männer standen bereit, um einzugreifen, falls der Elf sich wehrte.
Der heftige Sturm hatte sie völlig überraschend getroffen. Er hatte sich im Süden unter den Wolken zusammengebraut, die so niedrig hingen, dass man beinahe meinte, man könne sie berühren. Der Kapitän hatte alle Leute aufs Deck beordert, und die Männer waren ausgeschwärmt und hatten die Segel gerefft, während die Wellen aufs Deck krachten und zwei Schwarze Schwingen und einen Matrosen vom Schiff ins erbarmungslose Meer fegten. Ein weiterer Matrose war aus der Takelage gestürzt. Sein Körper war zerschmettert, auch er würde sterben.
Selik war aufs Ruderdeck gestürmt und hatte verlangt, schneller zu fahren. Schneller? Sie hatten Glück, dass sie überhaupt noch schwammen.
»Ich sage Euch, wozu es gut ist, Ihr ahnungsloser Narr«, brüllte der Kapitän. »Es gibt uns gerade genug Manövrierfähigkeit, um in den Wind gedreht zu bleiben, damit wir diesen Sturm überleben. Ich gehe doch davon aus, dass Ihr überleben wollt?«
»Euer Tonfall wird Euch teuer zu stehen kommen.«
Der Kapitän packte Seliks Hand und zog den Dolch an seine Kehle. »Dann tut es sofort, Mann der Schwarzen Schwingen. Für mich ist es zu spät, um mir noch über irgendetwas Sorgen zu machen.«
Selik starrte ihn an, riss die Hand weg und wich einen Schritt zurück. Er ließ den Hals des Kapitäns los und nickte.
»Und was ist mit denen da hinter uns?« Er deutete über die Schulter des Kapitäns hinweg in die finstere Nacht.
»Wenn ihr Kapitän halbwegs bei Verstand ist, dann wird er genau das tun, was ich tue«, sagte der Kapitän. »Sie können uns nicht einholen, Selik, so bedauerlich es auch ist. Und selbst wenn, was könnten sie schon ausrichten? Mit einem so großen Schiff kommen sie nicht nach Ornouth.« Es war die reine Wahrheit. Das Schiff, das ihnen folgte, hatte einen viel zu großen Tiefgang, um über die Riffe nach Herendeneth zu fahren. Glücklicherweise hatte ein Schiff von dieser Größe aber auch einmastige Landungsboote, um vom Tiefwasser aus die Ladung löschen zu können, was Selik vermutlich nicht wusste. Wenn Ren an Bord war, dann konnte sie den Kapitän warnen, wann es Zeit wurde, den Anker zu setzen. Außerdem wollte er selbst ein Zeichen geben, wenn er konnte.
»Zum Leidwesen der zivilisierten Welt weiß ich genau, was ich tue«, erklärte der Kapitän.
Selik schnaufte empört. »Die zivilisierte Welt, sagt Ihr. Und doch stellt Ihr Euch auf die Seite der Magie. Elfen. Ihr seid, wie ich höre, auf Eurem Heimatkontinent kaum besser als Tiere.«
»Verschwindet, Selik, und lasst mich meine Arbeit machen, sonst trinkt Ihr bald Meerwasser.«
»Euch kriege ich noch, Elf«, sagte Selik. Er drehte sich um und winkte seinen Männern, ihm zu folgen. »Ihr seid schon so gut wie tot.«
Der Kapitän sagte nichts, als Selik das Deck verließ, doch ihm stand der Sinn nach Rache. Er gestattete sich ein kleines Lächeln. Die Dummköpfe von den Schwarzen Schwingen hatten verlangt, dass auf Deck Lichter angezündet wurden, sobald es dunkel wurde, damit sie sich bei der Schräglage des Schiffs sicher bewegen konnten. So war das Schiff über Meilen sichtbar, wenn der Regen nachließ.
»Komm schon, Ren. Komm schon.«
Der Flug zur Meerulme war die reine Folter für Hirad. Er hielt sich an Densers Beinen fest, der Hagel prasselte ihm ins Gesicht und raubte ihm die Kräfte. Er konnte praktisch nichts erkennen. Hin und wieder tauchte Ilkar kurz auf, aber davon abgesehen wusste er nur die Wellen unter sich und spürte die Gischt auf den Beinen. Denser flog zu niedrig.
Sie bewegten sich in die richtige Richtung, so viel war immerhin klar. Ilkar hatte das Schiff gesichtet, kurz nachdem sie die Calaianische Sonne verlassen hatten. Er war näher gekommen, um es Denser mitzuteilen. Doch Hirad hatte keine Ahnung, wie weit das Schiff entfernt war. Wind und Regen kühlten ihn aus, die Arme taten ihm weh, die Finger wurden ihm trotz der Handschuhe taub. Beinahe hätte er es nicht geschafft.
Eine Bö drückte sie abrupt und viel zu schnell hinunter. Hirad schrie, als seine Stiefel einen Wellenkamm streiften. Denser zog viel zu schnell wieder hoch, Hirad konnte sich mit den klammen Händen kaum halten und hing wie ein menschliches Pendel am linken Bein des Magiers. Ein paar Fuß Seil waren alles, was ihn vor dem Ertrinken bewahrte.
Die plötzliche Gewichtsverlagerung brachte auch Denser aus dem Gleichgewicht. Er stürzte zum Meer hinunter, und Hirad sah ihn über sich um Höhe und um die Balance kämpfen, während er ins Meer stürzte. Die Kälte traf Hirad wie ein Schock, als er ins Wasser tauchte. Er keuchte erschrocken. Die Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen, und Denser wurde gegen die nächste Welle geworfen, schoss nach oben, entkam im letzten Moment und zog den durchnässten Hirad mit.
Der Barbar schaute wieder auf. Denser rief etwas, das er nicht verstehen konnte. Die Kälte raubte ihm alle Kräfte. Es gab einen heftigen Ruck, als Hirad vor und zurück pendelte. Er versuchte, am Seil hochzuklettern, was Denser furchtbar wehtun musste. Der Magier rang unterdessen ums Gleichgewicht, damit sie nicht beide ins Meer stürzten.
Hirad wollte den rechten Arm herumnehmen, bekam aber nicht genug Schwung. Das Seil schnitt in sein Handgelenk, und er packte es mit den Fäusten, um das Gelenk zu entlasten. Er betete, dass sie die Meerulme erreichten, bevor Denser einen Stiefel verlor. Noch einmal versuchte er, die zweite Hand an Densers Bein zu bekommen, doch wieder warf ihn eine Bö herum, bis er sich wie wild um sich selbst drehte. Jetzt wurde ihm auch noch übel, die Kälte machte ihn benommen, der Hagel und das Meerwasser blendeten ihn. Vom Gelenk, das vom Seil wund gescheuert war, lief das Blut seinen Arm hinunter.
Mit dröhnenden Flügeln kam Ilkar, um ihn aufzufangen. Er drückte ihn hoch und hielt ihn, bis Hirad sich wieder selbst festklammern konnte.
»Danke«, keuchte der Barbar. »Danke.«
»Wir sind fast da.« Damit war Ilkar wieder verschwunden.
Sie wechselten die Richtung, flogen niedrig über die Wellen hinweg und erreichten das Schiff von hinten. Hier brannte kein Licht wie an den Seiten. Sie konnten sicher sein, dass kein Elf, der sie sah, sie verraten würde. Unterhalb des Decks flogen sie nahe heran.
Obwohl das Schiff stampfte, waren sie hier ein wenig vor dem Wind geschützt, und Hirads heftig schlagendes Herz beruhigte sich langsam wieder. Denser stieg langsam hoch, und Hirad zog die Knie an, als sie die Reling überflogen. Sobald er die Planken unter den Füßen hatte, legte er sich flach hin, damit auch Denser landen konnte. Neben sich hörte er Ilkars leichten Schritt. Seine Hände waren zu taub, um das Seil loszubinden. Ilkar half ihm, und als das Seil gelöst war, schlang Hirad es sich wieder um den Bauch und begutachtete das wund gescheuerte Handgelenk.
»Das wird später wehtun«, sagte er. »Was macht dein Fußgelenk, Denser?«
»Geht schon«, flüsterte der Dunkle Magier. »Was jetzt?«
»Wir lauschen«, sagte Hirad.
Sie lauschten dem Kreischen des Windes, sie hörten hin und wieder einen Ruf, der den Sturm übertönte, und das Knarren der Schiffsbalken. Sie erfuhren nicht, wer oder wie viele Männer auf Deck waren, doch nach längerem Schweigen wussten sie immerhin, dass es keine Patrouillen gab, oder jedenfalls nicht im Heckbereich.
»Wenn das Schiff der Calaianische Sonne ähnlich ist, dann müssen wir durch die Achterluke rein«, sagte Denser.
»Sehr riskant«, meinte Ilkar.
»Tja, ansonsten könnten wir höchstens ungefähr hier ein Loch ins Deck sprengen. Wenn wir das nicht wollen, sind die Luken die einzige Möglichkeit«, entgegnete Denser.
»Und wir müssen sowieso auf diesem Weg wieder hinaus«, ergänzte Hirad. »Du kannst deine Schwingen ja kaum unter der Wasserlinie sprechen.«
»Dann wollen wir keine Zeit mehr verschwenden«, sagte Ilkar.
Hirad nickte und zog zwei Dolche. Einen nahm er in die rechte Hand, den anderen packte er mit den Zähnen. Das Langschwert blieb vorerst in der Scheide auf dem Rücken. Von Ilkar und Denser gefolgt, schlich er an der Backbordreling entlang zum Hauptdeck. Er ging geduckt, das Stampfen des Schiffs war eine ständige Gefahr. Das Holz war glitschig vom Wasser, der Hagel verwandelte sich wieder in Regen, und dazu kam die Gischt von den Wellen. Seine Hände waren kalt, und das linke Handgelenk stach, wenn er die Reling packte.
So kroch er langsam weiter, bis er einen größeren Teil des Decks überblicken konnte. Sie waren noch im Schatten, doch im Licht einiger pendelnder Laternen konnte er nahe am Bug drei Wachen der Schwarzen Schwingen sehen, die sich am Vormasten festhielten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ein anderer klammerte sich auf halbem Wege an die Backbordreling. Hirad musste annehmen, dass noch mehr unterwegs waren, vermutlich auf der Steuerbordseite, und natürlich auf dem Ruderdeck, unter dem sie gerade kauerten.
Er wandte sich an Ilkar. »Hast du noch genug Kraft für einen Tarnzauber?«
»Tarnzauber, einen Schild und noch einmal die Schattenschwingen, mehr ist nicht drin«, flüsterte Ilkar.
»Wir müssen wissen, wie es vor der Achterluke aussieht.«
Ilkar nickte. »Hoffentlich laufe ich nicht in den Schirm, der Erienne gefangen hält.« Er formte die Gestalt für den Spruch, machte einen Schritt und verschwand.
»Denser, alles klar?«
Der Xeteskianer nickte. »Lass uns Erienne hier herausholen, ehe ich mich vergesse.«
»Die Rache muss noch etwas warten, ja?«
Denser grunzte nur und starrte nach vorn.
Sie blieben im Schatten. Die Schwarzen Schwingen bewegten sich kaum, doch die Elfen waren beschäftigt, sie überprüften Taue, kletterten in die Takelage oder versorgten ihre Wächter mit heißen Getränken. Als der Wind einen Moment etwas nachließ, konnte Hirad sogar die Elfenstimmen hören. Er fragte sich, was sie dachten, und ob ihr Leben für Selik, nachdem Erienne verschwunden war, noch einen Wert hatte. Vielleicht sollte er Densers Wunsch nachgeben und alle Schwarzen Schwingen zu töten versuchen.
Ein leises Rascheln, und Ilkar war wieder da.
»Also, ich kann den Tarnzauber noch halten, deshalb sollten wir uns beeilen. Auf dem Ruderdeck sind ein Dordovaner und zwei Elfen. Uns gegenüber redet ein weiterer Magier mit zwei Schwarzen Schwingen. Möglicherweise können sie uns nicht sehen, aber vielleicht doch. Unser Problem sind die Wächter vor uns, die in unsere Richtung schauen, und der Kerl an der Reling da drüben. Die werden uns sofort bemerken, deshalb haben wir nicht viel Zeit.«
»Zeit wozu?«, fragte Denser.
»Mach einfach mit, weil es unsere einzige Chance ist. Wenn ich wieder unsichtbar bin, zählt ihr bis zwölf und rennt mir hinterher. Damit habe ich genug Zeit, die Tür im Vorbeigehen zu öffnen. Ihr rennt hinein, ich folge euch und verschließe sie von innen. Dann sehen wir weiter. Wir haben es mit Schwertern und Magiern zu tun, aber sie rechnen nicht mit uns. Alles klar?«
»Deshalb macht der Unbekannte die Pläne«, sagte Denser ironisch lächelnd. »Wir wollen es hinter uns bringen.«
Ilkar nickte und verschwand wieder. Hirad zählte laut und benutzte das Zählen, um sich vor dem Kampf zu beruhigen. Sie konnten hier nicht wüten, es war zu eng.
»… elf, zwölf. Los!«
Er stand auf und rannte zur Ecke. Als er dort ankam, stürzte das Schiff in ein Wellental, und er rutschte aus der Deckung heraus ins Licht. Vor ihm rief jemand, und die Schwarzen Schwingen kamen gerannt. Er achtete nicht auf sie, sondern drehte sich um und lief zur Achterluke, die aufging, als er sich ihr näherte. Ein leichtes Flimmern verriet ihm, dass Ilkar kurz davor stand, die Konzentration zu verlieren.
»Lauf, Denser!« Er sprang zur Tür und stürzte hindurch, kam in der Hocke auf, nahm den Kopf hoch und blickte den Gang hinunter.
Zwei Wächter standen etwa zehn Schritt entfernt vor einer Tür, zwei Magier saßen bei ihnen. Die Wächter sahen sich um, als er drinnen aufkam, und waren eine Sekunde verunsichert. Hirad dagegen wusste genau, was er wollte. Er rannte los, stieß einen Schrei aus und warf im Rennen einen Dolch, der einen Wächter mitten in der Drehung in der Schulter traf. Der Mann taumelte zurück, der andere zog das Schwert aus der Scheide und trat vor, um den Gang zu versperren.
»Denser, Magier voraus«, warnte Hirad.
»Ja«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Der Wächter stach zu, weil der Gang zu schmal für einen ausholenden Hieb war. Hirad wich geschickt zurück. Der Mann der Schwarzen Schwinge setzte nach und stach noch einmal, aber dieses Mal drückte Hirad sich an die Wand, und die Klinge verfehlte ihn.
»Jetzt, Denser!«, rief er und knallte dem Wächter die Faust auf den Schwertarm, stach mit dem Dolch zu, durchbohrte die Kleidung des Mannes und verletzte ihn an der Brust. Er packte den Schwertarm, riss den Mann vorwärts und aus dem Gleichgewicht und zog ihm dabei den Dolch quer übers Gesicht. Denser rannte in den Raum hinein, hinter ihnen knallte die Achterluke zu und wurde verriegelt.
»Ilkar, hilf ihm«, rief Hirad. Doch als er dem Wächter noch einmal die Faust ins Gesicht schlug, sah er, dass der Xeteskianer keine Hilfe brauchte. Er rannte den verletzten Wächter einfach um und stach ihm das Messer in die Brust. Der Barbar versetzte seinem Gegner einen Tritt in den Bauch und trat ihm auf den Nacken, als er fiel. Es knackte laut unter seinem Fuß.
Die beiden Magier kamen gerade erst zu sich, nachdem sie sich völlig auf den Schild konzentriert hatten, der Erienne unter Kontrolle hielt. Sie waren eine leichte Beute. Denser und Ilkar nahmen sich je einen vor. Sie zeigten keine Gnade für die dordovanischen Verräter. Denser sagte noch etwas zu dem Magier, den er tötete, doch Hirad konnte die Worte nicht verstehen.
Ohne auf sie zu warten, trat Hirad die Tür auf und drang mit gezücktem Dolch in die Kabine ein. Erienne hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und riss den Mund auf, als sie ihn sah.
»Hirad! Wie …«
»Keine Zeit, Erienne. Bereite Schattenschwingen vor. Wir müssen hier so schnell wie möglich wieder raus, sonst schaffen wir es nicht.«
Denser und Ilkar kamen herein.
»Sie sind an der Luke«, sagte der Elf, als Denser durch die Kabine rannte und Erienne herzhaft umarmte und küsste.
»Sie brechen jeden Moment durch. Hat jemand Vorschläge?« Er zog das Schwert und hielt den Dolch in der linken Hand. »Denser, lass sie los. Dazu hast du später noch Zeit.«
»Spaßverderber.«
»Vorschläge?«, wiederholte Hirad.
In der Nähe wurde eine Tür geöffnet. Hirad trat in den Gang hinaus. Als der Wächter um die Ecke schaute, stach Hirad ihm mit der Rückhand den Dolch ins Gesicht und traf das Auge. Er riss die Klinge heraus, der Mann der Schwarzen Schwingen ging lautlos zu Boden.
»Falscher Ort, falsche Zeit. Ilkar?«
An der Achterluke war ein lauter Knall zu hören.
»Sie sind gleich so weit mit ihren Sprüchen, deshalb brauchen wir einen Schild. Denser kann das übernehmen. Ich bereite einen Kraftkegel vor. Wir müssen sie zurücktreiben, damit wir Platz haben, nach achtern zu laufen, falls wir dorthin wollen.«
»Einverstanden«, sagte Hirad. »Alles bereit?«
»Ich übernehme den harten Schild«, sagte Erienne. Sie war überglücklich, weil ihre magischen Fähigkeiten wieder da waren. »Sie haben Armbrüste.«
Nach kurzem Überlegen nickte Hirad. »Gut, danke. Aber behalte die Schattenschwingen im Hinterkopf. Das gilt für euch alle.«
Sie kehrten in den Gang zurück. Ilkar übernahm mit dem vorbereiteten Kraftkegel die Führung, Denser und Erienne hatten Schilde gesprochen, Hirad deckte ihren Rücken. Wo ein Wächter aufgetaucht war, konnten leicht noch weitere kommen. Die Tür vor ihnen hielt bis jetzt. Am andere Ende des Ganges öffnete sich jedoch eine weitere Tür. Ein Mann trat heraus, in jeder Hand eine Armbrust.
»Das reicht«, sagte er.
»Geht weiter«, sagte Hirad über die Schulter zu den anderen. »Den übernehme ich.«
»Ihr geht nirgends hin. Ich habe dreißig Männer und ein Dutzend Magier auf diesem Schiff. Ein netter Versuch, aber es ist vorbei.«
»Selik, es freut mich zu sehen, wie Erienne Euch zugerichtet hat. Eine Schande, dass Ihr überlebt habt.«
»Hirad Coldheart, nicht wahr? Ja. Der einsame Schwertkämpfer. Gebt sie mir, dann lasse ich Euch laufen.«
Sie hatten die Tür fast erreicht. Noch ein schwerer Schlag von draußen, die Bretter bekamen Risse, und die Bolzen gaben nach. Die Nägel kreischten, als sie aus dem Holz gezogen wurden.
»Bereit«, sagte Ilkar. »Konzentrieren.«
»Dann sterbt«, sagte Selik.
Er schoss die Armbrüste gleichzeitig auf Hirad ab, doch sie prallten vom harten Schild ab. Einer schlug neben seinem Kopf in die Wand, der zweite fiel klappernd auf den Boden.
»Du meine Güte«, sagte Hirad, als Selik zurückwich. »Ein einsamer Schwertkämpfer. Drei Magier. Kein Rabenkrieger kommt jemals allein. Und jetzt bist du dran.«
Hirad marschierte den Gang hinunter, während Selik sich in seine Kabine zurückzog. Er ließ die Armbrüste fallen und langte nach dem Schwert. In diesem Moment sprang die Achterluke auf.
»Hirad, komm zurück unter den verdammten Schild«, zischte Erienne. Ihre Stimme war gespannt vor Konzentration.
Der Barbar zog sich rasch zurück und sah, wie Selik die Augen aufriss. Der Anführer der Schwarzen Schwingen sprang nach links in seine Kabine, als der Eiswind durch den Gang fegte. Ringsum gefror die Luft, weiße Flocken legten sich von außen auf den Schild, das unterkühlte Mana fuhr pfeifend durch die Spalten zwischen Schild und Holz. Der Spruch zog über die Balken, hinterließ eine dicke Eisschicht und schlug in Seliks Kabine ein, dort wo gerade noch sein Kopf gewesen war. Blaue Eisbrocken entstanden auf dem Boden und unter der Decke. Die Abschirmung der Rabenmagier hielt.
»Gute Arbeit, Denser«, sagte Ilkar. »Und jetzt lasst uns verschwinden; sie wollen schon wieder einen Spruch wirken.«
Hirad spürte, wie der Kraftkegel freigegeben wurde, vorsichtig und genau kontrolliert. Dann lief der Rabe den Gang hoch.
»Selik«, sagte Hirad. »Ich könnte Selik erledigen.«
»Nein, wir müssen verschwinden. Der Rabe, seid ihr bereit?«
»Bereit.«
»Zurück aufs Deck, und haltet die Schilde oben. Lauft!«
Selik tauchte in der vereisten Kabinentür auf. Er hatte das Schwert in der Hand. Hirad winkte ihm, drehte sich um und rannte weg.
»Bis bald, Selik«, rief er über die Schulter zurück. »Bis zum nächsten Mal. Schieß den Kraftkegel ab, Ilkar, wir kriegen Ärger.«
Der Elf ließ den Kraftkegel los, der mit voller Wucht die Schwarzen Schwingen und die Magier traf, die Sprüche wirken wollten. Sie wurden aus der Türöffnung gefegt.
»Ilkar, nimm das Schwert und decke uns auf der Steuerbordseite. Denser und Erienne, haltet die Schilde. Ich übernehme die Rückendeckung.«
Der Rabe sprang aufs Deck hinaus, Ilkar rannte nach links und rutschte auf dem schmierigen, nassen Balken aus. Denser und Erienne folgten ihm Hand in Hand und mit gezückten Dolchen, und hinter ihnen kam Hirad. Selik hatte die Verfolgung aufgenommen, vorne kamen die Schwarzen Schwingen langsam wieder auf die Beine.
Das Schiff stampfte wieder, und Hirad stürzte nach rechts. Er rollte auf den Rücken und setzte die Bewegung weiter fort, bis er wieder auf die Knie kam. Dabei wurde ihm der Dolch aus der Hand gerissen und rutschte weg. Eilig sprang er wieder auf und rannte zur Backbordseite.
Seliks Kopf tauchte in der Achterluke auf. Hirad fluchte, denn er hatte das Schwert in der falschen Hand und konnte es nicht einsetzen. So schlug er im Laufen mit der linken Faust zu und traf den Anführer der Schwarzen Schwingen seitlich am Kopf. Er hörte, wie Seliks Kopf gegen den Türrahmen knallte.
»Da!«
Die Schritte hinter ihm beflügelten ihn, vor ihm rannte eine Schwarze Schwinge am Ruderdeck vorbei, den Magiern hinterher. Hirad rutschte gegen die Reling, fing sich ab und setzte dem Soldaten hinterher. Er holte weit aus und schlug dem Mann das Schwert in den ungeschützten Nacken und den Rücken. Der Kämpfer kippte um, das Schwert flog aus seiner Hand und segelte knapp über Eriennes Kopf hinweg ins Meer. Im Stürzen erreichte er sie jedoch noch mit den Händen, packte sie und zog sie mit sich hinunter.
Denser wurde langsamer.
»Los!«, rief Hirad. »Ich bringe sie mit.«
Er versetzte dem sterbenden Kämpfer der Schwarzen Schwingen einen Tritt und schob ihn zur Seite, packte die taumelnde Erienne am Ellenbogen und zog sie zum Heck.
»Schild unten«, sagte sie. »Schild unten.«
Wie um ihre Worte zu unterstreichen, zischte ein Armbrustbolzen vorbei und blieb in der Reling stecken. Hirad duckte sich unwillkürlich.
»Bei den Göttern, geh!« Er schob sie vor sich her. »Los doch!«
Erienne bog um die Ecke, Hirad folgte ihr. Im letzten Moment traf ein Bolzen seine Wade. Der Einschlag warf ihn um, er stürzte und prallte gegen die Reling, die unter dem Aufprall splitterte. Hinter sich hörte er Jubelrufe. Er schleppte sich weg, um aus der Schusslinie zu kommen.
»Verflucht«, sagte er.
»Hirad!« Erienne drehte sich zu ihm um.
»Keine Zeit«, knirschte er und kam mühsam wieder auf die Beine. »Haltet euch von den Fenstern da fern. Denser, Erienne, bereitet eure Schattenschwingen vor und fliegt los. Ilkar, was hast du noch drauf?« Die Schmerzen schossen durch Hirads Bein, sobald er es belastete. Er spürte, wie ihm das Blut in den Stiefel lief. Der Bolzen saß fest, was ein Glück war, und er hatte nicht den Knochen getroffen, was an ein Wunder grenzte. Er hob das Schwert.
»Eine unbekannte Zahl von Gegnern rennt hierher«, sagte Ilkar. »Ich werde sie beschäftigen.«
Auf Hirad Seite gingen die ersten Schwarzen Schwingen an der Backbordreling entlang auf sie los. Er hob das Schwert, wechselte es in die linke Hand, um einen besseren Angriffswinkel zu haben, und wartete. Jeder Augenblick, den sie herausschinden konnten, war wichtig.
»Ich könnte Feuerkugeln heraufbeschwören«, sagte Denser.
»Nein, Mann aus Xetesk. Schaffe Erienne von diesem verdammten Schiff herunter«, fauchte Hirad. »Verschwinde, bevor ich dich über Bord werfe. Wir kommen gleich nach.«
»Das will ich doch hoffen«, sagte Denser.
»Flieg schon!« Der Erste der Schwarzen Schwingen kam um die Ecke und fuchtelte in Schulterhöhe mit dem Schwert herum. Hirad blockte ab, dann zog er seine Klinge von links nach rechts. Der Mann wich rückwärts aus, um dem Hieb zu entgehen, nahm sein Schwert wieder nach vorn und versuchte es mit einem Stich. Hirad blockte auch diesen Angriff mühelos ab und versetzte dem Mann mit der rechten Faust einen Rückhandschlag ins Gesicht. Dann drang er auf ihn ein, was sein Unterschenkel mit stechenden Schmerzen quittierte, und stach zu. Die Klinge kam in seinem Rücken wieder zum Vorschein. Er hatte ihn mitten im Körper erwischt und die Lederrüstung glatt durchbohrt. Er spürte, wie das Schwert an der Wirbelsäule kratzte, und zog es wieder heraus. Der Mann brach vor ihm zusammen.
»Ilkar, wie geht es?« Hirad rückte weiter vor, als er sah, wie eine Armbrust um die Ecke geschoben wurde. Seine Klinge rutschte am Schaft der Armbrust entlang durchs Visier und fuhr den Mann der Schwarzen Schwinge ins Auge. Der Mann schrie und zog unwillkürlich ab. Der Bolzen kratzte harmlos über Hirads Lederrüstung.
»Ich halte sie zurück«, sagte Ilkar atemlos. »So gerade eben.«
»Mach weiter und achte auf Armbrüste.«
Er sah sich über die Schulter um. Erienne und Denser waren verschwunden.
»Zeit zu gehen, Ilkar.«
»Wie denn?«
Hirad bückte sich und wartete, seine Wunde pochte heftig. Der nächste Angreifer war vorsichtiger. Der Barbar lauschte aufmerksam und hörte die Stiefel übers Holz scharren. Und dann noch einmal. Er hielt sich mit der linken Hand fest, ignorierte die aufwallenden Schmerzen in der Wade, beugte sich vor und schlug niedrig zu. Sein Schwert traf den Mann am Fußgelenk und schlug durch den Stiefel bis auf den Knochen durch. Der Mann der Schwarzen Schwingen heulte und kippte um. Weitere Bolzen pfiffen vorbei, verfehlten ihn aber erfreulich weit.
Hirad drehte sich zurück. Jetzt oder nie. Er humpelte zur hinteren Reling. Ilkar war noch nicht ganz so weit.
»Hinter dir«, sagte er, als er sich Ilkar näherte. »Duck dich, wenn ich es sage.«
Ilkar wehrte einen Schlag auf den Magen ab und stieß den Mann fort, doch der Gegner war stark, riss das Schwert zurück und holte weit aus.
»Jetzt!«
Ilkar duckte sich. Hirad zog das Schwert in einem weiten Bogen herum, blockte den nach unten geführten Schlag ab und brachte den Wächter aus dem Gleichgewicht. Hirad stieg über Ilkar hinweg und knallte dem Mann die Faust ins Gesicht. Er taumelte einen Schritt zurück.
»Schattenschwingen und weg, Ilkar.«
»Sie fallen uns in den Rücken, Hirad.«
»Ich halte sie auf. Los jetzt.«
»Nein.«
Hirad schlug noch einmal zu, und der Mann der Schwarzen Schwingen konnte gerade eben noch abblocken.
»Vertrau mir, und verlier mich nicht aus den Augen. Verschwinde.«
Er trat vor und hackte dem Gegner das Schwert in den Hals. Der Mann taumelte und stürzte über die Reling.
»Fischfutter«, knurrte Hirad. »Wer ist der Nächste?«
Er hörte, wie Ilkar hinter ihm die Schwingen aktivierte und vom Deck abhob.
»Hirad, sie kommen«, rief der Elfenmagier.
Hirad lehnte sich mit dem Rücken an die Wand der Achterkabine. Von rechts tasteten sich Schwarze Schwingen an der Reling entlang vor. Hinter ihnen sah er Armbrustschützen.
»Verlier mich nicht aus den Augen, Ilkar!«, rief er in die Nacht. Er betete, dass der Elf ihn beobachtete.
»Lass die Waffe fallen«, sagte der Kämpfer.
Hirad lächelte. »Wohl kaum«, entgegnete er.
Er machte einen Schritt, sprang über die Reling und stürzte sich mit vorgestrecktem Schwert hinab.
Das eiskalte Wasser nahm ihn auf, die riesigen, dunklen Wellen schlugen über ihm zusammen. Er kam kurz hoch, trat Wasser und spürte die verletzte Wade, der das Salzwasser nicht bekam. Er suchte den Himmel ab, konnte aber nichts erkennen. Die Meerulme entfernte sich langsam, während er von einer weiteren Welle gehoben wurde. Der Wind pfiff ihm um die Ohren, und er spürte, wie schon wieder der Hagel herunterprasselte. Er fühlte sich schwer, sehr schwer.
Eigentlich sollte er sein Schwert loslassen und versuchen, die Lederrüstung abzustreifen, aber irgendwie sperrte er sich dagegen. Er kam wieder hoch, das Wasser türmte sich vor ihm auf, der Sturm hatte anscheinend beschlossen, dass der Barbar sein nächstes Opfer sein sollte. Wieder trat er Wasser, spürte die Luft im Gesicht und atmete tief ein.
»Ilkar!«, rief er in den Sturm hinaus.
Er legte sich auf den Rücken, ging wieder unter, versuchte, das Schwert in die Scheide zu schieben, obwohl ihm klar war, dass er es sich erlauben konnte, es zu verlieren, und dass es wichtiger war, beide Hände frei zu haben. Er sackte hinab und wollte nicht sterben. Endlich glitt das Schwert in die Scheide. Er schwamm zur Oberfläche, kam an die Luft und rief seinen Freund.
Er sah hoch, und da war Ilkar, der aus der Dunkelheit und dem Hagelschauer zu ihm herunterkam.
»Pack meine Beine und lass ja nicht los.«
Ilkar schwebte über ihm und versuchte, nahe genug zu kommen, während der Wind ihn hin und her warf und das Wasser über seine Beine spülte. Hirad griff nach ihm und verfehlte ihn, trat Wasser, griff noch einmal zu, und jetzt konnte er sich endlich mit einer Hand festhalten.
»Los!«, rief er, und Ilkar stieg hoch. Er schwenkte den linken Arm herum und erwischte Ilkars Stiefelspitze, während der Magier hoch über die Wellen stieg.
Er hielt sich verzweifelt fest und kletterte Hand über Hand höher und hielt erst inne, als sein Kopf in Höhe der Knie des Elfen war und er die Arme fest um dessen Unterschenkel geschlungen hatte. In der Nähe sah er zwei weitere Gestalten. Denser und Erienne.
Er blickte zum Schiff zurück und fragte sich, ob die dordovanischen Magier sie verfolgten, doch für die Leute auf dem Schiff waren sie blitzschnell in der Dunkelheit verschwunden. Sie hatten es geschafft, und wer jetzt noch vom Deck hochflog, hatte keine Ahnung, wo sie zu finden waren.
»Wir haben es geschafft!«, rief er. »Verdammt auch, wir haben es geschafft!«
Vor Freude brüllend hing er an Ilkars Beinen und flog zur Calaianische Sonne zurück.